Sozialgericht Oldenburg
Urt. v. 27.02.2002, Az.: S 7 U 222/01

Versicherungsschutz eines Studenten bei einer Familienheimfahrt; Ursächlicher Zusammenhang des Aufenthalts am Studienort mit dem Studium

Bibliographie

Gericht
SG Oldenburg
Datum
27.02.2002
Aktenzeichen
S 7 U 222/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 29673
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGOLDBG:2002:0227.S7U222.01.0A

Fundstelle

  • DStR 2003, 791 (Kurzinformation)

In dem Rechtsstreit
hat das Sozialgericht Oldenburg - 7. Kammer
ohne mündliche Verhandlung am 27. Februar 2002
durch
den Richter am Sozialgericht Lipsius - Vorsitzender - sowie
die ehrenamtlichen Richter Herr Schulz und Frau Köler
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Der Bescheid der Beklagten vom 24.11.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.07.2001 wird aufgehoben.

  2. 2.

    Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalls (Wegeunfalls) vom 01.05.2000 dem Grunde nach zu entschädigen.

  3. 3.

    Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger streitet um die Anerkennung (und Entschädigung) eines Wegeunfalls.

2

Der 1976 geborene Kläger war Student an der Fachhochschule ... Seinen ersten Wohnsitz hatte er in ...bei seinen Eltern, den zweiten Wohnsitz (Studentenbude in einem Studentenwohnheim) in ... Nach Vorlesungsende am Freitag dem 28.04.2000 fuhr der Kläger zu seinem ersten Wohnsitz zurück, angeblich nahm er in ... dann noch an einem Kurs teil.

3

Am Sonntag/Montag (30.04./Maifeiertag) hielt der Kläger sich dann wieder in ... auf, nach seinen Angaben um dort zu lernen. Am Abend des 01.05.2000 fuhr er dann wieder nach ... zurück, wobei er eine Kommilitonin mitnahm, die aus privaten Gründen (über ...) nach ... wollte. Der Kläger hat einmal angegeben, er habe am Montagabend zu Hause noch einmal (ordentlich) essen wollen. Im übrigen habe er am Dienstag (den 02.05.2000) die Universitätsbibliothek in ... aufsuchen wollen, um dort schon seit längerem ausgeliehene Bücher abzugeben. Die Vorlesungen in hätten am 02.05.2000 auch erst (nach) Mittag begonnen.

4

Am 01.05.2000 kam der Kläger gegen 22.05 Uhr mit dem Pkw auf der B. Fahrtrichtung von der Straße ab. Er erlitt schwerste Verletzungen (Querschnittslähmung der Beine).

5

Die Beklagte lehnte die Anerkennung und Entschädigung eines versicherten Wegeunfalles ab. (Bescheid vom 24.11.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.07.2001)

6

Dagegen richtet sich die binnen Monatsfrist erhobene Klage, mit der der Kläger seine Ansprüche weiter verfolgt.

7

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 24.11.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.07.2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen ihn wegen der Folgen des Wegeunfalls vom 01.05.2000 dem Grunde nach zu entschädigen.

8

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

9

Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig.

10

Die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakten der Beklagten waren Gegenstand der Entscheidung. Auf ihren Inhalt wird verwiesen.

11

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

12

Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, § 124 Abs. 2 SGG.

13

Die frist- und formgemäß erhobene Klage ist zulässig. Sie ist begründet.

14

Das Gericht hat keinen Anlaß, an den Angaben des Klägers, die auch dem Ermittlungsergebnis entsprechen, zu zweifeln. Die Angaben geben letztlich auch studententypisches Verhalten wieder.

15

Der Versicherungsschutz auf der Unfallfahrt ergibt sich dann aus § 8 Abs. 2 Nr. 4 SGB VII in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Nr. 8 c SGB VII. Der Beklagten ist zwar zuzugeben, daß das Studium in ... am 30.04./01.05.2000 in der Zweitwohnung des Klägers nicht versichert war, vgl. BSGE 44, 100, daraus folgt indes nicht automatisch, wie die Beklagte meint, daß auch die fragliche Fahrt nicht versichert war. Für die Annahme eines Versicherungsschutzes bei einer Familienheimfahrt reicht aus, daß der Aufenthalt am Studienort im ursächlichen Zusammenhang mit dem Studium gestanden hat, BSGE 37, 98. Nur eine solche unterschiedliche Wertung wird den Besonderheiten eines Studiums gerecht. Kann der Student bestimmen, wann und wie er studiert, so daß für Einzelteile des Studierens kein Versicherungsschutz besteht, er also das Unfallrisiko selbst trägt, gilt etwas anderes, wenn die Familienheimfahrt studienbedingt ist. Entschloß sich der Kläger, nachdem er bereits zu Hause gewesen war, an den Studienort zurückzukehren, um sich dort auf die Vorlesungen in der Woche vorzubereiten o.ä., dieser Teil des Studierens aber nur dort möglich war, weil logischerweise dort vor Ort die entsprechenden Unterlagen waren, war er studienbedingt von der Familie getrennt. Das insofern auf die Wege beschränkte Risiko war mithin durch die versicherte Tätigkeit bedingt. Wie in BSGE 37, 98 im einzelnen ausgeführt, würde es in eine unübersehbare Kasuistik münden, unterscheiden zu wollen, einen engeren Zusammenhang zwischen dem Studium und dem Aufenthalt am Studienort zu verlangen.

16

Abgesehen davon, daß es nach dem letzt genannten Urteil mithin ausreichen muß, wenn sich ein Student wie hier nach Beschäftigung mit dem Studienmaterial vor Ort nach Hause zu seiner Familie begibt, um sich dort "durchzufuttern", war vorliegend der Zwischenaufenthalt in ... vor Vorlesungsbeginn am 02.05.2000 auch organisatorisch sinnvoll, um in der Woche während der Öffnungszeiten Bücher in der Unibibliothek ... abzugeben. Insofern kann man auch von einem im organisatorischen Verantwortungsbereich der Fachhochschule liegenden Risiko sprechen, das sich nun einmal ergibt, wenn eine Hochschule über mehrere Standorte verteilt ist.

17

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.