Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 19.03.2015, Az.: 9 ME 1/15

Abschnittsbildung; öffentliche Einrichtung; Teilstreckenausbau

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
19.03.2015
Aktenzeichen
9 ME 1/15
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 44974
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 04.12.2014 - AZ: 1 B 23/14

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Ein ausnahmsweise beitragsfähiger Teilstreckenausbau einer öffentlichen Einrichtung kommt nur dann in Betracht, wenn eine Abschnittsbildung ausgeschlossen ist.

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Osnabrück - 1. Kammer - vom 4. Dezember 2014 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 783,65 EUR festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Die von der Antragsgegnerin dargelegten Gründe, auf deren Überprüfung sich der Senat zu beschränken hat (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen es nicht, die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts abzuändern und den Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Straßenausbaubeitragsbescheid der Antragsgegnerin vom 8. April 2014 abzulehnen.

Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag des Antragstellers stattgeben, weil es ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids hat. Die Antragsgegnerin habe den von ihr gebildeten Abschnitt der B. vom C. Platz bis zum Bahnübergang nicht in seiner gesamten Länge ausgebaut, sondern habe eine etwa 140 m lange Reststrecke mit Blick auf eine später beabsichtigte Untertunnelung des Bahnübergangs außen vor gelassen. Diese Reststrecke sei unstreitig ebenfalls erneuerungsbedürftig. Nach dem Bauprogramm bestehe auch Bedarf für den Ausbau der Reststrecke. Denn die beabsichtigte Untertunnelung sei nicht in den maßgeblichen Bebauungsplan aufgenommen worden. Hinzu komme, dass im Fall der Realisierung der Untertunnelung entweder die Anlage aus rechtlichen Gründen - wegen der nach der Straßenausbaubeitragssatzung der Antragsgegnerin durch Straßenausbaubeiträge nicht möglichen Finanzierung der Untertunnelung - am Anfang der Tunnelstrecke enden würde oder der gebildete Abschnitt dort aufhören müsste. Daher werde die Antragsgegnerin vor einer Beitragserhebung entweder die fehlende Teilstrecke des gebildeten Abschnitts ausbauen müssen oder ihren Bebauungsplan im Hinblick auf die Untertunnelung ändern und das Beitragsgebiet an das sich daraus ergebende Ende der Anlage bzw. an den dann anders zu bildenden Abschnitt anpassen müssen.

Die hiergegen erhobenen Einwände der Antragsgegnerin greifen nicht durch:

Die Antragsgegnerin macht geltend, sie habe im Ausgangsverfahren überholte Unterlagen eingereicht und aufgrund eines Kommunikationsversehens vorgetragen, die beabsichtigte Untertunnelung sei nicht im maßgeblichen Bebauungsplan festgesetzt worden. Tatsächlich ergebe sie sich aus dem Bebauungsplan und seiner Begründung und sei damit als von ihrem Rat beschlossenes Bauprogramm zu werten. Dieser Einwand ist nicht entscheidungserheblich. Denn das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass die Antragsgegnerin - selbst wenn die Untertunnelung in den Bebauungsplan aufgenommen würde - entweder das Beitragsgebiet an das sich daraus ergebende Ende der Anlage oder an den dann anders zu bildenden Abschnitt anzupassen hätte.

Entgegen der Annahme der Antragsgegnerin ist aus dem Senatsurteil vom 11. Juli 2007 (- 9 LC 262/04 - juris) nicht abzuleiten, dass ein beitragsfähiger Teilstreckenausbau eines gebildeten Abschnitts möglich ist. Vielmehr betrifft das Urteil einen Teilstreckenausbau einer öffentlichen Einrichtung. Der Senat hat darin den Grundsatz betont, dass Straßenausbaubeiträge nur erhoben werden dürfen, wenn der Beitragstatbestand auf der gesamten Länge der ausgebauten Straße bzw. Teileinrichtung oder des etwa gebildeten Abschnitts verwirklicht worden ist. Er hat dies mit Gesichtspunkten der Rechtssicherheit (Bauprogramme sind änderbar und häufig schwer feststellbar) und der Vorteilsgerechtigkeit (alle Anlieger sollen gleiche Vorteile haben) begründet. Ein Ausbau auf ganzer Länge ist nach dem Urteil im Einzelfall dann nicht geboten, wenn die durchgehende Anlegung einer Teileinrichtung aus tatsächlichen Gründen unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten ausgeschlossen erscheint oder wenn für die durchgehende Anlegung einer Teileinrichtung aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse unter keinem denkbaren Gesichtspunkt ein Bedürfnis besteht. Weiter heißt es in dem Urteil:

„Unter die letztgenannte Fallgruppe lassen sich … auch diejenigen Fälle subsumieren, in denen die Verwirklichung eines Beitragstatbestandes (z. B. einer Erneuerung) nur in einem Teilbereich notwendig ist, eine Abschnittsbildung aber nicht in Betracht kommt; in solchen Fällen sprechen die Erneuerungsbedürftigkeit einerseits und das Gebot einer sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung andererseits dafür, die Beitragsfähigkeit der auf einer Teilstrecke durchgeführten Erneuerungsmaßnahme anzuerkennen, sofern die Ausbaustrecke innerhalb der öffentlichen Einrichtung einen nicht nur untergeordneten Teilbereich erfasst und die Gemeinde sowohl die Notwendigkeit eines nur teilweisen Ausbaus als auch Umfang sowie Beendigung der Baumaßnahmen deutlich macht.“

Aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass ein unter den genannten Voraussetzungen ausnahmsweise beitragsfähiger Teilstreckenausbau einer öffentlichen Einrichtung als „Notinstitut“ nur dann in Betracht kommt, wenn eine Abschnittsbildung ausgeschlossen ist. Eine Abschnittsbildung ist das vorrangige Vorfinanzierungsinstrument, wenn die Erneuerung einer öffentlichen Einrichtung - wie hier - nicht in einem Zuge, sondern in mehreren Etappen (Teilstrecken) verwirklich werden soll. In die Verteilung des umlagefähigen Aufwands für den jeweiligen Abschnitt sind alle Grundstücke einzubeziehen, denen eine hinreichend gesicherte Inanspruchnahmemöglichkeit des betreffenden Abschnitts geboten wird. Demgegenüber nehmen bei einem nur ausnahmsweise beitragsfähigen Teilstreckenausbau einer öffentlichen Einrichtung alle Grundstücke an der Aufwandsverteilung teil, denen die öffentliche Einrichtung (und nicht nur die ausgebaute Teilstrecke) eine solche Inanspruchnahmemöglichkeit vermittelt. Der Tatbestand eines beitragsfähigen Teilstreckenausbaus ist nicht erfüllt, wenn eine Gemeinde meint, der Ausbau einer in der Sache ebenfalls ausbaubedürftigen weiteren Teilstrecke könne - aus welchen Gründen auch immer - noch um einige Jahre verschoben werden; in einem solchen Fall kommt ausschließlich eine Abrechnung im Wege einer Abschnittsbildung in Betracht (vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl. 2012, § 33 Rn. 55).

Beabsichtigt eine Gemeinde - wie hier - den Ausbau der gesamten öffentlichen Einrichtung und hat sie zunächst bis zu dem örtlich erkennbaren Merkmal eines Bahnübergangs wirksam einen Abschnitt gebildet, so setzt die Abrechnung dieses Abschnitts voraus, dass er auf seiner gesamten Länge ausgebaut worden ist. Ist eine spätere Absenkung einer ebenfalls erneuerungsbedürftigen Teilstrecke der Straße innerhalb eines gebildeten Abschnitts zwecks Untertunnelung des in dem Abschnitt befindlichen Bahnübergangs beabsichtigt, so kann der gebildete Abschnitt erst dann abgerechnet werden, wenn die teilweise Straßenabsenkung vollzogen und die Straße in diesem Bereich ebenfalls ausgebaut worden ist. Ist der Zeitpunkt des Baus der Untertunnelung noch nicht konkret absehbar, steht es der Gemeinde frei, einen kürzeren Abschnitt unter Ausschluss des Bereichs der geplanten Untertunnelung zu bilden und diesen abzurechnen, wenn er auf gesamter Länge ausgebaut worden ist. Einen entsprechenden Abschnitt hätte die Antragsgegnerin z.B. vom C. Platz bis zu der in die B. einmündenden Kirchstraße bilden und abrechnen können.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG unter Berücksichtigung von Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom 18. Juli 2013. Danach beträgt der Streitwert ein Viertel des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts (hier: ein Viertel von 3.134,61 EUR).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).