Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 18.06.2024, Az.: 10 LA 8/24
Auswahlentscheidung zwischen konkurrierenden Spielhallen; Abgestufte Priorisierung der Ziele des GlüStV
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 18.06.2024
- Aktenzeichen
- 10 LA 8/24
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2024, 17010
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2024:0618.10LA8.24.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Hannover - 14.03.2023 - AZ: 11 A 5958/20
Rechtsgrundlagen
- § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO
- § 10a Abs. 8 NglüSpG
Tenor:
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 2. März 2023 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichter der 11. Kammer - vom 14. März 2023 wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Wert des Streitgegenstands wird für das Berufungszulassungsverfahren auf 15.000 EUR festgesetzt.
Gründe
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts, mit dem diese wohl den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) geltend macht, hat keinen Erfolg. Denn die Klägerin hat diesen Zulassungsgrund nicht hinreichend dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind nach der ständigen Rechtsprechung des Senats dann zu bejahen, wenn bei der Überprüfung im Zulassungsverfahren, also auf Grund der Begründung des Zulassungsantrags und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts, gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zutage treten (Senatsbeschluss vom 28.6.2022 - 10 LA 234/20 -, juris Rn. 2 m.w.N.). Das ist grundsätzlich dann der Fall, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (BVerfG, Beschlüsse vom 8.7.2021 - 1 BvR 2237/14 -, juris Rn. 230, und vom 6.6.2018 - 2 BvR 350/18 -, juris Rn. 16; Senatsbeschluss vom 28.6.2022 - 10 LA 234/20 -, juris Rn. 2; vgl. auch Gaier, NVwZ 2011, 385, 388 ff.). Die Richtigkeitszweifel müssen sich dabei auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen. Es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zur Änderung der angefochtenen Entscheidung führt (Senatsbeschluss vom 28.6.2022 - 10 LA 234/20 -, juris Rn. 2; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 4.7.2018 - 13 LA 247/17 -, juris Rn. 4 m.w.N.; BVerwG, Beschluss vom 10.3.2004 - 7 AV 4.03 -, juris Leitsatz und Rn. 9; vgl. dazu auch BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 9.6.2016 - 1 BvR 2453/12 -, juris Rn. 17). Zur Darlegung der ernstlichen Zweifel bedarf es regelmäßig qualifizierter, ins Einzelne gehender, fallbezogener und aus sich heraus verständlicher Ausführungen, die sich mit der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage einer eigenständigen Sichtung und Durchdringung des Prozessstoffs auseinandersetzen (Senatsbeschluss vom 28.6.2022 - 10 LA 234/20 -, juris Rn. 2 m.w.N.; Niedersächsisches OVG, Beschlüsse vom 28.6.2022 - 14 LA 1/22 -, juris Rn. 7, und vom 30.3.2022 - 13 LA 56/22 -, juris Rn. 3).
Diesen Anforderungen wird die Begründung des Berufungszulassungsantrags der Klägerin nicht gerecht.
Das Verwaltungsgericht hat die Abweisung der Klage der Klägerin gegen die der Beigeladenen mit Bescheid vom 27. Oktober 2020 erteilten glückspielrechtlichen Erlaubnis - soweit hier relevant - darauf gestützt, dass das Auswahlverfahren zwischen den konkurrierenden, voneinander 88 m entfernten Spielhallen der Klägerin und der Beigeladenen in der Siemensstraße in Garbsen rechtmäßig sei, weil die Auswahl, der Spielhalle der Beigeladenen eine Erlaubnis zu erteilen, zutreffend erfolgt sei. Da die vorrangig zu erwägenden Kriterien nach § 10a Abs. 6 und 7 Niedersächsisches Glücksspielgesetz (NGlüSpG) nicht einschlägig gewesen seien, sei nach § 10a Abs. 8 NGlüSpG bei Konkurrenz einzelner Spielhallen die Spielhalle auszuwählen, die am weitesten von einer Gaststätte, in der alkoholische Getränke angeboten würden, entfernt liege. Die Beklagte habe ermittelt, dass der Abstand der Spielhalle der Beigeladenen zu der an ein Tenniscenter angegliederten Gaststätte größer sei, als die Entfernung der Spielhalle der Klägerin zu dieser. Eine Ermessensentscheidung sei - entsprechend den zitierten Ausführungen des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts - der Beklagten nicht abzuverlangen. Dass die Beigeladene nach dem Vorbringen der Klägerin im Gegensatz zu ihr die aus § 6 Glücksspielstaatsvertrag 2021 (GlüStV) resultierende Berichtspflicht nicht eingehalten habe, sei kein ausdrücklich in § 10a Abs. 3 bis 8 NGlüSpG normiertes Auswahlkriterium und hätte allenfalls einen weiteren sachlich gerechtfertigten Grund i.S.d. § 10a Abs. 9 NGlüSpG begründen können, wenn nach den § 10a Abs. 3 bis 8 NGlüSpG eine Entscheidung nicht möglich gewesen wäre.
Die Klägerin bringt gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts vor, dass sich in einem Lokal in einem Tenniscenter Gäste einfänden, die zuvor sportlichen Aktivitäten nachgegangen seien. Die Gastronomie spiele dort eine völlig untergeordnete Rolle, weshalb das Auswahlkriterium der Entfernung zu einer Alkohol-anbietenden Gaststätte im vorliegenden Fall ungeeignet sei.
Mit diesem Vorbringen hat sie ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht dargelegt. Die Klägerin hat bereits nicht hinreichend konkret dargetan, weshalb der bis zum 31. Januar 2022 gültige § 10a Abs. 8 NGlüSpG nicht anzuwenden gewesen sein könnte, wenn Besucher einer Gastronomie zuvor sportlichen Aktivitäten nachgegangen sind. Die Regelung stellt nicht auf die Klientel der Gaststätte oder, worauf sich die Ausführungen der Klägerin wohl beziehen sollen, die Menge des dort konsumierten Alkohols ab, sondern auf Gaststätten, in denen "alkoholische Getränke angeboten werden". Weshalb eine Gaststätte mit Alkoholausschank, die sich in einem Sportcenter befindet, hierunter nicht zu subsumieren sein sollte, führt die Klägerin weder aus noch erschließt sich dies, zumal auch geringere Mengen an Alkohol zu einer Enthemmung führen können und auch nicht anzunehmen ist, dass sich in einer solchen Gaststätte lediglich Besucher nach ihren sportlichen Aktivitäten aufhalten, die keinen oder nur geringe Mengen an Alkohol konsumieren. Einer solchen Annahme steht zudem entgegen, dass Gaststätten in Sportcentern regelmäßig (auch) Alkohol anbieten, was anderenfalls unter ökonomischen Gesichtspunkten nicht angezeigt wäre. Das Verständnis der Klägerin von § 10a Abs. 8 NGlüSpG würde auch dem Ziel der Auswahlkriterien entgegenstehen, der Verwaltung die Bewältigung von schwierigen Konkurrenzsituationen möglichst effektiv, zeitnah und anwendungssicher zu ermöglichen (vgl. dazu auch Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 2.8.2021 - 11 ME 104/21 -, juris Rn. 23 m.w.N.), wenn in jedem Einzelfall geprüft werden müsste, inwieweit der angebotene Alkohol von welchen Personen und in welchem Maße konsumiert wird. Letztlich hat sich die Klägerin auch nicht ausreichend mit den diesbezüglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts (S. 9 der Urteilsgründe) auseinandergesetzt.
Ferner führt die Klägerin gegen die Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts an, dass sich das alleinige Abstellen auf die Abstandsregelung vorliegend als ermessensfehlerhaft erweise, weil der Verstoß der Beigeladenen gegen die Berichtspflicht nach dem GlüStV gravierend sei und bei der Auswahlentscheidung hätte berücksichtigt werden müssen. Denn die vorrangigen Ziele des GlüStV, insbesondere der Spielerschutz, dürften nicht in den Hintergrund gestellt werden.
Mit ihrem diesbezüglichen Vorbringen hat die Klägerin jedoch nicht in Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts und den von ihm zitierten Ausführungen des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts in der Entscheidung vom 2. August 2021 (- 11 ME 104/21 -) dargelegt, dass der Auffassung des Verwaltungsgerichts, wonach die Regelungen zum Auswahlverfahren vom niedersächsischen Gesetzgeber im Rahmen des ihm zustehenden Beurteilungs- und Gestaltungsspielraums getroffenen worden seien und nach denen bestimmte Auswahlkriterien vorgegeben seien, die in einer abgestuften Reihenfolge zu prüfen seien und eine nach sachgerechten Kriterien zu treffende Auswahlentscheidung ermöglichten, so dass bei Anwendung des § 10a Abs. 8 NGlüSpG anders als bei § 10a Abs. 9 NGlüSpG keine Ermessensentscheidung zu treffen sei, nicht zu folgen wäre.
So genügt das Vorbringen der Klägerin zum einen bereits deshalb nicht den oben dargestellten Darlegungsanforderungen, weil sie sich nicht ausreichend mit den Argumenten des Verwaltungsgerichts und den von diesem zitierten Ausführungen des 11. Senats des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts auseinandergesetzt hat.
Zum anderen begründet ihr Vorbringen aber auch in der Sache keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Auffassung des Verwaltungsgerichts. Der niedersächsische Gesetzgeber hatte mit den am 31. Januar 2022 außer Kraft getretenen Regelungen in § 10a Abs. 3 bis 9 NGlüSpG (nunmehr erfolgt die Auswahl konkurrierender Spielhallen nach § 11 Niedersächsisches Spielhallengesetz - NSpielhG) ein Auswahlverfahren für die Auflösung von Konkurrenzsituationen eingeführt (Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 2.8.2021 - 11 ME 104/21 -, juris Rn. 22). Die Auswahlkriterien waren dabei, wie § 10a Abs. 3 bis 9 NGlüSpG unzweifelhaft zu entnehmen ist, in einer abgestuften priorisierten Reihenfolge zu prüfen (Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 2.8.2021 - 11 ME 104/21 -, juris Rn. 24 f.). Danach fand § 10a Abs. 8 NGlüSpG, der auf die Entfernung der Spielhallen zu Alkohol anbietenden Gaststätten abstellt, erst dann Anwendung, wenn - wie vorliegend - "nach den Absätzen 3 bis 7 eine Entscheidung nicht möglich" war. Allein maßgeblich war nach dieser Vorschrift die Distanz zwischen den Spielhallen und Gaststätten mit Alkoholausschank. Weitere Kriterien, die bei der Auswahl berücksichtigt werden könnten, wurden in § 10a Abs. 8 NGlüSpG nicht genannt. Lediglich nach § 10a Abs. 9 NGlüSpG war, wenn eine Entscheidung nach § 10a Abs. 3 bis 8 NGlüSpG gerade nicht möglich gewesen ist, die Auswahlentscheidung nach weiteren sachlich gerechtfertigten Gründen zu treffen (vgl. auch Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 2.8.2021 - 11 ME 104/21 -, juris Rn. 25). Aus der Begründung des Zulassungsantrags geht nicht hervor, wie die Beklagte den von der Klägerin behaupteten Verstoß gegen die Berichtspflicht durch die Beigeladene im Rahmen der Auswahlentscheidung unter Berücksichtigung der vom niedersächsischen Gesetzgeber mit § 10a NGlüSpG vorgegebenen Kriterien und deren gesetzlich bestimmter priorisierenden Reihenfolge hätte berücksichtigen können.
Durch die vom niedersächsischen Gesetzgeber aufgestellten und den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Auswahlkriterien (Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 2.8.2021 - 11 ME 104/21 -, juris Rn. 22 f.) werden auch nicht, wie die Klägerin meint, sämtliche Ziele des GlüStV ausgeblendet. Vielmehr wurden diese vom Gesetzgeber mit den ausgewählten Kriterien bewusst abgestuft priorisiert (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 2.8.2021 - 11 ME 104/21 -, juris Rn. 24 f.). Nicht jeder Umstand, der das Erreichen eines der Ziele des GlüStV gefährden könnte, wurde daher gleich gewichtet, so dass ein Verstoß gegen die Berichtspflicht auch nicht das ausschlaggebende Auswahlkriterium sein musste und ggf. erst nach § 10a Abs. 9 NGlüSpG berücksichtigt werden konnte, wenn die vorrangigen Kriterien eine Auswahl nicht ermöglichten. Verstöße gegen Verpflichtungen aus dem GlüStV können unterschiedliche Folgen haben und mussten nicht zwingend auch in der Auswahlentscheidung nach § 10a NGlüSpG berücksichtigt werden (vgl. etwa § 26 NGlüSpG). Laufen die Errichtung oder der Betrieb einer Spielhalle den Zielen des § 1 GlüStV etwa zuwider, so ist nach § 24 Abs. 2 Satz 1 GlüStV bereits die Erlaubnis zu versagen.
Dass es in anderen Bundesländern andere Auswahlsysteme gibt, wie beispielsweise das nordrhein-westfälsche, auf das die von der Klägerin zitierten Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen Bezug nehmen und nach dem die Behörde eine Ermessensentscheidung zu treffen habe und ein Vergleich anzustellen sei, welcher der konkurrierenden Bewerber besser geeignet sei, die Ziele des Staatsvertrags zu erreichen, vermag nicht dazu zu führen, dass die Beklagte bei ihrer unter Geltung niedersächsischen Rechts zu treffenden Auswahlentscheidung nach § 10a NGlüSpG den Verstoß gegen die Berichtspflicht hätte berücksichtigen können oder gar müssen. Nicht nur ein bestimmtes Auswahlkriterium bzw. ein qualitativ oder quantitativ bestimmbares Bündel an Auswahlkriterien oder ein bestimmter Auswahlmechanismus kann verfassungskonform sein, so dass in den Bundesländern auch eine Vielzahl von unterschiedlich gestalteten Auswahlverfahren existieren, die teilweise im Ermessen stehende Entscheidungen der Behörden ermöglichen bzw. bei der Auswahlentscheidung auf verschiedene, teils gewichtete Kriterien oder Kombinationen von Kriterien abstellen (Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 2.8.2021 - 11 ME 104/21 -, juris Rn. 23). Daher führt die Rechtmäßigkeit eines Auswahlverfahrens in einem Bundesland nicht dazu, dass das Auswahlsystem in einem anderen Bundesland die gleichen Kriterien berücksichtigen müsste, um den rechtlichen Anforderungen zu genügen.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Die Kosten der Beigeladenen waren nicht für erstattungsfähig zu erklären, da diese im Berufungszulassungsverfahren keinen Antrag gestellt hat und damit nicht das Risiko einer eigenen Kostenpflicht eingegangen ist.
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG und Nr. 54.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).