Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 13.12.2001, Az.: 8 L 4694/99

Beitrag; Gleichheitssatz; Gutachter; nicht praktizierendes Kammermitglied; praktizierender Arzt; vorteilsbezogene Beitragsbemessung; Ärztekammer; Ärztekammerbeitrag

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
13.12.2001
Aktenzeichen
8 L 4694/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 40466
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 23.08.1999 - AZ: 5 A 5509/96

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die Beitragsordnung der Ärztekammer Niedersachsen vom 24. Oktober 1981 in der Fassung vom 30. November 1996 verstößt gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, soweit sie die gutachterlich im öffentlichen Dienst tätigen und nicht mit der Heilbehandlung und der Bekämpfung von Krankheiten befassten Kammermitglieder bei gleichem Einkommen mit gleich hohen Kammerbeiträgen wie die praktizierenden Ärzte belastet.

2. Den Ärzten, die mit der Heilbehandlung und der Bekämpfung von Krankheiten praktisch befasst sind, erwächst aus dem Wirken der Beklagten ein wesentlich größerer Nutzen als den nicht praktizierenden Kammermitgliedern, zu denen auch die als Gutachter im öffentlichen Dienst tätigen Mediziner gehören.

Tatbestand:

1

Der Kläger wendet sich gegen die Festsetzung des Ärztekammerbeitrags für 1996.

2

Der Kläger ist approbierter Arzt und Mitglied der beklagten Ärztekammer. Er arbeitet beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Niedersachsen als Gutachter und bezog 1994 von seinem Arbeitgeber ein Gehalt von 103.230,-- DM.

3

Die Beklagte setzte den vom Kläger für 1996 zu entrichtenden Ärztekammerbeitrag durch Bescheid vom 8. Mai 1996 auf 585,-- DM fest. Zur Beitragshöhe erklärte sie, dass der Kläger der Beitragsgruppe 10 zuzurechnen sei, weil die Einkünfte, die er 1994 beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Niedersachsen erzielt habe, in vollem Umfang berücksichtigt werden müssten. Dass der Kläger kein praktisch tätiger Arzt sei, ändere daran nichts. Die Veranlagung der bei Behörden beschäftigten und der praktisch tätigen Ärzte zu gleich hohen Kammerbeiträgen bei gleichem Einkommen verstoße weder gegen den Gleichheitsgrundsatz noch das Äquivalenzprinzip, weil die Mitglieder dieser Gruppen zwar anders gelagerte, aber im Ergebnis identische Vorteile aus der Kammertätigkeit zögen.

4

Mit einem nicht unterzeichneten Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten erhob der Kläger am 7. Juni 1996 Widerspruch, zu dessen Begründung er einwandte, dass der Beitragsbescheid rechtswidrig sei, weil die vollständige Berücksichtigung seiner Einkünfte gegen das Äquivalenzprinzip und den Gleichheitsgrundsatz verstoße. Dem Kammergesetz für die Heilberufe sei zu entnehmen, dass die Arbeit der Beklagten im besonderen Maße auf die Belange der praktizierenden Ärzte ausgerichtet sei. Das ergebe sich auch daraus, dass es 1995 243.700 niedergelassene und in Krankenhäusern tätige Ärzte, aber nur 10.700 Ärzte bei Behörden gegeben habe. Daher zögen die Ärzte, die -- wie er -- für Behörden oder öffentlich-rechtliche Körperschaften arbeiteten, einen erheblich geringeren Nutzen aus der Kammertätigkeit als die praktisch tätigen Ärzte. Ihr Nutzen sei mit dem vergleichbar, den Hochschullehrer von der Kammertätigkeit hätten. Daher müsse er in die Beitragsgruppe 4 (234,-- DM) eingestuft werden.

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Die Beklagte wies diesen Widerspruch durch Bescheid vom 10. September 1996, zugestellt am 12. September 1996, unter Bezugnahme auf die Begründung des angefochtenen Bescheides zurück. Ergänzend führte sie aus, dass der Kläger auch aus ihrer Schlichtungstätigkeit Nutzen ziehe, die sich seit dem 1. Juli 1996 auf alle Streitigkeiten zwischen den Kammermitgliedern und Dritten erstrecke, die aus der Berufsausübung entstanden seien. Einen Vorteil habe der Kläger auch aus ihrer Aufgabe, auf eine ausreichende ärztliche Versorgung der Bevölkerung hinzuwirken.

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Daraufhin hat der Kläger am 14. Oktober 1996, einem Montag, Klage erhoben und vorgetragen, dass der angefochtene Beitragsbescheid sowohl das Äquivalenzprinzip als auch den Gleichheitsgrundsatz verletze. Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Januar 1993 (1 C 33.89) sei es nicht zulässig, die Kammermitglieder, die nicht mit der Heilbehandlung und der Bekämpfung von Krankheiten befasst seien, zu gleich hohen Kammerbeiträgen wie die niedergelassenen und in Krankenhäusern tätigen Ärzte heranzuziehen. Bei den nur theoretisch arbeitenden Medizinern sei das berufliche Einkommen nicht in vergleichbarem Maße Indikator für die Vorteile aus der Kammertätigkeit wie bei den in der Heilbehandlung und der Bekämpfung von Krankheiten tätigen Ärzten. Die Aufgabe der Ärztekammern, im öffentlichen Interesse die gemeinsamen beruflichen Belange der Mitglieder wahrzunehmen und zu fördern, sei überwiegend auf praktizierende Ärzte ausgerichtet. Den Kammermitgliedern, die nicht mit der Heilbehandlung und der Bekämpfung von Krankheiten praktisch befasst seien, werde daher keine vergleichbare, auf ihre Tätigkeit ausgerichtete Wahrnehmung und Förderung beruflicher Belange zuteil. Er gehöre zu dieser Gruppe von Kammermitgliedern, weil er beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Niedersachsen eine reine Gutachtertätigkeit im Rahmen der Kranken- und Pflegeversicherung ausübe. Die Untersuchungen, die er durchführe, dienten weder der Diagnose noch der Bekämpfung von Krankheiten, sondern der Feststellung der Arbeitsfähigkeit oder des Grades der Pflegebedürftigkeit. Er ziehe auch aus der Aufgabe der Beklagten, auf eine ausreichende ärztliche Versorgung der Bevölkerung hinzuwirken, keinen Nutzen, weil der Erwerb der Zusatzbezeichnung "Sozialmedizin" keine Voraussetzung für die Gutachtertätigkeit beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Niedersachsen sei und weil diese Zusatzbezeichnung auch von praktizierenden Ärzten erworben werde. Aus der Schlichtungstätigkeit der Beklagten erwüchsen den bei Behörden tätigen Ärzten ebenfalls keine beachtlichen Vorteile, weil es nicht Aufgabe der Beklagten sei, den Versicherten Schutz zu gewähren, denen die Sozialversicherungsträger aufgrund von Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Niedersachsen Leistungen versagten. Anders stelle sich die Situation für frei praktizierende Ärzte dar, die den Schutz eines Arbeitgebers nicht in Anspruch nehmen könnten und daher auch insoweit einen Nutzen aus der Kammermitgliedschaft ziehen könnten. Im übrigen habe das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht durch Urteil vom 6. September 1996 (8 L 728/95) festgestellt, dass das Einkommen der allein organisatorisch und administrativ tätigen Mediziner nicht in vergleichbarem Maße wie bei den mit der Heilbehandlung und der Bekämpfung von Krankheiten befassten Ärzten Indikator für die Vorteile aus der Kammertätigkeit sei.

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Der Kläger hat beantragt,

8

den Bescheid der Beklagten vom 8. Mai 1996 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 10. September 1996 aufzuheben.

9

Die Beklagte hat beantragt,

10

die Klage abzuweisen,

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auf die Begründung ihrer Bescheide verwiesen und ergänzend vorgetragen, dass dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Januar 1993 (1 C 33.89) nicht entnommen werden könne, dass die Vorteile, die die mit der Heilbehandlung und der Bekämpfung von Krankheiten praktisch befassten Ärzte und die nicht praktizierenden Ärzte aus der Kammertätigkeit zögen, im Ergebnis nicht identisch seien. Das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 6. September 1996 (8 L 728/95) sei auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar, weil es nur die mit organisatorischen und administrativen Aufgaben betrauten Ärzte betreffe. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass angesichts der Einsparmaßnahmen im sozialen Bereich die Tendenz bei den Patienten zunehme, sich an sie -- die Beklagte -- zu wenden, wenn Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Niedersachsen für sie negativ ausfielen. Die zahlreichen Anträge der beim Medizinischen Dienst tätigen Ärzte auf Anerkennung der Zusatzbezeichnung "Sozialmedizin" belegten zudem, dass der Erwerb dieser Bezeichnung auch von ihnen im Interesse der Qualitätssicherung ärztlichen Handelns als wünschenswert angesehen werde. Deshalb sei sie zur Zeit darum bemüht, den Weiterbildungsgang "Sozialmedizin" den Bedingungen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Niedersachsen stärker anzupassen.

12

Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 23. August 1999 mit der Begründung abgewiesen, dass der angefochtene Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides rechtmäßig sei. Nach § 8 Abs. 1 des Kammergesetzes für die Heilberufe erhöben die Kammern aufgrund einer Beitragsordnung von ihren Mitgliedern Beiträge. Da diese Beiträge der Abgeltung eines besonderen Vorteils, nämlich des sich aus der Mitgliedschaft ergebenden Nutzens, dienten, sei es erforderlich, sie entsprechend zu bemessen. Dabei sei insbesondere der Gleichheitssatz und das Äquivalenzprinzip zu beachten. Der angefochtene Bescheid stehe mit diesen Grundsätzen im Einklang. Die Beitragsordnung der Beklagten enthalte 31 Beitragsgruppen. Die Einordnung in diese Beitragsgruppen erfolge anhand der Höhe der Einkünfte aus ärztlicher Tätigkeit. Die Beitragsordnung sehe außerdem vor, dass einige Berufsgruppen, zu denen der Kläger nicht gehöre, lediglich 80% des üblichen Beitrags entrichten müssen. Diese Beitragsbemessung sei mit dem Gleichheitssatz vereinbar. Dem Normgeber, dem ein erheblicher Gestaltungsspielraum zustehe, sei es nicht verwehrt, generalisierende und typisierende Regelungen unter Vernachlässigung der Besonderheiten von Einzelfällen zu treffen. Eine gewisse ungleiche Belastung der Beitragsschuldner sei unvermeidbar und hinzunehmen. Die Bemessung der Beiträge verstoße auch nicht gegen das Äquivalenzprinzip. Die Beklagte biete ihre Leistungen allen Mitgliedern gleichermaßen an. Den Beitragszahlungen stehe daher ein gleichwertiges Leistungsangebot gegenüber. Der Einwand des Klägers, dass die Ärzte des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Niedersachsen dieses Leistungsangebot nicht in gleicher Weise wie andere wahrnehmen könnten, überzeuge nicht. Entscheidend sei nicht, ob einzelne Mitglieder die Vorteile in Anspruch nähmen, sondern ob der Beitragszahlung ein gleichwertiges Leistungsangebot gegenüberstehe. Die vom Kläger angeführten Urteile des Bundesverwaltungsgerichts und des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts stünden dem nicht entgegen. Der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts lasse sich nicht entnehmen, dass das Gestaltungsermessen des Normgebers in einem Fall wie diesem reduziert sei und eine Beitragsminderung zwingend erfolgen müsse. Das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts sei nicht einschlägig.

13

Gegen dieses Urteil des Verwaltungsgerichts richtet sich die Berufung des Klägers, die der Senat durch Beschluss vom 9. Dezember 1999 wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung zugelassen hat.

14

Der Kläger begründet die Berufung wie folgt: Die Bemessung der Kammerbeiträge durch die Beklagte verletze den Gleichheitssatz und das Äquivalenzprinzip. Die Beitragsordnung der Beklagten sehe eine einkommensabhängige Bemessung der Kammerbeiträge vor und enthalte lediglich für wissenschaftlich tätige Grundlagenmediziner eine Sonderregelung. Sie lasse damit die beitragsrechtlich relevanten Unterschiede zwischen den praktizierenden Ärzten und den Ärzten, die wie er als Gutachter in einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft tätig seien, unberücksichtigt. Die Aufgaben der Beklagten konzentrierten sich vorrangig auf die praktizierenden Ärzte. Das ergebe sich nicht nur aus dem Aufgabenkatalog in § 9 des Heilkammergesetzes, sondern auch aus dem Umstand, dass die praktizierenden Ärzte nahezu 90% der Mitglieder der Beklagten stellten. Deshalb zögen die bei einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft angestellten, gutachterlich tätigen Ärzte aus der Tätigkeit der Beklagten deutlich geringere Vorteile. Diesen Umstand hätte die Beklagte bei der Beitragsbemessung berücksichtigen müssen. Die besondere Stellung der Ärzte beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Niedersachsen im Verhältnis zu den praktizierenden Ärzten ergebe sich im übrigen auch daraus, dass sie im Bundesausschuss Ärzte-Krankenkassen zur Prüfung neuer Behandlungsmethoden und bei der Qualitätssicherung der ärztlichen Versorgung als Vertreter der Krankenkassen und nicht der Ärzteschaft mitwirkten. Die Ärzte des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Niedersachsen erstellten überdies im Auftrag der Krankenkassen Gutachten zu Behandlungsfehlern praktizierender Ärzte und träten damit in Konkurrenz zu den Schlichtungsstellen. Das verdeutliche ebenfalls ihre Sonderstellung unter den Mitgliedern der Beklagten.

15

Der Kläger beantragt,

16

das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover -- 5. Kammer (Einzelrichter) -- vom 23. August 1999 zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 8. Mai 1996 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 10. September 1996 aufzuheben,

17

sowie die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

18

Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen,

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und erwidert: Der Umstand, dass sie bezüglich der praktizierenden Ärzte und der als Gutachter in öffentlich-rechtlichen Körperschaften tätigen Ärzte unterschiedliche Überwachungsfunktionen habe, begründe keine beitragsrechtlich relevanten Unterschiede. Die Ausführungen des Klägers zu der besonderen Stellung der Ärzte beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Niedersachsen seien auch nicht relevant. Sein Hinweis auf die Konkurrenz der Ärzte beim Medizinischen Dienst zu den Schlichtungsstellen stütze im übrigen die von ihr vertretene Auffassung, dass sich die Tätigkeit als Gutachter beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Niedersachsen nicht von der Gutachtertätigkeit der praktizierenden Ärzte unterscheide.

21

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Beiakte A) verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

22

Die Berufung des Klägers ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat seine Klage gegen den Beitragsbescheid der Beklagten vom 8. Mai 1996 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 10. September 1996 zu Unrecht abgewiesen.

23

Die Klage ist zulässig und begründet.

24

Der Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, dass das Schreiben vom 7. Juni 1996, mit dem die Prozessbevollmächtigten des Klägers in dessen Namen Widerspruch gegen den Beitragsbescheid der Beklagten erhoben haben, keine Unterschrift trägt. Der Widerspruch ist gleichwohl wirksam eingelegt worden, so dass der Beitragsbescheid keine Bestandskraft erlangt hat. Nach § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Widerspruch schriftlich oder zur Niederschrift bei der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, zu erheben. Die Schriftform ist grundsätzlich nur dann gewahrt, wenn das Widerspruchsschreiben vom Kläger oder seinem Prozessbevollmächtigten handschriftlich unterschrieben ist (BVerwG, Urt. v. 18.12.1992 -- 7 C 16.92 --; Beschl. v. 26.6.1980 -- 7 B 160.79 -- Buchholz 310 § 81 VwGO Nr. 8; Kopp/Schenke, VwGO, Komm., 12. Aufl., § 70 Rn. 2, § 81 Rn. 5). Eine Ausnahme gilt lediglich dann, wenn sich aus dem Schriftsatz allein oder in Verbindung mit den beigefügten Unterlagen die Urheberschaft und der Wille, das Schreiben in den Rechtsverkehr zu bringen, hinreichend sicher ergeben, ohne dass darüber Beweis erhoben werden müsste (BVerwG, Urt. v. 18.12.1992, a.a.O.; Beschl. v. 26.6.1980, a.a.O., Kopp/Schenke, § 70 Rn. 2 m. w. Nachw.). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Die Prozessbevollmächtigten des Klägers haben das Widerspruchsschreiben der Beklagten innerhalb der Widerspruchsfrist per Telefax und auf dem Postweg übermittelt. Das Widerspruchsschreiben, das die Beklagte per Telefax erreicht hat, trägt einen Übersendungsvermerk. Dieser belegt, dass das Widerspruchsschreiben von den Prozessbevollmächtigten des Klägers stammt. Der Wille, dieses Schreiben in den Verkehr zu bringen, lässt sich auch hinreichend sicher feststellen. Zum einen haben die Prozessbevollmächtigten des Klägers dem Widerspruchsschreiben eine vom Kläger persönlich unterschriebene Vollmacht beigefügt. Zum anderen ist das Widerspruchsschreiben der Beklagten zweimal übermittelt worden. Daraus ergibt sich mit hinreichender Verlässlichkeit, dass das Widerspruchsschreiben mit dem Willen der Prozessbevollmächtigten des Klägers der Beklagten zugegangen ist.

25

Der demnach wirksame Widerspruch ist auch nicht als Teilwiderspruch anzusehen. Der Kläger hat in seinem Widerspruchsschreiben zwar ausgeführt, dass er in die Beitragsgruppe 4 (234,-- DM) eingestuft werden müsse. Darin liegt jedoch keine Beschränkung seines Widerspruchs, weil der Kläger zugleich mehrfach erklärt hat, dass der Bescheid wegen Verstoßes gegen das Äquivalenzprinzip und den Gleichheitssatz rechtswidrig und daher aufzuheben sei. Dem Widerspruch ist daher nicht zu entnehmen, dass er sich nur gegen einen Teil des Beitragsbescheides der Beklagten richtet.

26

Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 8. Mai 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. September 1996 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, weil die Beitragsordnung der Beklagten -- BO -- vom 24. Oktober 1981 in der für das Beitragsjahr 1996 maßgeblichen Fassung vom 30. November 1996 keine wirksame Rechtsgrundlage für die Heranziehung des Klägers zu einem Ärztekammerbeitrag darstellt.

27

Die gerichtliche Überprüfung einer Beitragsordnung berufsständischer Kammern ist darauf beschränkt, ob der Satzungsgeber die äußersten Grenzen seines Gestaltungsspielraums verlassen hat (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.7.1989 -- 1 B 109/99 -- NJW 1990 S. 786; Senatsurt. v. 29.11.1993 -- 8 L 11/90 -- OVGE 44, 394). Das ist der Fall, wenn er bei der Bemessung der Mitgliedsbeiträge, die der Abgeltung eines besonderen Vorteils, nämlich des sich aus der Mitgliedschaft ergebenden Nutzens, dienen, gegen das Äquivalenzprinzip oder den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen hat (BVerwG, Urt. v. 25.11.1971 -- I C 48.65 -- BVerwGE 39, 100, 107 f.; BVerwG, Urt. v. 26.6.1990 -- 1 C 45.87 -- Buchholz 430.3, Kammerbeiträge Nr. 22; BVerwG, Urt. v. 26.1.1993 -- 1 C 33/89 -- BVerwGE 92, 24 m.w.N.; BVerwG, Beschl. v. 25.7.1989 -- 1 B 110.89 --; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 26.6.1998 -- 2 S 1605/97 --; Senatsurt. v. 6.9.1996 -- 8 L 728/95 --; Senatsurt. v. 29.11.1993, a.a.O.). Die Beitragsbemessung, die die Beitragsordnung der Beklagten hinsichtlich der Berufsgruppe des Klägers vorsieht, wird den Anforderungen des Gleichheitssatzes nicht gerecht.

28

Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verbietet, wesentlich Gleiches ohne einen hinreichenden sachlichen Grund ungleich oder wesentlich Ungleiches willkürlich gleich zu behandeln. Das bedeutet für eine vorteilsbezogene Beitragsbemessung, dass die Beiträge bei wesentlichen Unterschieden hinsichtlich des Nutzens der Kammertätigkeit nicht gleich, sondern diesen Unterschieden entsprechend zu bemessen sind. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, das der für die Beitragsbemessung maßgebende Nutzen nicht in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteil, der sich bei dem einzelnen Mitglied messbar niederschlägt, bestehen muss (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.1.1993, a.a.O.).

29

Die Beitragsordnung der Beklagten, die die Kammerversammlung gemäß § 7 Abs. 1 des Kammergesetzes für die Heilberufe -- HKG a. F. -- in der Bekanntmachung der Neufassung vom 30. Mai 1980 (Nieders. GVBl. S. 193) beschlossen hat, entspricht diesen Maßgaben des Art. 3 Abs. 1 GG für die hier relevante Berufsgruppe nicht.

30

Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 BO erfolgt die Veranlagung zu Kammerbeiträgen nach Beitragsgruppen, für die die Beitragsordnung unterschiedlich hohe Messbeträge festsetzt. Die Einordnung in die Beitragsgruppen richtet sich nach § 2 Abs. 1 Satz 1 BO vorbehaltlich der hier nicht einschlägigen Absätze 2 und 3 nach den Einkünften aus ärztlicher Tätigkeit, die die Kammerangehörigen im vorletzten Jahr vor dem Beitragsjahr erzielt haben. Damit werden alle Kammerangehörigen, die aufgrund ihrer Einkommen aus ärztlicher Tätigkeit derselben Beitragsgruppe angehören, zu gleich hohen Kammerbeiträgen veranlagt. Eine Ausnahme davon sieht die Beitragsordnung nur für die Kammerangehörigen vor, die an wissenschaftlichen Hochschulen nur in theoretischen Fächern lehren und reine Grundlagenforschung betreiben; diese Personen haben nach § 2 Abs. 4 BO nur 80% des normalen Beitrags zu zahlen.

31

Dieser Beitragsmaßstab begegnet keinen rechtlichen Bedenken, soweit er auf das Einkommen der Kammermitglieder abstellt, weil bei der gebotenen typisierenden Betrachtung die Annahme gerechtfertigt ist, dass mit der Höhe der ärztlichen Einkünfte regelmäßig auch der materielle und immaterielle Nutzen aus der Existenz und dem Wirken der Beklagten zunimmt (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.1.1993, a.a.O.; BVerwG, Beschl. v. 25.7.1989, a.a.O.; Senatsurt. v. 29.11.1993, a.a.O.; Senatsurt. v. 6.9.1996, a.a.O.; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 26.6.1998, a.a.O.).

32

Es ist mit einer vorteilsbezogenen Beitragsbemessung jedoch nicht zu vereinbaren, alle von § 2 Abs. 4 BO nicht erfassten Kammermitglieder, die aufgrund ihrer Einkünfte aus ärztlicher Tätigkeit derselben Beitragsgruppe angehören, zu gleich hohen Kammerbeiträgen zu veranlagen. Den Ärzten, die mit der Heilbehandlung und der Behandlung und Bekämpfung von Krankheiten praktisch befasst sind, erwächst nämlich ein wesentlich größerer Nutzen aus dem Wirken der Beklagten als den nicht praktizierenden Kammermitgliedern, zu denen auch die als Gutachter in öffentlich-rechtlichen Körperschaften tätigen Mediziner gehören.

33

Der Senat hat bereits festgestellt, dass die Aufgabe der Beklagten sich vorrangig auf die Belange der mit der Heilbehandlung und der Bekämpfung von Krankheiten praktisch befassten Ärzte -- seien sie freiberuflich tätig oder abhängig beschäftigt -- konzentriert (Senatsurt. v. 6.9.1996 u. v. 29.11.1993, a.a.O.). Die Aufgabe der Beklagten besteht im Wesentlichen darin, die gemeinsamen beruflichen Belange der Gesamtheit der Kammermitglieder zu wahren (vgl. § 10 Abs. 1 Nr. 1 HKG a. F. und § 9 Abs. 1 Nr. 1 des am 30. Juni 1996 in Kraft getretenen Kammergesetzes für die Heilberufe -- HKG n. F. -- vom 19. Juni 1996 (Nieders. GVBl. S. 259)). Diese Aufgabe ist vorwiegend auf praktizierende Ärzte ausgerichtet (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.1.1993, a.a.O.; Senatsurt. v. 29.11.1993, a.a.O.). Dementsprechend ist die Arbeit der Beklagten im besonderen Maße auf deren Belange zugeschnitten, zumal die Mitglieder der Beklagten ganz überwiegend mit der Heilbehandlung und der Bekämpfung von Krankheiten praktisch befasste Ärzte sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.1.1993, a.a.O.). Die Beklagte hat in früheren Verfahren auch eingeräumt, dass mit Rücksicht auf die Zahlenverhältnisse ihrer Mitglieder der Schwerpunkt ihrer Kammertätigkeit auf die praktisch tätigen Ärzte ausgerichtet ist (vgl. Senatsurt. v. 6.9.1996, a.a.O.). Dieser Umstand schließt es zwar nicht aus, dass sich das Wirken der Beklagten auch für die Mitglieder vorteilhaft auswirkt, die sich nicht mit der Behandlung und Bekämpfung von Krankheiten und der Linderung von Leiden praktisch befassen (Senatsurt. v. 6.9.1996 u. v. 29.11.1993, a.a.O.). Dieser Nutzen ist jedoch wesentlich geringer als derjenige der praktisch tätigen Ärzte (Senatsurt. v. 6.9.1996 u. v. 29.11.1993, a.a.O.). Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 26. Januar 1993 (a.a.O.) ausdrücklich festgestellt, dass den Kammermitgliedern, die nicht mit der Heilbehandlung und Bekämpfung von Krankheiten praktisch befasst sind, schon mit Rücksicht auf die Aufgabe der Ärztekammer keine auf ihre Tätigkeit ausgerichtete Wahrnehmung und Förderung beruflicher Belange zuteil wird, die mit der Interessenwahrnehmung für die praktizierenden Ärzte vergleichbar wäre. Ausgehend davon hat der Senat bereits durch Urteil vom 6. September 1996 (a.a.O.) entschieden, dass die Beklagte in § 2 BO bei der Formulierung der Vorteilsbezogenheit des Beitragsmaßstabs gleichsam "übertypisiert" hat, indem sie für Mitglieder, die zwar eine ärztliche Tätigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 BO ausüben, aber dauerhaft nicht als praktizierende Ärzte arbeiten, keine eigene Beitragsgruppe gebildet hat.

34

An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest, zumal die Kammermitglieder, die nicht in der Heilbehandlung und der Bekämpfung von Krankheiten praktisch tätig sind, auch aus den weiteren Aufgaben, die der Beklagten obliegen, einen insgesamt wesentlich geringeren Nutzen als die praktizierenden Ärzte ziehen.

35

So bietet die Schlichtungstätigkeit der Beklagten bei Streitigkeiten zwischen Kammermitgliedern und Patienten aus dem Behandlungsverhältnis (§ 10 Abs. 1 Nr. 8 HKG a. F.) den nicht praktizierenden Ärzten, zu denen die als Gutachter beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Niedersachsen tätigen Mediziner gehören, keinen Vorteil. Entsprechendes gilt für die Aufgabe der Beklagten, Schlichtungsstellen für die Prüfung von Behandlungsfehlern einzurichten (§ 9 Abs. 1 Nr. 4 HKG n. F.). Den nicht praktizierenden Ärzten erwächst auch aus der der Beklagten seit dem 30. Juni 1996 nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 HKG n. F. obliegenden Aufgabe, bei Streitigkeiten zwischen Kammermitgliedern und Dritten, die aus der Berufsausübung entstanden sind, zu schlichten, ein geringerer Nutzen als den mit der Heilbehandlung und der Bekämpfung von Krankheiten praktisch befassten Ärzten; auch diese Tätigkeit betrifft vornehmlich Streitigkeiten im Zusammenhang mit der ärztlichen Behandlung von Patienten. Schließlich kommt auch die Erfüllung der Aufgabe, auf eine ausreichende ärztliche Versorgung der Bevölkerung hinzuwirken (§ 10 Abs. 1 Nr. 7 HKG a. F., § 9 Abs. 1 Nr. 7 HKG n. F.), in erster Linie den Kammermitgliedern zugute, die mit der Heilbehandlung und der Bekämpfung von Krankheiten praktisch befasst sind.

36

Eine Gesamtschau ergibt daher, dass der den nicht praktizierenden Kammermitgliedern zuteil werdende Nutzen aus der Tätigkeit der Beklagten wesentlich geringer ist als derjenige der mit der Heilbehandlung und der Bekämpfung von Krankheiten praktisch befassten Ärzte. Dieser Unterschied ist so gewichtig, dass er bei der Beitragsbemessung zu berücksichtigen ist und nicht mehr mit dem Hinweis auf die grundsätzlich zulässige Typisierung und Pauschalierung außer Acht gelassen werden darf.

37

Die Beitragsordnung der Beklagten verstößt folglich gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, soweit sie die als Gutachter im öffentlichen Dienst tätigen Kammermitglieder bei gleichem Einkommen mit gleich hohen Kammerbeiträgen wie die mit der Heilbehandlung und der Bekämpfung von Krankheiten praktisch befassten Ärzte belastet. Damit stellt sie keine wirksame Rechtsgrundlage für die Heranziehung des Klägers zu einem Kammerbeitrag für 1996 dar. Der angefochtene Beitragsbescheid ist daher in vollem Umfang aufzuheben. Die Beitragsfestsetzung kann nicht bis zu der rechtlich zulässigen Grenze aufrechterhalten bleiben, weil es der Beklagten überlassen bleiben muss, innerhalb des ihr zustehenden Gestaltungsspielraums die Beiträge der Gruppe von Ärzten, zu denen der Kläger gehört, unter Beachtung des Gleichheitssatzes satzungsmäßig festzulegen (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.1.1993, a.a.O.; Senatsurt. v. 29.11.1993 u. v. 6.9.1996, a.a.O.).

38

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren auf § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO.

39

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.