Landgericht Hannover
Urt. v. 16.05.2003, Az.: 8 O 178/02

Schadenersatzanspruch eines Fahrschülers gegen seinen Fahrlehrer wegen Hineinführens in eine vom Fahrschüler nicht beherrschbaren Verkehrssituation

Bibliographie

Gericht
LG Hannover
Datum
16.05.2003
Aktenzeichen
8 O 178/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 33901
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHANNO:2003:0516.8O178.02.0A

Fundstelle

  • NZV 2004, 404-405 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

Forderung

In dem Rechtsstreit
...
hat die 8. Zivilkammer des Landgerichts Hannover
auf die mündliche Verhandlung vom 25.04.2003
durch
den Richter am Landgericht als Einzelrichter
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.)

    Die Klage wird abgewiesen.

  2. 2.)

    Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

  3. 3.)

    Das Urteil ist für die Beklagten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die

    Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrags Sicherheit leisten.

Tatbestand

1

Die Klägerin macht Ansprüche aus Anlass eines Verkehrsunfalls vom 13.8.2001 gegen 19.39 Uhr auf der Celler Straße in Wedemark an der BAB 7, Ausfahrt Richtung Norden geltend, bei dem sie als Motorradfahrschülerin verletzt wurde.

2

Der Beklagte zu 1.) war ihr Fahrlehrer, der wiederum Angestellter bei dem Beklagten zu 2.) ist, mit dem die Klägerin am 11.6.2001 einen Ausbildungsvertrag abgeschlossen hatte. Zu diesem Zeitpunkt war die Klägerin bereits im Besitz der Fahrerlaubnis Klasse II und III (heute BundCE).

3

Die Klägerin fuhr am 13.8.2001 gegen 18.00 Uhr zunächst 45 Minuten über Land und die zweiten 45 Minuten über die Autobahn in Richtung Hannover. Der Beklagte zu 1.) fuhr hinter ihr in seinem Fahrzeug und erteilte ihr über Funk Anweisungen. Am Dreieck Hannover-West bog die Klägerin dann auf die A 352 in Richtung Hamburg ab. Am Ende der A 352 verließ sie dann die Autobahn an der Anschlussstelle Mellendorf. Über Funk wurde sie angewiesen, nach rechts abzufahren, um wieder sofort auf die Autobahn in Fahrtrichtung Hannover zurückzufahren.

4

An der Stelle, wo die Klägerin die Autobahn verlassen sollte, steht das Verkehrszeichen 205 (Vorfahrt gewähren). Die Klägerin hielt das Motorrad ca. 3 Meter vor der L 310 an. Nachdem sie die Maschine beim ersten Versuch abgewürgt hatte, startete sie erneut und geriet beim Rechtsabbiegen zu weit auf die L 310, wodurch sie von einem herannahenden BMW erfasst wurde. Sie erlitt durch den Unfall erhebliche Verletzungen insbesondere schwere Gesichtsfrakturen, Jochbeinfrakturen mit Stahlplattenversatz, eine 3-fache Handfraktur links. Diese Verletzungen erforderten einen 3-wöchigen stationären Aufenthalt in der MHH Hannover.

5

Die Klägerin hatte bis zum 13.8.2001, beginnend mit dem 29.6.2001, neun Übungsfahrten absolviert. Diese dauerten am 29.6., 9.7. und 2.7. jeweils 90 Minuten, am 6.7. und 6.8 60 Minuten, an 13.7. und 14.7. 45 Minuten und am 19.7. und 1.8. 75 Minuten. Nach einem Leichtkraftrad zu Beginn ihrer Ausbildung erhielt sie ein mittelschweres Krad und im Juli 2001 schließlich ein großes der Marke Kawasaki, mit der sie den streitgegenständlichen Unfall erlitt.

6

Die Klägerin ist der Ansicht, sie habe während der vorangegangenen Übungsstunden nicht die ausreichende Befähigung erlangt, eine Autobahnfahrt mit der Kawasaki sicher zu meistern. Die Beklagten hätten die elementaren Grundregeln des Stufenplans verletzt; sie hätten die Klägerin mit der Autobahnfahrt in diesem Lernabschnitt völlig überfordert. Sie behauptet dazu, ein Ausbildungsplan hätte auch gar nicht existiert und sie habe das Krad für den Beklagten zu 1.) erkennbar nicht beherrscht.

7

So seien Blockier- oder Ausweichmanöver nie geübt worden. Auch ein Anfahren am Berg und eine Kreisfahrt links in einem Radius von ca. 9 m sowie ein sog. langer Slalom, abgesteckt mit Pylonen in einer Entfernung 5 x 9 m und 2 x 7 m voneinander bei einer Geschwindigkeit von 30 km/h habe nicht stattgefunden. Ein Umfahren von Hütchen in Schlangenlinien sei nur einmal geübt worden. Die anders lautenden Tagesnachweise seien ihr mit der Bemerkung vorgelegt worden, sie möge diese unterschreiben, da der Beklagte zu 1.) diese zur Vorlage bei dem Beklagten zu 2.) benötige, und seien daher nicht aussagekräftig. Anlässlich der Autobahnfahrt habe sie geäußert, sie fühle sich noch nicht sicher genug, eine solche Fahrt durchzuführen. Dies sei vom Beklagten zu 1.) aber leichtfertig abgetan worden. Zudem sei es bei vorherigen Fahrstunden bereits zu Zwischenfällen derart gekommen, dass die Klägerin häufig das Gleichgewicht auf dem Krad verloren habe; einmal sogar in den Graben und ein anderes Mal gegen eine Verkehrsinsel gefahren sei. Daraufhin habe sie dem Beklagten zu 1.) erklärt, sie schaffe es mit der Maschine nicht.

8

Ein völliges Ausheilen insbesondere ihrer Handverletzung sei mehr als fraglich und würde sie in ihrem beruflichen Werdegang behindern.

9

Die Klägerin beantragt

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen,

  1. l.

    an sie 633,14 EUR nebst 5% Zinsen über dem Basissatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

  2. 2.

    an sie ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, mindestens aber 10.000,00 EUR, nebst 5% über dem Basissatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

  3. 3.

    Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin jedweden zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden aus Anlass des Unfalls vom 13.8.2001 in Wedemark auf der Celler Straße, soweit nicht auf Dritte oder Sozialversicherungsträger übergegangen ist, zu ersetzen.

10

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

11

Sie sind der Ansicht, der Klägerin stünden die geltend gemachten Schadensersatz- und Schmerzensgeldforderungen nicht zu. Weder dem Beklagten zu 1.), noch dem Beklagten zu 2.) treffe ein Verschulden an dem Verkehrsunfall.

12

Sie behaupten insofern, die Ausbildung sei einem geordneten Ausbildungsplan gefolgt, der auch in den Fahrschulräumen ausgehängt und einzusehen gewesen sei.

13

Die Ausbildung der Klägerin sei stufenweise aufgebaut und sie sei schrittweise auch an die Handhabung einer großen Maschine (Kawasaki) und deren Fahreigenschaften herangeführt worden.

14

So habe man mit einfachen Übungen auf einem Leichtkraftrad begonnen, um ein Gefühl für das Motorrad zu entwickeln. Anfahrübungen seien bereits in der ersten Fahrstunde erfolgt, wobei der Beklagte zu 1.) sich in unmittelbarer Nähe der Klägerin durch Nebenherlaufen befunden habe. Auch das Herumfahren im Kreis, das Umschalten in den nächsten Gang und Bremsmanöver bis maximal 30 km/h seien in diesem Ausbildungsstadium erfolgt. Später habe man dann auf einer mittelschweren Maschine mit den Grundfahrübungen begonnen, wozu die Gefahrenbremsung bei 50 km/h, der Slalom um Pylonen, das Kreisfahrten und das Anfahren am Berg zählen, die allesamt von der Klägerin erfolgreich absolviert worden seien, sodass Mitte Juli auf die Kawasaki hätte umgestiegen werden können. Auch mit dieser Maschine habe dieBeklagte die erforderlichen Fahrübungen erfolgreich durchgeführt. Während des normalen Fahrtrainings und der Autobahnfahrt sei es zu keinen Vorfällen gekommen, die den Schluss auf Schwierigkeiten der Klägerin mit der Maschine zuließen.

15

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

16

Der Klägerin stehen gegen die Beklagten keine Ansprüche aus dem Gesichtspunkt der positiven Vertragsverletzung des Ausbildungsvertrages und aus den §§ 823, 831 BGB zu. Die Beklagten trifft an dem Verkehrsunfall kein Verschulden. Die Beklagten führten die Klägerin beim praktischen Unterricht nicht in eine Verkehrssituation und Gefahrenlage hinein, welcher sie nach dem Stande ihrer Ausbildung nicht gewachsen war. Die Klägerin befand sich bereits in der 9. Fahrstunde. Angesichts dieser hohen Zahl, die auch Stadtfahrten beinhaltete, muss davon ausgegangen werden, dass die Klägerin das Motorrad hinreichend beherrschte.. Während dieser Fahrten musste die Klägerin an Ampeln halten, um sodann nach rechts abzubiegen. Insofern handelt es sich bei der streitgegenständlichen Verkehrssituation nicht um eine erstmalige und besondere, die die Klägerin überforderte, sondern um ein alltägliches Fahrmanöver, das bereits vorher häufig ohne Probleme vollzogen wurde. Das Anfahren und Abbiegen musste somit in den verschiedenen Verkehrssituationen von der ersten Fahrstunde an notwendigerweise fortlaufend absolviert werden. Die Klägerin beherrschte dieses Fahrmanöver. Auch aus dem Abwürgen kann kein Rückschluss auf mangelnde Fahrpraxis oder eine Unerfahrenheit im Umgang mit der Kawasaki geschlossen werden. Zum einen handelt es sich dabei um einen rein technischen Vorgang, der auch einem erfahrenen Fahrer unterlaufen kann, zum anderen absolvierte die Klägerin bereits seit Mitte Juli die Fahrstunden mit der Kawasaki. Insoweit kann es dahinstehen, ob die Autobahnfahrt für die Klägerin zum damaligen Zeitpunkt zu früh kam oder nicht. Das unfallbegründende Fahrmanöver (Anhalten an einer Vorfahrtsstraße und wieder anfahren) entsprach in jedem Falle ihrem Ausbildungsstand.

17

Für die von der Klägerin vorgetragenen Gleichgewichtsprobleme mit dem Motorrad, die Ursache für einen Sturz in einen Graben und die Fahrt gegen eine Verkehrsinsel gewesen seien sollen, was auch dem Beklagten zu 1.) bekannt gewesen sei, ist sie beweisfällig geblieben.

18

Schließlich kann in diesem Zusammenhang auch nicht außer acht gelassen werden, dass sich die Klägerin bereits im Besitz einer Fahrerlaubnis für die Klassen II und III befand. Dies verlieh ihr zwar nicht die Befähigung, ein Zweikraftrad mit seinen besonderen Fahreranforderungen problemlos zu beherrschen, dennoch kann sie nicht als im Straßenverkehr Ungeübte angesehen werden. Sie hatte insofern genügend Erfahrung erworben, um bestimmte Verkehrssituationen richtig einzuschätzen und sich verkehrsgerecht zu verhalten.

19

Ingesamt kann daher kein für die geltend gemachten Ansprüche erforderliches Verschulden der Beklagten festgestellt werden. Vielmehr handelte es sich um eine Unaufmerksamkeit der Klägerin, die den Beklagten nicht zur Last gelegt werden kann.

20

Die Entscheidungen über die Kosten und die vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 911 1,1. Hs., 708 Nr. 11 und 711 ZPO.