Sozialgericht Oldenburg
Urt. v. 20.04.2001, Az.: S 9 P 43/00

Bibliographie

Gericht
SG Oldenburg
Datum
20.04.2001
Aktenzeichen
S 9 P 43/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 34322
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGOLDBG:2001:0420.S9P43.00.0A

In dem Rechtsstreit

...

hat das Sozialgericht Oldenburg - 9. Kammer -

auf die mündliche Verhandlung vom

20. April 2001

durch den Vorsitzenden, Richter am Sozialgericht Pohlschneider,

sowie die ehrenamtlichen Richter ...

für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.)

    Der Kündigungsbescheid vom 17. März 2000 wird aufgehoben.

  2. 2.)

    Die Beklagten haben dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Beklagten dem Kläger als, Inhaber der Firma ... einen nach § 72 des Elften Buch des Sozialgesetzbuch (SGB XI) geschlossenen Versorgungsvortrag (außerordentlich) kündigen durften.

2

Ein entsprechender Vertragsabschluss zwischen den Beteiligten fand am 29. September 1997 statt. Am 13. Juli 1998 vereinbarten die Vertragspartner einen ersten Nachtrag zum Versorgungsvertrag.

3

Wegen der Besorgnis der Unzuverlässigkeit des Klägers wandten sich die Beklagten mit Schreiben vom 18. November 1998 an den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Niedersachsen (MDKN) zwecks Durchführung einer Qualitätsprüfung gemäß § 80 SGB XI. Der MDKN erstellte den Prüfbericht vom 01. März 1999, nachdem am 27. Januar 1999 in der Zeit von 09.30 Uhr bis 14.15 Uhr eine Prüfung stattgefunden hatte. Als Ergebnis wurde niedergelegt, dass die Patienten von den Mitarbeitern des Pflegedienstes des Klägers durch eine "Bezugspflege" engmaschig versorgt würden. Die vom Kläger benannte "Funktionspflege" sei nicht erkennbar. Einsatzpläne lägen nicht vor, so dass eine schriftliche Zuordnung Patient/Pflegekraft nicht möglich sei. Die Rufbereitschaft werde überwiegend vom Kläger wahrgenommen. Nach Pflegestandards werde nicht gearbeitet. Die Pflegeinstitution verfüge über kein theoretisches Pflegemodell oder ein Pflegeleitbild. Vielmehr pflegten die Mitarbeiter nach ihrem jeweiligen Wissenstand. Keine Pflegekraft verfüge über eine fachpflegerische Qualifikation. Die Qualitätssicherung sei für Außenstehende nicht nachvollziehbar, da Maßnahmen des Qualitätsmanagements nicht dokumentiert würden. Im Bereich der Pflegedokumentation gäbe es einen deutlichen Handlungsbedarf. Alle Bereiche der Pflegedokumentation entsprächen nicht dem aktuellen Wissensstand in der Pflege. Eine gefährliche Pflege habe am Prüfungstag nicht festgestellt werden können. Die aufgesuchten Parteien seien in einem guten Pflegezustand gewesen und mit der Leistung der Pflegeinstitution zufrieden gewesen. Abschließend wurden als Maßnahmen zu Veränderungen im Bereich der Struktur- und Prozessqualität empfohlen:

4

Unmittelbare Maßnahmen:

  • Führen von Einsatzplänen,

  • Führen von Dienstplänen entsprechend den formalen Kriterien,

  • Führen von Teilnehmerlisten bei Dienstbesprechungen,

  • Vervollständigen und Führen einer fachgerechten Pflegedokumentation,

  • Erstellen einer Namensliste mit ausgewiesenen Handzeichen,

  • Führen von schriftlichen Lagerungsplänen bei Bedarf,

  • Führen von schriftlichen Flüssigkeitseinfuhr - Bilanzen bei Bedarf.

5

Mittelfristige Maßnahmen:

  • Fachliche Auseinandersetzung mit Pflegemodellen,

  • Fachliche Auseinandersetzung mit dem Ziel von Pflegestandards.

6

Für die mittelfristigen Maßnahmen müsse ein Zeitraum von etwa 6 Monaten für eine Planungs-, Durchführungs- und Umsetzungsphase veranschlagt werden.

7

Langfristige Maßnahmen:

  • Erstellen eines schriftlichen Konzeptes zur Einarbeitung neuer Mitarbeiter,

  • Erstellen eines schriftlichen Leitbildes.

8

Die langfristigen Maßnahmen bedürften einer Planungs-, Schulungs- und Anlaufphase von etwa 12 Monaten.

9

Der Prüfbericht vom 01. März 1999 wurde dem Kläger mit Anschreiben vom 10. März 1999 zur Stellungnahme bis zum 06. April 1999 übersandt. Bezug genommen wurde auf ein Schreiben an den Kläger vom 02. Juni 1998, in dem diesem das Fehlen einer stellvertretenden Pflegefachkraft als wichtiger Kündigungsgrund im Sinne des § 74 Abs. 2 SGB XI verdeutlicht worden sei. Dem Bericht des MDKN sei zu entnehmen, dass zum Zeitpunkt der Qualitätsprüfung eine stellvertretende Pflegefachkraft vom Kläger nicht habe benannt werden können. Ab 01. Februar 1999 solle Herr J.... R.... die Aufgaben einer stellvertretenden Fachkraft wahrnehmen. Der Kläger habe Frau S.... K.... (Einstellung zum 15. Mai 1998) als stellvertretende Pflegefachkraft benannt. Der Wechsel der stellvertretenden Pflegefachkraft sei vom Kläger nicht angezeigt worden. Ferner wurden vom Kläger für die stellvertretende Pflegefachkraft angefordert:

10

Die Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung, ein polizeiliches Führungszeugnis, der Arbeitsvertrag und die Anmeldung zur gesetzlichen Krankenkasse. Gleichzeitig wurde vom Kläger der Nachweis über die Beschäftigten in seinem Pflegedienst (Name, Berufsbezeichnung, wöchentliche Arbeitszeit) erbeten. Zum Schreiben vom 10. März 1999 wurde das Mahnschreiben vom 20. April 1999 der Beklagten verfasst. Mit Schreiben vom 07. Mai 1999 setzten die Beklagten für die Umsetzung der im Prüfbericht vom 01. März 1999 geforderten unmittelbaren Maßnahmen eine Frist bis zum 15. Juni 1999, für die mittelfristigen Maßnahmen eine Frist bis zum 07. November 1999 und für die langfristigen Maßnahmen eine Frist bis zum 07. Mai 2000. Hierzu erging das Erinnerungsschreiben der Beklagten vom 23. Juni 1999 mit einer Nachfristsetzung bis zum 10. Juli 1999.

11

Mit Schreiben vom 26. Juli 1999 teilten die Beklagten dem Kläger die Absicht mit, den Versorgungsvertrag fristlos zu kündigen. Der Kläger sei der Aufforderung zur Umsetzung des vom MDKN festgestellten Handlungsbedarfs nicht nachgekommen.

12

Mit Schriftsatz vom 04. Oktober 1999 übersandte der Kläger

  • neustrukturierte Einsatzpläne für Mitarbeiter,

  • einen überarbeiteten Verlegungsbericht,

  • die Ablichtung eines überarbeiteten Dienstplanes,

  • die Ablichtung eines bearbeiteten aktuellen Lageplanes,

  • die Ablichtung über die Entwicklung einer Pflegeplanung für die Lagerung und Mobilisation für lagerungsbedürftige Patienten,

  • die Ablichtung einer Namensliste mit ausgewiesenen Handzeichen,

  • die Ablichtung einer Flüssigkeitseinfuhrbilanz.

13

Ferner wurde versichert, dass Teilnehmerlisten bei Dienstbesprechungen und eine Pflegedokumentation geführt würden.

14

Mit Schreiben vom 06. Oktober 1999 erinnerten die Beklagten an die Hergaben von Angaben zur stellvertretenden Pflegefachkraft. Im übrigen verlangten die Beklagten mit Schreiben vom 10. November 1999 die Vorlage von

  1. 1.

    Kopien von Einsatzplänen (mit Handzeichen für die Monate Juli, August und September 1999),

  2. 2.

    Kopien von Dienstplänen für die bezeichneten Monate,

  3. 3.

    Teilnehmerlisten mit Handzeichen der in den Monaten Juli, August und September 1999 durchgeführten Dienstbesprechungen,

  4. 4.

    Anonymisierte Pflegedokumentationen für drei Pflegebedürftige aus dem Monat August 1999 für jeweils 6 Tage.

15

Mit Schreiben vom 23. November 1999 setzten die Beklagten eine Nachfrist bis zum 10. Dezember 1999 für die Sicherstellung der mittelfristigen Maßnahmen.

16

Mit Schriftsatz vom 10. Dezember 1999 legte der Kläger

  • Teilnehmerlisten mit Handzeichen der in den Monaten Juli bis September durchgeführten Dienstbesprechungen,

  • die Dienstpläne von Juli bis Ende September 1999,

  • die Einsatzpläne von Juli bis Ende September 1999 sowie

  • Pflegeberichte

17

vor.

18

Mit Schreiben vom 21. Dezember 1999 rügten die Beklagten, dass lediglich eine Pflegedokumentation - statt wie erbeten drei - vom Kläger zur Verfügung gestellt worden sei. Die Umsetzung der mittelfristigen Maßnahmen zur Qualitätssicherung sei vom Kläger immer noch nicht angezeigt worden.

19

Mit Schriftsatz vom 15. Februar 2000 legte der Kläger eine weitere Kopie eines Pflegeberichtes vor.

20

Mit Schreiben vom 28. Februar 2000 hörten die Beklagten den Kläger erneut zur fristlosen Kündigung des Versorgungsvertrages an und sprachen im Schreiben vom 17. März 2000 die Kündigung aus, nachdem das Niedersächsische Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben mit Schreiben vom 17. März 2000 trotz bestehender rechtlicher Bedenken zu einer fristlosen Kündigung des Versorgungsvertrages sein Einvernehmen erklärt hatte. Zur Begründung der Kündigung wurde ausgeführt, dass der Kläger dokumentiert habe, dass er nicht in der Lage sei, zeit- und sachgerecht nachzuweisen, dass festgestellte Qualitätsmängel innerhalb einer angemessenen Frist beseitigt würden. Der Kläger sei vertraglichen Mitwirkungspflichten nicht oder nicht rechtzeitig nachgekommen. Aufgrund fortgesetzter Unzuverlässigkeiten sei ein Festhalten an dem Versorgungsvortrag nicht zumutbar.

21

Gegen das Kündigungsschreiben vom 17. März 2000 hat der Kläger am 22. April 2000 Klage zum Sozialgericht (SG) Hannover erhoben, welches den Rechtsstreit an das SG Oldenburg verwiesen hat.

22

Der Kläger beantragt,

  1. den Kündigungsbescheid vom 17. März 2000 aufzuheben.

23

Der Beklagte beantragt,

  1. die Klage abzuweisen, ersatzweise einer fristgerechten Kündigung zu entsprechen.

24

Unter Hinweis auf den besonders "schutzwürdigen" Personenkreises der Plegebedürftigen sei es zwingend erforderlich gewesen, den Versorgungsvertrag fristlos zu kündigen.

25

Auf die Verwaltungsakten der Beklagten, die Gerichtsakten S 9a P 90067/97 ER, S 9 P 44/00 ER und die Gerichtsakte des laufenden Verfahrens wird verwiesen.

Entscheidungsgründe

26

Die Klage ist als reine Anfechtungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne Durchführung eines Vorverfahrens (vgl. § 74 Abs. 2 i.V.m. § 73 Abs. 2 Satz 2 SGB XI) zulässig (zur Verwaltungsaktsqualität des Kündigungsausspruchs vom 17. März 2000 vgl. Urteil des SG Kassel vom 26. Januar 2000 - S 12/P - 1504/99).

27

Obwohl der Kläger seinen Krankenpflegebetrieb nicht mehr fortführt (Schriftsatz vom 30. Oktober 2000), hat eine Erledigung des Rechtsstreites hierdurch nicht stattgefunden. Vielmehr bleibt im Hauptsacheverfahren zu klären, inwieweit dem Kläger endgültig die nach der außerordentlichen Kündigung erbrachten Leistungen von den Pflegekassen zu vergüten sind.

28

Ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung durch die Beklagten ist nicht nachgewiesen.

29

Nach § 72 Abs. 1 SGB XI geschlossene Versorgungsvorträge können gem. § 74 Abs. 1 SGB XI von jeder Vertragspartei mit einer Frist von 1 Jahr ganz oder teilweise gekündigt werden, von den Landesverbänden der Pflegekassen jedoch nur, wenn die zugelassene Pflegeeinrichtung nicht nur vorübergehend eine der Voraussetzungen des § 72 Abs. 3 Satz 1 SGB XI nicht oder nicht mehr erfüllt. § 72 Abs. 1 Satz 2 SGB XI ordnet an, dass vor der Kündigung durch die Landesverbände der Pflegekassen das Einvernehmen mit dem Träger der Sozialhilfe (§ 72 Abs. 2 Satz 2 SGB XI) herzustellen ist. § 74 Abs. 2 Satz 1 SGB XI räumt den Landesverbänden der Pflegekassen auch ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist eine Kündigungsmöglichkeit ein, wenn die Einrichtung ihre gesetzlichen oder vertraglichen Verpflichtungen, gegenüber dem Pflegebedürftigen oder deren Kostenträgern derart gröblich verletzt, dass ein Festhalten an dem Vertrag nicht zumutbar ist. Eine fehlende Zumutbarkeit soll nach § 74 Abs. 2 Satz 2 SGB XI insbesondere dann gelten, wenn Pflegebedürftige in Folge der Pflichtverletzung zu Schaden kommen oder die Einrichtung nicht erbrachte Leistungen gegenüber den Kostenträgern abrechnet. Die Norm des § 74 Abs. 2 Satz 2 SGB XI gilt auch in schwerwiegenden Fällen, wenn Qualitätsmängel nicht beseitigt worden sind (vgl. § 80 Abs. 3 Satz 3 SGB XI).

30

Die explizit in § 74 Abs. 2 Satz 2 SGB XI aufgeführten Beispieltatbestände sind nicht erfüllt. Im Prüfbericht des MDKN vom 01. März 1999 ist die Kontrolle von zwei Pflegepatienten des Klägers festgehalten worden. Im ersten Falle heißt es, dass der Patient eine große Zufriedenheit mit dem Pflegedienst geäußert habe und insbesondere die Leistung des Klägers positiv dargestellt habe. Zum zweiten Patienten ist vermerkt, dass dieser sich in einem guten pflegerischen Zustand befinde. Abschließend wird im Prüfbericht vom 01. März 1999 zusammengefasst, dass eine gefährliche Pflege am Prüfungstag nicht habe festgestellt werden können. Insgesamt ist eine defizitäre Pflege des Klägers durch den Prüfdienst nicht objektiviert worden. Dass der Kläger nicht erbrachte Leistungen gegenüber den Kostenträgern abgerechnet hat, ist von den Beklagten nicht behauptet worden.

31

Die von den Beklagten vorgebrachten Kündigungsgründe (fortgesetzte Unzuverlässigkeiten aufgrund Verletzung vertraglicher Mitwirkungspflichten) stellen keine derart gröbliche Vertragsverletzung dar, dass den Beklagten ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist ein Festhalten an dem Vertrag nicht mehr zumutbar gewesen wäre. Die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs einer "gröblichen Vertragsverletzung" im Sinne des § 74 Abs. 2 Satz 2 SGB XI hat vor dem Hintergrund zu erfolgen, dass die fristlose Kündigung einen Eingriff in die gem. Art. 12 Grundgesetz geschützte Freiheit der Berufsausübung bedeutet (vgl. Leitherer in Kasseler Kommentar, § 74 SGB XI, Randnr. 13). Ein solcher Eingriff ist nur zulässig zum Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (BverfGE 44, 104 ff.; 48, 292 ff.). Trotz der zögerlichen Zusammenarbeit des Klägers mit den Beklagten lassen die im Schreiben vom 17. März 2000 angeführten Kündigungsgründe nicht den Schluss zu, dass wichtige Gemeinschaftsgüter durch das Verhalten des Klägers gefährdet gewesen sind.

32

Das Auslegungskriterium (Grundrechtsschutz), welches für die Konkretisierung des Tatbestandsmerkmals "gröbliche Vertragsverletzung" entscheidend ist, gilt ebenfalls für die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs "in schwerwiegenden Fällen" in § 80 Abs. 3 Satz 3 SGB XI, auf den sich die Beklagten nunmehr im Klagestadium berufen. Auch insoweit müssen wichtige Gemeinschaftsgüter bedroht sein, was von den Beklagten indessen nicht bewiesen worden ist.

33

Wenn die Beklagten von einem gegenüber den Pflegebedürftigen extremen Gefährdungspotential auf Klägerseite ausgehen, welches ohne die Einhaltung einer Kündigungsfrist zur einseitigen Auflösung des Versorgungsvertrages berechtige, so haben die Beklagten diese Argumentation durch ihr eigenes Verhalten quasi widerlegt. Nach Abfassung des Prüfberichts vom 01. März 1999 sind bis zum Ausspruch der fristlosen Kündigung vom 17. März 2000 mehr als 1 Jahr vergangen. Sofern tatsächlich ein Schadenseintritt bei den Pflegebedürftigen unmittelbar bevorgestanden hätte, wäre ein konsequenteres Einschreiten durch die Beklagten dringend geboten gewesen. Der lange Zeitablauf verdeutlicht vielmehr, dass auch die Beklagten einen unmittelbaren Handlungsbedarf nicht angenommen haben, so dass sie von einer fristgerechten Kündigung nach § 74 Abs. 1 Satz 1 SGB XI hätten Gebrauch machen müssen. Dementsprechend sind auch vom Niedersächsischen Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben als dem zuständigen Träger der Sozialhilfe in der Stellungnahme vom 17. März 2000 rechtliche Bedenken zu einer fristlosen Kündigung geäußert worden.

34

Soweit die Beklagten auf eine weitere Stellungnahme des MDKN vom 06. Oktober 2000 verweisen und betonen, dass der Kläger auch nach Ausspruch der Kündigung vom 17. März 2000 "bis zum heutigen Tage Angaben zur Mängelbeseitigung der erforderlichen mittelfristigen Maßnahmen und der langfristigen Maßnahmen nicht gemacht habe", ist dieses Vorbringen nicht entscheidungserheblich. Da es sich vorliegend um eine reine Anfechtungsklage handelt, ist der Sach- und Streitstand zum Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung maßgebend (vgl. Urteile des Bundessozialgerichts vom 10. September 1997 - 9 RVs 15/96 - und vom 15. August 1996 - 9 RVs 10/94 -).

35

Schließlich genügt das streitige Kündigungsschreiben der Beklagten nicht den formalen verwaltungsverfahrensrechtlichen Anforderungen. Die Beklagten haben das ihr in den Vorschriften der §§ 74 Abs. 2 und 80 Abs. 3 SGB XI durch die Formulierung "kann" bzw. "können kündigen" eingeräumte Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt (zum Ermessensgebot vgl. auch SG Kassel a.a.O.). Entsprechende Ermessensgesichtspunkte hätten im Kündigungsausspruch vom 17. März 2000 gemäß § 35 Abs. 1 Satz 3 des Zehnten Buch des Sozialgesetzbuch (SGB X) ihren Niederschlag finden müssen. Die genannte Bestimmung ordnet an, dass die Begründung von Ermessensentscheidungen die Gesichtspunkte erkennen lassen muss, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist. Insbesondere hätten die Beklagten die einschneidenden wirtschaftlichen Folgen für den Betrieb des Klägers und der für diesen Beschäftigten Mitarbeiter in ihre Ermessenserwägungen mit einfließen lassen müssen.

36

Mangels Ermessensausübung durch die Beklagten kommt auch eine Umdeutung gem. § 43 Abs. 1 SGB X der fristlosen Kündigung in eine fristgemäße Kündigung nicht in Betracht. Ein fehlerhafter Verwaltungsakt kann in einen anderen Verwaltungsakt nur dann umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist und von der erlassenden Behörde in der geschehenden Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können.

37

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Pohlschneider