Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 08.05.2018, Az.: 1 ME 55/18
Befreiung; Nachbarinteresse; Dachterrasse; Grenzgarage; Tiefgaragenzufahrt
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 08.05.2018
- Aktenzeichen
- 1 ME 55/18
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2018, 74155
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 23.03.2018 - AZ: 2 B 3/18
Rechtsgrundlagen
- § 31 Abs 2 BauGB
- § 2 Abs 10 BauO ND
- § 5 Abs 8 S 2 Nr 1 BauO ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Eine Garage verliert ihr Abstandsprivileg nicht dadurch, dass auf ihrem Dach eine vom Wohnhaus zugängliche Terrasse angelegt wird. Es kommt allein darauf an, ob sie für sich und die Terrasse als Teil des Wohnhauses die Abstandsvorschriften einhalten.
Tenor:
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Osnabrück – 2. Kammer – vom 23. März 2018 wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500,-- € festgesetzt.
Gründe
Die Antragsteller (A-Straße in A-Stadt) wenden sich gegen die Genehmigung eines Wohnhauses (mit Einliegerwohnung) auf ihrem westlichen Nachbargrundstück (G. 25) insbesondere deshalb, weil die damit ausgesprochene Befreiung von der maximalen Sockelhöhe (Oberkante fertiger Erdgeschossboden) um 0,65 m auf 1,15 m über Straßengrundhöhe ihren planungsrechtlich verbürgten Anspruch verletze, zumindest aber rücksichtslos sei und die Zulassung einer vom ersten Obergeschoss des Wohnhauses (Flur) zugänglichen Terrasse auf dem ihnen zugewandten Garagendach zur abstandsrechtlichen Unzulässigkeit der Garagenanlage insgesamt führe. Zudem sei dieser Teil des Vorhabens wegen Verletzung des gesetzlich bestimmten Sozialabstandes sowie der dadurch eröffneten Einsichtsmöglichkeiten rücksichtslos.
Die Grundstücke beider Beteiligten liegen nördlich der hier nach Osten abknickenden Straße G.. Das Grundstück der Antragsteller ist mittig mit einem querrechteckig aufgestellten Wohnhaus bestanden, um dessen Nordostecke sich ein beiderseits grenzständiges Nebengebäude anschließt. Das westlich angrenzende Baugrundstück der Beigeladenen soll gleichfalls mittig mit einem Wohnhaus (mit Einliegerwohnung im Kellergeschoss) querrechteckig bebaut werden. An dessen Nordostecke soll sich der hier vor allem streitige Anbau anschließen, der zum Grundstück der Antragsteller mit 8,99 m grenzständig, nach Norden mit Grenzabstand errichtet werden soll. Dieser unterkellerte Trakt soll im Erdgeschossbereich eine „Garage“ mit einer Nutzfläche von knapp 42 m² aufnehmen und im Dachgeschossbereich die 6 m breite und 9 m tiefe, bis auf 3m an die Grundstücksostseite heranreichende Dachterrasse aufweisen, um deren Nachbarrechtsverträglichkeit die Beteiligten unter anderem streiten. Im Kellergeschoss weist das Gebäude zwei Tiefgaragenbereiche auf, zu der von der Grundstückssüdwestseite eine etwa ab halber Strecke mit einer Terrasse überbaute Zufahrt führt.
Beide Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans der Gemeinde A-Stadt Nr. 149 „Nördlich An der Achelriede“. Dieser setzt allgemeines Wohngebiet als zulässige Nutzungsart fest und bestimmt in Nr. 2.1 seiner Textlichen Festsetzungen, dass die Sockelhöhe, gemessen von der Oberkante Mitte fertiger erschließender Straße bis zur Oberkante des fertigen Erdgeschossfußbodens in der Gebäudeachse in der Gebäudemitte 0,5 m nicht überschreiten dürfe.
Nachdem es die Beigeladenen zunächst mit genehmigungsfreiem Bauen versucht hatten, beantragten und erhielten sie vom Antragsgegner unter dem 19. Dezember 2017 die in ihrer Vollziehbarkeit hier umstrittene Baugenehmigung. Darin erteilte der Antragsgegner Befreiung von der textlichen Festsetzung Nr. 2.1 um 0,65 m auf insgesamt 1,15 m. Den gegen ihre Vollziehbarkeit gestellten Eilantrag hat das Verwaltungsgericht mit dem hier angegriffenen Beschluss, auf dessen Einzelheiten Bezug genommen wird, und im Wesentlichen folgender Begründung abgelehnt:
Die Befreiung von der festgesetzten Sockelhöhe betreffe keine Planbestimmung, welcher die Gemeinde nachbarschützende Wirkung beigemessen habe. Das Gebot der Rücksichtnahme verletze diese Befreiung nicht, weil die Beigeladenen zum Ausgleich ihre Trauf- und Firsthöhen hätten reduzieren müssen. Abstandsrechtliche Vorschriften verletze der Garagenanbau auch angesichts der auf einem Teil seines Daches ruhenden Terrasse nicht. Diese beginne erst außerhalb des abstandsrechtlich relevanten Bereichs; das lasse sich eindeutig beurteilen. Es könne daher unentschieden bleiben, ob die Aufsetzung einer Dachterrasse zum Wegfall des abstandsrechtlichen Privilegs für die Garage gem. § 5 Abs. 8 NBauO führe. Zudem seien als abstandsrechtlich privilegierte Garagen nach § 2 Abs. 10 NBauO auch Gebäudeteile anzusehen, die zum Abstellen von Kraftfahrzeugen dienten. Soweit die Antragsteller geltend machten, die tatsächliche Bauausführung weiche noch weiter zu ihren Lasten vom abstandsrechtlich Zulässigen ab, sei das allenfalls in einem Verfahren nach § 79 NBauO, nicht aber in diesem maßgeblich; hier gehe es allein um die Nachbarverträglichkeit der erteilten Genehmigung. Würden Grenzabstandsvorschriften eingehalten, sei dies – hier nicht widerlegtes – Indiz, dass die Maßnahme nicht rücksichtslos sei. Schutz gegen Einblicke hätten die Antragsteller gleichfalls nicht verlangen können, wenn der aus dem Dachgeschoss nach Osten vorkragende Teil ohne Garage aufgeständert ausgestaltet worden wäre.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsteller. Eine wegen § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die rechtzeitig eingereichten Beschwerdegründe zu beschränkende Prüfung ergibt, dass diese keinen Erfolg haben kann. Zu diesen Beschwerdeangriffen ist auszuführen:
Dass sich das Verwaltungsgericht mit der Nachbarrechtsverträglichkeit der Befreiung von der höchstzulässigen Sockelhöhe „ohne entsprechende Rüge der Antragsteller“ (S. 2 unten der Beschwerdebegründungsschrift vom 25.4.2018) befasst hat, verletzt Nachbarrechte nicht.
Das vom Verwaltungsgericht dazu gefundene Ergebnis wird durch die Beschwerdeangriffe nicht erschüttert. Insbesondere gelingt es der Beschwerde nicht zu begründen, weshalb – worauf es nach der zutreffenden Grundannahme des Verwaltungsgerichts ankommt – die Höhenfestsetzungen per se nicht nur ein städtebauliches, sondern auch das Ziel verfolgen, Nachbarn damit ein wehrfähiges Recht an die Hand zu geben. Es dürfte zwar zutreffen, dass damit – neben den Festsetzungen zu Trauf- und Firsthöhe – hatte verhindert werden sollen, dass ein Gebäude zu weit „aus dem Baugebiet herausragt“. Doch ist dies für sich genommen nur ein städtebaulicher, nicht aber ein Aspekt, der gerade im Hinblick auf benachbarte oder sämtliche Planunterworfenen Schutzwirkung entfalten soll. Wenn eine Gemeinde bei Festsetzungen dieser Art zu erreichen versucht, dass Bauwerke nicht zu weit aus der Gebäudemasse herausragen, ist dies nicht ausreichendes Indiz für die Annahme, damit habe ein bestimmter Kreis von Grundstückseigentümern mit eigenen Abwehrrechten versehen werden sollen.
Es gibt keinen störungsunabhängigen Anspruch jedes Planunterworfenen darauf, dass durch Einhaltung der Maß- und Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche ein bestimmter „Gebietscharakter“ erhalten bleibt. Der Senat hatte in seinem unveröffentlichten Beschluss vom 19.12.2016 - 1 ME 150/16 – dazu folgendes ausgeführt:
Der Auffassung von Jeromin (Baunachbarrechtsschutz 3.0, BauR 2016, 925) folgt der Senat nicht. Es gibt keinen Anlass, die „3. Stufe der Fortentwicklung des öffentlichen Baunachbarrechts“ (Jeromin, aaO, S. 926 li. Sp.) zu nehmen oder zu zünden. Der Verfasser verkennt, dass die grundlegende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. September 1993 (- 4 C 28.91 -, BVerwGE 94, 151) nicht auf der Annahme beruht, grundsätzlich hätten alle Normen des öffentlichen Baurechts nachbarschützenden Charakter und müsse einem Nachbarn daher stets ermöglicht sein, sich auf Festsetzungen zu berufen, die im weiteren Sinne den Charakter dieses Baugebiets prägen/mitbestimmen sollen. Ausgangspunkt der bundesgerichtlichen Rechtsfindung ist vielmehr die unverändert gültige gegenteilige Annahme, alle Normen des öffentlichen Planungsrechts erlasse die Gemeinde in erster Linie im öffentlichen Interesse. Dass sie dabei im Rahmen des § 1 Abs. 7 BauGB nach Möglichkeit alle konkurrierenden, auch privaten Interessen zu berücksichtigen habe, ändere daran nichts. Nur im begründeten, für jede Norm gesondert darzulegenden Ausnahmefall komme die Annahme in Betracht, sie dienten auch (d. h. mithin: nur daneben) dem Schutz bestimmter Dritter. Dieser Richtsatz erleide von Gesetzes wegen nur für die Art der baulichen Nutzung eine grundsätzliche Ausnahme, und zwar deshalb, weil der Gesetzgeber in §§ 2 bis 9 und 12 BauNVO bestimmte Nutzungsarten als miteinander regelhaft verträglich und hierdurch den Kreis der in einem Baugebiet Zusammengeschlossenen mit dem Ziel zu einer Schicksalsgemeinschaft bestimmt habe, schon Anfängen einer Umwandlung des Baugebiets vorbeugen zu können. Das dürfe jeder diesem Baugebiet Zugehörige als eigenes wehrfähiges Recht reklamieren.
Anders verhält es sich indes mit der Anzahl zulässiger Vollgeschosse. Es mag ja sein, dass auch deren Festsetzung den Charakter des Baugebiets mitbestimmt. Doch das ist im Ausgangspunkt nur eine städtebauliche, d. h. eben nicht automatisch der Zuordnung individueller Abwehrbefugnisse dienende Festsetzung. Maßgeblich ist, dass der Gesetzgeber anders als bei der Nutzungsart hinsichtlich der Lage der Baugrenzen (§ 23 Abs. 3 BauNVO) und der Vollgeschosse (§ 20 Abs. 1 BauNVO) keine derartige Grundsatzbestimmung getroffen hat. Es ist vielmehr in die zuvörderst städtebauliche Entscheidung der Gemeinde gestellt, welche Verdichtung sie wünscht - und angesichts der landesrechtlichen Abstandsvorschriften überhaupt erreichen kann. Sie ist hierbei nicht gehalten, Unterschiede in der Zuteilung von Nutzungsmöglichkeiten unter Umständen nur nach Maßgabe der § 1 Abs. 4 ff. BauNVO bestimmen zu können. Ein System voneinander abhängiger, dem jeweiligen Gebietstyp zu entnehmender Geschosszahlen gibt es nicht…:“
Dasselbe gilt für die Festsetzung der Sockelhöhe.
Entgegen der Annahme der Antragsteller berücksichtigt das dadurch bewirkte Bauergebnis ausreichenden Umfangs ihre nachbarlichen Interessen, § 31 Abs. 2, letzter Halbs. BauGB. Das wäre selbst dann noch der Fall, wenn man entgegen der zutreffenden Annahme des Verwaltungsgerichts, es komme in diesem Verfahren nach §§ 80a Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO nur auf die genehmigte, nicht aber die tatsächliche Bauausführung an, den Ist-Zustand, d. h. eine um 0,65m erhöhte Positionierung der Garage und ihrer Teilnutzung als Dachterrasse in Blick nähme. Das streitige Bauwerk steht in der äußersten Nordostecke des Baugrundstücks. Das Wohngebäude der Antragsteller steht ein deutliches Stück davon entfernt. Sonne, Licht und Luft werden daher nur sehr untergeordneten Umfangs durch die Teilaußerachtlassung der Sockelhöhenbegrenzung vom Grundstück der Antragsteller abgehalten. Dem vom Verwaltungsgericht zutreffend zitierten Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Januar 1999 (– 4 B 128.98 -, NVwZ 1999, 879) ist nicht im Umkehrschluss zu entnehmen, jede Unterschreitung des gesetzlich bestimmten Mindestabstands sei vom Bauherrn zu widerlegendes Indiz für die Annahme, das streitige Vorhaben sei rücksichtslos. Maßgeblich sind vielmehr die Umstände des Einzelfalls. Danach ist ausschlaggebend, dass die Beigeladenen im Gegenzuge zur Befreiung von der höchstzulässigen Sockelhöhe Abstriche hinsichtlich von Trauf- und Firsthöhe zu machen hatten und das hier vor allem streitige Bauteil (Dachterrasse auf dem „Garagendach“ in der Nordostecke des Baugrundstücks errichtet werden soll. Der Schatten des Haupthauses wird mithin nicht/kaum größeren Umfangs, als dies bei Einhaltung der im Plan festgesetzten Sockelhöhe der Fall gewesen wäre, auf das Grundstück der Antragsteller fallen. Dies wird zudem erst in den späten Nachmittagsstunden das Fall sein. Da müssten sie sonnenstandsbedingt ohnedies lang fallende Schatten hinnehmen. Soweit das wegen höheren Sonnenstands noch nicht der Fall ist, fällt der Schatten nicht in Richtung Wohnhaus, sondern nur auf angrenzende Grundstücksbereiche der Antragsteller. Der Garagentrakt wird dabei im Wesentlichen im Schatten des Haupthauses sein/bleiben.
Die Baumasse wirkt erst recht nicht erdrückend; den Antragstellern bleibt auf ihrem Grundstück mehr als nur ausreichenden Umfang „Luft zum Atmen“ (vgl. zu dieser Formel Senatsb. vom 15.1.2007 - 1 ME 80/07 -, ZfBR 2007, 284 = NdsVBl 2007, 248 = BRS 71 Nr. 88 unter Hinweis auf Senatsurteile v. 29.9.1988 - 1 A 75/87 -, BRS 48 Nr. 164; v. 11.4.1997 - 1 L 7286/95 -, ZMR 1997, 493 = DWW 1998, 151 = BRS 59 Nr. 164; v. 2.7.1999 - 1 K 4234/97 -, BRS 62 Nr. 25). Das gilt selbst dann, wenn man auf einen Standort unmittelbar am Fuße der Garagenostwand abstellte.
Freiheit von Einsichtsmöglichkeiten verheißen die Festsetzungen des Bebauungsplans der Gemeinde A-Stadt Nr. 149 „Nördlich An der Achelriede“ den Antragstellern nicht. Sie können in offener Bauweise nicht erwarten, dass von Nachbargrundstücken keine Einsicht genommen werden kann. Das gilt auch für Obergeschoss-Positionen benachbarter Gebäude. Fehlte die Garage, könnten die Antragsteller gegen Positionierung und Nutzung einer abstandsrechtlich noch nicht relevanten Terrassenanlage an gleicher Stelle nichts Durchgreifendes einwenden. Das Garagengebäude gewährt ihnen sogar in gewissem Umfang Schutz; denn es schirmt einen von der Dachterrasse grundsätzlich möglichen Nachbarblick auf Bereiche ab, die sich unmittelbar an die östliche Garagenwand anschließen.
Nachbarschützendes Abstandsrecht verletzt das Vorhaben entgegen der Annahme der Antragsteller nicht. Die Garage genießt das Abstandsprivileg des § 5 Abs. 8 Satz 2 Nr. 1 NBauO. Die gesondert davon zu beurteilende Dachterrasse reicht nicht in den 3 m tiefen Bereich hinein, dessen Freihaltung die Antragsteller nach § 5 Abs. 2 Satz 1 NBauO grundsätzlich beanspruchen dürfen. Im Einzelnen ist auszuführen:
Zwar nehmen verschiedene Obergerichte an, ein Garagengebäude sei nur dann abstandsrechtlich mit der Möglichkeit grenzständiger Errichtung privilegiert, wenn es ausschließlich zum Unterstellen von Kraftfahrzeugen und in verwandter Weise genutzt werde. Sollte das Gebäude – und sei es außerhalb des Abstandsbereichs – daneben andere Funktionen erfüllen, insbesondere als Sockel für eine dem benachbarten Wohnhaus dienende Dachterrasse dienen, dürfe es nicht mehr das Abstandsprivileg in Anspruch nehmen. Die nachträgliche Aufbringung einer Dachterrasse stelle eine Nutzungsänderung dar, welche dem Garagengebäude die bisherige Identität raube (vgl. zum Vorstehenden u. a. OVG Münster, B. v. 23.11.2017 – 2 B 1289/17 -, BauR 2018, 799; B. v. 22.4.2004 – 10 B 828/04 -, JURIS-Rdnr. 4; B. v. 30.9.2005 – 10 B 972/05 -, BauR 2006, 95 = BRS 69 Nr. 96, JURIS-Rdnr. 11; B. v. 13.3.1990 – 10 A 1895/88 -, BRS 50 Nr. 149; Urt. v. 19.10.1967 – VII A 1049/66 -, BRS 18 Nr. 83; Urt. v. 30.10.1995 -, 10 A 3096/91 -, BRS 57 Nr. 151; BayVGH, B. v. 21.11.2006 – 15 CS 06.2862 -, JURIS-Rdnr. 13 mwN; OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 30.11.2009 – 10 S 30.09 -, BauR 2010, 596 = BRS 74 Nr. 140, JURIS-Rdnr. 11).
Dieses „Alles-oder-nichts-Prinzip“ wird zuweilen gemildert, wenn es um die nachträgliche Errichtung eines Balkons auf einem Garagendach geht. Dann soll in Betracht kommen, die neue Baumaßnahme nicht als Änderung des Garagengebäudes anzusehen, sondern isoliert zu betrachten (OVG Münster, B. v. 16.5.2014 – 2 A 222/14 -, BauR 2015, 247 = BRS 82 Nr. 139, JURIS-Rdnrn. 13 f.).
Andere Obergerichte lassen die Teilprivilegierung der grenzständigen Garage nicht entfallen, wenn sich die Nutzung ihres Daches auf den abstandsrechtlich irrelevanten Bereich beschränkt (vgl. z. B. OVG Saarland, B. v. 31.5.2007 – 2 A 189/07 -, NVwZ-RR 2007, 741, JURIS-Rdnr. 14; BW-VGH, Urt. v. 4.5.1995 – 8 S 369/95 -, BauR 1996, 89 = BRS 57 Nr. 150, JURIS-Rdnr. 23; Urt. v. 24.7.1998 - 8 S 1306/98 -, NVwZ-RR 1999, 428 = BauR 1999, 1283 = BRS 60 Nr. 185, JURIS-Rdnrn. 13f.). Es sei nicht einzusehen, zwei als selbständig einzuordnende Anlagen selbst dann allein durch ihr Zusammenwirken das Abstandsprivileg einbüßen sollten, wenn nachbarliche Belange durch die Dachterrasse nicht nachteilig berührt würden. Daher dürften Garagen im Übrigen, d. h. soweit ihr Dach nicht in abstandsrechtlich relevanter Weise in Anspruch genommen werde, das Abstandsprivileg reklamieren.
Die letztgenannte Sichtweise ist für Niedersachsen angezeigt. Das Verwaltungsgericht weist zu Recht darauf hin, dass nach § 2 Abs. 10 NBauO als „Garage“, an die das Privileg des § 5 Abs. 8 Satz 2 Nr. 1 NBauO anknüpft, auch Gebäudeteile anzusehen sind. Daraus folgern Barth/Mühler (Abstandsvorschriften der Niedersächsischen Bauordnung, 4. Aufl. 2013, § 5 Rdnr. 139):
Auf den begünstigten Garagen sind Dachterrassen zulässig, soweit die Garagen den Grenzabstand einhalten, denn Garagen sind nicht nur Gebäude, sondern auch Gebäudeteile zum Abstellen von Kraftfahrzeugen. Deshalb verlangt Absatz 8 Satz 2 Nr. 1, dass nur die Gebäudeteile, die den Grenzabstand unterschreiten, allein der Garagennutzung dienen. Das entspricht auch der dem Absatz 8 Satz 2 Nr. 1 zugrunde liegenden Konzeption, wonach ein Gebäude nur dann Einschränkungen hinsichtlich Länge und Höhe unterliegt, soweit der erforderliche Abstand unterschritten wird.
Dem ist zuzustimmen. Es ist irrelevant, ob das Bauwerk oberhalb des Bereichs, der den Nachbarn „abstandsrechtlich etwas angeht“, durch ein Vorhaben in Anspruch genommen wird, das für sich genommen Abstandsrecht nicht verletzt. Das öffentlich-rechtlichen Nachbarschutz begründende Synallagma besteht nur darin, dass jeder Nachbar die Beschränkungen einhält, die der Gesetzgeber für den als abstandsrelevant definierten Bereich bestimmt. Selbst wenn der Gesetzgeber daher Grundflächenhöchstgrenzen für abstandsrelevante Anlagen bestimmt, kann der Nachbar nur die Einhaltung der grenzständigen Länge, Höhe, Fläche und des dort entfalteten Nutzungszwecks reklamieren, soweit dies im 3 m-Korridor stattfindet. Ab dort ist zwar noch die Gebäudehöhe (nicht mehr als das Doppelte des Abstands zur gemeinsamen Grenze) nachbarrechtsrelevant, nicht aber mehr der Nutzungszweck der Anlage.
Deshalb lassen die §§ 2 Abs. 10 und 5 Abs. 8 Satz 2 Nr. 1 NBauO zu, dass als „Garage“ nur der Gebäudebereich anzusehen ist, der im 3 m-Abstandsbereich zum Unterstellen von Kraftfahrzeugen und in vergleichbarer Weise genutzt wird. Außerhalb davon kann das Bauwerk jedenfalls dann anderen Zwecken dienen, ohne dass das Abstandsprivileg entfiele, wenn diese Bereiche eindeutig voneinander getrennt werden können. Das ist hier der Fall. Die abstandsrechtlich nicht privilegierte Terrassennutzung endet nach den genehmigten Bauzeichnungen mit dem 3 m-Korridor. Ihre Höhe überschreitet nicht das in § 5 Absatz 2 Satz 1 NBauO bestimmte Maß. Konkret beeinträchtigte Belange des Brandschutzes haben die Antragsteller nicht benannt.
Freiheit von Einsichtsmöglichkeit gewähren die niedersächsischen Abstandsvorschriften nicht. Es ist schon wegen des festgesetzten Mindestabstands von nur (2x3=) 6 m zwischen den einander zugewandten Gebäuden ausgeschlossen, dass keine Einsicht genommen werden kann. Ob die niedersächsische Vorschrift überhaupt so etwas wie einen Sozial-, d. h. einen dem Wohnfrieden dienenden Abstand gewähren soll, unterliegt sogar Zweifeln. Es ist bemerkenswert, dass – soweit ersichtlich – die Gesetzesbegründung zur Neufassung der NBauO (LT-Drs. 16/3195, S. 74) den Begriff des Wohnfriedens allein für das in § 7 Abs. 4 NBauO bestimmte Gebot verwendet, Fenster zweier auf demselben Grundstück stehender Gebäude müssten einen Abstand von mindestens 6 m einhalten. Für die Regelung des § 5 NBauO fehlen solche Ausführungen. Hierfür wird lediglich dargelegt (aaO, S. 59 und 72), die Abstandsvorschriften erfüllten nunmehr allein bauordnungsrechtliche Zielsetzungen. Selbst wenn darunter – was zu belegen wäre – auch Gesichtspunkte des Wohnfriedens (Sozialabstand) gehörten, wären diese hier ausreichenden Umfangs gewahrt. Balkone, von denen aus Nachbargrundstücks besonders „gut“ eingesehen werden, dürfen nach § 5 Abs. 3 Nr. 2 NBauO sogar in den 3 m tiefen Abstandsbereich vorkragen. Die streitige Dachterrasse erreicht diesen Bereich nicht einmal. Ein – unterstellt – gesetzlich gewollter Sozialabstand wäre damit nicht unterschritten.
Auf die im Parallelverfahren 1 ME 54/18 umstrittene Frage, ob die Tiefgaragenzufahrt das Abstandsprivileg des § 5 Abs. 8 Satz 2 NBauO reklamieren kann, kommt es hier nicht an. Die Antragsteller haben aus diesem Umstand keine Folgen für die Nachprüfung der streitigen Entscheidung gezogen (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO). Zudem hat die Neufassung der Nds. Bauordnung die Beschränkung auf eine einzige Grenzgarage aufgegeben und durch Gesamtlängen auf einer Grenze (hier gewahrt: < 9 m) und auf allen zusammen (15 m) ersetzt. Westlich soll der Grenzabstandsbereich nur auf 6,00 m in Anspruch genommen werden.
Weitere Ausführungen zur Beschwerde sind nicht veranlasst.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 2, 162 Abs. 3 VwGO, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Satz 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5 iVm 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).