Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 10.03.2015, Az.: 2 ME 7/15
isolierte Rechtschreibschwäche; Legasthenie; Nachteilsausgleich; Notenschutz; Rechtschreibschwäche; Sekundarstufe II
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 10.03.2015
- Aktenzeichen
- 2 ME 7/15
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2015, 44959
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 15.12.2014 - AZ: 5 B 3886/14
Rechtsgrundlagen
- Art 2 GG
- Art 12 GG
- Art 3 Abs 3 S 2 GG
- Art 3 Abs 1 GG
- Art 1 GG
- Art 24 UNBehRÜbk
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Bei einer isolierten Rechtschreibschwäche oder einer Legasthenie ist ggfls. ein Nachteilsausgleich zu gewähren.
Ein über die durch Nr. 9.11 EB AVO GOBAK ermöglichte, in gewissen Umfang differenzierende Bewertung der schriftlichen Klausuren in der Sekundarstufe II hinausgehender Notenschutz ist dagegen nicht zulässig (im Anschluss an Sen., Beschl. v. 10.7.2008 - 2 ME 309/08 -).
Tenor:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 5. Kammer - vom 15. Dezember 2014 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
Die am 26. Juni 19.. geborene Antragstellerin besucht im laufenden Schuljahr 2014/2015 den 12. Jahrgang bei der Antragsgegnerin. Sie leidet nach der als maßgeblich anzusehenden fachärztlichen Stellungnahme von Dr. med. I., Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, F., an einer „Isolierten Rechtschreibstörung, (ICD 10), F 81.1“; die Praxis für Lerntherapie, Bericht v. 19.1.20.. , spricht dagegen von einer „Lese-Rechtschreibschwäche“) und nimmt deswegen seit längerem an außerschulischen Fördermaßnahmen teil. Auf Antrag wurde diese Rechtschreibstörung bis einschließlich des 10. Jahrgangs (Schuljahr 2012/2013) bei der Bewertung von Rechtschreibleistungen berücksichtigt. Im Oktober 2013 beantragte die Antragstellerin sinngemäß, auch im 11. Jahrgang (Qualifikationsphase/Oberstufe) weiter wie bisher zu verfahren. Die Antragsgegnerin bot mit Bescheid vom 15. November 20.. einen Nachteilsausgleich (u.a. Zeitverlängerung, technische Hilfsmittel) an, lehnte aber für die Oberstufe die Gewährung eines besonderen Notenschutzes ab. Dagegen legte die Antragstellerin, die den angebotenen Nachteilsausgleich als nicht hilfreich ansah, Widerspruch ein. Mit einzelfallbezogenem Erlass (v. 3.4.2015) versagte das Nds. Kultusministerium unter Verweis auf den durch die maßgebenden Erlasse gegebenen Bewertungsspielraum den begehrten Notenschutz. Ein förmlicher Widerspruchsbescheid ist bislang nicht ergangen.
Den Antrag vom November 2014 auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes -
der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO aufzugeben, die für die gymnasiale Oberstufe bestehende Regelung über eine mögliche Herabsetzung einer Klausurnote bei gehäuften Verstößen gegen die Sprachrichtigkeit bei der Antragstellerin bis zum Abschluss der Abiturprüfung in allen Fächern seit Antragstellung bei der Antragsgegnerin auf Gewährung eines Nachteilsausgleichs nicht mehr anzuwenden,
hilfsweise,
wie vor, jedoch mit sofortiger Wirkung nicht mehr anzuwenden
hat das Verwaltungsgericht abgelehnt.
Die dagegen gerichtete Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Dabei kann offen bleiben, ob ein Anordnungsgrund iSd. § 123 VwGO für den Haupt- und/oder Hilfsantrag gegeben ist; denn das Verwaltungsgericht hat mit zutreffenden Gründen bereits einen Anordnungsanspruch verneint. Der Vortrag im Beschwerdeverfahren führt zu keiner anderen Bewertung.
Ein Anspruch auf Notenschutz besteht nicht. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin geht der Senat dabei davon aus, dass ihr Begehren (Nichtberücksichtigung der Verstöße gegen die sprachliche Richtigkeit - sog. GRZ-Fehler - bei der Bewertung der Klausuren in der Oberstufe) weiter unter diesen Begriff zu definieren ist. Der Anspruch besteht schon deswegen nicht, weil die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht hat, dass sie zum Ausgleich der bei ihr bestehenden Beeinträchtigungen über den angebotenen Nachteilsausgleich hinaus zwingend auf Notenschutz angewiesen ist (1). Unabhängig davon besteht über den durch die maßgeblichen Erlasse in Niedersachsen bereits eröffneten pädagogischen Bewertungsspielraum aller Voraussicht nach auch kein weitergehender Anspruch auf Notenschutz (2).
1. Nach der maßgebenden Verwaltungsvorschrift (RdErl. Nds. MK „Schriftliche Arbeiten in den allgemeinbildenden Schulen“ v. 22.3.2012 idFv. 9.4.2013, SVBl. 2012, 266, 2013, 222, der den bis dahin geltenden sog. „LRS-Erlass“ v. 4.10.2005, SVBl. 2006, 560 abgelöst hat, vgl. Brockmann/Littmann/Schippmann, Nds. SchulG, Stand: Jan. 2015, § 59 Anm. 7.1.1; vgl. auch LT-Drs. 17/1254 S. 2) ist bei Schülern mit Behinderungen bei schriftlichen Arbeiten zu prüfen, ob ein Nachteilsausgleich zu gewähren ist. Der Nachteilsausgleich ist auf eine Änderung der äußeren Bedingungen der Leistungsfeststellung gerichtet (z.B. Schreibzeitverlängerung, Nutzung technischer Hilfsmittel) und einzusetzen, soweit sich die Behinderung lediglich auf die Umsetzung der durch die Prüfung nachzuweisenden Kenntnisse beschränkt, die gestörte Leistungsfähigkeit selbst also gerade nicht prüfungsrelevant ist (OVG Sachsen-Anh., Beschl. v. 10.2.2014 - 3 M 358/13 -, NVwZ-RR 2014, 560, juris; VG Schleswig, Beschl. v. 2.10.2003 - 9 B 85/02 -, juris; Niehues/Fischer, Prüfungsrecht, 5. Aufl., Rnr. 260).
Die bei der Antragstellerin diagnostizierte „isolierte Rechtschreibstörung“ ist eine Behinderung/Störung, die durch nicht nur vorübergehende Schwierigkeiten beim Schreiben gekennzeichnet ist. Sie ist keine Folge mangelnder Beschulung, unterdurchschnittlicher Intelligenz oder neurologischer Erkrankung, sondern beschränkt sich lediglich auf die Umsetzung der durch die Prüfung nachzuweisenden Kenntnisse (vgl. allg. Cremer/Kolok, Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Umgang mit Legasthenie und Dyskalkulie in der Schule, DVBl. 2014, 333; Esterhaus, Fater oder Vater ?, VR 2014, S. 184; anders dagegen bei einer ADHS-Diagnose, vgl. VG Arnsberg, Beschl. v. 19.9.2014 - 9 L 899/14 -, juris).
Der Senat hat bezogen auf eine kombinierte Lese- und Rechtschreibstörung (Legasthenie, vgl. ICD-10 F 81) einen Nachteilsausgleich grundsätzlich als erforderlich angesehen und u.a. ausgeführt:
" Legasthenie ist eine neurobiologische Hirnfunktionsstörung (Christine Langenfeld, Maßnahmen des Nachteilsausgleichs und des besonderen Schutzes für Schüler und Schülerinnen mit Legasthenie an allgemeinbildenden Schulen, RdJB 2007, 211 [214]); sie stellt sich - bei hinreichender Intelligenz und ansonsten normalem neurologischem Befund - als Schwäche im Sinnverständnis des Lesens dar, durch die auch Rechtschreibschwierigkeiten mit Verwechseln von Buchstaben, teilweise mit Reihenfolgeumstellungen, bedingt sind. Bei der Legasthenie handelt es sich daher zwar nicht um eine typische mechanische Beeinträchtigung des Schreibvorgangs, jedoch um eine Beeinträchtigung, die sich in langsamerer Lesegeschwindigkeit sowie einer erschwerten handschriftlichen Darlegung des gefundenen Ergebnisses und somit in einer mangelnden technischen Fähigkeit zur Darstellung des (vorhandenen) eigenen Wissens erschöpft (Hessischer VGH, Beschluss vom 3. Januar 2006, - 8 TG 3292/05 -, NJW 2006, 1608 [BVerwG 24.11.2005 - BVerwG 2 C 34.04]). Legasthenie kann daher eine Behinderung im Sinne der Definition des § 2 SGB IX, wonach Menschen behindert sind, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft beeinträchtigt ist, und im Sinne des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG sein, die dann nicht zu einer Beeinträchtigung der durch die Prüfung zu ermittelnden Leistungsfähigkeit im Sinne einer - dauernden - Prüfungsunfähigkeit führt, sondern lediglich zu einer Beeinträchtigung der Fähigkeit zur Darstellung des eigenen Wissens. Derartige Beeinträchtigungen der Darstellungsfähigkeit sind grundsätzlich durch ausgleichende Maßnahmen im Prüfungsverfahren zu kompensieren (BVerwG, Urteil vom 30. August 1977, - BVerwG 7 C 50.76 -, Buchholz 418.00 Ärzte Nr. 33 [Sehstörung in der Ärztlichen Approbationsprüfung])." (Sen., Beschl. v.10.7.2008 - 2 ME 309/08 -, juris).
An dieser Einschätzung, die für den vorliegenden Fall einer isolierten Rechtschreibstörung entsprechend gilt, hat der Senat weiter festgehalten (Sen., Beschl. v. 20.9.2012 - 2 LA 234/11 -, v. 25.3.2011 - 2 ME 52/11 -, jeweils n.v.; vgl. ebenso OVG NW, Beschl. v. 30.10.2014 - 19 B 1055/14 -, juris; Bay. VGH, Beschl. v. 28.5.2014 - 7 B 14.22 -, juris; OVG Sachs.- Anhalt, Beschl. v. 10.2.2014 - 3 M 358/13 -, NVwZ-RR 2014, 560, juris; Hess. VGH. Beschl. v. 5.2.2010 - 7 A 2406/09 -, NVwZ-RR 2010, 767, juris; Niehues/Fischer, Prüfungsrecht, 5. Aufl., Anm. 259 f.; Langenfeld, Maßnahmen des Nachteilsausgleichs und des besonderen Schutzes für Schüler und Schülerinnen mit Legasthenie an allgemeinbildenden Schulen, SVBl. 2007, 211, 218; Marwege, Legasthenie und Dyskalkulie in der Schule, Universitätsverlag Göttingen, 2013, abrufbar unter http://webdoc.sub.gwdg.de/univerlag2013/Marwege/diss.pdf, Esterhaus, aaO., Cremer/Kolok, aaO., allg. vgl. auch Eule, Abitur und Schulabschluss für chronisch Kranke, RdJB 2014, 200). Der Antragstellerin ist damit Nachteilsausgleich, ggfs. differenziert nach den zu prüfenden Fächern (Sen., Beschl. v. 10.7.2008 - 2 ME 309/08 - juris; v. 25.3.2011 - 2 ME 52/11 - n.v.), zu gewähren.
Demgegenüber führt der begehrte Notenschutz dazu, dass an die Klausuren/Hausarbeiten ein unterschiedlicher Bewertungsmaßstab angelegt wird. Die sich hier ergebenden Problemstellungen sind vielfältig. Insbesondere stellt sich die Frage, wie man legasthenie- bzw. durch eine isolierte Rechtschreibstörung bedingte Fehler von anderen Schreibfehlern unterscheiden will (vgl. z.B. Marwege, aaO., S. 6/7, wonach nicht die Fehlerart, sondern die Quantität der Fehler ausschlaggebend für die Diagnose sei). Es besteht daher - bezogen auf die anderen Mitschüler - die Gefahr einer unangemessenen Überkompensation (Sen., Beschl. v. 2022.9.2012 - 2 LA 234/11 -, n.v.; Beaucamp, Möglichkeiten und Grenzen des Grundsatzes der Chancengleichheit im Bildungsrecht, DVBl. 2014, 1364). Da der Notenschutz - wenn er nicht mit entsprechenden Zeugniszusätzen kenntlich gemacht wird - bestehende Defizite geradezu verschleiern soll, könnte schließlich die Bedeutung von Schulzeugnissen für nachfolgende Ausbildungsgänge und den Arbeitsmarkt entwertet werden mit der Folge, dass an ihre Stelle zunehmend Eignungsprüfungen treten, die ihrerseits dem Kompensationsgedanken kaum Raum geben dürften, zumal wenn sie von privaten Dritten zur Einstellungsvoraussetzung gemacht werden. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit könnte ein Notenschutz daher - wenn überhaupt - allenfalls als ultima ratio, also dann in Betracht gezogen werden, wenn Maßnahmen des Nachteilsausgleiches sich im Einzelfall als ungeeignet erwiesen haben (Hess. VGH, Beschl. v. 5.2.2010 - 7 A 2406/09 -, NVwZ-RR 2010, 767, juris; Esterhaus, aaO., 188).
Vorliegend ist indes schon nicht ersichtlich, dass ein Nachteilsausgleich die aus der Behinderung resultierenden Einschränkungen nicht ausreichend auffangen könnte. In der Stellungnahme der Praxis für Logopädie-Lernförderung (v. 22.1.20.. ) wird z.B. lediglich auf die Notwendigkeit eines größeren Zeitfensters verwiesen („Es wäre schön, wenn die Schule ihr (der Antragstellerin) beim Kontrollieren der Klassenarbeiten ein größeres Zeitfenster zur Verfügung stellen könnte“). In der Beschwerdebegründung erwähnt die Antragstellerin - wenn auch in anderem Zusammenhang - selbst die „Möglichkeiten der technischen Kompensation einer Rechtschreibstörung“ (vgl. auch Esterhaus, aaO.). Derartige Ausgleichsmaßnahmen sind der Antragstellerin von der Antragsgegnerin angeboten worden. Es obliegt aber der Antragstellerin, angebotene Maßnahmen des Nachteilsausgleichs anzunehmen, um durch z.B. längere Zeitvorgaben und/oder Nutzung technischer Hilfsmittel (wie elektronischer Duden, Rechtschreibkontrollen) ihre Beeinträchtigungen auszugleichen (OVG Sachsen-Anh., Beschl. v. 10.2.2014 - 3 M 358/13 -, NVwZ-RR 2014, 560). Das ist - soweit in diesem Verfahren erkennbar - nicht zureichend geschehen. So hat die Antragstellerin gegenüber der Antragsgegnerin im November 20.. ausdrücklich erklärt, die angebotenen Maßnahmen zum Nachteilsausgleich nicht annehmen zu wollen. Zwar lässt sich dem Bericht der Antragsgegnerin vom 20. Februar 2015 entnehmen, dass die Antragstellerin mittlerweile (doch) einen Zeitausgleich in Anspruch nimmt, zureichende Hinweise, dass sie auch auf weitere technische Hilfsmittel zurückgreift, liegen jedoch nicht vor.
2. Unabhängig davon besteht aller Voraussicht nach über die vorhandenen Bewertungsspielräume hinaus kein weitergehender Anspruch auf einen Notenschutz.
a. Dabei ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die für die Klausuren/Abiturprüfung in der Oberstufe geltenden Grundsätze der Leistungsfeststellung und Leistungsbewertung in Ausfüllung der KMK-Vorgabe “Vereinbarung der Gestaltung der gymnasialen Oberstufe in der Sekundarstufe II“ (KMK-Sek II, v. 13.12.1973 idFv. 6.6.2013) keine starren Festlegungen enthalten. So heißt es in den ergänzenden Bestimmungen zur Verordnung über die gymnasiale Oberstufe (v. 17.2.2005 idFv. 4.2.2014, SVBl. 2005,177, 2014,116, EB-VO-GO, dort Nr. 10.13):
„Schwerwiegende und gehäufte Verstöße gegen die sprachliche Richtigkeit in der deutschen Sprache oder gegen die äußere Form in einer Klausur nach Nrn. 10.8 und 10.9 oder einer Facharbeit oder einer gleichwertigen schriftlichen Feststellung im Seminarfach nach Nrn. 10.10 und 10.11 führen zu einem Abzug von einem Punkt oder zwei Punkten bei der einfachen Wertung; als Richtwerte gelten die Angaben in Nr. 9.11 EB-AVO-GOBAK entsprechend.“
Nr. 9.11 EB-AVO-GOBAK (Ergänzende Bestimmungen zur Verordnung über die Abschlüsse in der gymnasialen Oberstufe, im Fachgymnasium, im Abendgymnasium und im Kolleg, RdErl. d. MK v. 19.5.2005 idFv. 4.2.2014, SVBl. 2005, 361, 2014, 116, EB-AVO-GOFAK, dort Nr. 9.11) wiederum regelt:
"… schwerwiegende und gehäufte Verstöße gegen die sprachliche Richtigkeit in der deutschen Sprache oder gegen die äußere Form führen zu einem Abzug von einem Punkt oder zwei Punkten bei der einfachen Wertung. Als Richtwerte sollten gelten: Abzug eines Punktes bei durchschnittlich fünf Fehlern …; Abzug von zwei Punkten bei durchschnittlich sieben und mehr Fehlern …. Bei der Entscheidung über einen Punktabzug ist ein nur quantifizierendes Verfahren nicht sachgerecht. Vielmehr sind Zahl und Art der Verstöße zu gewichten und in Relation zu Wort, Zahl, Wortschatz und Satzbau zu setzen. Wiederholungsfehler werden in der Regel nur einmal gewertet. …."
Diese Vorgaben ermöglichen in gewissem Umfang eine differenzierende Bewertung der schriftlichen Arbeiten. Danach liegt, da laut Erlass eine "allein quantifizierende Beurteilung" gerade nicht als sachgerecht angesehen wird, die Entscheidung über einen Punktabzug im pädagogischen Verantwortungsbereich der wertenden Lehrkraft. Durch die offene Formulierung in Nr. 9.11 EB-AVO-GOFAK kann einerseits dem Interesse der Antragstellerin an einer Berücksichtigung der durch ihre Behinderung vorgegebenen Einschränkungen, andererseits der Verpflichtung, nicht behinderte Schüler gegenüber behinderten nicht ihrerseits zu benachteiligen, in zureichendem Maße einzelfallbezogen entsprochen werden. Allein eine derartige Einzelfallbetrachtung dürfte geboten sein, da es zum einen innerhalb des Erscheinungsbildes der Legasthenie - bzw. hier der isolierten Rechtschreibstörung - Unterschiede geben dürfte und zum anderen auch die Übergänge zwischen Vorliegen und Nichtvorliegen der Störung fließend sein dürften (ebenso Sen., Beschl. v. 20.9.2012 - 2 LA 234/11 -, v. 25.3.2011 - 2 ME 52/11 -, jeweils n.v.).
b. Ein weitergehender Anspruch auf Notenschutz (sei es auch ggfs. in Verbindung mit einem entsprechenden Zusatz/einer entsprechenden Einschränkung im Zeugnis, vgl. z. B. Cremer/Kolok, aaO., S. 337; Langenfeld, aaO., S. 226, Marwege, aaO., S. 183) lässt sich dagegen voraussichtlich weder aus dem Grundgesetz noch aus dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Behindertenrechtskonvention) ableiten.
Zu Art. 3 GG hat der Senat u.a. ausgeführt:
"Ein derartiges Begehren (Anm.: auf Notenschutz) ist nicht mehr mit der durch den prüfungsrechtlichen Grundsatz der Chancengleichheit allein gebotenen Schaffung von gleichen Ausgangsbedingungen für den legasthenen Schüler und seine nicht behinderten Mitschüler vereinbar. Es ist vielmehr auf eine Bevorzugung des von Legasthenie betroffenen Schülers gerichtet, indem diesem gegenüber auf bestimmte Leistungsanforderungen verzichtet werden soll, die den Mitschülern - unabhängig von ihrer intellektuellen Begabung - abverlangt werden (Langenfeld, a.a.O., S. 223). Hierzu gehören namentlich auch Rechtschreibkenntnisse, die in mehreren Fächern in die Bewertung von Prüfungsarbeiten einfließen können … Eine Kompensation der durch die Legasthenie bedingten Benachteiligung durch die Absenkung … von den geltenden Prüfungsanforderungen lässt sich dem geltenden Recht und insbesondere auch nicht dem Grundsatz der Chancengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 GG entnehmen. Diesbezüglich kann sich der Antragsteller auch nicht auf das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG berufen. Denn aus dem Benachteiligungsverbot wegen Behinderung des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG kann ein unmittelbarer Leistungsanspruch nicht hergeleitet werden, da es sich um ein grundrechtliches Abwehrrecht handelt, dessen Aktualisierung dem Gesetzgeber obliegt (Nordrhein-Westfälisches OVG, Beschluss vom 16. November 2007, - 6 A 2171/05 -, NVwZ-RR 2008, 271-272 [OVG Nordrhein-Westfalen 16.11.2007 - 6 A 2171/05]; Senat, Beschluss vom 11. September 1998, - 2 L 2640/98 -, ZBR 1999, 241 mit weiteren Nachweisen)." (Sen., Beschl. v.10.7.2008 - 2 ME 309/08 -, juris).
und hieran weiter festgehalten (Sen., Beschl. v. 26.6.2014 - 2 LA 233/13, v. 20.9.2012 - 2 LA 234/11 -, v. 25.3.2011 - 2 ME 52/11 -, jeweils n.v.). Dies steht in Übereinstimmung mit der überwiegenden Rechtsprechung und Teilen der Literatur (vgl. z.B. Bay. VGH, Beschl. v. 28.5.2014 - 7 B 14/22 -, juris, wonach jedenfalls bei schulischen Abschlusszeugnissen der parlamentarische Gesetzgeber über Maßnahmen des Notenschutzes zu entscheiden habe; OVG Sachs.- Anhalt, Beschl. v. 10.2.2014 - 3 M 358/13 -, NVwZ-RR 2014, 560, juris, Hess. VGH, Beschl. v. 5.2.2010 - 7 A 2406/09 -, NVwZ-RR 2010, 767, jeweils mwN.; Brockmann/Schippmann/Littmann, aaO., § 34 Rnr. 3.5.4, § 59 Rnr. 7.1.1; wohl auch Beaucamp, aaO., aA.: Langenfeld, aaO., Marwege, aaO., Esterhaus, aaO.). Soweit die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren erneut auf Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG verweist, trifft es zwar zu, dass aufgrund der dortigen speziellen Regelung eine Bevorzugung von Behinderten gegenüber Nichtbehinderten mit dem Ziel der Angleichung der Verhältnisse erlaubt ist. Die insoweit über das Benachteiligungsverbot hinausgehende Aussage begründet aber für sich keine verfassungsunmittelbaren Ansprüche, sondern eröffnet dem Normgeber Handlungsmöglichkeiten (BVerwG, Beschl. v. 14.8.1997 - 6 B 34.97 -, NVwZ-RR 1999, 390 [OVG Niedersachsen 11.09.1998 - 2 L 2640/98], juris; Hess. VGH, Beschl. v. 5.2.2010 - 7 A 2406/09 -, NVwZ-RR 2010, 767, juris; VG Braunschweig, Beschl. v. 16.4.2013 - 6 A 204/12 -, juris, Maunz-Dürig-Herzog, GG, Stand: Juli 2014, Art. 3 Abs. 3 GG Rnr. 174, Cremer/Kolok, aaO., S. 338).
Gleiches gilt, soweit ein Anspruch auf Notenschutz allein (Cremer/Kolok, aaO., S. 339) oder ergänzend (Marwege, aaO., S. 177) aus den Art. 1, 2, 12 GG abgeleitet wird; denn auch insoweit ginge der Notenschutz mit der Verletzung des Rechts auf Chancengleichheit der nichtbetroffenen Schüler einher.
Der Verweis der Antragstellerin auf die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes Sachsen (Beschl. v. 22.5.2014 - Vf.20-IV-14 u.a. -, NVwZ-RR 2014, 789, juris) verhilft ihrem Begehren schon deswegen nicht zum Erfolg, weil es in jenem Verfahren nicht um Notenschutz, sondern (nur) um einen Nachteilsausgleich (Verlängerung der Oberstufe auf 4 Jahre für einen Schüler mit dem Asperger Syndrom) ging.
Das Begehren der Antragstellerin lässt sich auch nicht auf das Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, dem der Bundestag mit Vertragsgesetz vom 21. Dezember 2008 (BGBl. 2008 II 1419) zugestimmt hat und das in Deutschland am 26. März 2009 in Kraft trat (vgl. hierzu Hess. VGH, Urt. v. 12.11.2009 - 7 B 2763/09 -, juris), stützen, weil darin zwar eine gleichberechtigte Behandlung Behinderter mit Nichtbehinderten, nicht aber eine Bevorzugung von Behinderten gefordert wird (vgl. Sen. Beschl. v. 26.6.2014 - 2 LA 233/13 -, v. 25.3.2011 - 2 ME 52/11).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).