Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 03.05.2019, Az.: 7 Ta 331/18

Maßgeblichkeit des Streitgegenstands für die Verfahrensart vor dem Arbeitsgericht; Urteilsverfahren für Entgelt- und Schadensersatzansprüche des Betriebsratsmitglieds; Beschlussverfahren für betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeiten

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
03.05.2019
Aktenzeichen
7 Ta 331/18
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2019, 22930
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Osnabrück - AZ: 4 BV 13/18

Fundstellen

  • ArbR 2019, 373
  • FA 2019, 301

Amtlicher Leitsatz

Macht ein Betriebsratsmitglied für die Zeit der Seminarteilnahme anstelle des auf Vergütung gerichteten Erfüllungsanspruchs einen Schadensersatzanspruch wegen Behinderung der Betriebsratsarbeit geltend, der auf Naturalrestitution gerichtet ist, ist Kern des Anspruchs die Vergütung des Betriebsratsmitglieds. Über den Antrag ist im Urteilsverfahren zu entscheiden (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a ArbGG).

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 24. Oktober 2018 - 4 BV 13/18 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde hat der Antragsteller zu tragen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob der von dem Antragsteller (Beteiligter zu 1)) mit dem angekündigten Antrag zu Ziffer 2. verfolgte Zahlungsanspruch im Urteilsverfahren oder Beschlussverfahren zu entscheiden ist.

Der Antragsteller ist bei der Arbeitgeberin seit dem 10. September 2007 als gewerblicher Mitarbeiter/Produktionshelfer mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden bei einer Vergütung von zuletzt 12,50 Euro brutto je Stunde beschäftigt. Er ist Mitglied des bei der Arbeitgeberin gebildeten Betriebsrats.

Der Antragsteller nahm vom 13. bis 18. Mai 2018 an dem Betriebsratsseminar "Personelle Maßnahmen und Betriebsratshandeln" im Bildungszentrum der I. in S. teil.

Er begehrt von der Arbeitgeberin die Erstattung von Fahrtkosten in Höhe von 113,10 Euro für die An- und Abreise zu dem Seminar (angekündigter Antrag zu Ziffer 1.) und verlangt die Zahlung einer Verzugspauschale in Höhe von 40 Euro für die seitens der Arbeitgeberin verweigerte Zahlung der Fahrtkosten (angekündigter Antrag zu Ziffer 3.).

Außerdem macht der Antragsteller einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 500 Euro brutto wegen der Behinderung seiner Betriebsratsarbeit geltend (angekündigter Antrag zu Ziffer 2.). Da die Arbeitgeberin die Vergütung für die Seminarteilnahme (40 Arbeitsstunden x 12,50 Euro brutto) nicht gezahlt habe, sei dem Antragsteller ein Schaden in Höhe von 500 Euro brutto entstanden. Der Streit gehe letztlich darum, ob die Seminarteilnahme erforderlich gewesen sei. Die Ablehnung der Arbeitgeberin, den Antragsteller zur Teilnahme an dem Seminar freizustellen, stelle eine Behinderung der Betriebsratsarbeit dar. Mithin mache der Antragsteller einen betriebsverfassungsrechtlichen Leistungsanspruch geltend, der im Beschlussverfahren zu verfolgen sei.

Der Antragsteller hat folgende Anträge angekündigt:

1. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, an den Beteiligten zu 1) 113,10 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 1. Juni 2018 zu zahlen.

2. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Beteiligten zu 1) den wegen der Behinderung seiner Betriebsratsarbeit entstandenen Schaden in Höhe von 500 Euro brutto zu ersetzen.

3. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, an den Beteiligten zu 1) einen weiteren Betrag von 40 Euro netto Verzugskostenpauschale gemäß § 288 Abs. 5 BGB zu zahlen.

Die Arbeitgeberin hat die gewählte Verfahrensart gerügt. Sie hat die Auffassung vertreten, die Anträge seien im Urteilsverfahren zu verfolgen. Der Antragsteller mache vorrangig Vergütungsansprüche in Höhe von 500 Euro brutto geltend. Die Bezeichnung als Anspruch wegen der Behinderung der Betriebsratsarbeit sie unschädlich, da es um das Arbeitsentgelt des Antragstellers für die Zeiten der Teilnahme an einem Seminar gehe. Auch die weiteren Ansprüche stünden hierzu in einem entsprechenden Zusammenhang, sodass das Beschlussverfahren die falsche Verfahrensart sei.

Das Arbeitsgericht hat durch Beschluss vom 24. Oktober 2018, dem Antragsteller am 29. Oktober 2018 zugestellt, entschieden, dass für die Anträge zu Ziffer 1. und 3. das Beschlussverfahren und für den Antrag zu Ziffer 2. das Urteilsverfahren die zutreffende Verfahrensart sei. Zur Verweisung des Antrags zu Ziffer 2. in das Urteilsverfahren hat das Arbeitsgericht insbesondere ausgeführt, dass der Antragsteller letztlich der Sache nach seine Vergütungsansprüche für den Zeitraum der Seminarteilnahme geltend mache. Der Umstand, dass der Antragsteller diesen Anspruch als Schadensersatzanspruch gestützt auf einen Verstoß gegen § 78 BetrVG geltend mache, ändere nichts daran, dass es sich um einen Vergütungsanspruch handele, den der Antragsteller unter dem Deckmantel eines Schadensersatzanspruchs verlange.

Gegen die Verweisung des Antrags zu Ziffer 2. in das Urteilsverfahren richtet sich die vom Antragsteller am 12. November 2018 eingelegte sofortige Beschwerde. Der Antragsteller führt aus, dass es sich entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts bei einem Anspruch auf Zahlung von Arbeitsentgelt für die durch die Wahrnehmung von Betriebsratsaufgaben ausgefallene berufliche Tätigkeit um Angelegenheiten aus dem Betriebsverfassungsgesetz handele. Auch der Anspruch auf Zahlung der vertraglichen Vergütung resultiere aus der Verletzung des Betriebsverfassungsgesetzes, da die Arbeitgeberin durch die unberechtigte Weigerung der Kostenübernahme für das Seminar die Tätigkeit des Betriebsrats und des Antragstellers behindere. Die Arbeitgeberin schränke durch ihr Vorgehen die Qualifizierungsansprüche des Betriebsrats ein und behindere den Betriebsrat und die Betriebsratsarbeit. Die Arbeitgeberin nehme eine Störung, Behinderung und Benachteiligung des Antragstellers iSv. § 78 BetrVG durch ihr Verhalten vor. Letztlich gehe der Streit darum, ob die Teilnahme des Antragstellers an dem Seminar der I. erforderlich gewesen sei.

Die Arbeitgeberin ist der Auffassung, es handele sich um eine betriebsverfassungsrechtliche Vorfrage, die im Endeffekt hinsichtlich der Vergütungsansprüche Auswirkungen haben könne und deshalb im Urteilsverfahren einzuklagen sei. Eine Behinderung der Betriebsratsarbeit liege nicht vor.

Mit Beschluss vom 16. Januar 2019 hat das Arbeitsgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen. Der Antragsteller mache ausdrücklich die Vergütung für 40 Arbeitsstunden für den Zeitraum der Seminarteilnahme geltend. Für diesen Anspruch sei der Arbeitsvertrag die Grundlage. § 37 Abs. 2 und Abs. 6 BetrVG regelten nur die betriebsverfassungsrechtlichen Vorfragen. Dies führe aber nicht dazu, dass das Beschlussverfahren die zutreffende Verfahrensart sei.

II.

Die sofortige Beschwerde ist nach § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG, §§ 80 Abs. 3, 48 Abs. 1 ArbGG, §§ 567 Abs. 1, 569 ZPO form- und fristgerecht eingereicht und damit zulässig. Sie ist unbegründet.

1.

Für den zu Ziffer 2. angekündigten Antrag, der als Antrag auf die Zahlung von 500 Euro brutto zu verstehen ist, ist das Urteilsverfahren nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a ArbGG die zulässige Verfahrensart.

a)

Die Verfahrensart, in der ein Rechtsstreit vor den Gerichten für Arbeitssachen zu entscheiden ist, bestimmt sich nach § 2 und § 2a ArbGG. In den in § 2 ArbGG geregelten Arbeitssachen findet das Urteilsverfahren statt (§ 2 Abs. 5 ArbGG), während über die in § 2a ArbGG genannten Arbeitssachen im Beschlussverfahren zu befinden ist. Dem arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren sind ua. bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a ArbGG) ausschließlich zugewiesen. Im Beschlussverfahren sind dagegen ua. Streitigkeiten zu entscheiden, die eine Angelegenheit aus dem BetrVG betreffen, soweit es nicht um strafbare Handlungen und Ordnungswidrigkeiten nach dem BetrVG geht, die den ordentlichen Gerichten zugewiesen sind (§ 2a Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 ArbGG) (BAG 12. Juni 2018 - 9 AZB 9/18 - Rn. 9).

b)

Maßgebend für die Bestimmung der zutreffenden Verfahrensart ist der Streitgegenstand. Liegt eine Mehrheit von Streitgegenständen vor, ist für jeden dieser Ansprüche die Verfahrensart gesondert zu prüfen. (vgl. BAG 4. Dezember 2013 - 7 ABR 7/12 - Rn. 47; [zu Ansprüchen auf Fahrtkostenersatz aus § 40 Abs. 1 BetrVG einerseits und aufgrund anderer zB arbeits-, tarifvertraglicher oder betrieblicher Regelung andererseits] BAG 28. August 1991 - 7 ABR 46/90 - Rn. 15, 18). Je nach Streitgegenstand ist also das Urteilsverfahren oder das Beschlussverfahren einschlägig, wobei eine Verbindung beider Verfahren nicht zulässig ist (vgl. Fitting 29. Aufl. § 37 BetrVG Rn. 253 mwN).

c)

Verfahren, die den Anspruch eines Betriebsratsmitglieds auf Zahlung von Arbeitsentgelt für die durch Wahrnehmung von Betriebsratsaufgaben ausgefallene berufliche Tätigkeit (§ 37 Abs. 2 BetrVG) bzw. einen Vergütungsanspruch eines gemäß § 38 BetrVG freigestellten Betriebsratsmitglieds zum Gegenstand haben, sind bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis iSd. § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a ArbGG und gehören nicht zu den "Angelegenheiten aus dem Betriebsverfassungsgesetz" gemäß § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG. Sie sind daher im Urteilsverfahren zu entscheiden (BAG 12. Juni 2018 - 9 AZB 9/18 - Rn. 10 mwN). Auch Ansprüche von Betriebsratsmitgliedern aus § 37 Abs. 4 BetrVG sind im Urteilsverfahren zu entscheiden (vgl. BAG 13. November 1987 - 7 AZR 550/86 - Rn. 18), wobei § 37 Abs. 4 BetrVG eine Ausprägung des Benachteiligungsverbots des § 78 Satz 2 BetrVG ist (vgl. BAG 18. Januar 2017 - 7 AZR 205/15 - Rn. 22). § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a ArbGG umfasst auch Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber (vgl. Schwab/Weth/Walker 5. Aufl. § 2 ArbGG Rn. 103).

d)

Für das Vorliegen einer betriebsverfassungsrechtlichen Streitigkeit ist entscheidend, ob der geltend gemachte Anspruch bzw. die begehrte Feststellung ihre Rechtsgrundlage in einem betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis hat. Das Verfahren muss sich auf das betriebsverfassungsrechtliche Verhältnis der Betriebspartner beziehen. Immer wenn die betriebsverfassungsrechtliche Ordnung des Betriebs und die gegenseitigen Rechte und Pflichten der Betriebspartner als Träger dieser Ordnung im Streit stehen, sollen darüber die Gerichte für Arbeitssachen im Beschlussverfahren als der dafür geschaffenen und besonders geeigneten Verfahrensart entscheiden. Dies gilt auch dann, wenn es um Rechte betriebsverfassungsrechtlicher Organe geht. Diese müssen sich nicht unmittelbar aus dem BetrVG ergeben, sondern können ihre Grundlage auch in Tarifverträgen oder anderen Rechtsvorschriften haben (vgl. BAG 12. Juni 2018 - 9 AZB 9/18 - Rn. 10 mwN).

e)

Vorliegend macht der Antragsteller einen Schadensersatzanspruch wegen der Behinderung von Betriebsratsarbeit geltend, den er auf einen Verstoß gegen § 78 BetrVG stützt (vgl. [zu einem im Urteilsverfahren geprüften Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BGB iVm. einem nach § 78 Satz 2 BetrVG begründeten gesetzlichen Schuldverhältnis sowie aus § 823 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 BGB wegen der Verletzung von § 78 Satz 2 BetrVG als Schutzgesetz] BAG 25. Juni 2014 - 7 AZR 847/12 - Rn. 30). Antragsinhalt ist ein auf Naturalrestitution gerichteter Schadensersatzanspruch. Anstelle des auf Vergütung gerichteten Erfüllungsanspruchs aus § 611a Abs. 2 BGB, für den nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts das Urteilsverfahren die richtige Verfahrensart ist (vgl. zuletzt BAG 12. Juni 2018 - 9 AZB 9/18 - Rn. 11), begehrt der Antragsteller die Vergütungszahlung als Schadensersatzanspruch. Dieser Schadensersatzanspruch deckt sich bei wirtschaftlicher Betrachtung mit dem vertraglichen Erfüllungsanspruch (vgl. OLG Köln 22. August 2017 - I-9 U 3/17 - Rn. 74). In der Sache führt ein Schadensersatzanspruch im Wege der Naturalrestitution die gleiche Rechtsfolge herbei wie ein unmittelbar auf § 611a Abs. 2 BGB gestützter Erfüllungsanspruch. Kern des Anspruchs bleibt die Vergütung des Antragstellers. Daraus folgt, dass der Antragsteller im Wege des Schadensersatzanspruchs auf betriebsverfassungsrechtlicher Grundlage einen ihm angeblich zustehenden Individualanspruch geltend macht. Hierfür ist das Urteilsverfahren vorgesehen (vgl. [zu § 37 Abs. 4 BetrVG] BAG 13. November 1987 - 7 AZR 550/86 - Rn. 18). Der vom Antragsteller geltend gemachte Anspruch ist gerade kein Erfüllungs-/Primäranspruch, der unmittelbar aus § 78 BetrVG folgt und für den das Beschlussverfahren die zutreffende Verfahrensart wäre (vgl. [Beschlussverfahren als zutreffende Verfahrensart bei einem Anspruch aus § 78 BetrVG] BAG 21. September 1989 - 1 ABR 32/89 - Rn. 23; [anders als hier] LAG Niedersachen 7. November 2017 - 3 Ta 166/17 -).

2.

Der Antragsteller hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Eine Kostenentscheidung hat nicht deshalb zu unterbleiben, weil nach §§ 80 Abs. 3, 48 Abs. 1 ArbGG iVm. §§ 17 bis 17b GVG innerhalb des unzutreffend eingeleiteten Beschlussverfahrens über die Zulässigkeit der Verfahrensart zu entscheiden war. In Beschwerdeverfahren nach § 48 Abs. 1 ArbGG (ggf. iVm. § 80 Abs. 3 ArbGG), § 17a Abs. 4 GVG bestimmen sich die Kostenregelungen nach der Verfahrensart, in die der Rechtsstreit verwiesen wird (vgl. BAG 12. Juni 2018 - 9 AZB 9/18 - Rn. 12).

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf §§ 80 Abs. 3, 48 Abs. 1 ArbGG iVm. § 17a Abs. 4 Satz 5 GVG.