Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 29.08.2013, Az.: 1 LA 219/11

Anforderungen an die Verpflichtung zur Einhaltung eines geringen Grenzabstands zwecks Offenhaltung einer Traufgasse bei einheitlicher geschlossener Bauweise

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
29.08.2013
Aktenzeichen
1 LA 219/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 43990
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2013:0829.1LA219.11.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 28.09.2011 - AZ: 4 A 1582/09

Fundstellen

  • NdsVBl 2013, 3
  • NordÖR 2013, 544

Amtlicher Leitsatz

Bei prägender geschlossener Bauweise kann die Einhaltung eines geringen Grenzabstands mit dem Ziel, eine Traufgasse (Lohne) offen zu halten, nur bei einer besonderen planungsrechtlichen Rechtfertigung verlangt werden.

Gründe

I.

Die Klägerin wendet sich gegen eine der Beigeladenen zu 1) erteilte Baugenehmigung zur Errichtung eines Apartmenthauses.

Die Klägerin ist Eigentümerin des mit einem Gästehaus mit Vorbau und rückwärtigem Anbau bebauten Grundstücks AT. straße 5. Zu den jeweiligen Grundstücksgrenzen im Nordwesten und Südosten hält das Gästehaus - der historischen Bauweise mit Traufgassen (Lohnen) zwischen den Gebäuden folgend - jeweils einen geringen Abstand. Zu dem nordwestlich gelegenen Baugrundstück der Beigeladenen zu 1) mit der Anschrift AT. straße 4 beträgt der Abstand rund 40-50 cm. Bei diesem Grundstück handelt es sich um das westliche Eckgrundstück eines von der AT. straße, der AU. straße, der AV. straße und der AW. straße begrenzten Straßenkarrees; das Grundstück selbst grenzt im Nordwesten an die AU. straße an. Auf dem Grundstück befand sich ein mittlerweile abgerissenes Hotel ("AX."), dessen zur AT. straße hin ausgerichteter Gebäudeteil mit Ausnahme eines grenzständig errichteten Vorbaus einen Grenzabstand von rund 50-60 cm einhielt.

Nachdem der Rat der Beigeladenen zu 2) Anfang Februar 2008 einen entsprechenden - nicht bekanntgemachten - vorhabenbezogenen Bebauungsplan beschlossen hatte, erteilte der Beklagte der Beigeladenen zu 1) unter dem 15. Februar 2008 eine Baugenehmigung zur Errichtung eines Apartmenthauses mit 24 Wohneinheiten. Diese sah - dem Bebauungsplan entsprechend - eine geschlossene Bauweise entlang der AT. straße vor und ermöglichte verschiedene Ausnahmen von den damals geltenden Abstandsregelungen zu Lasten des klägerischen Grundstücks. Die Baugenehmigung wurde im gerichtlichen Eilverfahren sowohl durch das Verwaltungsgericht (Beschl. v. 29.4.2008 - 4 B 284/08 - und v. 16.9.2008 - 4 B 2092/08 -) als auch durch den Senat (Beschl. v. 20.1.2009 - 1 ME 218/08 -) beanstandet.

Unter dem 26. Januar 2009 mit Nachtrag vom 24. März 2009 erteilte der Beklagte der Beigeladenen zu 1) daraufhin eine modifizierte Baugenehmigung zur Errichtung eines in der Höhe verringerten und mittlerweile fertiggestellten Apartmenthauses mit nunmehr 21 Wohneinheiten. Der zur AT. straße hin ausgerichtete Teil des über Eck errichteten Gebäudes grenzt unmittelbar an das klägerische Grundstück. Zum rückwärtigen Grundstücksbereich der Klägerin hält der parallel der AU. straße errichtete Gebäudeteil einen Grenzabstand von zunächst 6,20 m und sodann von 7,00 m. Dort befindet sich ein Zwerchhaus, das ein Treppenhaus aufnimmt. Auf der rückwärtigen Gebäudeseite sind - auch im Grenzbereich zum klägerischen Grundstück - Terrassen und Balkone vorhanden.

Gegen die Baugenehmigung erhob die Klägerin einen - bis heute nicht beschiedenen - Widerspruch. Zur Begründung dieses Widerspruchs und der später erhobenen Untätigkeitsklage trug sie vor, das Vorhaben der Beigeladenen zu 1) verstoße gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Es habe nicht gemäß § 34 Abs. 1 BauGB genehmigt werden dürfen, sondern es hätte eines Bebauungsplanes bedurft, der insbesondere die Frage des Umgangs mit den historischen Lohnen hätte klären müssen. Die Errichtung des Gebäudes ohne Einhaltung eines Grenzabstands zu ihrem Gebäude sei rechtswidrig. Die erteilte Genehmigung berücksichtige die Belange der baulichen Substanz und der baulichen Nutzung auf ihrem Grundstück nicht ausreichend. Rechtswidrig seien auch die Balkone im Grenzbereich, die zu untragbaren Verhältnissen führten. Weder seien die Belange des Brandschutzes gewahrt, noch sei ein ausreichender Sozialabstand zu ihren Fenstern vorhanden. Im rückwärtigen Grundstücksbereich dürfe das Schmalseitenprivileg nicht zur Anwendung gelangen; zudem habe der Beklagte zu Unrecht ein Nebengebäude zur Unterbringung der Abfallbehälter an der Grundstücksgrenze genehmigt.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 28. September 2011 abgewiesen. Die Voraussetzungen für eine Genehmigung nach § 34 Abs. 1 BauGB lägen vor; nachbarschützende Bestimmungen des Bauplanungs- und Bauordnungsrechts über Grenzabstände seien nicht verletzt. Die nähere Umgebung des Baugrundstücks werde von einer geschlossenen Bauweise geprägt, sodass § 8 Abs. 1 NBauO a. F. eine Bebauung ohne Grenzabstand vorsehe. Die vorhandene Bebauung mit den teilweise noch bestehenden Lohnen gebiete keine Abweichung. Im vorderen Gebäudebereich zur AT. straße habe auch der beseitigte Baubestand bis an die Grenze gereicht. Ansonsten seien die mit der Verringerung des Abstands zwischen den beiden Gebäuden auf rund 50 cm verbundenen Erschwernisse hinzunehmen. Es sei nicht ersichtlich, dass Pflegemaßnahmen nicht mehr möglich seien; zudem habe die Beigeladene zu 1) vergeblich angeboten, die Lohne auf eigene Kosten zu schließen. Soweit im Grenzbereich Balkone bzw. Terrassen genehmigt worden seien, seien diese gemäß § 7b Abs. 3 Satz 1 NBauO a. F. in beliebigem Abstand zur Grundstücksgrenze zulässig. Auch unter Gesichtspunkten des Brandschutzes bestünden keine Bedenken; § 11 Abs. 6 DVNBauO sei auf Balkone nicht anzuwenden. Darüber hinaus könne das Gebot der Rücksichtnahme zwar auch bei Einhaltung der Abstandsvorschriften ausnahmsweise verletzt sein; das sei hier aber nicht der Fall. Soweit die Balkone Einsichtsmöglichkeiten auf das klägerische Grundstück eröffneten, seien diese hinzunehmen, zumal das Grundstück der Klägerin entsprechend vorgeprägt sei. Abweichungen von der Baugenehmigung seien nicht Gegenstand des Verfahrens. Nicht zu beanstanden sei schließlich der parallel zur AU. straße errichtete Gebäudeteil. Das Schmalseitenprivileg des § 7a Abs. 1 Satz 1 NBauO a. F. lasse eine Verringerung des Grenzabstands zu. Darüber hinaus seien die erforderlichen Grenzabstände zu dem klägerischen Grundstück eingehalten. Das gelte auch für das Nebengebäude zur Unterbringung der Abfallbehälter, das gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 2 NBauO a. F. ohne Grenzabstand habe errichtet werden dürfen.

Diesen Ausführungen tritt die Klägerin mit ihrem Zulassungsantrag entgegen.

II.

Der Zulassungsantrag bleibt ohne Erfolg.

Die Voraussetzungen des geltend gemachten Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind nicht erfüllt.

Ernstliche Zweifel sind zu bejahen, wenn bei der Überprüfung im Zulassungsverfahren, also aufgrund der Begründung des Zulassungsantrages und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts, gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zu Tage treten, aus denen sich ergibt, dass ein Erfolg der erstrebten Berufung mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg. Das ist der Fall, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird. Die Richtigkeitszweifel müssen sich auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zur Änderung der angefochtenen Entscheidung führt (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 25.4.2008 - 5 LA 154/07 -).

Legt man dies zugrunde, ist es der Klägerin nicht gelungen, das Urteil des Verwaltungsgerichts ernstlich in Zweifel zu ziehen. Wie das Verwaltungsgericht ist auch der Senat der Auffassung, dass die angefochtene Baugenehmigung Nachbarrechte der Klägerin nicht verletzt. Das Zulassungsvorbringen rechtfertigt keine andere Betrachtung.

Zu Unrecht meint die Klägerin, eine grenzständige Bebauung zu ihrem Grundstück sei unzulässig; der Beklagte habe die Möglichkeit, auf dem Baugrundstück - dem historischen Vorbild entsprechend - mit einem geringen Grenzabstand zu bauen und so die Lohne offen zu halten, ermessensfehlerhaft außer Acht gelassen. Die Bauaufsichtsbehörde kann zwar auch bei grundsätzlich geschlossener Bauweise die Einhaltung eines Grenzabstands gemäß § 8 Abs. 4 NBauO in der zum Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung geltenden Fassung vom 10. Februar 2003 (Nds. GVBl. S. 89, im Folgenden a. F.; die Neufassung vom 3. April 2012, Nds. GVBl. S. 46 enthält keine vergleichbare Bestimmung) im Einzelfall jedenfalls dann verlangen, wenn die Anwendung des § 8 Abs. 1 NBauO a. F. zu einem schweren Eingriff in das Eigentumsrecht führen würde (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 19.7.1999 - 1 M 2854/99 -, [...] Rn. 9; ähnlich schon Urt. v. 24.4.1990 - 1 L 33/89 -, [...] Rn. 6). Dabei muss für die Einhaltung eines Grenzabstandes im Einzelfall trotz prägender geschlossener Bauweise allerdings eine planungsrechtliche Rechtfertigung - im unbeplanten Innenbereich resultierend aus dem in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltenen Tatbestandsmerkmal des "Einfügens" und dem darin enthaltenen Rücksichtnahmegebot - bestehen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 12.1.1995 - BVerwG 4 B 197.94 -, [...] Rn. 7).

Nach diesen Maßgaben war der Beklagte mangels planungsrechtlicher Rechtfertigung nicht verpflichtet, die von der Klägerin vermisste Ermessensentscheidung über den Fortbestand der Lohne auch auf dem Baugrundstück zu treffen. Nach den ausweislich der vorliegenden Lichtbilder und Pläne zutreffenden und von der Klägerin auch nicht substantiiert in Zweifel gezogenen Ausführungen des Verwaltungsgerichts ist in der näheren Umgebung des Baugrundstücks eine geschlossene Bauweise prägend mit der Folge, dass § 34 Abs. 1 BauGB eine grenzständige Bebauung zwingend verlangt. Das gilt ungeachtet der zwischen einigen Häusern bis heute fortbestehenden Lohnen. Schmale Lücken zwischen Gebäude, wie sie die Lohnen darstellen, sind nämlich sowohl bauplanungs- als auch bauordnungsrechtlich im Grundsatz unerwünscht. Sie bergen die Gefahr, dass "Schmutzecken" bzw. "Schmutzstreifen" entstehen, die aufgrund ihrer Lage und/oder ihrer Abmessungen nicht oder allenfalls unter Schwierigkeiten für Pflegemaßnahmen zugänglich sind und auf denen sich deshalb typischerweise mit der Zeit Abfälle und sonstiger Unrat ansammeln (vgl. Saarl. OVG, Beschl. v. 13.6.1995 - 2 W 24/95 -, [...] Rn. 8). Derartige Lücken sprechen daher erst dann gegen die Annahme einer geschlossenen Bauweise, wenn sie eine Breite erreichen, die eine ausreichende Belüftung und Belichtung sowie Besonnung beider Nachbargrundstücke sicherstellt (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 20.8.1999 - 1 L 1515/99 -, [...] Rn. 6; Beschl. v. 21.7.2011 - 1 ME 57/11 -, [...] Rn. 9). Soweit das - wie hier - nicht der Fall ist, kommt eine Bebauung unter Einhaltung anderer als der nach den Abstandsvorschriften der Landesbauordnung grundsätzlich geforderten Grenzabstände nur in Betracht, wenn besondere Umstände des Einzelfalls - namentlich die gebotene Rücksichtnahme auf die Nachbarn - einen solchen Abstand erfordern.

Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung derer ist, denen die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann an Rücksichtnahme verlangt werden. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Bei diesem Ansatz kommt es für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalles wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmepflichtigen nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Dabei muss allerdings demjenigen, der sein eigenes Grundstück in einer sonst zulässigen Weise baulich nutzen will, insofern ein Vorrang zugestanden werden, als er berechtigte Interessen nicht deshalb zurückzustellen braucht, um gleichwertige fremde Interessen zu schonen (vgl. nur BVerwG, Urt. v. 25.2.1977 - BVerwG IV C 22.75 -, [...] Rn. 22; Urt. v. 18.11.2004 - BVerwG 4 C 1.04 -, [...] Rn. 22).

Legt man dies zugrunde und bezieht insbesondere in die Betrachtung ein, dass das Gebot der Rücksichtnahme gegenseitiger Natur ist und demnach für die Beigeladene zu 1), zugleich aber auch für die Klägerin gilt (vgl. Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 34 Rn. 50 <Stand der Bearbeitung: März 2006>), liegt eine Verletzung - wie bereits das Verwaltungsgericht zu Recht und mit zutreffender Begründung festgestellt hat - nicht vor.

Vorausschickend weist der Senat noch einmal darauf hin, dass es im Rahmen dieses Verfahrens ausschließlich auf den Inhalt der Baugenehmigung und nicht auf mögliche Abweichungen im Rahmen der Bauausführung ankommt. Die genehmigte grenzständige Bebauung verringert die Breite der Lohne auf ganzer Länge auf rund 50 cm. Insofern trifft die Besorgnis der Klägerin zu, dass ein derart geringer Abstand zwischen den beiden Außenwänden Unterhaltungs- und Pflegearbeiten an der nordwestlichen Giebelwand ihres Gebäudes erheblich erschwert oder sogar - etwa im Hinblick auf die Möglichkeit einer späteren vollflächigen Wärmedämmung - ganz unmöglich macht. Ihr ist es jedoch zuzumuten, diesen Nachteil hinzunehmen, weil er weithin auf der Situation auf ihrem eigenen Grundstück sowie auf ihrem eigenen Verhalten beruht. Hinsichtlich der Grundstückssituation der Klägerin ist zu berücksichtigen, dass ihr eigenes Gebäude nur einen Grenzabstand von rund 50 cm wahrt, sodass sie für Unterhaltungs- und Pflegearbeiten stets auf die Mitnutzung des fremden Grundstücks angewiesen war. Darauf, dass diese Begünstigung zu Lasten des Baugrundstücks bei dem Bestehen zumutbarer Alternativen für die Klägerin ewig fortbestehen würde, durfte sich diese nicht verlassen, zumal der Fortbestand der Lohne im Widerspruch zu den gesetzlich angelegten städtebaulichen Zielen der Beigeladenen zu 2) stand.

Für die Klägerin bestand - und besteht weiterhin - eine zumutbare Alternative zu dem Erhalt der nunmehr vorhandenen schlecht zu pflegenden "Rest-Lohne" darin, den verbleibenden Grenzabstand gänzlich zu schließen. Die Beigeladene zu 1) hatte insofern in schriftlicher und verbindlicher Form unter dem 22. November 2007 angeboten, die Kosten für den Lückenschluss in Form einer oberen Eindeckung aus Kupfer und senkrechten Abdichtungen aus Kunststoff in wärmegedämmter Form sowie zusätzlich die Kosten für die Kontrolle und etwaige vorherige Herrichtung der Außenwand zu übernehmen. Auch zur Schaffung von Belüftungsmöglichkeiten, zu einem Beweissicherungsverfahren sowie zur Übernahme etwaiger Reparaturkosten bei auftretenden Schäden war die Beigeladene zu 1) bereit. Die Möglichkeit, die Lohne - nunmehr auf eigene Kosten - zu schließen, besteht zudem fort. Sie kann weiterhin in der Weise erfolgen, dass die straßenseitige und die rückwärtige Außenwand an die Nachbarbebauung angeschlossen und die dachseitige Öffnung verschlossen wird. Ein nachvollziehbares Interesses der Klägerin, die Lohne offenzuhalten, ist demgegenüber nicht ersichtlich. Die ausweislich der im Verfahren 4 B 824/08 vorgelegten Lichtbilder wenig ansehnliche Lohne war bereits vor Erteilung der Baugenehmigung zur Straßenseite verschlossen; eine Nutzung derselben fand nicht statt. Zudem hatte sich die Klägerin selbst in einem Schreiben vom 19. Dezember 2007 gegenüber der Beigeladenen zu 2) für eine fachgerechte Schließung der Lohne ausgesprochen.

Soweit die Klägerin schließlich auf eine vorhandene Maueröffnung in der Giebelwand hinweist, hat das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt, dass die Klägerin einen Anspruch auf deren Erhaltung niemals geltend gemacht hat. Hinzu kommt, dass die Maueröffnung in der vorliegenden Form nicht genehmigt ist und schon deshalb keinen Schutz genießt. Genehmigt wurde mit Bauschein Nr. 737/82 vom 25. Mai 1983 ein nicht (mehr) vorhandener Durchgang zum AX., nicht aber das heute vorhandene Fenster.

Der Senat folgt auch nicht dem weiteren Einwand der Klägerin, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht die Zulässigkeit der über der Durchfahrt genehmigten grenznahen Balkone bejaht. Soweit sie erneut rügt, die tatsächliche Bauausführung weiche von der genehmigten Bebauung ab, ist dies - wie ausgeführt - in diesem Verfahren unerheblich. Die genehmigte Bebauung findet ihre Rechtsgrundlage demgegenüber in § 7b Abs. 3 Satz 1 und Abs. 1 NBauO a. F. (nunmehr § 5 Abs. 7 Satz 1 und Abs. 3 NBauO). Danach sind bei zwingend grenzständiger Bebauung insbesondere Balkone in beliebigem Abstand von der Grenze zulässig. Die Einhaltung landesrechtlicher Abstandsvorschriften schließt es zwar - wie das Verwaltungsgericht ebenfalls berücksichtigt hat - nicht aus, dass gleichwohl das in § 34 Abs. 1 BauGB wurzelnde Rücksichtnahmegebot verletzt sein kann. Sie indiziert aber aus tatsächlichen Gründen in der Regel, dass eine Verletzung des Rücksichtnahmegebotes nicht vorliegt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 11.1.1999 - BVerwG 4 B 128.98 -, [...] Rn. 3 f.; Nds. OVG, Beschl. v. 15.1.2007 - 1 ME 80/07 -, [...] Rn. 23). Für eine solche Verletzung ist auch in diesem Fall nichts ersichtlich. Dass das Gebäude der Klägerin nicht grenzständig, sondern mit geringem Grenzabstand und einer - baurechtswidrigen - Fensteröffnung in der nordwestlichen Grenzwand errichtet worden ist, stellt im Hinblick auf die Balkone und Terrassen keine zu berücksichtigende Besonderheit dar. Dass von diesen überdies Störungen oder Einsichtsmöglichkeiten ausgehen, die über das normale und im innerörtlichen Bereich hinzunehmende Maß hinausgehen, legt die Klägerin weder substantiiert dar, noch liegen dafür Anhaltspunkte vor. Der Senat verweist insofern zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die entsprechenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts und macht sich diese zu eigen.

Fernliegend sind die Überlegungen der Klägerin zu einer analogen Anwendung von § 11 Abs. 6 DVO-NBauO. Die Vorschrift sieht - vereinfacht ausgedrückt - vor, dass bestimmte Dachöffnungen und Dachausbauten von Brandwänden einen Abstand von 1,25 m halten müssen. Sinn und Zweck der Vorschrift ist es, eine Brandübertragung über das Dach auf das Nachbargebäude zu verhindern. Eine solche Gefahr besteht bei Balkonen und Terrassen nicht, sodass es zumindest an der für eine Analogie erforderlichen vergleichbaren Interessenlage fehlt. Balkone und Terrassen erhöhen das Risiko einer Brandübertragung bei einem Gebäudebrand nicht in nennenswerter Form; dies trägt auch die Klägerin nicht vor. Soweit sie demgegenüber meint, von der Balkonnutzung selbst - also etwa dem Rauchen und Grillen dort - gehe eine spezifische Brandgefahr aus, liegt dies offenkundig außerhalb des Schutzzwecks des § 11 Abs. 6 DVO-NBauO.

Nicht zum Erfolg verhilft dem Zulassungsantrag auch der Einwand, im rückwärtigen Bereich seien die erforderlichen Grenzabstände verletzt.

Soweit die Klägerin meint, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht die Anwendbarkeit des Schmalseitenprivilegs gemäß § 7a NBauO a. F. bejaht, genügt ihr Zulassungsvorbringen schon nicht den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO. Es beschränkt sich auf die Behauptung, dass eine Anwendung des Schmalseitenprivilegs dann ausscheiden müsse, wenn im vorderen Grundstücksbereich grenzständig gebaut worden sei. Dieser Auffassung steht allerdings der eindeutige Gesetzeswortlaut des § 7a Abs. 2 Satz 3 NBauO a. F. entgegen. Soweit danach ein Gebäude auf eine Länge von weniger als 17 m an eine Grenze gebaut ist, brauchen Teile des Gebäudes, die nicht an diese Grenze gebaut werden, innerhalb des Grenzabschnitts von 17 m nur den Abstand nach § 7a Abs. 1 NBauO a. F. im Umfang von 1/2 H zu halten. Auf Fallgestaltungen wie die vorliegende ist die Regelung mithin zugeschnitten (vgl. auch die Beispiele bei Barth/Mühler, Abstandsvorschriften der Niedersächsischen Bauordnung, 3. Aufl. 2008, § 7a Rn. 37). Damit setzt sich die Klägerin weder auseinander, noch nennt sie sachliche Gründe für ihre Behauptung, "mit Rücksicht auf die Schutzziele des Abstandsrechts" sei die darin liegende Begünstigung nicht vertretbar.

Ohne Relevanz ist auch an dieser Stelle der Einwand, die Beigeladene zu 1) habe abweichend von der Baugenehmigung auf einer Länge von 17,10 m den Regelabstand unterschritten. Streitgegenstand dieses Verfahrens - insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen - ist die Baugenehmigung, nicht die Bauausführung. Diese sieht eine Inanspruchnahme des Schmalseitenprivilegs lediglich auf einer Länge von 17,00 m vor.

Ohne Erfolg bleiben auch die Rügen der Klägerin, weder der Zwerchgiebel über dem rückwärtigen Treppenhaus noch die Überdachungen der Dachbalkone ("Loggien") dürften - anders als das Verwaltungsgericht angenommen habe - den Grenzabstand von 1 H unterschreiten. Ihr Vorbringen genügt auch insoweit nicht den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO. Das Verwaltungsgericht hat unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Senats ausführlich - und zutreffend - dargelegt, dass der Zwerchgiebel (vgl. zur Abgrenzung von einer Dachgaube Nds. OVG, Urt. v. 19.6.2012 - 1 LB 169/11 -, [...] Rn. 45) gemäß § 7b Abs. 2 Satz 2 NBauO a. F. und die Überdachungen als untergeordnete Gebäudeteile gemäß § 7b Abs. 1 NBauO a. F. nur einen geringeren Grenzabstand als 1 H einhalten müssen. Mit diesen Ausführungen setzt sich die Klägerin in keiner Weise auseinander, sondern beschränkt sich auf die Behauptung, die Gebäudeteile seien gleichwohl "bedenklich" bzw. nicht "als untergeordnet im Sinne des § 7b Abs. 1 NBauO zu werten". Das ist nicht ausreichend, um ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung zu begründen.

In Bezug auf die vermeintliche Nichteinhaltung der Abstandsvorschriften kommt hinzu, dass der Gesetzgeber mit der Neufassung der Niedersächsischen Bauordnung vom 3. April 2012 den regelmäßig einzuhaltenden Grenzabstand auf 1/2 H, mindestens 3 m, verringert hat (§ 5 Abs. 2 Satz 1 NBauO). Diesen Abstand hält das Bauvorhaben der Beigeladenen zu 1) - von der Grenzbebauung im vorderen Grundstücksbereich zur AT. straße hin abgesehen - durchweg ein. Die Rechtsänderung zu Gunsten des Bauherrn wäre in einem Berufungsverfahren auch zu beachten. Zwar ist über Nachbarklagen grundsätzlich auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung zu entscheiden. Nachträgliche Änderungen zu Gunsten des Bauherrn sind allerdings zu berücksichtigten, weil es mit der nach Maßgabe des einschlägigen Rechts gewährleisteten Baufreiheit nicht vereinbar wäre, eine zur Zeit des Erlasses rechtswidrige Baugenehmigung aufzuheben, die sogleich nach der Aufhebung wieder erteilt werden müsste (stRspr., vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.4.1998 - BVerwG 4 B 40.98 -, [...] Rn. 3; Beschl. v. 8.11.2010 - BVerwG 4 B 43.10 -, [...] Rn. 9). Dass ist hier Fall. Dass der Neuerteilung der Baugenehmigung nunmehr anderweitige Gesichtspunkte entgegenstehen könnten, ist nicht ersichtlich.

Zu Unrecht meint die Klägerin schließlich, es habe "eine gründliche Prüfung erfolgen müssen, ob bei einem derartigen Baukomplex mit 21 Wohneinheiten es der Beigeladenen zu 1) nicht hätte abverlangt werden müssen, einen Raum für die Müllbehälter integriert in das Hauptgebäude, etwa neben der Durchfahrt, anzubringen." Wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat, verletzt die Genehmigung auch insofern weder Abstandsvorschriften noch das Gebot der Rücksichtnahme; auf die entsprechenden Ausführungen nimmt der Senat gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO Bezug. Nur ergänzend ist anzumerken, dass das Gebot der Rücksichtnahme den Bauherrn nicht verpflichtet, die den Nachbarn verträglichste und günstigste Lösung zu wählen. Der Bauherr genügt seiner Pflicht zur Rücksichtnahme vielmehr schon dann, wenn diesen die gefundene und genehmigte Lösung - noch - zumutbar ist (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 15.1.2007 - 1 ME 80/07 -, [...] Rn. 28). Das ist hier der Fall; überdies legt die Klägerin auch mit ihrem Zulassungsantrag nicht in einer § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Weise dar, dass von den vollständig eingehausten Müllbehältern nennenswerte Störungen und Beeinträchtigungen zu erwarten sind.

Die Berufung ist auch nicht wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen.

Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten weist eine Rechtssache dann auf, wenn sie voraussichtlich in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht größere, das heißt überdurchschnittliche, das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursacht. Die besonderen Schwierigkeiten müssen sich auf Fragen beziehen, die für den konkreten Fall und das konkrete Verfahren entscheidungserheblich sind, nicht ohne weiteres aus dem Gesetz zu lösen sind und durch die Rechtsprechung noch nicht geklärt worden sind (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl. 2012, § 124 Rn. 9). Derartige Fragen wirft der vorliegende Fall nicht auf. Dass das Bauvorhaben der Beigeladenen zu 1) ohne Grenzabstand zu errichten war, folgt - wie darlegt - daraus, dass ein schutzwürdigen Interesses der Klägerin an einem Erhalt der Lohne fehlt. Schwierige tatsächliche oder rechtliche Fragen sind mit dieser Feststellung nicht verbunden. Die Anwendbarkeit des Schmalseitenprivilegs folgt aus der eindeutigen gesetzlichen Regelung des § 7a Abs. 2 Satz 3 NBauO a. F.; überdies ist die Frage - wie ausgeführt - nach der Neufassung der Niedersächsischen Bauordnung nicht mehr entscheidungserheblich.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).