Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 28.12.2001, Az.: 8 LA 3338/01

Boden; Bodenaushub; Bodenfunktion; Bodenmilieu; Bodennutzung; Einarbeitung; Fauna; Feuchtland; Landwirtschaft; Mineralisierung; Moor; Naturhaushalt; Naturschutz; Niedermoor; Nutzflächen; Vermeidungsgebot; Vernetzungsfunktion

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
28.12.2001
Aktenzeichen
8 LA 3338/01
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2001, 40382
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 27.08.2001 - AZ: 2 A 179/00

Tenor:

Die Aufschüttung von unbelasteten Bodenaushub bis zu einer Höhe von 20 cm auf eine landwirtschaftliche Nutzfläche stellt eine Veränderung der Gestalt einer Grundfläche dar. Von ihr sind nachteilige Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts bereits dann zu gewärtigen, wenn latent vorhandene potentielle Funktionen des Bodens beeinträchtigt werden könnten. Sie stellt keine ordnungsgemäße landwirtschaftliche Bodennutzung dar.

Gründe

1

Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg, weil die vom Kläger geltend gemachten Berufungszulassungsgründe nicht vorliegen oder nicht hinreichend dargelegt worden sind.

2

Die von Kläger erhobenen Einwände begründen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Der Kläger geht zu Unrecht davon aus, dass das von ihm zur Genehmigung gestellte Vorhaben, auf den Flurstücken   und    der Flur   der Gemarkung W. unbelasteten Bodenaushub bis zur Höhe von 20 cm aufzuschütten, keinen Eingriff im Sinne des Niedersächsischen Naturschutzgesetzes – NNatSchG – darstellt. Nach § 7 Abs. 1 NNatSchG sind Eingriffe im Sinne des Gesetzes Veränderungen der Gestalt oder Nutzung von Grundflächen, die die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts oder das Landschaftsbild erheblich beeinträchtigen können. Die vom Kläger geplante Aufschüttung stellt eine Veränderung der Gestalt einer Grundfläche dar. Das Verwaltungsgericht ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass diese Veränderung die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts erheblich beeinträchtigen kann, weil sie zu einer Veränderung des gewachsenen Bodenmilieus führen würde. Der dagegen erhobene Einwand, dass die Veränderung der Gestalt der Erdoberfläche für diese Beeinträchtigung nicht ursächlich wäre, weil die Beeinträchtigung von der nicht beantragten Einarbeitung des aufgebrachten Bodens ausginge, überzeugt nicht, da die Aufschüttung nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass die Beeinträchtigung entfiele. Der Kläger verkennt, dass das gewachsene Bodenmilieu schon verändert wird, wenn Bodenaushub, der von anderen Flächen stammt, aufgebracht wird. Außerdem hat der Beklagte im angefochtenen Bescheid darauf hingewiesen, dass der Eintrag von mineralischem Boden in die vorhandene stark humose bis anmoorige Bodenschicht, der mit der vom Kläger beabsichtigten Bewirtschaftung der landwirtschaftlichen Nutzfläche, z.B. dem Pflügen, zwangsläufig verbunden wäre, zu einer Mineralisierung und damit zu einer Einschränkung der biologischen Aktivität des Bodens führen würde. Damit besteht eine Kausalität im Sinne einer Äquivalenz zwischen der Veränderung der Gestalt der Erdoberfläche und der Beeinträchtigung, die für die Zurechenbarkeit der Beeinträchtigung im Rahmen der §§ 8 Abs. 1 BNatSchG, 7 Abs. 1 NNatSchG ausreichend ist (vgl. dazu Louis, Bundesnaturschutzgesetz, Komm., 2. Aufl., § 8 Rn. 14; Blum/Agena/Franke, Niedersächsisches Naturschutzgesetz, Komm., § 7 Rn. 9 ff).

3

Der weitere Einwand des Klägers, dass die Bodenaufschüttung zu keiner erheblichen Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts führen könne, greift ebenfalls nicht durch. Der Kläger geht zu Unrecht davon aus, dass die Annahme des Beklagten, dass nachteilige Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts zu gewärtigen seien, allein auf der Befürchtung beruhe, latent vorhandene potentielle Funktionen des Bodens könnten beeinträchtigt werden. Der Beklagte hat im angefochtenen Bescheid – wie bereits erwähnt – ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Eintrag von mineralischem Boden in die vorhandene Bodenschicht zu einer Einschränkung der biologischen Aktivität des Bodens führen würde und dass die damit verbundene nachhaltige und irreversible Zerstörung der Standortbedingungen bedeutsam wäre, weil die betroffene Fläche als Teil der Niederung eine Vernetzungsfunktion für die niederungsgebundene Fauna zwischen dem Grünland im Norden und den D. Wiesen im Süden habe. Dem hält der Kläger zwar entgegen, dass Mineralisierungsprozesse verhindert oder gehemmt werden, wenn der Abstand zwischen der Torfschicht und der bewirtschafteten Bodenfläche infolge der Aufschüttung zunimmt. Er übersieht aber, dass die vom ihm beabsichtigte Bewirtschaftung der Fläche, insbesondere das Pflügen, zwangsläufig zu einem Eintrag von mineralischem Boden in die vorhandene Bodenschicht führen würde. Der Kläger hat außerdem nicht plausibel dargelegt, weshalb die vom Beklagten vertretene Auffassung, dass der Eintrag von mineralischem Boden zu einer Mineralisierung führen würde, unzutreffend sein soll. Er hat  ferner nicht dargetan, warum der umstrittenen Fläche keine Vernetzungsfunktion für die niederungsgebundene Fauna zukommt.

4

Der Kläger geht weiterhin zu Unrecht davon aus, dass das von ihm zur Genehmigung gestellte Vorhaben eine ordnungsgemäße landwirtschaftliche Bodennutzung darstellt, die nach § 7 Abs. 2 Satz 1 NNatSchG nicht als Eingriff anzusehen ist. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass § 7 Abs. 2 Satz 1 NNatSchG lediglich die "tägliche Wirtschaftsweise" des Landwirts erfasst und für Veränderungen, die eine landwirtschaftliche Nutzung erst ermöglichen oder effektiver gestalten sollen, nicht gilt (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.4.1983 – 4 C 76.80 – NuR 1983 S. 272; Beschl. v. 14.4.1988 – 4 B 55.88 – NuR 1989 S. 84; OVG Lüneburg, Urt. v. 13.11.1985 – 3 A 41/84 – NuR 1986 S. 178; Blum/Agena/Franke, § 7 Rn. 21, 27). Die vom Kläger beabsichtigte Bodenaufschüttung bezweckt indessen, die Nutzbarkeit des Ackerlands zu verbessern. Sie gehört außerdem nicht zu der "täglichen Wirtschaftsweise" eines Landwirts, weil es sich bei der Aufschüttung um ein Vorhaben handelt, das einer Baugenehmigung bedarf. Dass das Vorhaben des Klägers keine ordnungsgemäße landwirtschaftliche Bodennutzung im Sinne des § 7 Abs. 2 Satz 1 NNatSchG darstellt, ergibt sich ferner aus den vom Verwaltungsgericht genannten Gründen.

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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils ergeben sich auch nicht daraus, dass das Verwaltungsgericht festgestellt hat, dass der Kläger die Möglichkeit habe, den Eingriff im Sinne des § 8 NNatSchG zu vermeiden. Dem Kläger ist zwar zuzugestehen, dass das Vermeidungsgebot des § 8 NNatSchG nicht den Eingriff, sondern die Beeinträchtigungen aufgrund des Eingriffs betrifft (Senatsurt. v. 8.11.2001 - 8 KN     229/01 -). Das Verwaltungsgericht hat die Unzulässigkeit des Eingriffs letztlich aber nicht aus § 8 NNatSchG, sondern aus § 11 NNatSchG hergeleitet. Daher begründet der Umstand, dass § 8 NNatSchG dem Vorhaben des Klägers nicht entgegensteht, keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils.

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Derartige Zweifel hat der Kläger schließlich auch nicht mit seinen in Bezug auf § 11 NNatSchG erhobenen Einwänden dargelegt. Der Beklagte hat in seiner Klageerwiderung vom 21. Februar 2001 im Einzelnen ausgeführt, aus welchen Gründen die Belange des Naturschutzes bei der nach § 11 NNatSchG gebotenen Abwägung dem Interesse des Klägers an der Durchführung des zur Genehmigung gestellten Vorhabens vorgehen. Dabei hat der Beklagte dem nicht unerheblichen wirtschaftlichen Vorteil für den Kläger entgegengestellt, dass die betroffenen Flurstücke für den Naturschutz von großer Bedeutung sind, da sie Teil der Niederung sind und an das ökologisch hochwertige System D. Bach angrenzen. Ferner hat der Beklagte berücksichtigt, dass die Flurstücke durch Niedermoor geprägt sind und dass das Moor bzw. die organische Substanz durch das Einbringen von Mineralboden in erheblichem Umfang zersetzt würde, was eine Veränderung des Standorts, die nicht rückgängig zu machen wäre, zur Folge hätte. Begründete Anhaltspunkte dafür, dass diese behördliche Abwägung rechtlich zu beanstanden ist, sind nicht erkennbar. Der Beklagte hat die betroffenen gegensätzlichen Belange einander gegenübergestellt, sachgerecht gewichtet und eine dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechende Entscheidung über die Bevorzugung eines Belangs getroffen. Die gegenteilige Ansicht des Klägers überzeugt nicht. Seine Darstellung, dass sämtliche Überlegungen des Beklagten unmittelbar oder mittelbar von der Annahme geprägt seien, dass es sich bei den Flächen um "absolutes Grünland" handele, ist unzutreffend. Entsprechendes gilt für die Darstellung, für den Beklagten sei die Annahme maßgebend gewesen, dass sich die Flächen bei Beendigung der ackerbaulichen Nutzung zu besonders schutzwürdigem Feuchtland entwickeln würden. Der Einwand, der Beklagte habe etwaige ökologische Potentiale seiner Flächen eindeutig zu hoch bewertet, ist ebenfalls nicht geeignet, die Fehlerhaftigkeit der oben dargestellten Abwägung zu begründen. Unzureichend ist auch der Hinweis darauf, dass die Möglichkeit, die Folgen des Eingriffs durch Ersatzmaßnahmen zu kompensieren, als Belang im Rahmen der Abwägung nach § 11 NNatSchG zu berücksichtigen sei. Dabei kann dahinstehen, ob diese Auffassung überhaupt zutreffend ist. Der Kläger hat jedenfalls nicht dargelegt, aus welchen Gründen Ersatzmaßnahmen in seinem Fall überhaupt in Betracht kämen.

7

Die Berufung kann auch nicht wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zugelassen werden. Die Behauptung des Klägers, dass es eines Sachverständigengutachtens bedürfe, um die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts zu ermitteln und zu klären, ob eine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts durch sein Vorhaben zu erwarten sei, überzeugt nicht, zumal der Kläger nicht plausibel erläutert hat, aus welchen Gründen die vorhandenen Erkenntnisse, die auf den Feststellungen der Naturschutzbehörde beruhen, zur Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit seines Vorhabens unzureichend sein sollen.

8

Schließlich verleiht die vom Kläger aufgeworfene Frage zur Berücksichtigungsfähigkeit latent vorhandener potentieller Funktionen des Naturhaushalts seiner Rechtssache weder besondere rechtliche Schwierigkeiten noch grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, weil sie nicht entscheidungserheblich ist. Der Kläger irrt in der Annahme, dass der Beklagte keine konkreten Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts benannt, sondern allein darauf abgestellt habe, dass die vorhandenen Potentiale so beeinträchtigt würden, dass sie sich bei Aufgabe der landwirtschaftlichen Nutzung nicht mehr realisieren ließen. Der Beklagte hat nämlich – wie bereits ausgeführt – entscheidend darauf abgehoben, dass das Niedermoor durch das Einbringen von Mineralboden irreversibel zerstört würde, und das Entwicklungspotential nur als Beleg für die gegenwärtige ökologische Bedeutung des Fläche gewertet.