Landgericht Hannover
Urt. v. 24.07.2003, Az.: 19 S 47/02

Bibliographie

Gericht
LG Hannover
Datum
24.07.2003
Aktenzeichen
19 S 47/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 39511
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHANNO:2003:0724.19S47.02.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hannover - 28.03.2002 - AZ: 559 C 11686/00

Fundstelle

  • VersR 2003, 1447-1448 (Volltext mit red. LS)

In dem Rechtsstreit

...

hat die 19. Zivilkammer des Landgerichts Hannover auf die mündliche Verhandlung vom 26.06.2003 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Landgericht und der Richterinnen am Landgericht ... und ...

für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 28.03.2002 - Aktenzeichen 559 C 11686/00 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:

  2. Die Klage wird abgewiesen.

  3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

  4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

  5. Die Revision gegen das Urteil wird zugelassen.

Gründe

1

Die Berufung hat Erfolg.

2

I.

Auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil wird Bezug genommen. Mit der Berufung wendet sich die Beklagte weiterhin gegen die vom Amtsgericht zuerkannten Gebührenpositionen 2072, 2402, 2124 und 2344 GOÄ.

3

Die Beklagte beantragt,

  1. das Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 28.03.2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

4

Der Kläger beantragt,

  1. die Berufung zurückzuweisen.

5

Die Kammer hat durch Einholung eines Ergänzungsgutachtens von Beweis erhoben. Auf das schriftliche Gutachten vom 25.01.2003 wird verwiesen.

6

II.

Die Berufung ist begründet.

7

Im Mittelpunkt des Rechtsstreits steht die Frage, welche Gebührenpositionen der Kläger neben der Position 2153 - endoprothetischer Totalersatz eines Kniegelenks - abrechnen darf. Die Beantwortung dieser Frage hat sich an dem im § 4 Abs. 2a GOÄ verankerten Zielleistungsprinzip zu orientieren, wonach der Arzt für eine Leistung, die Bestandteil oder eine besondere Ausführung einer anderen Leistung nach dem Gebührenverzeichnis ist, keine gesonderte Gebühr berechnen darf. Dies gilt auch für die methodisch notwendigen operativen Einzelschritte einer im Gebührenverzeichnis genannten Operationen. Bezogen auf die Implantation eines neuen Kniegelenks bedeutet dies, dass Leistungen, die lediglich methodisch notwendige Einzelschritte der operativen Zielleistung des Gelenkersatzes sind, nicht gesondert berechnet werden dürfen.

8

Dabei ist auf den konkreten Fall abzustellen. Entscheidend ist, welche Maßnahmen im Rahmen der Operation erforderlich sind, um den Operationserfolg zu sichern. Aus der Formulierung in § 4 Abs. 2a GOÄ "methodisch" notwendige operative Einzelschritte, lässt sich nicht schliessen, dass der Gesetzgeber auf eine abstrakte Betrachtungsweise abstellen wollte, also Maßnahmen zur Bewältigung von Komplikationen, die nicht bei jeder Knieimplantation vorkommen, von der Zielleistung dieser Operation ausnehmen wollte. Dem Wortlaut "methodisch" etwa im Gegensatz zu "medizinisch" lässt sich dies nicht entnehmen, vielmehr können beide Begriffe konkret oder abstrakt verwendet werden. Im Sinne der Rechtsklarheit kann nur eine konkrete Betrachtungsweise richtig sein, denn bei der abstrakten Beurteilung ist bereits fraglich und nicht sicher zu beantworten, wo die Grenze zwischen normalen Operationsverlauf und Komplikation zu ziehen ist. Wie bereits im Urteil der Kammer vom 10.04.2003 (Aktenzeichen: 19 S 103/02) ausgeführt, mag das Zielleistungsprinzip mit einigen Regelungen im Gebührenverzeichnis schwer in Einklang zu bringen sein und möglicherweise bei besonderen Schwierigkeiten oder Komplikationen im Rahmen einer Operation zu einer nicht sachgerechten Honorierung des Arztes führen. Dennoch ist es nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers anzuwenden. Vermeindliche Mängel der GOÄ dürfen nicht durch eine zusätzliche, gebührenrechtlich nicht zulässige Berechnung einzelner Leistungsbestandteile kompensiert werden, sondern könnten nur durch den Verordnungsgeber selbst beseitigt werden.

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2. Zu den Gebührenziffern im Einzelnen:

  1. a)

    Position 2072

    Die offenen Sehnen - oder Muskeldurchschneidung ist neben der Gebührenposition 5153 nicht berechenbar.

    Prof. ... führt aus, diese Maßnahme ist erforderlich gewesen, um ein nach der Implantation des Kniegelenks verbliebenes Streckdefizieht zu beseitigen. Die Maßnahme diente dazu, die optimale Funktion des Kniegelenks zu gewährleisten. Die rechtliche Ansicht des Sachverständigen, dass die Maßname eine gegenüber der Implantation des Kniegelenks eigenständige Zielleistung verfolgte, trifft nicht zu. Für die rechtliche Einordnung ist es unerheblich, dass die Muskeldurchtrennung erst nach der eigentlichen Implantation und über einen neuen Zugang erfolgte. Entscheidend ist allein, dass es sich um einen operativen Einzelschritt handelte, der erforderlich war, um eine optimale Funktion des Gelenks zu erreichen. Damit war er zur Sicherung des Operationserfolges erforderlich. Insofern kann rechtlich nicht zwischen Erfolg - Implantation des Gelenks - und optimaler Funktion des Gelenks differenziert werden. Mit dem Operationserfolg ist vielmehr das optimale Ergebnis gemeint.

  2. b)

    Position 2402 - Probeexision aus einem tiefliegendem Körpergewebe -

    Diese Position ist ebenfalls nicht gesondert berechenbar. Zur medizinischen Erforderlichkeit dieser Maßnahme führt Prof. ... aus, der Operateur sei ärztlich verpflichtet und gezwungen, diese durchzuführen, wenn er an der Gelenkinnenhaut und an den angrenzenden Strukturen entzündliche Veränderungen vermute. Ohne eine derartige Untersuchung dürfe das Kunstgelenk nicht verankert werden (Bl. 8 des Gutachtens vom 17.01.2002 Bl. 87 der Akten). Damit handelt es sich bei rechtlicher Betrachtung um einen notwendigen operativen Einzelschritt für die Kniegelenksimplantation. Der gegenteiligen Rechtsauffassung des Sachverständigen ist nicht zu folgen. Wie bereits ausgeführt, kommt es insbesondere nicht darauf an, dass diese Maßnahme nicht bei jeder Kunstgelenksimplantation indiziert und erforderlich ist.

  3. c)

    Position 2124 - Resektion unter anderem eines Kniegelenks -

    Auch diese Position hat der Kläger zu Unrecht gesondert abgerechnet. Zur medizinischen Indikation heisst es dazu im Gutachten vom 17.01.2002, die Resektion des Kniegelenkes vor der Implantation des Kunstgelenkes diene zum einen dazu, verbliebene Gelenkflächenreste zu beseitigen. Zum anderen sei sie erforderlich, um eine ideale Achsenausrichtung des mit dem Kunstgelenk versorgten Beines zu garantieren. Sie sei von entscheidender Bedeutung für die Erzielung der Streckfähigkeit, vor allem auch für die Stabilität der seitlichen weichteiligen Strukturen des Gelenks und damit für die bändern geführte stabile Gelenksituation, die eine seitliche Wackelbeweglichkeit verhindere und damit einen vorzeitigen Lockerungsprozess des Gelenkes vermeiden helfe (Bl. 7 f, Bl. 86 f d.A.). Diese medizinischen Ausführungen verdeutlichen, dass es sich wiederum um einen methodisch notwendigen Einzelschritt handelt, um den Operationserfolg, der nicht nur in der Implantation des Gelenks als solchem, sondern selbstverständlich auch in dessen optimaler Funktion zu sehen ist, zu gewährleisten. Dass nach den Ausführungen des Sachverständigen dieser operative Einzelschritt besondere Anforderungen an den Operateur stellt, ist für die Frage, ob er von der Zielleistung der Implantatoperation erfasst ist, ohne Bedeutung.

  4. d)

    Position 2344 - Teilextirpation, Formung und Zurichtung der Kniescheibe -

    Auch diese Leistung wird von der Gebührenposition 2153 mit erfasst. Sie ist in der Regel erforderlich, wenn die Kniescheibe krankheitsbedingte Formveränderungen aufweist, um den Operationserfolg zu garantieren (Gutachten vom 17.01.2002 Bl. 6, Bl. 85 d.A.). Insofern liegt nach dem Zielleistungsprinzip ein methodisch notwendiger operativer Einschritt vor. Wie bereits ausgeführt, kommt es nicht darauf an, dass eine Formung und Zurichtung der Kniescheibe nicht bei allen Implantatoperationen erforderlich ist.

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III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1 S. 1 ZPO (Kosten), 708 Zifffer 10 ZPO analog, 711 (vorläufige Vollstreckbarkeit).

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IV.

Die Revision wird zugelassen, weil die Entscheidung über die Berechtigung der streitigen Gebührenpositionen grundsätzliche Bedeutung hat und in Anbetracht der unterschiedlichen Rechtsprechung der erst - und zweitinstanzlichen Gerichte die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert, § 543 Abs. 2 ZPO.