Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 22.04.2021, Az.: 4 A 3809/20

Einfügen; Gebietserhaltungsanspruch; Gemeinschaftseigentum; Geschlossene Bauweise; Grenzabstand; Nachbarklage; Rücksichtnahmegebot; Rückwärtiger Ruhebereich; Sondereigentum; Universitätsgebäude

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
22.04.2021
Aktenzeichen
4 A 3809/20
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2021, 70668
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckungsschuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Aufhebung einer der Beigeladenen erteilten Baugenehmigung für die Errichtung eines Universitätsgebäudes.

Die Klägerin ist Miteigentümerin des Grundstückes mit der postalischen Anschrift E.. Das Grundstück ist im straßenseitigen Bereich mit einem in der Gründerzeit errichteten, viereinhalbgeschossigen Mehrfamilienhaus ohne seitlichen Grenzabstand bebaut. Das Gebäude ist nach WEG-Recht aufgeteilt, die Klägerin ist Sondereigentümerin einer Wohnung im 3. Obergeschoss. Im rückwärtigen Bereich des Grundstückes befindet sich eine Grün-/Gartenfläche, die den Wohnungseigentümern zur gemeinschaftlichen Nutzung zur Verfügung steht. In südlicher Richtung und auf der gegenüberliegenden östlichen Straßenseite befinden sich straßenbegleitend in geschlossener Bauweise errichtete weitere Mehrfamilienhäuser. Der Durchführungsplan Nr. 62 von 1952 setzt für die Grundstücke F. 3 bis 9 eine Bauflucht unmittelbar entlang der Straße sowie eine rückwärtige Baulinie fest, welche die rückwärtigen Gebäudeteile schneidet. Für diese Grundstücke ist weiterhin ein Gemischtes Wohngebiet (Wohngebiet M) sowie viereinhalbgeschossige Bebauung festgesetzt. Eine Aussage zur Bauweise enthält der Bebauungsplan nicht. Mit der 6. Änderung von 1971 setzte die Beklagte fest, dass die im Plan „irrtümlich als Wohngebiet M“ bezeichneten Gebiete Mischgebiete nach § 6 BauNVO sind.

Im Gebäude mit der Anschrift F. 3, 50 Meter südlich des Grundstücks der Klägerin, befindet sich im Erdgeschoss eine Schank- und Speisewirtschaft mit einer überdachten Außenterrasse. In nördlicher Richtung befand sich auf einer Breite von 50 Metern entlang der Straße eine baumbestandene Grünfläche, die von der im Eigentum der Beigeladenen stehenden Zufahrtsstraße zum Welfengarten unterbrochen wurde. An diesen Bereich grenzt im Norden ein weiteres viereinhalbgeschossiges Gründerzeithaus (F.), welches als Universitätsgebäude dient. Hieran schließt sich eine eingeschossige Lagerhalle an, anschließend setzt sich viereinhalbgeschossige Gründerzeitbebauung in geschlossener Bauweise fort.

Das Gebäude F. 13, die hiervon nördlich gelegene Lagerhalle und der bislang unbebaute Grünzug einschließlich der Zufahrt G. sind Bestandteil des rund 74.000 m² großen Flurstücks H., welches im Eigentum der Beigeladenen steht und als Hauptcampus der I. genutzt wird. Das Grundstück umrahmt das genannte Wohnquartier westlich der Straße F. und grenzt somit in nordwestlicher Richtung an das Miteigentumsgrundstück der Klägerin an. Westlich der oben genannten Grünfläche ist das Grundstück mit Universitätsgebäuden bebaut. Das zum Grundstück der Klägerin mit einer Entfernung von etwa 15 Metern nächstgelegene eingeschossige Verwaltungsgebäude ließ die Beigeladene für das hier streitgegenständliche Vorhaben abtragen.

Im April 2019 beantragte die Beigeladene bei der Beklagten die Genehmigung für die Errichtung des Universitätsneubaus „J.“ in dem Grundstücksbereich südlich des Weges Welfengarten und westlich der Straße F.. Das Bauwerk soll über Seminarräume, studentische Arbeitsplätze, einen Hörsaal mit 250 Plätzen sowie Räumlichkeiten für Verwaltung und Beschäftigte verfügen. Das fünfgeschossige, 40 Meter breite und 20 Meter tiefe Hauptschiff des Gebäudes ist entlang der Zufahrt Welfengarten geplant, welche zu einem Vorplatz umgestaltet werden soll. Das Vorhaben verfügt zudem über einen viergeschossigen, 24 Meter breiten und acht Meter tiefen Osttrakt entlang der Straße F. und soll in diesem Bereich ohne seitlichen Grenzabstand zum Klägergrundstück errichtet werden. Im von der Straße aus gesehen rückwärtigen Bereich hält der Baukörper mit einem eingeschossigen Gebäudevorsprung einen Abstand von rund acht Metern und mit dem 20,60 Meter hohen fünfgeschossigen Gebäudeteil einen Abstand von 10,29 Metern zum Grundstück der Klägerin ein. Der entstehende Hinterhof ist als Terrassen-/Aufenthaltsbereich mit Sitzgelegenheiten geplant. Zudem sollen auf der Südseite einige Fahrradstellplätze angebracht werden. Die Fenster sind festverglast, lediglich die Notausgänge lassen sich öffnen. Die Beigeladene legte eine schalltechnische Untersuchung der K. vor, welche zu dem Ergebnis kommt, dass durch das Vorhaben für die umliegende Wohnnutzung eine Überschreitung der für ein Allgemeines Wohngebiet maßgeblichen Lärmrichtwerte nicht zu erwarten sei, ohne den Aufenthaltsbereich im Hof zu untersuchen.

Der Flächennutzungsplan der Beklagten sieht für den Grundstücksabschnitt ein Sondergebiet vor. Im Osten liegt der Vorhabenstandort mit einer Ecke im Geltungsbereich des Durchführungsplans Nr. 62 der Beklagten von 1952, der den Bereich „für Zwecke der Techn. Hochschule“ vorsieht und zudem straßenseitig eine acht Meter tiefe Vorgartenzone vorschreibt. Für die übrige Fläche des Vorhabens gelten keine Festsetzungen.

Die Beigeladene beantragte eine Befreiung von der Festsetzung der Gartenzone und begründete dies mit der Aufnahme der durch die südwärtige Bebauung vorgegebenen Bauflucht und der Fortsetzung der Blockrandbebauung. Weiterhin beantragte die Beigeladene eine Befreiung von den einzuhaltenden Abstandsflächen zu den im Nordwesten des Vorhabens gelegenen Universitätsgebäuden auf dem gleichen Flurstück sowie der Abstände zu den auf der gegenüberliegenden Straßenseite gelegenen Wohnhäusern F. 8 und L. 18. Zur Begründung verwies sie darauf, dass bei der städtebaulich wünschenswerten Aufnahme der Bauflucht und Traufhöhe der Bestandsgebäude F. 3 bis 9 zur Fortsetzung der Blockrandbebauung durch das Vorhaben der erforderliche Abstand aufgrund der historisch engen Bebauung entlang des nur 14 Meter breiten Straßenzuges nicht einzuhalten sei.

Mit Bescheid vom 16.01.2020 erteilte die Beklagte die Baugenehmigung für das Vorhaben unter Zulassung der beantragten Befreiungen und Abweichungen. Die Genehmigung stellt in den planungsrechtlichen Erwägungen unter Ziffer 1. fest, dass die vorgelegte Grundrissanordnung Rücksicht auf den zu schützenden Blockinnenbereich nehme, weil lediglich Büroräume an diesen angrenzten. Der Hörsaal und die Terrasse würden nur bis 18 Uhr genutzt. Auf den Widerspruch der Beigeladenen erließ die Beklagte am 12.05.2020 einen Abhilfebescheid und entfernte den Hinweis auf die bis 18 Uhr begrenzte Nutzung. Zur Begründung nahm sie Bezug auf die Betriebsbeschreibung, die eine Betriebszeit bis 20 Uhr vorsieht. Für die gebotene Rücksichtnahme sei diese Änderung nicht ausschlaggebend.

Die Klägerin legte am 21.01.2020 Widerspruch gegen die Genehmigung ein. Sie begründete diesen im Wesentlichen damit, dass der mit dem Durchführungsplan Nr. 62 festgesetzte Vorgartenbereich einen Grundzug der Planung darstelle, von dem die Beklagte nicht befreien dürfe. Es sei ersichtlich, dass die Plangeberin gezielt die Bebaubarkeit in diesem Bereich ausgeschlossen habe. Das Vorhaben solle zudem ohne seitlichen Grenzabstand errichtet werden. Dies sei unzulässig, weil die in § 5 Abs. 5 S. 2 und 7 NBauO vorgeschriebene Anforderung einer entsprechenden Bebauung auf dem Grundstück F. 11 nicht vorläge. Ferner füge sich das Vorhaben nicht im Sinne des § 34 BauGB ein. Die Bebauung westlich der Straße F. weise im Blockinnenbereich Freiflächen auf, die zu Erholungs- und Hausgartenzwecken genutzt würden, wovon das Vorhaben abweiche. Damit gehe einher, dass die Größe des Baukörpers und die überbaute Grundstücksfläche den durch die umliegende Bebauung vorgegebenen Rahmen verließen. Auch die Nutzungsart füge sich nicht in die Umgebung ein, da sich entlang der Straße F. nahezu ausschließlich Wohnnutzung befinde. Die weiter westlich gelegenen Universitätsgebäude seien als Fremdkörper außer Betracht zu lassen, da sie die im Übrigen einheitliche Wohnbebauung nicht prägten. Weiterhin verletzte die Baugenehmigung das Rücksichtnahmegebot, da das Vorhaben tiefer in den Blockinnenbereich hineinrage als die übrige Bebauung und die Seminarräume und Hörsäle über großflächige Fenster verfügten, die eine Nutzung des Hinterhofs zu Erholungszwecken beeinträchtigten. Auch die im Blockinnenbereich vorgesehene Terrasse bringe erstmalig Störungen in den bislang geschützten Gartenbereich. Hierbei sei unerheblich, ob die von der TA Lärm vorgegebenen Lärmrichtwerte eingehalten werden könnten, weil es sich um eine erstmalige Störung einer von derartigen Immissionsquellen bislang verschonten Ruhezone handele.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 04.06.2020 zurück. Sie begründete dies im Wesentlichen damit, dass dem Durchführungsplan Nr. 62 zwar die Wirkung eines einfachen Bebauungsplans zukomme, die Festsetzung der Vorgartenzone aber keine drittschützende Wirkung entfalte. Das Vorhaben füge sich nach der Art seiner Nutzung in die Umgebung ein, da sich in der unmittelbaren Umgebung und auf dem gleichen Grundstück zahlreiche Universitätsgebäude befänden. Hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung und der überbaubaren Grundstücksflächen füge sich das Vorhaben ein, da das Universitätsgelände von einer unregelmäßigen Ansammlung unterschiedlichster Baustrukturen mit heterogener Kubatur geprägt sei. Das Vorhaben greife die durch die gleichmäßige geschlossene Wohnbebauung im Süden vorgegebene Maßstäblichkeit zur Straße F. hin auf und leite mit seinem Hauptkörper entlang des Weges Welfengarten den Übergang zum Universitätsgelände ein. Das Vorhaben verstoße nicht zu Lasten der Klägerin gegen Grenzabstandsvorschriften, denn die Straße F. sei überwiegend in geschlossener Bauweise bebaut, das Vorhaben schließe mit dem Osttrakt hieran an. Das Vorhaben stelle sich auch nicht als rücksichtlos dar. Das Grundstück sei in diesem Bereich bereits zuvor mit einem Verwaltungsgebäude bebaut gewesen, welches über Fenster und Türen zum Hinterhof des Gebäudes F. 11 verfügte. Das gesamte Areal werde seit geraumer Zeit planungsgemäß als Universitätsgelände genutzt, sodass die mit dem Universitätsbetrieb einhergehenden Störungen nicht erstmalig zu beklagen seien. Die Betriebszeiten bis 20 Uhr, der im rückwärtigen Bereich eingehaltene Grenzabstand und der vorgesehene Zaun samt Hecke sprächen gegen eine Unzumutbarkeit der behaupteten Beeinträchtigungen. An Wochenenden und in der vorlesungsfreien Zeit würde das Gebäude zudem kaum genutzt.

Die Klägerin hat gegen diese Entscheidung am 13.07.2020 Klage erhoben. Sie wiederholt ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren und vertieft dieses dahingehend, dass die im Abhilfebescheid vom 12.05.2020 gewährte Betriebszeitverlängerung aus dem ursprünglichen Bauantrag nicht hervorgehe. Die Beklagte habe auf diese Weise die Beteiligungsrechte der Klägerin eingeschränkt. Die Erweiterung der Betriebszeit bis 20 Uhr lasse das Vorhaben noch rücksichtsloser erscheinen. Der Durchführungsplan Nr. 62 von 1952 setze neben dem Vorgartenbereich auch eine rückwärtige Baulinie bzw. Baugrenze fest, welche das Gebäude überschreite. Dort entstehe mit dem Aufenthaltsbereich sowie den Fenstern der Seminarräume, die im Sommer erfahrungsgemäß offen stünden, eine neue und unerwartete Störquelle für die Nutzung des Hinterhofes, der sich im Falle einer Realisierung in das Universitätsgelände einbezogen sehe. Eine solche Vermischung sei bei der Aufstellung des Durchführungsplans unerwünscht gewesen. Die Erschließung des Universitätsgeländes habe von Süden her erfolgen sollen, die Festsetzung des Gartenbereichs im Durchführungsplan Nr. 62 habe den Zweck verfolgt, die Trennung des Universitätsgeländes und des Wohngebietes östlich davon zu gewährleisten. Es handele sich daher bei dem Universitätsgelände und der Bebauung entlang der Straße F. um zwei unterschiedliche und zu trennende Gebiete. Letzteres stelle sich hier als faktisches Reines Wohngebiet dar, das in besonderem Maße schutzbedürftig sei.

Die Klägerin beantragt,

die von der Beklagten der Beigeladenen unter dem 16.01.2020 erteilte Baugenehmigung in der Fassung des Abhilfebescheides vom 12.05.2020 und des Widerspruchsbescheides vom 04.06.2020 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ergänzt die Begründung ihres Widerspruchsbescheides dahingehend, dass die Klägerin nicht berechtigt sei, Beeinträchtigungen des Gemeinschaftseigentums der WEG gerichtlich geltend zu machen. Hierzu sei nur die WEG selbst befugt. Im Übrigen füge sich das Vorhaben hinsichtlich der Nutzungsart ein. Die Umgebung sei seit Jahrzehnten von der Universitätsnutzung maßgeblich mitgeprägt, sodass diese keinen Fremdkörper darstelle. Die Festsetzungen des Durchführungsplans Nr. 62 dienten nicht dem Schutz der Klägerin. Eine Bau(flucht)linie setze der Durchführungsplan für das Vorhabengrundstück nicht fest. Es sei vielmehr erkennbar, dass der Durchführungsplan Nr. 62 das Universitätsgelände bewusst ausgeklammert habe. Die langjährige etablierte Nutzung durch die Universität M. stelle eine Vorbelastung des Grundstücks der Klägerin dar, die ihr ebenfalls entgegenzuhalten sei. Das Störpotenzial stelle sich auch nicht als neuartig dar. Im Übrigen habe die Klägerin nicht substantiiert, welche Art von Störung sie erwarte. Die Lärmrichtwerte seien jedenfalls eingehalten, auch die Privatsphäre werde mit Einhaltung der Grenzabstände hinreichend gewahrt. Schließlich liege das Grundstück der Klägerin in einem Mischgebiet, sodass ihr das in Anspruch genommene Schutzniveau nicht zukomme.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Sie weist darauf hin, dass die Betriebszeit bis 20 Uhr bereits in der ursprünglichen Bauvorlage enthalten gewesen sei und die Klägerin hierzu habe Stellung nehmen können. Die Festlegung der Betriebszeit bis 18 Uhr durch die Beklagte sei nicht auf die Bauvorlagen, sondern einen Fehler der Beklagten zurückzuführen gewesen. Es sei unzutreffend, dass das Universitätsgelände bislang nicht von der Straße F. aus erschlossen gewesen sei und die mit dem Universitätsbetrieb einhergehenden Störungen nunmehr erstmals in das Baugebiet hineingetragen würden. Zahlreiche Universitätsgebäude seien über die nördlich des Bauvorhabens verlaufende Zufahrt erschlossen. Auch das Gebäude F. 13 und das abgetragene Verwaltungsgebäude seien von Osten her erschlossen (gewesen). Der Hörsaal und die Seminarräume verfügten über eine Lüftungsanlage, zum Südhof hin lasse sich nur eine Fluchttür öffnen, nicht jedoch die Fenster.

Die Kammer hat das Vorhabengrundstück und die unmittelbare Umgebung im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor Ort in Augenschein genommen. Hinsichtlich des Ergebnisses wird auf die Sitzungsniederschrift vom 22.04.2021 verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig.

Die Klägerin ist klagebefugt i.S.v. § 42 Abs. 2 VwGO, denn sie kann als drittbetroffene Nachbarin geltend machen, durch die angegriffene Baugenehmigung in ihren Rechten verletzt zu sein. Insbesondere ist sie als Sondereigentümerin einer Wohnung im 3. Obergeschoss des Gebäudes F. 9 befugt, Beeinträchtigungen ihres Sondereigentums durch eine einem Dritten erteilte behördliche Genehmigung im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Nachbarklage abzuwehren, sofern der Behörde bei ihrer Entscheidung auch der Schutz nachbarlicher Interessen des Sondereigentümers aufgetragen ist (BVerwG, Beschl. v. 20.08.1992 - 4 B 92/92 -, Rn. 9, juris). Die behauptete Verletzung der bauordnungsrechtlichen Grenzabstandsvorschriften schützt grundsätzlich auch das Sondereigentum der Klägerin, soweit es um Belichtung, Belüftung und um den Sozialabstand geht, sodass die Möglichkeit einer Rechtsverletzung nicht ausgeschlossen erscheint.

Die Klage ist aber unbegründet.

Die Anfechtung einer Baugenehmigung durch einen Nachbarn kann nur zum Erfolg führen, wenn die Genehmigung rechtswidrig ist und der Nachbar dadurch in seinen Rechten verletzt wird, § 113 Abs. 1 VwGO. Die Baugenehmigung muss dabei gegen eine im Baugenehmigungsverfahren zu prüfende Vorschrift verstoßen. Weiterhin muss der Nachbar durch den Verstoß gegen diese Norm in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise in einem schutzwürdigen Recht betroffen sein. Eine objektive Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung reicht dabei nicht aus, denn der Nachbar muss in eigenen subjektiven Rechten verletzt sein.

Eine solche qualifizierte und individuelle Verletzung von Rechten der Klägerin durch die angegriffene Baugenehmigung ist nicht festzustellen.

Die Klägerin beruft sich ohne Erfolg auf eine Verletzung des § 5 Abs. 1 S. 1 NBauO. Diese Vorschrift dient zwar gerade auch ihrem Schutz als Grundstücksnachbarin und räumt ihr ein subjektives-öffentliches Abwehrrecht ein, wenn eine Baugenehmigung entgegen der erforderlichen Grenzabstände erteilt wird. Es liegt jedoch kein Verstoß gegen § 5 Abs. 1 S. 1 NBauO vor.

Für den zur Straße gewandten viergeschossigen Gebäudeteil, der in Richtung des klägerischen Grundstücks bis zur Tiefe von acht Metern grenzständig errichtet werden soll, gilt gemäß § 5 Abs. 5 Satz 1 NBauO die Vorschrift in § 5 Abs. 1 Satz 1 NBauO nicht, sodass es auf die klägerischerseits angestellten Erwägungen zu den Voraussetzungen von § 5 Abs. 5 Satz 2 und Abs. 7 NBauO nicht ankommt. Gemäß § 5 Abs. 5 Satz 1 NBauO müssen Gebäude, die bauplanungsrechtlich ohne Grenzabstand errichtet werden müssen, auch bauordnungsrechtlich keinen Abstand einhalten. Dies betrifft insbesondere den seitlichen Grenzabstand von Vorhaben, für welche bauplanungsrechtlich die geschlossene Bauweise gemäß § 22 Abs. 3 BauNVO gilt. Erfasst ist auch der Anwendungsbereich des § 34 Abs. 1 BauGB, wenn sich aus der vorhandenen Bebauung ergibt, dass die Umgebung von der geschlossenen Bauweise geprägt ist (OVG Lüneburg, Beschl. v. 29.08.2013 - 1 LA 219/11 -, Rn. 13, juris; Große-Suchsdorf/Breyer, 10. Aufl. 2020, NBauO § 5 Rn. 143).

Dies ist hier der Fall. Die das Grundstück prägende unmittelbare Umgebung präsentiert sich nach dem im Rahmen des Ortstermins gewonnen Eindruck jedenfalls hinsichtlich der betroffenen Grundstücksgrenze in geschlossener Bauweise. Die durchgängige beidseitige Blockrandbebauung südlich und östlich der Einmündung der N. lässt insoweit keinen Raum für Bedenken. Auch nördlich der Einmündung setzt sich die geschlossene Bauweise fort, wenngleich das Gebäude F. 13 den Eindruck eines Solitärs erweckt, weil in nördlicher Richtung lediglich ein eingeschossiges Lagergebäude angrenzt. Auch dieses ist jedoch ohne seitlichen Grenzabstand errichtet. Einzig die 50 Meter breite Grünfläche, die zur Hälfte den Vorhabenstandort ausmacht, rechtfertigt – letztlich nicht durchgreifende – Bedenken, weil sich hier ohne das Vorhaben keine Bebauung befindet und der Blick auf die scheinbar willkürlich und nicht in geschlossener Bauweise angeordneten Universitätsgebäude im Westen eröffnet wird. Berücksichtigt man jedoch die für die Zufahrt und den Rad- und Fußweg genutzten Verkehrsflächen sowie das nach Sollzustand als Vorplatz genutzte Areal gegenüber der Einmündung der L., so verbleibt lediglich der Vorhabenstandort als einziger ungenutzter Bauplatz. Gerade das genehmigte Vorhaben schließt als Eckbebauung zwischen F. und der Durchfahrt zur Universität den Blockrand ab und leitet den Übergang zum Universitätsgelände in einer sich in die Umgebung einfügenden halboffenen Bauweise ein. Die historische Betrachtung des Vorhabenstandortes bestätigt das Ergebnis, denn die in den Darstellungen des Durchführungsplans Nr. 62 von 1952 eingezeichneten Bestandsgebäude zeigen, dass sich auch ursprünglich an dem Standort ein in geschlossener Bauweise errichtetes Bauwerk befunden haben dürfte. Die Ausführung der nördlichen Hauswand des Gebäudes F. 9 als Brandmauer ohne Fenster und die nach Angaben der Beigeladenen bei den Bauarbeiten vorgefundenen Fundamentrückstände sprechen ebenfalls hierfür.

Soweit die Klägerin auch für den rückwärtigen Grundstücksbereich eine Verletzung der Grenzabstandsvorschriften rügt, ist dieses Vorbringen bislang nicht weiter substantiiert worden. Soweit ersichtlich, hält der Hauptkörper des Vorhabens mit dem fünfgeschossigen, 20,60 Meter hohen Teil einen ausreichenden Grenzabstand von rund 10,30 Metern ein. Auch der eingeschossige südliche Gebäudevorsprung hält einen Abstand von rund 8,00 Metern ein und verstößt erkennbar nicht gegen § 5 Abs. 1 Satz 1 NBauO.

Die Klägerin kann die Aufhebung der Baugenehmigung nicht aufgrund einer Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs verlangen. Nach gefestigter Rechtsprechung kann ein Nachbar im Plangebiet sich zwar gegen die Zulässigkeit einer gebietswidrigen Nutzung im Plangebiet wenden, auch wenn er durch sie selbst nicht unzumutbar beeinträchtigt wird. Der Nachbar hat somit bereits dann einen Abwehranspruch, wenn das baugebietswidrige Vorhaben im jeweiligen Einzelfall noch nicht zu einer tatsächlich spürbaren und nachweisbaren Beeinträchtigung führt. Der Abwehranspruch wird grundsätzlich bereits durch die Zulassung eines mit der Gebietsfestsetzung unvereinbaren Vorhabens ausgelöst (vgl. BVerwG, Beschl. v. 02.02.2000 - 4 B 87/99 -, Rn. 9, juris, m.w.N.). Der Gebietserhaltungsanspruch der Klägerin wird durch die angegriffene Baugenehmigung jedoch nicht verletzt.

Für den Grundstücksteil, der gemeinsam mit dem Miteigentumsgrundstück der Klägerin im räumlichen Geltungsbereich des Durchführungsplans Nr. 62 liegt, sieht dieser hinsichtlich der Nutzungsart unter Berücksichtigung der 6. Änderung von 1971 ein Mischgebiet vor. Das Vorhabengrundstück wird dabei mit „Zwecke der techn. Universität“ spezifiziert, wobei die rechtliche Bedeutung dieser Darstellung dahingestellt bleiben kann. Jedenfalls unterfällt die Nutzung eines Grundstückes zu Hochschulzwecken den nach § 6 Abs. 2 Nr. 5 BauNVO im Mischgebiet zulässigen kulturellen Zwecken (Bönker/Bischopink, Baunutzungsverordnung, BauNVO § 7 Rn. 111, beck-online; König/Roeser/Stock/Stock, 4. Aufl. 2019, BauNVO § 4 Rn. 49; Schmidt-Bleker, BeckOK BauNVO, 25. Edition, BauNVO § 7 Rn. 114).

Auch die Festsetzung eines „Vorgartens“ führt zu keinem anderen Ergebnis. Sie ist sowohl in dem Durchführungsplan Nr. 62 a) „Fluchtlinien“ als auch b) „Nutzungen“ getroffen und auch die Beklagte und die Beigeladene haben bei der Beantragung und Gewährung einer Befreiung von dieser Festsetzung nicht konkretisiert, ob es sich um eine Festsetzung der Art der baulichen Nutzung, der überbaubaren Grundstücksfläche oder um beides handeln könnte. Auch das Gericht lässt dies dahingestellt, weil eine Verletzung der Rechte der Klägerin unter keinem der beiden Gesichtspunkte in Betracht kommt.

Sofern man den „Gartenbereich“ als Festsetzung zur Art der Nutzung versteht, hat die Beklagte die Beigeladene von dieser Festsetzung befreit, ohne dass sich hierin eine Rechtsverletzung der Klägerin erkennen lässt. Auch eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB kann von dem Nachbarn nur mit Erfolg angegriffen werden, wenn die Befreiung Vorschriften verletzt, die dem Schutz des Nachbarn zu dienen bestimmt sind. Dies kommt insbesondere in Betracht, wenn die von der Befreiung betroffene Festsetzung ihrerseits einen drittschützenden Charakter hat. Hierfür spricht im vorliegenden Fall jedoch nichts. Die Errichtung einer Vorgartenzone wäre, sollte sie hier wirksam sein, eine rein städtebauliche Entscheidung. Es ist nicht ersichtlich, welchen spezifischen Schutz oder individuellen Nutzen die Plangeberin dem Grundstück der Klägerin mit einer solchen Festsetzung hätte zukommen lassen können, zumal es in Ermangelung eines Gartenbereichs auf dem Klägergrundstück auch an einer Wechselseitigkeit der Festsetzung mangelt (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 15.11.2006 - 1 ME 194/06 -, Rn. 8, juris).

Auch unter dem Gesichtspunkt der überbaubaren Grundstücksflächen wendet sich die Klägerin ohne Erfolg gegen die Befreiung von den Festsetzungen des Durchführungsplans Nr. 62. Während Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung grundsätzlich und unabhängig davon, ob der Nachbar durch die gebietswidrige Nutzung unzumutbar oder auch nur tatsächlich spür- und nachweisbar beeinträchtigt wird, schon kraft bundesrechtlicher Vorgabe als drittschützend angesehen werden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 27.08.2013 - 4 B 39.13 -, Rn. 3, juris), folgt aus Art. 14 GG kein Gebot, Festsetzungen über die überbaubaren Grundstücksflächen (§ 23 BauNVO) drittschutzfreundlich auszulegen. Ob der Plangeber eine Maßfestsetzung auch zum Schutze des Nachbarn trifft oder ausschließlich objektiv-rechtlich ausgestaltet, darf er regelmäßig selbst und ohne Bindung an das Eigentumsrecht des Nachbarn entscheiden (BVerwG, Beschl. v. .1995 – 4 B 52/95 –, Rn. 3, juris; OVG Berlin, Beschl. v. 09.07.2020 - OVG 10 S 15/20 -, Rn. 39 ff., juris; VGH München, Beschl. v. 24.07.2020 - 15 CS 20.1332 -, Rn. 23, juris). Ausschlaggebend ist folglich, ob die Festsetzung nach dem Willen des Plangebers ausschließlich aus städtebaulichen Gründen getroffen wurde oder (zumindest auch) einem nachbarlichen Interessenausgleich im Sinne eines Austauschverhältnisses dienen soll. Ob dies der Fall ist, ist durch Auslegung des Schutzzwecks der jeweiligen Festsetzung im konkreten Einzelfall zu ermitteln, wobei sich ein entsprechender Wille mit hinreichender Deutlichkeit unmittelbar aus dem Bebauungsplan selbst (etwa kraft ausdrücklicher Regelung von Drittschutz), aus seiner Begründung, aus sonstigen Vorgängen im Zusammenhang mit der Planaufstellung oder aus einer wertenden Beurteilung des Festsetzungszusammenhangs ergeben kann (OVG Berlin, Beschl. v. 09.07.2020 - OVG 10 S 15/20 -, Rn. 41, juris; VGH München, Beschl. v. 18.06.2018 - 15 ZB 17.635 -, Rn. 16, juris).

Soweit sich aus der Festsetzung eines Vorgartenbereichs neben dem oben dargestellten Gesichtspunkt eine nicht überbaubare Grundstücksfläche und eine Baugrenze ergeben könnte, ist zunächst festzuhalten, dass es sich entgegen der Auffassung der Klägerin jedenfalls nicht um eine rückwärtige Baugrenze handeln kann, sondern allenfalls um die Fortsetzung der vorderen Baufluchtlinie, wie sie bei der Gebäudezeile ab F. 15 zwischen den Vorgärten und den (Bestands-)Gebäuden eingezeichnet ist. Die Festsetzung einer rückwärtige Baugrenze hinter einem acht Meter breiten Vorgarten ergibt hingegen keinen Sinn, da das Grundstück dann abgesehen von einem Vorgarten insgesamt nicht bebaubar wäre und somit auch eine Baugrenze redundant wäre. Auch die verwendete Strichstärke entspricht eher den Baufluchtlinien als den dünneren rückwärtigen Baulinien.

Wenn der Durchführungsplan Nr. 62 die Bebaubarkeit des Grundstückes im vorderen Bereich ausschließt, nicht aber im hinteren, dann kann die überschrittene Baugrenze aber nicht dem nachbarrechtlich relevanten Schutz des Blockinnenbereichs dienen, da dort auch bei Beachtung der Baulinie gebaut werden dürfte. Eine Überschreitung der Baulinie in den vorderen Grundstücksbereich hinein ist dagegen nach den dargestellten Maßgaben schon nicht geeignet, eine Rechtsverletzung der Klägerin zu begründen. Ein drittschützender Charakter lässt sich der hiesigen Festsetzung nicht entnehmen. Wie auch bei der Festsetzung des Vorgartenbereichs ist nicht ersichtlich, dass eine nach hinten versetzte straßenseitige Häuserflucht zum qualifizierten Schutze des Grundstückes F. 9 dienen könnte. Für vordere Baugrenzen steht regelmäßig das öffentliche Interesse - Licht, Luft, Straßenbild - so stark im Vordergrund, dass daneben für eine subjektivrechtliche Nachbarposition kein Raum mehr bleibt (OVG Lüneburg, Beschl. v. 15.11.2006 - 1 ME 194/06 -, Rn. 8, juris; VG Gelsenkirchen, Urt. v. 26.02.2008 - 6 K 1103/06 -, Rn. 44, juris; auch OVG Münster, Urt. v. 09.05.2016 - 10 A 1611/14 -, Rn. 42, juris). So ist auch hier die Lage.

Für den Grundstücksteil, der keiner bauplanungsrechtlichen Festsetzung unterfällt, gilt § 34 BauGB, da sich die Umgebung als im Zusammenhang bebauter Ortsteil darstellt. Die Klägerin kann sich in diesem Kontext gegenüber dem Vorhaben nicht auf einen Gebietserhaltungsanspruch berufen, denn ihr Grundstück liegt in dem durch den Durchführungsplan Nr. 62 beplanten Gebiet mit der Festsetzung „Gemischtes Wohngebiet“, mit der 6. Änderung in ein Mischgebiet überführt. Gegenüber dem im benachbarten unbeplanten Gebiet befindlichen Vorhaben kann sie deshalb nicht rügen, dass dieses sich hinsichtlich seiner Nutzungsart nicht in die Umgebung einfügt. Der von konkreten Beeinträchtigungen unabhängige Anspruch eines Nachbarn auf Bewahrung eines Gebietscharakters steht nur den Eigentümern von Grundstücken zu, die im selben Baugebiet belegen sind, denn nur weil und soweit der Eigentümer eines Grundstücks in dessen Ausnutzung öffentlich-rechtlichen Beschränkungen unterworfen ist, kann er die Beachtung dieser Regelungen grundsätzlich auch im Verhältnis zum Nachbarn durchsetzen (BVerwG, Beschl. v. 10.01.2013 – 4 B 48/12 –, Rn. 5, 6, juris; BVerwG, Urt. v. 16.09.1993 - 4 C 28/91 -, BVerwGE 94, 151-163, Rn. 12; OVG Koblenz, Beschl. v. 04.01.2019 - 8 B 11411/18 -, Rn. 13, juris; vgl. auch OVG Lüneburg, Beschl. v. 12.03.2009 - 1 LA 184/06 - Rn. 13, juris).

Im Übrigen überzeugt die Auffassung der Klägerin, dass sich das Vorhaben nach der Art der baulichen Nutzung nicht in die Eigenart der Umgebung einfüge, auch inhaltlich nicht. Das genehmigte Universitätsgebäude unterfällt als Bildungseinrichtung dem Begriff der Anlage für kulturelle Zwecke i.S.v. § 4 Abs. 2 Nr. 3 und § 6 Abs. 2 Nr. 5 BauNVO (s.o.) und wäre auch in einem faktischen Allgemeinen Wohngebiet über § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO regelmäßig zulässig. Auch im Falle einer Gemengelage wäre nach dem vor Ort gewonnen Eindruck der Kammer davon auszugehen, dass sich das Vorhaben nach § 34 Abs. 1 BauGB in die Eigenart seiner Umgebung einfügt, da sich in der unmittelbaren Umgebung des Baukörpers zahlreiche dominante Baukörper befinden, die sich aufgrund ihrer markanten Kubatur und Anordnung prägend auf den Vorhabenstandort auswirken und zu universitären Zwecken genutzt werden. Zu nennen sind hier insbesondere die sich in einer Entfernung von jeweils 20 Metern befindlichen Universitätsgebäude O. (F. 11b), Gebäude P. (F. 13), Gebäude Q. (R.) und S. 9, wobei es entgegen der Auffassung der Klägerin unerheblich ist, ob in dem Gebäude auch Seminarräume untergebracht sind oder nicht.

Die Präsenz dieser Bauwerke steht auch einer Einstufung des Bereichs als faktisches Reines Wohngebiet entgegen. Die Interpretation der Klägerin, dass die Wohnbebauung der Nordstadt mit der Straße F. ihren städtebaulichen Abschluss findet und westlich hiervon mit dem Universitätsgelände ein neues faktisches Baugebiet ohne prägende wechselseitige Beziehung zur vorgenannten Wohnbebauung beginnt, verkennt die tatsächlichen Begebenheiten. Westlich der Straße F. befindet sich im Einmündungsbereich der Nelkenstraße auf einer Breite von etwa 80 Metern ausschließlich universitäre Nutzung, die von Osten her über Fußwege und Einfahrten erschlossen ist und mehrere Verbindungswege zum Hauptgebäude der Universität bietet. Auch die weiter nördlich gelegenen Gründerzeitbauwerke F. 17 und 21 werden teilweise zu universitären Zwecken genutzt. Ein klar konturiertes Aufeinandertreffen zweier grundsätzlich verschiedener Baugebiete lässt sich hier daher nicht erkennen, vielmehr stellt sich die Vermischung von Wohnnutzung mit Universitätsgebäuden - teilweise in ehemaligen Wohnhäusern, teilweise in verstreuten heterogenen Nachkriegsgebäuden untergebracht – als charakteristisch für den Straßenzug und den Übergang der beiden Gebiete ineinander dar und steht einer Einstufung des Vorhabenstandortes als faktisches Reines Wohngebiet entgegen. Auch die F. 3 ansässige Schank- und Speisewirtschaft wäre in einem Reinen Wohngebiet nicht anzutreffen und wirkt sich aufgrund der Blickbeziehung noch auf den Eindruck von dem Vorhabengrundstück aus.

Für den außerhalb der Festsetzungen des Durchführungsplans Nr. 62 liegenden Gebäudeteil gilt zudem, dass die Klägerin sich in dem Rahmen des nach § 34 Abs. 1 BauGB zu gewährenden Drittschutzes nicht darauf berufen kann, dass sich das Bauvorhaben nach dem Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der überbaubaren Grundstücksfläche nicht in seine Umgebung einfügt. Diese Merkmale sind lediglich im Rahmen des Rücksichtnahmegebotes als Indiz bei der Frage heranzuziehen, ob von dem Bauvorhaben eine erdrückende Wirkung ausgehen kann. Der durch das Merkmal des „Einfügens“ gewährleistete Drittschutz beschränkt sich insoweit auf die Überprüfung der Einhaltung des Rücksichtnahmegebotes, wohingegen dem Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundflächenzahl regelmäßig nur dann unmittelbar drittschützende Wirkung zukommt, wenn erkennbar ist, dass die planerischen Festlegungen zum Schutze der Nachbarn erfolgt sind. Da im Anwendungsbereich des § 34 Abs. 1 BauGB eine planerische Entscheidung der Gemeinde aber gerade nicht getroffen worden ist, können diese Kriterien im Rahmen von § 34 Abs. 1 BauGB auch nicht mit unmittelbar drittschützender Wirkung aufgeladen sein, sodass der gerichtliche Prüfungsmaßstab in der Konstellation der Drittanfechtungsklage eingeschränkt ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 05.12. 2013 - 4 C 5/12 -, Rn. 15, juris; BVerwG, Urt. v. 24.02.2000 - 4 C 12/98 -, BVerwGE 110, 355-363, Rn. 27; OVG Schleswig, Beschl. v. 25.10.2012 - 1 MB 38/12 -, Rn. 7, juris; VGH Mannheim, Beschl. v. 20.03.2012 - 3 S 223/12 -, Rn. 6, juris; VG Berlin, Beschl. v. 09.03.2017 - 13 L 102.17 -, Rn. 11, juris; EZBK/Söfker BauGB § 34 Rn. 141-142, beck-online; Battis/Krautzberger/Löhr, vor §§ 29 bis 38 Rn. 67-71, beck-online).

Schließlich wird auch das Rücksichtnahmegebot durch die angefochtene Baugenehmigung nicht verletzt. Das Gebot der Rücksichtnahme zielt darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen können, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme objektiv-rechtlich begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung derer ist, denen die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, umso mehr kann an Rücksichtnahme verlangt werden. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, desto weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Bei diesem Ansatz kommt es für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalles wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmepflichtigen nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Dies bemisst sich nach der jeweiligen Situation der benachbarten Grundstücke. Das Rücksichtnahmegebot ist aber erst dann verletzt, wenn unter Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit des Betroffenen, der Intensität der Beeinträchtigung und der wechselseitigen Interessen das Maß dessen, was billigerweise zumutbar ist, überschritten wird (BVerwG, Urt. v. 25.02.1977 - IV C 22.75 -, juris; VG Berlin, Beschl. v. 20.07.2017 - 13 L 398.17 -, Rn. 23, juris). Unbeachtlich ist in diesem Zusammenhang, ob die Baugenehmigung aus anderen, objektiven Gründen rechtswidrig sein könnte. Einen Rechtssatz, dass eine Nachbarklage eher Erfolg hat, je „rechtswidriger“ die erteilte Baugenehmigung ist, gibt es nicht (OVG Lüneburg, Beschl. v. 15.01.2007 - 1 ME 80/07 -, Rn. 12, juris).

Soweit die Klägerin die Beeinträchtigung der Aufenthaltsqualität des im Gemeinschaftseigentum der WEG F. stehenden Hinterhofes anführt, steht dem bereits entgegen, dass die Klägerin hierzu als Sondereigentümerin einer Wohnung im 3. Obergeschoss nicht befugt ist. Der einzelne Wohnungseigentümer kann baurechtliche Nachbarrechte aus eigenem Recht nur geltend machen, wenn eine konkrete Beeinträchtigung des Sondereigentums im Raum steht. Sofern der Behörde bei ihrer Entscheidung über die Baugenehmigung auch der Schutz der nachbarlichen Interessen des Sondereigentums aufgetragen ist, ist auch die Möglichkeit einer Rechtsverletzung gegeben (BVerwG, Beschl. v. 20.08.1992 - 4 B 92/92 -, juris), beispielsweise wenn das Sondereigentum im Bereich der Abstandsflächen liegt oder aber das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot unmittelbar das Sondereigentum betrifft (VG München, Urt. v. 21.09.2020 - M 8 K 18.4715 -, Rn. 22, juris). Auf einen solchen Sachverhalt kann sich die Klägerin hinsichtlich des Hinterhofes jedoch nicht berufen. Sie macht in diesem Punkt vielmehr die Verletzung von Gemeinschaftseigentum i.S.v. § 1 Abs. 5 WEG durch die angegriffene Baugenehmigung geltend. Das Gemeinschaftseigentum unterfällt jedoch der gemeinschaftlichen Verwaltung durch die Wohnungseigentümergemeinschaft, § 18 Abs. 1 WEG. Hieraus folgt, dass alleine die Wohnungseigentümergemeinschaft die Verletzung des Gemeinschaftseigentums durch eine Baugenehmigung gerichtlich geltend machen kann (BayVGH, Beschl. v. 24.07.2014 - 15 CS 14.949 -, Rn. 19, juris; OVG Berlin, Beschl. v. 15.10.2012 - OVG 2 N 111.10 -, Rn. 10, juris; VG Düsseldorf, Beschl. v. 29.07.2019 - 9 L 1328/19 -, Rn. 8, juris; VG Leipzig, Urt. v. 07.01.2015 - 4 K 635/13 -, Rn. 15, juris; a.A. VGH Mannheim, Urt. v. 13.07.2017 - 5 S 2602/15 -, Rn. 47, juris). Entgegen der Auffassung der Klägerin ergibt sich auch nichts für sie Günstigeres aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, denn in der angeführten Entscheidung bleibt diese Frage ausdrücklich wegen der fehlenden Entscheidungserheblichkeit dahingestellt (BVerwG, Beschl. v. 20.08.1992 - 4 B 92/92 -, Rn. 6, juris).

Ungeachtet dessen und selbstständig tragend bleibt das Vorbringen der Klägerin auch ohne Erfolg, weil eine Verletzung des Rücksichtnahmegebotes nicht vorliegt.

Unter Anwendung der dargestellten obigen Grundsätze verweist die Klägerin ohne Erfolg darauf, dass die mit der Inbetriebnahme des Gebäudes einhergehenden unvorhergesehen und erstmaligen Störungen durch den Universitätsbetrieb sie unzumutbar beeinträchtigen werden.

Als ausschlaggebend stellt sich zunächst die Betrachtung der Schutzwürdigkeit des Grundstücks der Klägerin dar. Nicht überzeugend ist der Verweis auf die erstmalige Störung eines zuvor unbelasteten rückwärtigen Ruhebereichs. Es bestehen bereits Zweifel daran, dass der gemeinschaftlich genutzte Hinterhof eines Mehrfamilienhauses in innerstädtischer Blockrandlage ein dem Garten eines Einfamilienhauses vergleichbares Schutzniveau für sich in Anspruch nehmen kann. Das OVG Lüneburg verweist zwar darauf, dass es nicht auf die tatsächliche Nutzung als Erholungsraum ankomme, sondern wesentlich sei, dass die Fläche dem Fahrzeugverkehr und ähnlichen lärm- und immissionsträchtigen Nutzungen entzogen und eine Nutzung zu Erholungszwecken der Fläche selbst sowie der zu dieser Fläche ausgerichteten Wohnräume grundsätzlich möglich sei (OVG Lüneburg, Urt. v. 12.03.2001 - 1 L 3697/00 -, Rn. 4, juris). Von dem Hinterhof eines Mehrfamilienhauses lässt sich ein derartiger Schutz vor den von der Klägerin befürchteten, durch menschliches Verhalten hervorgerufenen Störungen der Ruhe und Privatsphäre jedoch in aller Regel nicht erwarten. Zum einen spricht bereits das Gemeinschaftseigentum an dem Hofbereich gegen eine uneingeschränkte Eignung der Grünfläche als Ruhe- und Erholungsbereich, da jederzeit mit einer Mitbenutzung durch eine Vielzahl anderer Hausbewohner und ihre Besucher zu rechnen ist. Auch die Einsehbarkeit des Hinterhofes aus einer Vielzahl von Wohnungen in den umliegenden Gebäuden heraus spricht dafür, dass hier nur bedingt mit Privatsphäre gerechnet werden kann. So zeigt auch die allgemeine Lebenserfahrung, dass der Blockinnenbereich eines Wohnquartiers von den Anwohnern gänzlich anders wahrgenommen und genutzt wird als ein privater Garten.

Ferner ist zu bedenken, dass die beanstandete Störung entgegen der Auffassung der Klägerin nicht als unvorhergesehen oder erstmalig bezeichnet werden kann. Grundsätzlich ergibt sich bereits aus dem städtebaulichen Gebot der Nachverdichtung in § 1a Abs. 2 BauGB, dass die Nachbarn einer Baulücke wie der hiesigen mit einer Bebauung zu rechnen haben. Das Vorhabengrundstück befindet sich zudem seit geraumer Zeit im Eigentum der beigeladenen Universität und stellt seit dem Jahre 1879 ihren Hauptcampus dar. Der konkrete Standort ist dabei auch in Anbetracht des Denkmalschutzes des Welfengartens einer der wenigen nutzbaren Bauplätze auf diesem Grundstück. Planungsrechtlich ist der Bereich zumindest in dem an das Klägergrundstück angrenzenden Bereich universitären Zwecken vorbehalten und war auch bislang in Teilen mit einem universitären Verwaltungsgebäude aus der Nachkriegszeit bebaut. Unter diesen Prämissen kann die Entscheidung der Beigeladenen, die Baulücke mit einem zu Hochschulzwecken genutzten Neubau zu füllen, nicht überraschen, sondern erscheint naheliegend.

Dem trägt auch der Durchführungsplan Nr. 62 Rechnung, indem er für das Grundstück der Klägerin ein Mischgebiet festsetzt, was zusätzlich zu Ungunsten der Klägerin ins Gewicht fällt. Bereits die in § 6 Abs. 1 BauNVO formulierte Zweckbestimmung, nach der Mischgebiete dem Wohnen und der Unterbringung von Gewerbetreibenden dienen, die das Wohnen nicht wesentlich stören, zeigt, dass die Erwartung einer gänzlichen Ungestörtheit der Wohnruhe rechtlich nicht geschützt ist, was insbesondere für die Tagzeit und die üblichen Arbeitszeiten gilt (Hornmann, BeckOK BauNVO, 25. Edition, BauNVO § 6 Rn. 22, m.w.N.). Ist aber die Wohnruhe bereits bauplanungsrechtlich insbesondere unter dem Gesichtspunkt einer auskömmlichen Nachtruhe und eines ungestörten Feierabends gewährleistet, spricht dies gegen die Rücksichtslosigkeit der Baugenehmigung für ein Universitätsgebäude mit Betriebszeiten bis 20 Uhr.

Ebenfalls gegen einen Verstoß spricht, dass die Baugenehmigung unter mehreren Gesichtspunkten den erforderlichen Schutz der Wohnruhe bedenkt. So ist der Eingangs- und Hauptaufenthaltsbereich des Gebäudes nach Norden und damit zur von der Klägerin abgeschirmten Seite ausgerichtet. Die nach Süden ausgerichteten Seminarräume sowie der Hörsaal verfügen über festverglaste Fenster und sind ebenso wie die Lüftungsanlage mit positivem Befund auf die zu erwartende Lärmentwicklung begutachtet worden. Die im rückwärtigen Bereich vorgesehenen Fahrradstellplätze und Sitzgruppen stellen sich weder qualitativ noch quantitativ als eine Nutzung dar, die aus dem erwartbaren Rahmen einer Hinterhofnutzung herausfällt. Das Störpotenzial dürfte insoweit im Wesentlichen mit demjenigen eines Mehrfamilienhauses in einem studentisch geprägten Stadtteil vergleichbar sein. Die Nutzungsintensität mag hierbei punktuell über diejenige eines Mehrfamilienhauses hinausgehen. Diesem Nachteil steht jedoch gegenüber, dass jedenfalls nach 20 Uhr, aber auch an den Wochenenden sowie in der vorlesungsfreien Zeit eine Nutzung des Geländes praktisch nicht stattfinden wird. In diesen Zeiträumen dürfte die Wohnruhe sich sogar gegenüber dem bisherigen Zustand verbessern, da das Wohnhaus der Klägerin nunmehr gegen die von ihr selbst angeführten Immissionen aus dem zu universitätsnahen Zwecken von den Studierenden selbstverwalteten Otto-Klüsener-Haus und der Zufahrt zu diesem abgeschirmt wird.

Die konkrete Ausgestaltung des Hinterhofes lädt aus Sicht der Kammer entgegen der Befürchtung der Klägerin auch nicht zu einer unbefugten Nutzung durch Dritte ein, die weitergehende Vorkehrungen zur Konfliktbewältigung bereits im Rahmen der Baugenehmigung erfordern würden. Die Sitzgruppen im Hofinnenbereich sind zwar auch außerhalb der genehmigten Betriebszeit benutzbar, jedoch ohne dass eine erkennbare Attraktivität von ihnen ausgeht, welche die Annahme rechtfertigen könnte, dass sich der Innenhof zum Anziehungspunkt für abendliche Zusammenkünfte von Studierenden entwickeln könnte. Sollte eine solche Entwicklung gleichwohl eintreten, wäre dieser durch ein bauordnungsrechtliches Einschreiten der Beklagten beizukommen.

Die Einhaltung der bauordnungsrechtlichen Grenzabstände indiziert weiterhin, dass keine zusätzlichen, über die im innerstädtischen Bereich üblichen Einsichtnahmemöglichkeiten geschaffen werden. Der Klägerin ist zuzugestehen, dass die mit dem Lehrbetrieb einhergehenden Einblicke in den Hinterhof sich als belastender darstellen als im Falle einer Wohnnutzung. Auf der anderen Seite wird die Beeinträchtigung wie gezeigt dadurch abgemildert, dass an Wochenenden und in den vorlesungsfreien Zeiten die Privatsphäre größer ist als bei einem bewohnten Nachbargebäude.

Schließlich spricht auch nichts für eine erdrückende Wirkung des Vorhabens. Das Bauwerk riegelt durch seine Positionierung zwar das Miteigentumsgrundstück der Klägerin nach Norden hin ab. Bei innerstädtischer geschlossener Blockrandbebauung sind Winkel an Straßeneinmündungen oder Kreuzungen jedoch ein zwangsläufiges Phänomen. Die Fortsetzung des Blockrandes ist als Nachverdichtung i.S.v. § 1a BauGB aber städtebaulich geboten, sodass die Schließung einer Baulücke einen Blockinnenbereich nicht mit einer bauplanungsrechtlich unerwünschten Gefängnishofsituation vergleichbar macht. Im Übrigen greift das Vorhaben die Kubatur der Umgebungsbebauung im Wesentlichen auf und entfaltet keine erdrückende Wirkung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene gemäß § 162 Abs. 3 VwGO ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt, da sie keinen Antrag gestellt und sich damit auch keinem Kostenrisiko nach § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.