Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 06.12.2001, Az.: 12 LB 2922/01
Bestattungskosten; Sozialhilfe; Verpflichteter
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 06.12.2001
- Aktenzeichen
- 12 LB 2922/01
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 40358
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BVerwG - 13.03.2003 - AZ: 5 C 2/02
Rechtsgrundlagen
- § 15 BSHG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Der "Verpflichtete" i.S. von § 15 BSHG ist nur derjenige, der aufgrund einer rechtlichen Verpflichtung die Bestattungskosten getragen hat, hingegen nicht derjenige, der aufgrund einer - nur - sittlichen Pflicht diese Kosten zu tragen oder getragen hat.
Tatbestand:
Der Beklagte gewährte der im Jahre 1908 geborenen Frau L. B. die am 27. Dezember 1999 verstarb, laufende Hilfe zum Lebensunterhalt; sie war die zweite Ehefrau des Vaters des Ehemanns der Klägerin. Den Antrag der Klägerin, (Teil-)Kosten der Bestattung, die die Klägerin in Auftrag gegeben hatte, zu übernehmen, lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 22. März 2000 ab, weil die Klägerin nicht im Sinne von § 15 BSHG "Verpflichtete" gewesen sei. Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23. Mai 2000 zurück. Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit Urteil vom 27. Juni 2001 teilweise stattgegeben und festgehalten, der Begriff des "Verpflichteten" in § 15 BSHG sei dahin zu verstehen, dass auch der sittliche Verpflichtete gemeint sei.
Mit seiner vom Senat mit Beschluss vom 28. August 2001 (12 LA 2659/01) zugelassenen Berufung macht der Beklagte mit dem am 28. September 2001 bei dem Senat eingegangenen Schriftsatz geltend: Der Auffassung des Verwaltungsgerichtes, "Verpflichteter" nach § 15 BSHG sei auch der sittlich Verpflichtete, sei nicht zuzustimmen. Die Rechtsordnung (§ 814 BGB) unterscheide deutlich zwischen (rechtlicher) Verpflichtung und einer sittlichen Pflicht; die Verwendung des Wortes "Verpflichteter" erfasse nicht sittlich Verpflichtete. Die Auffassung des Verwaltungsgerichtes werde weder von der übrigen Rechtsprechung noch von der Kommentarliteratur vertreten. Eine rechtlich verbindliche Zusage, die Kosten zu übernehmen, habe er, der Beklagte, nicht abgegeben.
Er beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichtes zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie tritt den Ausführungen des Beklagten entgegen, verteidigt die Erwägungen des angefochtenen Urteils, weist auf eine ihr erteilte Zusage hin und macht geltend, der Betreuer der Verstorbenen habe sie beauftragt, die Bestattung zu veranlassen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge, die Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die -- zulässige -- Berufung, über die der Senat nach Anhörung der Beteiligten gem. § 130a VwGO ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheidet (eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten, da Rechtsfragen zu beantworten sind), ist begründet. Der Beklagte ist nicht gehalten, die in Rede stehenden Bestattungskosten zu übernehmen.
Der Begriff des "Verpflichteten" in § 15 BSHG ist dahin zu verstehen, dass nur derjenige gemeint ist, den eine rechtliche Verpflichtung trifft, die Bestattungskosten zu tragen. Allerdings wird die Verpflichtung, die Kosten einer Bestattung zu tragen, in § 15 BSHG nicht näher umschrieben oder definiert, sondern als anderweitig begründet vorausgesetzt (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.2.2001 -- BVerwG 5 C 8.00 --, FEVS 52, 441). Dem Wortlaut der Norm ist eine bestimmte Auslegung indessen nicht zu entnehmen, Entstehungsgeschichte und Sinn und Zweck der Vorschrift führen aber auf das benannte Ergebnis.
Der Senat entnimmt dem Wortlaut der Norm nicht, dass der Begriff "Verpflichtung" nur eine Rechtspflicht meinen kann, mag auch -- etwa -- in § 814 BGB auch zwischen -- rechtlicher -- Verpflichtung und -- sittlicher -- Pflicht unterschieden worden sein, so ist dem Bundessozialhilfegesetz nicht zu entnehmen, eine solche Stringenz solle auch für dieses Gesetz gelten. § 78 Abs. 2 BSHG (die Vorschrift lautet: "Zuwendungen, die ein anderer gewährt, ohne hierzu eine rechtliche oder sittliche Pflicht zu haben, sollen als Einkommen außer Betracht bleiben, soweit ihre Berücksichtigung für den Empfänger eine besondere Härte bedeuten wird") unterscheidet nicht zwischen rechtlicher Verpflichtung und sittlicher Pflicht, sondern beschreibt auch die rechtliche Verpflichtung mit dem Wort "Pflicht".
Indessen weist die Entstehungsgeschichte der Vorschrift des § 15 BSHG -- eindeutig -- darauf hin, dass mit einer Verpflichtung im Sinne von § 15 BSHG nur eine rechtliche Verpflichtung gemeint ist. Der Gesetzgeber wollte bei der Schaffung der Vorschrift an die fürsorgerechtliche Verantwortung für eine würdige Bestattung Hilfebedürftiger anknüpfen (vgl. die Amtl. Begr., BT-Drs. 3/1799 S. 14 zu § 14: "Wie das geltende Recht ... sieht auch § 40 die Übernahme von Bestattungskosten vor. Sie ist davon abhängig, daß dem hierzu Verpflichteten, in der Regel dem Erben (§ 1968 BGB), die Übernahme der Kosten nicht zugemutet werden kann"). Aus der Erwähnung von § 1968 BGB in der Amtlichen Begründung der Ursprungsfassung des Bundessozialhilfegesetzes ist zweifelsfrei zu entnehmen, dass der Gesetzgeber im Rahmen von (jetzt) § 15 BSHG nur eine rechtliche Verpflichtung ins Auge gefasst hat, auch wenn er nur "in der Regel" angeführt hat; damit meint er zweifelsfrei eine nur rechtliche Verpflichtung, die er als typische Verpflichtung des Erben angeführt hat, obwohl daneben noch andere rechtliche Verpflichtungen bestehen, etwa kraft Vertrages oder auch öffentlichen Rechtes.
Auch Sinn und Zweck der Norm erfordert die gefundene Auslegung, weil sie den Strukturprinzipien des Bundessozialhilfegesetzes entspricht. Zwar handelt es sich bei dem Anspruch auf Übernahme der Bestattungskosten gemäß § 15 BSHG um einen sozialhilferechtlichen Anspruch eigener Art (vgl. BVerwG, Urt. v. 5.6.1997 -- BVerwG 5 C 13.96 --, FEVS 48, 1), der Gesetzgeber hat aber mit § 15 BSHG das Strukturprinzip des Bundessozialhilfegesetzes, dass Hilfe nach diesem Gesetz Notfallhilfe sei, nicht aufgegeben. Das schließt die Annahme aus, es solle die notwendige Hilfe demjenigen (dem "Verpflichteten" im Sinne von § 15 BSHG) gewährt werden, den keine rechtliche Verpflichtung trifft, sondern der -- letztlich -- aufgrund eigenen Willensentschlusses die Bestattung veranlasst oder in Auftrag gegeben hat. Aus § 78 Abs. 2 BSHG ist ein anderer Schluss nicht zu entnehmen, da diese Vorschrift eine anderweitig gestaltete Konstellation regelt. Es geht bei dieser Vorschrift nicht darum, inwieweit die Sozialhilfe einzuspringen hat, sondern darum, inwieweit in bestimmten Härtefällen Einkommensteile bei der Bemessung der Hilfe zum Lebensunterhalt anrechnungsfrei bleiben dürfen.
Von alledem abgesehen versteht der Senat die bereits erwähnte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes sowie das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichtes vom 18. März 1999 (1 L 37/98 --, FEVS 51, 231) dahin, dass der "Verpflichtete" des § 15 BSHG nur derjenige ist, den eine rechtliche Verpflichtung trifft, diese Auffassung hat der Senat -- sinngemäß -- auch bereits in seinem Beschluss vom 26. August 1998 (12 L 3105/98 --, FEVS 49, 257) festgehalten.
Die nicht näher begründete Auffassung des Verwaltungsgerichtes, der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes und des Senates (aaO) sei zu entnehmen, in § 15 BSHG sei auch eine sittliche Pflicht gemeint, trifft nicht zu: wie bereits ausgeführt, lässt sich diese Auffassung -- entgegen den Ausführungen des Verwaltungsgerichtes -- auch nicht mit Hinweis auf § 78 Abs. 2 BSHG begründen.
Die weiteren Erwägungen, mit denen die Klägerin ihr Begehren begründet, greifen nicht durch. Eine -- etwaige -- Zusage bindet den Beklagten nicht, da diese -- unstreitig -- nicht schriftlich erteilt worden ist (§ 34 SGB X). Auch ist durch das von der Klägerin geschilderte Ferngespräch zwischen ihr und dem Betreuer der verstorbenen Hilfeempfängerin nicht -- eine etwaige Rechtspflicht des Betreuers auf die Klägerin übergegangen, die erforderlichen Kosten der Bestattung zu tragen. Einmal trifft bereits den Betreuer nicht die rechtliche Verpflichtung, die Kosten der Bestattung (reicht hierfür der Nachlass nicht aus) aus "eigener Tasche" zu finanzieren, und zum anderen besteht kein Anhalt dafür, dass aufgrund eines Ferngespräches, in dem der Betreuer die Klägerin dazu gedrängt haben soll, für die Bestattung der verstorbenen Hilfeempfängerin zu sorgen, eine -- etwaige -- Verpflichtung des Betreuers auf die Klägerin übergegangen sei. Ist somit der in das Zeugnis des Ehemanns der Klägerin gestellte Inhalt des zwischen ihr und dem Betreuer anlässlich des Todes der Hilfeempfängerin geführten Telefongesprächs für die hier interessierenden Rechtsfragen ohne Bedeutung, so kam es für die Entscheidung des Senats nicht auf die von der Klägerin angebotene Zeugnisvernehmung ihres Ehemanns an. Schließlich teilt der Senat auch nicht die in Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, 15. Aufl. 1997 RdNr. 8 zu § 15 vertretene Auffassung, in Nachwirkung des zum Hilfeempfänger bestehenden Betreuungsverhältnisses komme eine Übernahme der Bestattungskosten durch die Sozialhilfe auch dann in Betracht, wenn ein "Verpflichteter" i.S. des § 15 BSHG nicht vorhanden sei, der Verstorbene aber bereits vor seinem Tode Empfänger von Sozialhilfe gewesen sei.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2, 188 VwGO, 708 Nr. 11 ZPO.
Die Revision ist zuzulassen (§ 132 Abs. 2 VwGO), da der bezeichneten Frage grundsätzliche Bedeutung zukommt.