Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 04.11.2019, Az.: 1 Sa 394/19 E

Arbeitsvorgang als Gesamtheit von Tätigkeiten zur Erreichung eines verwertbaren Arbeitsergebnisses; Ausübung eines Ermessensspielraums bei der Erarbeitung eines Arbeitsergebnisses als selbstständige Leistung

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
04.11.2019
Aktenzeichen
1 Sa 394/19 E
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2019, 48156
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Oldenburg - 25.03.2019 - AZ: 4 Ca 97/18 E

Fundstellen

  • NZA-RR 2020, 150-152
  • ZTR 2020, 212-214
  • öAT 2020, 61

Amtlicher Leitsatz

Die Beitreibung und Vollstreckung öffentlich-rechtlicher oder privat-rechtlicher Forderungen durch einen Angestellten im Vollzugsdienst erfordern regelmäßig gründliche und vielseitige Fachkenntnisse sowie selbstständige Leistungen.

Tenor:

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 25. März 2019 - 4 Ca 97/18 E - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass der beklagte Landkreis verpflichtet ist, dem Kläger seit dem 1. Januar 2017 eine Vergütung nach der Entgeltgruppe 9a TVöD (VKA) zu zahlen zzgl. Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszins auf den monatlichen Differenzbetrag zur gezahlten monatlichen Vergütung ab jeweiliger Fälligkeit beginnend mit dem 15. Mai 2018.

2. Der beklagte Landkreis hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung des Klägers. Der Kläger ist seit dem 1. Oktober 2000 als Verwaltungsangestellter beim beklagten Landkreis tätig. Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich kraft beiderseitiger Tarifbindung nach Überleitung aus dem BAT nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) in der für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) jeweils geltenden Fassung.

Der Kläger ist für den beklagten Landkreis im Vollzugsdienst tätig, über die übertragenen Tätigkeiten verhält sich die Arbeitsplatzbeschreibung vom 1. August 2013 (Bl. 11 - 15 d. A.), darauf wird Bezug genommen. Abweichend von den dort beschriebenen Zeitanteilen ist der Kläger nach Maßgabe ergänzender Zeitaufschreibungen in den Jahren 2013 bis 2018 mit einem Zeitanteil vom 78,74 % (Aufzeichnung des Klägers, Bl. 96 - 107) bzw. 60 % (Aufzeichnung des beklagten Landkreises für die Jahre 2015 - 2018) im Vollstreckungsaußendienst tätig.

Der Kläger arbeitet im Vollzugsdienst nach Maßgabe der Dienstanweisung für Vollziehungsbeamte der Kreiskasse W. (Bl. 65 - 82 d. A.), darauf wird Bezug genommen. Die Dienstanweisung regelt die Ausführung der Vollstreckung von Geldforderungen, soweit sie nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz für das Land Niedersachsen durch Vollziehungsbeamte durchgeführt wird. Der Auftrag des Klägers in der Vollstreckung ergibt sich aus dem Vollstreckungsauftrag. Nach § 16 Abs. 5 der Dienstanweisung ist die Vollstreckung mit den Maßnahmen durchzuführen, die den größtmöglichen Erfolg versprechen. Die Bearbeitungszeiten für einen Vollstreckungsauftrag ergeben sich aus § 17 der Dienstanweisung. Nach § 18 hat der Kläger verwirkte Säumniszuschläge bis zum Tag der Vollstreckung hinzuzusetzen und nach pflichtgemäßen Ermessen einzuziehen. Kosten und Auslagen sind vom Vollziehungsbeamten mit der Hauptforderung bei der Sachpfändung zu berücksichtigen. Nach § 18 Abs. 4 der Dienstvereinbarung entscheidet der Vollstreckungsbeamte nach pflichtgemäßen Ermessen über die Beitreibung nicht anordnungspflichtiger Nebenforderungen. Die Dienstanweisung regelt auch den Rahmen, in dem die Vollstreckung eines Vollstreckungsauftrages erfolgt. Zunächst hat der Vollziehungsbeamte den Schuldner zur freiwilligen Zahlung aufzufordern. Bei Abwesenheit können auch weitere zum Haushalt gehörende erwachsene Personen zur Zahlung aufgefordert werden, auch nicht volljährige Personen, soweit sie nach ihrer äußeren Erscheinung den Eindruck machen, dass sie eine Vorstellung von der Bedeutung des Vollstreckungsvorgangs haben (§ 19 Abs. 1 der Dienstanweisung). Nach § 19 Abs. 3 der Dienstanweisung kann der Vollziehungsbeamte zum Hausstand des Schuldners gehörende Personen nach dem Arbeitgeber des Schuldners und oder nach anderen Einkünften, aus denen der Vollstreckungsschuldner den Lebensunterhat für sich und seine Familie bestreitet, befragen. Der Vollziehungsbeamte ist, wenn es dem Schuldner nicht möglich ist, den geschuldeten Betrag in einer Summe zu zahlen, befugt, Teilzahlungen einzuziehen, wenn der Schuldner grundsätzlich zur Zahlung bereit ist und die Bezahlung des Gesamtbetrages innerhalb von zwölf Monaten erfolgt. Kommt es nicht zu einer freiwilligen Zahlung, so hat der Vollziehungsbeamte die Wohnung bzw. die Behältnisse des Schuldners zu durchsuchen, wenn kein Widerspruch erfolgt. Im Weigerungsfall hat der Vollziehungsbeamte eine richterliche Durchsuchungsanordnung zu beantragen und anschließend den Vollstreckungsauftrag durchzusetzen, nach § 22 Abs. 3 S. 4 der Dienstvereinbarung sind unbillige Härten gegenüber mit Gewahrsamsinhabern dabei zu vermeiden. Bei Gefahr im Verzug kann der Vollziehungsbeamte die Durchsuchung der Wohnung auch ohne richterliche Anordnung vornehmen, wenn die begründete Annahme besteht, dass bei Zeitverzögerungen pfändbare Gegenstände weggeschafft, das Vermögen veräußert oder der Schuldner sich absetzt (§ 23 Abs. 1 der Dienstanweisung). Über den Tatbestand der Gefahr im Verzug entscheidet nach § 23 Abs. 2 der Dienstanweisung der Vollziehungsbeamte an Ort und Stelle in eigener Zuständigkeit. Bei Tod des Vollstreckungsschuldners nach Beginn der Zwangsvollstreckung kann die Vollstreckung nach § 25 Abs. 2 der Dienstanweisung nach dessen Tod in den Nachlass fortgesetzt werden. Erfolgt keine Zahlung oder Teilzahlung wird die Pfändung in bewegliche Sachen durchgeführt, in dem der Vollziehungsbeamte Sachen in Besitz nimmt (§ 26 Abs. 2 der Dienstanweisung). Nach § 27 Abs. 1 der Dienstanweisung hat der Vollziehungsbeamte die Sache auf den gewöhnlichen Verkaufswert zu schätzen, dabei ist der Beschaffenheit und dem Zustand der Sache Rechnung zu tragen. Nach § 31 der Dienstanweisung wählt der Vollziehungsbeamte die zu pfändenden Gegenstände nach pflichtgemäßen Ermessen aus, wobei er zu beachten hat, dass die Pfändung nicht weiter ausgedehnt werden darf, als es zur Deckung der beizutreibenden Ansprüche einschließlich Zinsen etc. erforderlich ist. Soweit es die Pfändung von Kraftfahrzeugen betrifft, kann der Vollziehungsbeamte die Pfändung nach pflichtgemäßen Ermessen durch Anlegen von Parkkrallen bzw. Ventilwächtern sichern.

Der Kläger vertritt die Auffassung, die ihm übertragene Tätigkeit der Vollstreckung im Außendienst erfordere gründliche und vielseitige Fachkenntnisse. Darüber hinaus seien selbstständige Leistungen erforderlich, weil er vor Ort situativ die Lage erfassen und auf Grundlage seiner gründlichen und vielseitigen Fachkenntnisse selbstständig über die zu treffenden Maßnahmen entscheiden müsse. Er sei deshalb zutreffend in die Entgeltgruppe 9a TVöD/VKA eingruppiert.

Der Kläger hat mit Schreiben vom 21. Juni 2017 (Bl. 9 d. A) anstelle der bisher gezahlten Entgeltgruppe 6 TVöD Vergütung aus der Vergütungsentgeltgruppe 9a der Entgeltgruppe (VKA) zum TVöD begehrt. Die Beklagte ist diesem Begehren entgegengetreten und hat die Auffassung vertreten, selbständige Leistungen im Sinne der Protokollnotizen zur Entgeltordnung VKA legen nicht vor, da die Dienstanweisung den Ablauf eines Vollstreckungsvorganges vorgebe.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 25. März 2019 - 4 Ca 97/18 E - die Klage abgewiesen und maßgeblich darauf abgestellt, der Kläger habe nicht ausreichend substantiiert, dass er selbstständige Leistungen im Sinne der Entgeltordnung verrichte. Bezüglich des weiteren Inhalts der Entscheidung sowie dem erstinstanzlichen Vortrag der Parteien wird Bezug genommen auf die Entscheidung vom 25. März 2019 (Bl. 159 - 162 d. A.).

Mit der Berufung verfolgt der Kläger unter Vertiefung von Sach- und Rechtsvortrag sein Klagebegehren weiter.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 25. März 2019 - 4 Ca 97/18 E - abzuändern und festzustellen, dass der beklagte Landkreis verpflichtet ist, dem Kläger seit dem 1. Januar 2017 eine Vergütung nach der Entgeltgruppe 9a TVöD (VKA) zu zahlen zzgl. Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über den Basiszins auf den monatlichen Differenzbetrag zur gezahlten monatlichen Vergütung ab jeweiliger Fälligkeit beginnend mit dem 15. Mai 2018.

Der beklagte Landkreis beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

und verteidigt die angefochtene Entscheidung mit weiteren Rechtsausführungen.

Bezüglich des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird verwiesen auf die wechselseitig zu den Akten gereichten Schriftsätze sowie auf die Erörterung in der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Die frist- und formgerecht eingereichte und begründete Berufung des Klägers ist begründet. Der Kläger hat Anspruch auf eine Vergütung aus der Entgeltgruppe 9a des Teil A Abschnitt I Ziffer 3 Anlage 1 TVöD (Entgeltordnung VKA).

1.

Die Klage ist nach § 256 Abs. 1 ZPO als allgemein übliche Eingruppierungsfeststellungsklage zulässig (ständige Rechtsprechung vgl. BAG 22. Februar 2017 - 4 AZR 514/16).

2.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft Tarifbindung der TVöD/VKA in seiner jeweils geltenden Fassung und die diese ergänzenden, ändernden und ersetzenden Tarifverträge sowie der TVÜ/VKA Anwendung. Die für die begehrte Eingruppierung des Klägers in Betracht kommenden Tätigkeitsmerkmale des Teils A Abschnitt 1 Ziffer 3 Anlage 1 TVöD (Entgeltordnung VKA) lauten wie folgt:

Entgeltgruppe 5

...

2. Beschäftigte deren Tätigkeit gründliche Fachkenntnisse erfordert.

(Gründliche Fachkenntnisse erfordern mehrere Kenntnisse von Rechtsvorschriften oder näheres kaufmännisches oder technisches Fachwissen usw. des Aufgabenkreises.)

Entgeltgruppe 6

...

Beschäftigte der Entgeltgruppe 5 Fallgruppe 2, deren Tätigkeit vielseitige Fachkenntnisse erfordert.

(Die gründlichen und vielseitigen Fachkenntnisse brauchen sich nicht auf das gesamte Gebiet der Verwaltung zu beziehen. Der Aufgabenkreis der/des Beschäftigten muss aber so gestaltet sein, dass er nur beim Vorhandensein gründlicher und vielseitiger Fachkenntnisse ordnungsgemäß bearbeitet werden kann.)

Entgeltgruppe 7

Beschäftigte der Entgeltgruppe 6, deren Tätigkeit mindestens zu einem Fünftel selbstständige Leistungen erfordert.

(Selbstständige Leistungen erfordern eine in vorausgesetzten Fachkenntnissen entsprechendes selbstständiges Erarbeiten eines Ergebnisses unter Entwicklung einer eigenen geistigen Initiative; eine leichte geistige Arbeit kann diese Anforderung nicht erfüllen.)

Entgeltgruppe 8

Beschäftigte der Entgeltgruppe 6, deren Tätigkeit mindestens zu einem Drittel selbstständige Leistung erfordert.

Entgeltgruppe 9a

Beschäftigte der Entgeltgruppe 6, deren Tätigkeit selbstständige Leistung erfordert.

3.

Für die zutreffende Eingruppierung sind zunächst die Arbeitsvorgänge gem. § 12 TVöD/VKA zu bestimmen.

a)

Maßgebend für die Bestimmung eines Arbeitsvorgangs ist das Arbeitsergebnis. Die tarifliche Wertigkeit der verschiedenen Einzeltätigkeiten oder Arbeitsschritte bleiben dabei zunächst außer Betracht. Erst nach dem der Arbeitsvorgang bestimmt ist, ist dieser anhand des in Anspruch genommenen Tätigkeitsmerkmals zu bewerten (BAG 18. März 2015 - 4 AZR 59/13 - Rn. 17). Bei der Zuordnung zu einem Arbeitsvorgang können wiederkehrende und gleichartige Tätigkeiten zusammengefasst werden. Dabei kann die gesamte vertraglich geschuldete Tätigkeit einen einzigen Arbeitsvorgang ausmachen. Einzeltätigkeiten können jedoch dann nicht zusammengefasst werden, wenn die verschiedenen Arbeitsschritte von vorherein auseinandergehalten und organisatorisch voneinander getrennt sind.

b)

Im Ausgangspunkt zutreffend gehen beide Parteien davon aus, dass der Vollstreckungsvorgang zur Beitreibung von öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Forderungen für Kreisverwaltung, Abfallwirtschaft, Rettungsdienst und fremde Behörden einen Arbeitsvorgang ausmacht. Arbeitsergebnis und Vollstreckungsziel ist die Beitreibung der im Vollstreckungsauftrag titulierten Forderung. Sämtliche Einzeltätigkeiten, die der Kläger in der Abwicklung des Vollstreckungsauftrages verrichtet, dienen diesem Arbeitsergebnis. Deshalb gehören zu diesem Arbeitsvorgang sämtliche vom Kläger vor Ort beim Schuldner vorgenommenen Tätigkeiten wie auch die Abwicklung des Vollstreckungsauftrages in Form der Einzahlung der eingezogenen Beträge sowie der Erstellung von Abrechnungslisten für den Innendienst (S. 12 d. A.).

4. Dieser Arbeitsvorgang wird vom Kläger im überwiegenden Teil der von ihm geschuldeten Arbeitszeit wahrgenommen und ist der tariflichen Bewertung deshalb zugrunde zu legen.

a)

Dass dieser Arbeitsvorgang gründliche und vielseitige Fachkenntnisse erfordert, ist zwischen den Parteien nicht im Streit. Die Arbeitsplatzbeschreibung des beklagten Landkreises vom 1. August 2013 bestätigt, dass die Tätigkeit gründliche und vielseitige Fachkenntnisse erfordert. Auch die in einem solchen Fall gebotene summarische (Über)Prüfung bestätigt dieses Ergebnis. Soweit der Arbeitsvorgang der Vollstreckung im Außendienst betroffen ist, ergeben sich bereits aus den anzuwendenden Vorschriften, dem niedersächsischen Verwaltungsvollstreckungsgesetz, der ZPO (teilweise), der Gemeindekassenverordnung (teilweise), dem Zwangsversteigerungsgesetz (teilweise), dem Insolvenzrecht (teilweise), dem BGB (teilweise), der Dienstanweisung für den Vollstreckungsbeamten der Kreiskasse sowie dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, dass vielseitige Fachkenntnisse erforderlich sind. Der Vorgang der Vollstreckung im Außendienst beim Schuldner erfordert die Kenntnis einer Vielzahl von Vorschriften, die im Zusammenspiel bei der Vollstreckung von Geldforderungen zu berücksichtigen sind.

Der Kläger benötigt zudem gründliche Fachkenntnisse. Ohne die nach der Protokollnotiz erforderliche nähere Kenntnisse der angeführten Rechtsvorschriften lässt sich eine rechtssichere Vollstreckung von Geldforderungen im Spannungsverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner nicht durchführen. Eine rechtssichere Vollstreckung setzt die komplette Kenntnis dieser Vorschriften voraus.

b)

Der Kläger erbringt selbstständige Leistungen in dem tariflich geforderten Umfang.

aa)

Die selbstständigen Leistungen müssen innerhalb eines Arbeitsvorgangs nicht in einem bestimmten zeitlichen Maß anfallen. Es reicht aus, wenn der Arbeitsvorgang selbstständige Leistungen in einem rechtlich erheblichen Maß erfordert, wovon auszugehen ist, wenn ohne sie ein sinnvoll verwertbares Ergebnis nicht erzielt werden könnte. Entscheidend ist, ob der Beschäftige die Fähigkeit zur Erfüllung der qualifizierten Aufgaben ständig bereithalten muss, weil sie stets abgefordert werden kann (BAG 22. Februar 2017 - 4 AZR 514/16 - Rn. 41).

Kennzeichnend für selbstständige Leistungen im tariflichen Sinn ist ein wie auch immer gearteter Ermessen-, Entscheidungs-, Gestaltungs- oder Beurteilungsspielraum bei der Erarbeitung eines Arbeitsergebnisses. Es werden Abwägungsprozesse verlangt, in deren Rahmen Anforderungen an das Überlegungsvermögen gestellt werden. Dabei müssen für eine Entscheidung unterschiedliche Informationen verknüpft und untereinander abgewogen werden. Dass diese Abwägungsprozesse bei entsprechender Routine durchaus schnell ablaufen können, ist unerheblich (vgl. BAG 22. April 2009 - 4 AZR 166/08 - Rn. 27; 22. Februar 2017 - 4 AZR 514/16).

bb)

Dem beklagten Landkreis ist zuzugestehen, dass die Dienstanweisung für Vollziehungsbeamte der Kreiskasse W. die einzelnen Vollstreckungsschritte beschreibt. Selbst auf Grundlage dieser Dienstanweisung bestehen jedoch vielfältige Beurteilungs- und Ermessenspielräume für den Kläger, die er auf Grundlage seiner gründlichen und vielseitigen Fachkenntnisse im Sinne der Erzielung eines bestmöglichen Arbeitsergebnisses heranziehen muss.

(1) Es beginnt damit, dass der Kläger vor Ort beim Vollstreckungsschuldner immer dann, wenn nicht unverzüglich Zahlung erfolgt, dass sich ihm bietende Bild bewerten, richtig einordnen und zu einem Gesamtbild verarbeiten muss. Der Kläger agiert vor Ort allein. Er kann nicht jeweils Weisungen einholen, wie er vollstrecken soll, er muss den Entscheidungsprozess selbstständig herbeiführen. Dies bestätigt die Dienstanweisung. Nach § 16 Abs. 5 der Dienstvereinbarung ist die Vollstreckung mit den Maßnahmen durchzuführen, die den größtmöglichen Erfolg versprechen, dabei sind auch Belange des Vollstreckungsschuldners zu wahren. Dies beinhaltet, dass der Kläger die verschiedenen Möglichkeiten von der Vorbereitung einer Kontopfändung durch Versuch, Kontoinformationen vom Schuldner zu erlangen, bis hin zur Sachpfändung oder dem Einräumen von Ratenzahlungen bewerten, gegeneinander abwägen und im Hinblick auf das beste Arbeitsergebnis einer eigenen Entscheidung zuführen muss.

(2) Dabei bestehen zunächst Beurteilungsspielräume wie etwa nach § 19 Abs. 1 der Dienstanweisung, wenn die anwesende nicht volljährige Person nach ihrem äußeren Erscheinungsbild den Eindruck machen muss, dass sie eine Vorstellung von der Bedeutung des Vollstreckungsvorgangs hat. Dies muss der Kläger vor Ort beurteilen. Bei der Vereinbarung von Teilzahlungen nach § 20 Abs. 1 der Dienstanweisung muss der Kläger beurteilen, ob der Schuldner grundsätzlich zur Zahlung bereit, d. h. zahlungsfähig und zahlungswillig ist. Auch diese Beurteilung setzt voraus, dass er sich ein Gesamtbild über die Situation des Schuldners verschafft und daraus selbstständig die Beurteilung vornimmt, ob Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit gegeben sind. Bei Gefahr im Verzug muss der Kläger beurteilen, ob die Gefahr der Beseitigung von pfändbaren Gegenständen, die Gefahr des Absetzens ins Ausland bzw. der Veräußerung von Vermögen besteht, wenn er nicht ohne richterliche Anordnung sofort die Vollstreckung einleitet. Sitzt ein Schuldner auf gepackten Koffern, kann er Kraft eigener Entscheidung die Wohnung durchsuchen, ohne einen richterlichen Durchsuchungsbefehl zu erwirken.

(3) Kommt es zur Pfändung von Gegenständen, muss der Schuldner kraft seiner Erfahrung und Kenntnis des Marktes beurteilen, welche Pfandgegenstände in welchem Umfang werthaltig sind, er kann nach seinem Ermessen Pfändungen durchführen. Nach § 33 Abs. 3 der Dienstvereinbarung kann der Vollziehungsbeamte nach pflichtgemäßen Ermessen ein gepfändetes Auto auch durch Anlegen von Parkkralle bzw. Ventilwächtern sichern.

(4) Auf Grund der Vielzahl von Beurteilungs- und Ermessensentscheidungen, die der Kläger in Hinblick auf ein möglichst optimales Arbeitsergebnis zu treffen hat, liegen im rechtlich ausreichenden erheblichem Maße selbstständige Leistungen vor. Dem steht nicht entgegen, dass eine Vielzahl von Vorgängen reine Routinevorgänge seien werden. Der Kläger muss die gründlichen und vielseitigen Fachkenntnisse vorhalten und immer bereit sein, spontan nach Beurteilung der Situation selbstständig Entscheidungen zu treffen.

Auf die Berufung war das Urteil des Arbeitsgerichts deshalb abzuändern und der Klage zu entsprechen. Der Zinsanspruch folgt aus Verzug (§§ 286, 288 Abs. 1 BGB).

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

6. Die Revision war zuzulassen, da die Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte uneinheitlich ist und die Bewertung der Tätigkeit im Vollstreckungsaußendienst in jeder größeren Kommune bzw. in jedem Landkreis anfällt und damit eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegt.