Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 17.12.2001, Az.: 4 MA 3989/01

Asylantragsteller; Asylbewerber; Aufenthaltsort; Aufenthaltsortswechsel; Ausländer; Kürzung; Leistungsberechtigter; Ortswechsel; räumliche Beschränkung; Sachfrist; Sozialhilfe; Umzug; unabweisbar gebotene Hilfe; Unterkunft; Wohnortzuweisung; Wohnsitz; Wohnsitzauflage; örtliche Zuständigkeit

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
17.12.2001
Aktenzeichen
4 MA 3989/01
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2001, 40282
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 05.11.2001 - AZ: 7 B 4702/01

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Darf die für den tatsächlichen Aufenthaltsort zuständige Behörde nach § 11 Abs. 2 AsylbLG einem Leistungsberechtigten nur die nach den Umständen unabweisbar gebotene Hilfe leisten, muss sie ihm eine angemessene Frist einräumen, damit er sich an dem Ort, an dem er aufgrund einer ausländerrechtlichen räumlichen Beschränkung (wieder) seinen Wohnsitz nehmen soll, eine Unterkunft suchen kann (wie Beschluss des Senats vom 9.1.1996, FEVS 47, 18, zu § 120 Abs. 5 BSHG und vom 11.6.1996, FEVS 47, 184, zu § 3 a WoZG).

Gründe

1

Der Zulassungsantrag ist gemäß §§ 146 Abs. 4, 124 VwGO statthaft und auch sonst zulässig. Im Hinblick auf die Versäumung der in § 146  Abs. 5 Satz 1 VwGO bestimmten Frist für die Stellung des Antrages ist dem Antragsteller gemäß § 60 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. An der Wahrung dieser Frist ist  er bis zur Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten durch Beschluss des Senats vom 30. November 2001 ohne sein Verschulden gehindert gewesen, weil er wegen seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse einen Prozessbevollmächtigten, der nach § 67 Satz 1 VwGO zur Stellung eines Zulassungsantrages tätig werden muss, nicht beauftragen konnte.

2

Der Zulassungsantrag ist auch begründet. Die hinreichend deutlich geltend gemachten ernstlichen Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestehen auch. Aus den im Folgenden dargelegten Gründen bestehen solche Zweifel und ist die zugelassene Beschwerde auch begründet.

3

Mit dem Verwaltungsgericht nimmt der Senat an, dass der Antragsteller Leistungsberechtigter im Sinne des § 1 Asylbewerberleistungsgesetz – AsylbLG – ist;  er hat von der Antragsgegnerin bis Ende September 2001 Leistungen gemäß § 3 AsylbLG erhalten (vgl. Sen.-Beschl. v. 4.10.2001 – 4 MB 3258/01 -). In Teilen der Bundesrepublik Deutschland, in denen er sich einer ausländerrechtlichen räumlichen Beschränkung zuwider aufhält, darf ihm gemäß § 11 Abs. 2 AsylbLG die für seinen tatsächlichen Aufenthaltsort zuständige Behörde nur die nach den Umständen unabweisbar gebotene Hilfe leisten. Die nach den Umständen unabweisbar gebotene Hilfe beschränkt sich – entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts – hier nicht auf eine Fahrkarte nach Lüneburg und auf die Verpflegung für den Reisetag. Dem Antragsteller ist vielmehr zu ermöglichen, sich in einer angemessenen Frist dort eine angemessene Unterkunft zu suchen und diese zu beziehen, wo er sich aufzuhalten hat.  Die deshalb einzuräumende Suchfrist  bemisst der Senat – wie bei der Anwendung des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG (Sen.-Beschl. v. 9.1.1996 – 4 M 6156/95 – FEVS 47, 18) und des § 3 a WoZG (Sen.-Beschl. v. 11.6.1996 – 4 M 3058/96 – FEVS 47, 184) – auch hier in Anwendung seiner Rechtsprechung zu § 3 Abs. 1 Satz 2 RegelsatzVO (u.a. Urt. v. 28.9.1994 – 4 L 5583/93 – info also 1995, 166)  in der Regel  mit sechs Monaten. Der Lauf der Frist beginnt regelmäßig, sobald der Hilfesuchende eine Bestimmung zu seinem Aufenthalt beachten muss. Das wäre hier mit der Bekanntgabe der Duldung vom 13. September 2001 mit der für sofort vollziehbar erklärten Auflage, Wohnsitz in Lüneburg zu nehmen, der Fall gewesen. Der Senat  lässt die Suchfrist wegen der Besonderheiten dieses Falles, in dem der Antragsteller u. a. geltend macht, er könne nur in Hannover in einer bestimmten Religionsgemeinschaft seine Religion in der von ihm gewünschten Weise ausüben, aber erst nach Abschluss des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Wohnsitzauflage durch Beschluss des 13. Senats d. Nds. OVG v. 22.11.2001 - 13 MA 3488/01 -, und zwar mit dem 1. Dezember 2001, anlaufen; die Frist endet demnach am 31. Mai 2002. Eine Verlängerung der Frist kommt nach der Rechtsprechung des Senats in Betracht, wenn der Antragsteller nachweist, dass er sich intensiv, aber vergeblich um eine Wohnung in L. bemüht hat; in diesem Fall kann der Antragsteller bei dem Verwaltungsgericht einen neuen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stellen, wenn die Antragsgegnerin Leistungen über den 31. Mai 2002 hinaus ablehnt. Die Frist kann verkürzt werden,  wenn es der Antragsgegnerin  – im Zusammenwirken mit der Stadt L. – gelingt, dem Antragsteller eine angemessene Wohnung zu vermitteln (Sen.-Beschl. v. 9.1.1996, a.a.O.); in diesem Fall kann die Antragsgegnerin bei dem Verwaltungsgericht Änderung dieses Beschlusses beantragen, wenn der Antragsteller ohne triftigen Grund ein Wohnungsangebot ablehnt.

4

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.

5

Auf Antrag ist dem Antragsteller gem. §§ 166 VwGO i. V.m. 114 ZPO Prozesskostenhilfe auch für das Beschwerdeverfahren zu bewilligen.

6

Diese Entscheidung ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.