Landgericht Hannover
Urt. v. 08.09.2003, Az.: 21 O 109/03

Geltendmachung eines Anspruchs auf Gewährung eines Netzzugangs; Voraussetzungen für die Annahme einer bestehenden oder drohenden Notlage des Durchleitungspetenten ; Anspruch auf Durchleitung zu Bedingungen nach guter fachlicher Praxis

Bibliographie

Gericht
LG Hannover
Datum
08.09.2003
Aktenzeichen
21 O 109/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 33765
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHANNO:2003:0908.21O109.03.0A

Fundstellen

  • RdE 2004, 120-122 (Volltext mit red. LS)
  • ZNER 2004, 194-195

In dem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung
...
hat die 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Hannover
auf die mündlicheVerhandlung vom 14.08.2003
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters am Landgericht ...und
der Handelsrichter ... und ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Der Antrag der Verfügungsklägerin wird zurückgewiesen. Die Verfügungsklägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist für die Verfügungsbeklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Streitwert: bis zum 14.08.2003 100.000 EUR,

für die Zeit danach bis zu 10.000 EUR.

Tatbestand

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Die Verfügungsklägerin (im Folgenden Klägerin) ist u.a. ein

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Die Verfügungsbeklagte (im Folgenden Beklagte) ist Inhaberin des im Bereich Seesen. Aufgrund des Kooperationsvertrages vom 24.02./01.03.2000 belieferte die Beklagte Kunden der Klägerin in ihrem Gebiet im Wege der Beistellung. Die in dem Kooperationsvertrag vereinbarten Preise wurden einvernehmlich mit Wirkung vom 01.09.2000 angepaßt. Aufgrund weiterer Kostensteigerungen verlangte die Beklagte mit Wirkung vom 01.03.2003 höhere Preise, die von der Klägerin zunächst vorbehaltlos gezahlt und später mit Schreiben vom 29.07.2003 als zu hoch beanstandet wurden.

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Am 18.06.2003 kündigte die Klägerin den Kooperationsvertrag und verlangte die Netznutzung zum 01.08.2003 auf der Basis ihrer beigefügten Händlerrahmenverträge. Die Beklagte bestätigte am 01.07.2003 die Netzanmeldung der von der Klägerin benannten Kunden und wies darauf hin, dass die Netzanmeldung nur dann erfolgen könne, wenn die dem Schreiben beigefügten Verträge (Rahmenvertrag, Netzanschluss- und Netzanschlussnutzungsvertrag) unterzeichnet werden würden. Am 08.07.2003 entgegnete die Klägerin, sie erwarte von der Beklagten die Unterzeichnung der am 18.06.2003 von ihr übersandten Händlerrahmenverträge und die Netznutzung per 01.08.2003. Mit Schreiben vom 08.07.2003 erwiderte die Beklagte, sie müsse auf der Unterzeichnung der von ihr übersandten Verträge bestehen, weil sie gleichlautende Verträge mit anderen Lieferanten bereits getroffen habe und nicht mit jedem Kunden anderslautende Vereinbarungen eingehen könne. Am 25.07.2003 verlangte die Klägerin erneut die Netznutzung zum 01.08.2003 ohne Unterzeichnung der von der Beklagten übersandten Verträge, weil insoweit noch Verhandlungsbedarf bestehe. Am 29.07.2003 entgegnete die Beklagte, sie sei nach wie vor bereit, der Klägerin Netzzugang und Netznutzung nach Vertragsunterzeichnung zu gewähren und es stehe der Klägerin frei, Vorbehalt gegen Klauseln des Rahmenvertrages zu erklären, so dass das Vertragswerk im Nachhinein auf seine Wirksamkeit, die allerdings kaum im Zweifel stehe, überprüft werden könne.

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Die Klägerin hat in ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 31.07.2003 vorgetragen, § 6 Abs. 1 EnWG gebe ihr einen Anspruch auf den angemeldeten Netzzugang ohne vorherigen Abschluss der von der Beklagten mit Schreiben vom 01.07.2003 vorgelegten Verträge. Da die Beklagte keinerlei betriebsbe-

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dingte oder sonstige Gründe nenne, die ihr die Durchleitung unzumutbar mache, sei sie nicht zur Verweigerung der Netznutzung berechtigt. Bis zur Beilegung des Streites über die vertraglichen Bedingungen sei die Beklagte verpflichtet, der Klägerin Zugang zu ihrem Netz auch ohne vorherigen Abschluss entsprechender Verträge zu gewähren. Eine andere Bewertung widerspräche dem Ziel des § 1 EnWG, der Liberalisierung des Strommarktes und der Erleichterung des Markteintritts für Stromlieferanten. Der Klägerin sei es nicht zumutbar, mit der Durchsetzung ihres Anspruches bis zur Entscheidung in der Hauptsache zuzuwarten. Der Erlaß einer Leistungsverfügung sei geboten, weil der Klägerin ein erheblicher wirtschaftlicher Nachteil drohe.

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Die Klägerin hat ursprünglich den Erlass einer einstweiligen Verfügung mit folgendem Inhalt begehrt:

"Der Antragsgegnerin wird geboten, der Antragstellerin die Durchleitung von elektrischer Energie im angemeldeten Umfang gegen Zahlung eines angemessenen Nutzungsentgeltes zu den folgenden Abnahmestellen per 01.08.2003 zu gestatten:

Hilfsweise:

Der Antragsgegnerin wird geboten, der Antragstellerin die Durchleitung von elektrischer Energie im angemeldeten Umfang gegen Zahlung der in dem aktuellen Preisblatt der Antragsgegnerin ausgewiesenen entsprechenden Nutzungsentgelte zu den vorbenannten Abnahmestellen per 01.08.2003 zu gestatten."

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In der mündlichen Verhandlung vom 14.08.2003 hat die Klägerin der Beklagten unterzeichnete Netzanschluss, Netzanschlussnutzungs- und Rahmenverträge übergeben, wobei der Rahmenvertrag von der Klägerin und die Netzanschluss- und Netzanschlussnutzungsverträge von der Klägerin für die jeweiligen Kunden unterzeichnet worden sind. Die Verträge sind von der Klägerin unter dem Vorbehalt der Nachprüfung unterzeichnet worden. Daraufhin hat die Beklagte erklärt, mit diesen Verträgen sei die Voraussetzung erfüllt, unter denen die Beklagte die Durchleitung bzw.

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Netznutzung gewähren werde. Dies werde kurzfristig, spätestens bis zum 01.09.2003, erfolgen.

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Im Hinblick auf die Erklärung der Beklagten hat die Klägerin beantragt,

das einstweilige Verfügungsverfahren in der Hauptsache für erledigt zu erklären.

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Die Beklagte hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

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Die Beklagte hat vorgetragen, die Klägerin sei nicht berechtigt, ohne vorherige Unterzeichnung von Netzanschluss-, Netzanschlussnutzungsverträgen und einem Rahmenvertrag die Netznutzung zu verlangen. Nach § 6 Abs. 1 EnWG sei die Beklagte nur verpflichtet, die netznutzungsangemessenen Bedingungen zu gewähren. Dies geschehe mit der Netznutzung auf der Basis der der Klägerin angebotenen Verträge.

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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Der Verfügungsantrag ist unbegründet.

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Die Klägerin kann nicht die Feststellung erreichen, dass der ursprünglich gestellte Verfügungsantrag erledigt sei. Der ursprünglich angekündigte Verfügungsantrag war unbegründet; er ist zudem nicht durch die Erklärung der Beklagten, die Netznutzung nach Unterzeichnung der Verträge auf deren Basis zu gewähren, erledigt.

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Die Klägerin hat ursprünglich eine Leistungsverfügung mit dem Inhalt begehrt, die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin die Nutzung des Netzes der Beklagten auf der Grundlage des Anspruchs auf § 6 EnWG, § 19 Abs. 4 GWB - hilfsweise gegen Zahlung eines betreffenden Entgeltes - zu gewähren. In ihrem Verfügungsantrag hat die Klägerin ausdrücklich geltend gemacht, die Netznutzung sei entgegen der Auffassung der Beklagten nicht von dem vorherigen Abschluss vertraglicher Vereinbarungen abhängig. Ein Streit über die Bedingungen, zu denen die Netznutzung zu gewähren sei, sei kein Grund gem. § 6 Abs. 1 Satz 2 EnWG. Bis zur Beilegung des Streites über die vertraglichen Bedingungen sei der Netzbetreiber verpflichtet, Zugang zum Netz auch ohne vertragliche Grundlage zu gewähren.

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Die Verzögerung der Durchsetzung ihres Anspruches auf Netzzugang bis zur Entscheidung in der Hauptsache sei ihr nicht zumutbar.

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Die Voraussetzungen für den Erlass der Leistungsverfügung hat die Klägerin nicht dargelegt. Die Kammer hält - auch in nunmehr anderer Besetzung - an ihrer Rechtsprechung fest, dass die engen Voraussetzungen für den Erlass einer Leistungsverfügung mit dem Ziel der Netzdurchleitung nicht gegeben sind (vgl. Urteil vom 30.08.2002, 21 O 55/02 Kart., Urteil vom 14.05.2001, 21 O 2176/01 Kart., Urteil vom 21.12.2001, 21 O 5997/01 Kart., Urteil vom 24.06.2002, 21 O 35/02 Kart.). Denn eine bestehende oder drohende Notlage des Durchleitungspetenten ist nur dann gegeben, wenn ihm derart erhebliche wirtschaftliche Nachteile drohen, dass ihm ein Abwarten oder eine Verweisung auf eventuelle Schadensersatzansprüche bei Wegfall des Erfüllungsanspruches nicht zumutbar erscheint. Zu drohenden Nachteilen hat die Klägerin lediglich pauschal ohne konkrete Darlegungen vorgetragen.

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Dass der Klägerin wirtschaftliche Nachteile im Falle der Versagung der Netzdurchleitung drohen könnten, ist nicht ersichtlich. Vielmehr hat die Beklagte der Klägerin die begehrte Durchleitung zum gewünschten Zeitpunkt, dem 01.08.2003, grundsätzlich angeboten, diese jedoch von der Unterzeichnung von Verträgen abhängig gemacht, die die Beklagte mit anderen Stromanbietern zum Zwecke der Durchleitung bereits abgeschlossen habe und die den Vorgaben der Verbändevereinbarung II plus entsprechen. Zugleich hat die Beklagte der Klägerin die Möglichkeit eingeräumt, die angebotenen Verträge unter Vorbehalt der Überprüfung der Wirksamkeit einzelner Klauseln und der Angemessenheit des Entgeltes zu unterzeichnen, sowie die Klägerin dies nunmehr getan hat. Damit war die Klägerin in der Lage, die gewünschte Belieferung ihrer Kunden zum 01.08.2003 aufzunehmen. Wirtschaftliche Nachteile drohten ihr nicht, weil das Vertragswerk noch überprüfbar sein sollte und zudem keine entgültige Bindung über die Höhe des Entgeltes erfolgen sollte.

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Der Klägerin kann nicht gefolgt werden, wenn sie meint, sie habe nach den Zielen des § 1 EnWG, der Liberalisierung des Strommarktes, einen unmittelbaren Anspruch auf - vertragslose - Nutzung des Netzes der Beklagten. Nach § 6 Abs. 1 EnWG hat die Klägern lediglich einen Anspruch auf Durchleitung zu Bedingungen, die guter fachlicher Praxis entsprechen. Zu den Bedingungen guter fachlicher Praxis heißt es in § 6 Abs. 1 Satz 4 und 5:

"Die Bedingungen guter fachlicher Praxis im Sinne des Satzes 1 dienen der Erreichung der Ziele des § 1 unter Gewährleistung wirksamen Wettbewerbes. Bei Einhaltung der Verbändevereinbarung über Kriterien zur Bestimmung von Netznutzungsentgelten für elektrische Energie und über Prinzipien der Netznutzung vom 13. Dezember 2001 wird bis zum 31. Dezember 2003 die Erfüllung der Bedingung guter fachlicher Praxis vermutet, es sei denn, dass die Anwendung der Vereinbarung insgesamt oder die Anwendung einzelner Regelungen der Vereinbarung nicht geeignet ist, wirksamen Wettbewerb zu gewährleisten."

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Nichts anderes als die Durchleitung aufgrund von Verträgen, die der Verbändevereinbarung II plus entsprechen, hat die Beklagte nach ihrem unwidersprochen gebliebenen Vortrag angeboten.

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Ungeachtet dessen, dass der Verfügungsantrag der Klägerin bereits ursprünglich unbegründet war, kommt eine Feststellung der Erledigung des Antrages nicht in Betracht, weil der Klägerin die Netznutzung von der Beklagten nach Unterzeichnung der Verträge nunmehr gestattet wird. Mit ihrem Verfügungsantrag hat die Klägerin etwas anderes begehrt als das, was ihr nunmehr gewährt wird. Gegenstand des Verfügungsantrages war die Netznutzung ohne wenn und aber und ohne vertragliche Regelungen bis zu dem Zeitpunkt, in der vertragliche Vereinbarungen endgültig und bindend ausgehandelt und unterschrieben sein würden, weil die Beklagte nicht berechtigt sei, durch einseitige vertragliche Bestimmungen die Netznutzung zu regeln. Diese Form der Netznutzung hat die Klägerin nicht erhalten. Vielmehr hat die Beklagte - wie vorprozessual angeboten - der Klägerin die Netznutzung nur auf der Basis der - unter Vorbehalt stehenden - vertraglichen Vereinbarung gestattet. Die Netznutzung erfolgt mithin zwar in Erfüllung des unbestrittenen Anspruches der Klägerin aus § 6 EnWG aber doch auf der Grundlage von der Beklagten vorgegebener vertraglicher Regelungen, also nicht vertragslos. Ein erledigendes Ereignis liegt damit nicht vor.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 708 Nr. 6, 711 ZPO.

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Die Wertfestsetzung für den Zeitraum nach der Erledigungserklärung hat sich an dem Kosteninteresse zu orientieren.