Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 03.12.2001, Az.: 5 MA 3089/01

Auswahlentscheidung; Beamter; Befähigung; Beurteilungsmerkmal; Bewerber; dienstliche Beurteilung; Eignung; Ermessen; Frau; Leistung; Mann; Qualifikationsvergleich

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
03.12.2001
Aktenzeichen
5 MA 3089/01
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2001, 40279
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 31.08.2001 - AZ: 2 B 2204/01

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

§ 5 NGG, der die vorrangige Berücksichtigung von Frauen gegenüber von männlichen Mitbewerbern mit gleicher Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung ermöglicht, kann im Rahmen einer Auswahlentscheidung erst Berücksichtigung finden, wenn die gleiche Eignung, Befähigung und fachliche Leistung in einer dem Leistungsgrundsatz ( 8 Abs. 1 Satz 1 NBG, Art. 33 Abs. 2 GG) genügenden Weise festgestellt worden ist. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn der Auswahlentscheidung eine rechtswidrige dienstliche Beurteilung eines Bewerbers zugrunde liegt.

Tatbestand:

1

Der Antragsteller und die Beigeladene bewarben sich neben drei weiteren Beamten bei der Antragsgegnerin um den im Oktober 2000 intern ausgeschriebenen Dienstposten des Amtsleiters/der Amtsleiterin des Rechnungsprüfungsamtes (Besoldungsgruppe A 12 BBesG).

2

Nachdem der Rat der Antragsgegnerin beschlossen hatte, die Beigeladene mit Wirkung zur Leiterin des Rechnungsprüfungsamtes zu berufen, teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, dass beabsichtigt sei, der Beigeladenen zum 1. April 2001 die ausgeschriebene Stelle zu übertragen und sie zur Leiterin des Rechnungsprüfungsamtes zu berufen.

3

Das Verwaltungsgericht hat die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mit Beschluss vom 31. August 2001 abgelehnt. Es hat ausgeführt, es sei nicht erkennbar, dass die Antragsgegnerin bei der Auswahlentscheidung das Recht des Antragstellers auf chancengleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt nach Maßgabe von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung verletzt habe. Der Antragsteller und die Beigeladene seien im Wesentlichen gleich beurteilt worden. Dabei könne unentschieden bleiben, ob die Abänderung und Ergänzung der Beurteilung durch den früheren Leiter des Rechnungsprüfungsamtes habe erfolgen können, weil der Stadtdirektor der Antragsgegnerin als Dienstvorgesetzter den Antragsteller mit "gut" beurteilt und ihm - jedenfalls stillschweigend - die Eignung zur Leitung des Rechnungsprüfungsamtes nicht abgesprochen habe. Die Antragsgegnerin habe die Auswahlentscheidung auf § 5 NGG gestützt, ohne dass dies rechtlich zu beanstanden sei. Die genannte Bestimmung verstoße in seiner neuen Fassung weder gegen Art. 3 Abs. 3 und Art. 33 Abs. 2 GG noch gegen Art. 2 Abs. 1 und 4 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 09. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsausbildung und zum beruflichen Aufstieg (wird ausgeführt).

4

Das Oberverwaltungsgericht hat die Beschwerde zugelassen und dem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes entsprochen.

Entscheidungsgründe

5

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts hat der Antragsteller glaubhaft gemacht, dass sein Antrag auf eine verfahrens- und ermessensfehlerfreie Auswahlentscheidung verletzt und sicherungsbedürftig ist (vgl. § 123 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2,294 ZPO).

6

Die streitige Auswahlentscheidung des Rates der Antragsgegnerin zu Gunsten der Beigeladenen unterliegt als Akt wertender Erkenntnis nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Die verwaltungsgerichtliche Nachprüfung beschränkt sich darauf, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat, oder ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet hat, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat (BVerwG, Urt. v. 22.9.1988 - 2 C 35.86 -, BVerwGE 80, 224; 225; Nds. OVG, Beschl. v. 22.9.1995 - 5 M 789/95 -; Beschl. v. 27.11.2000 - 5 M 2369/00 -).

7

Der zu beachtende gesetzliche Rahmen ergibt sich aus Art. 33 Abs. 2 GG und § 8 Abs. 1 Satz 1 NBG, §§ 5, 9 des Niedersächsischen Gleichberechtigungsgesetzes - NGG - vom 15. Juni 1994 i.d.F. v. 21.11.1997 (GVBl. 481) i.V.m. § 118 NGO. Gemäß § 118 Abs. 2 NGO hat der Rat der Antragsgegnerin den Leiter des Rechnungsprüfungsamtes zu berufen. Das ihm hierbei zustehende Ermessen hat sich am Leistungsgrundsatz als dem entscheidenden Auswahlkriterium zu orientieren (§ 8 Abs. 1 Satz 1 NBG, Art. 33 Abs. 2 GG). Im Zusammenhang mit dem zu beachtenden gesetzlichen Rahmen ist auch § 5 NBG zu berücksichtigen, wenn diese Vorschrift mit höherrangigem Recht übereinstimmt. Ob dies der Fall ist, bedarf aber erst einer Entscheidung, wenn diese Vorschrift ihren Voraussetzungen nach für den hier zu entscheidenden Fall anzuwenden ist; ist dies zu verneinen, ist die Frage der Übereinstimmung dieser Vorschrift mit höherrangigem Recht nicht entscheidungserheblich. Das ist hier anzunehmen, weil die Antragsgegnerin § 5 NGG der umstrittenen Auswahlentscheidung zugrunde gelegt hat, ohne zuvor in rechtlich einwandfreier Weise geprüft zu haben, ob die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Vorschrift vorliegen. § 5 NGG findet - wie sich aus seinem Wortlaut ergibt - erst Anwendung, wenn eine Frau und ein männlicher Mitbewerber "mit gleicher Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung" konkurrieren. Es bedarf also vor Anwendung dieser Vorschrift eines an dem Leistungsgrundsatz (§ 8 Abs. 1 Satz 1 NBG, Art. 33 Abs. 2 GG) orientierten Eignungs-, Befähigungs- und Leistungsvergleichs. Erst wenn dieser die Annahme der Gleichwertigkeit rechtfertigt, ist eine vorrangige Berücksichtigung der weiblichen Mitbewerberin gerechtfertigt. Vorausgesetzt ist also für die Anwendung des § 5 NGG, dass ein solcher Qualifikationsvergleich den hierfür bestehenden rechtlichen, vorstehend genannten Anforderungen (Beachtung des anzuwendenden Begriffs, des gesetzlichen Rahmens, allgemeingültiger Wertmaßstäbe und der Verfahrensvorschriften, Zugrundeliegen eines zutreffenden und vollständigen Sachverhalts, Vermeidung sachfremder Erwägungen) entspricht. Diese Annahme ist jedoch nicht gerechtfertigt. Denn die Antragsgegnerin hat im Rahmen des genannten Qualifikationsvergleichs gegen das Gebot verstoßen, einen vollständigen zutreffenden Sachverhalt zugrunde zu legen und allgemeingültige Wertmaßstäbe zu beachten. Die Annahme der Verletzung dieses Gebots ist deshalb gerechtfertigt, weil der Annahme gleicher Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung im Sinne des § 5 NGG eine rechtswidrige Beurteilung des Antragstellers zugrunde liegt.

8

Die dem Antragsteller erteilte dienstliche Beurteilung vom 23. Oktober 2000 in der ergänzten Fassung vom 26. März 2001 mit der Stellungnahme des Stadtdirektors der Antragsgegnerin vom 2. April 2001 ist rechtswidrig und stellt daher keine ausreichende Grundlage für einen Qualifikationsvergleich im Sinne des § 5 NGG dar.

9

Auch eine dienstliche Beurteilung muss auf einem vollständigen und zutreffenden Sachverhalt beruhen und es dürfen allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht verletzt sein. Diesem Gebot ist jedoch nicht Rechnung getragen, wenn ein Werturteil lediglich eine formelhafte Behauptung darstellt und für den betroffenen Beamten nicht einsichtig und für außenstehende Dritte nicht nachvollziehbar ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.6.1980 – 2 C 8.78 -, BVerwGE 245, 251; OVG Lüneburg, Urt. v. 22.9.1998 - 5 L 2344/96 -, S. 16). Eine solche Nachvollziehbarkeit besteht für das dem Antragsteller mit der genannten dienstlichen Beurteilung erteilte Gesamturteil "gut" nicht. Als Begründung dafür, dass das Gesamturteil nicht mehr, wie in der ursprünglichen Beurteilung vom 23. Oktober 2000 vorgesehen, "gut bis sehr gut (1,4)", sondern "gut" lautet, wird in der Beurteilungsergänzung vom 26. März 2001 angegeben, der Antragsteller habe im Vorfeld in nicht korrekter Weise versucht, den Beurteiler zur Änderung seines noch nicht ganz abgeschlossenen handschriftlichen Entwurfs für die Beurteilung im Hinblick auf die Endbenotung zu bewegen, dieses nicht integre Verhalten sei bisher nicht in die Beurteilung einbezogen worden. Hierzu heißt es in der nach der Beurteilungspraxis der Antragsgegnerin vorgesehenen Stellungnahme des nächsthöheren Vorgesetzten, er schließe sich der Gesamtnote an, halte aber die Begründung für nicht akzeptabel. Daraus ergibt sich letztlich, dass das Gesamturteil ohne jede Begründung verändert worden ist und nicht - wie es geboten wäre - aus der Bewertung der einzelnen Beurteilungsmerkmale hergeleitet wurde. Nicht nachvollziehbar ist auch, warum das Verhalten, das Anlass für die Herabsetzung des Gesamturteils war, nicht bereits bei der Bildung des ersten Gesamtnote Berücksichtigung gefunden hat, nun aber Grund für die Veränderung des Gesamturteils sein soll. Außerdem bestehen erhebliche Bedenken gegen die Geeignetheit dieses Umstandes, eine Veränderung des Gesamturteils zu begründen. Denn das Gesamturteil ist - wie bereits ausgeführt - aus den Bewertungen der einzelnen Beurteilungsmerkmale herzuleiten und erfasst den gesamten Beurteilungszeitraum; ein einzelner Vorgang am Ende des Beurteilungszeitraums, der sich ausschließlich auf den "Umgang mit Vorgesetzten" (Beurteilungsmerkmal 10 c) bezieht erscheint seiner Bedeutung nach nicht geeignet, die Änderung eines Gesamturteil zu tragen, wenn hierfür eine Begründung nicht gegeben wird.

10

Da aus diesen Gründen die dem Antragsteller erteilte dienstliche Beurteilung vom 23. Oktober 2000 in der ergänzenden Fassung vom 26. März und 2. April 2001 rechtswidrig ist, ist die unter Berücksichtigung dieser Beurteilung von der Antragsgegnerin angenommene gleiche Qualifikation des Antragstellers und der Beigeladenen hinsichtlich ihrer Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung im Sinne des § 5 NGG nicht gerechtfertigt und die im Wesentlichen auf die Anwendung dieser Vorschrift gestützte Auswahlentscheidung rechtswidrig.