Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 10.06.2024, Az.: 1 KN 90/21

Beachtung des Prioritätsprinzips (hier: für eine Deponieplanung) sowie Aspekte des Vertrauensschutzes im Rahmen der Abwägung bei der Aufstellung eines Regionalen Raumordnungsprogramms

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
10.06.2024
Aktenzeichen
1 KN 90/21
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 18255
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2024:0610.1KN90.21.00

Fundstelle

  • AbfallR 2024, 193

Amtlicher Leitsatz

Bei der Aufstellung eines Regionalen Raumordnungsprogramms sind das Prioritätsprinzip (hier: für eine Deponieplanung) sowie Aspekte des Vertrauensschutzes im Rahmen der Abwägung zu beachten.

Tenor:

Es wird festgestellt, dass das Regionale Raumordnungsprogramm 2020 des Antragsgegners unwirksam ist, soweit es die Flurstücke H., I., J. und K., sämtlich Flur L. der Gemarkung M. -Stadt, als Vorranggebiet für Natur und Landschaft sowie als Vorranggebiet Biotopverbund festlegt, sowie hinsichtlich der Zielvorgaben in Ziffer 4.3 Abs. 02 Sätze 1 und 3.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Antragsgegner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Antragsteller wenden sich gegen das Regionale Raumordnungsprogramm 2020 des Antragsgegners (im Folgenden RROP 2020), weil sie befürchten, dass dieses die Errichtung und den Betrieb ihrer geplanten Abfalldeponie in M.-Stadt auf unzulässige Weise einschränke.

Mit notariellem Kaufvertrag vom 29. Januar 2010 verkaufte der Antragsgegner der Antragstellerin zu 1) mit Zustimmung des Kreistags die Flurstücke H., I. und J., sämtlich Flur L. der Gemarkung M.-Stadt , insgesamt 10,7 ha, "zur Errichtung einer Bodendeponie" sowie mehrere Gutachten, die der Antragsgegner für eine ursprünglich geplante Deponie eingeholt hatte. Eine entsprechende Auflassungsvormerkung wurde unter dem 2. Februar 2010 in das Grundbuch eingetragen. Die Kaufpreiszahlung ist aufschiebend u.a. durch die Vorlage der rechtskräftigen Bodendeponiegenehmigung bedingt (§ 2 Abs. 2 des Kaufvertrags) und bislang nicht fällig.

Die von dem Antragsgegner verkauften Flurstücke waren sowohl in seinem RROP 1985 als auch in seinem RROP 1998 als Vorrangstandort für Abfallbeseitigungsanlagen festgelegt. Im RROP 2005 bildeten die Flurstücke den südlichen Teil eines festgelegten Vorranggebiets für Natur und Landschaft, das insgesamt eine Fläche von etwa 120 ha aufwies. Mit Bescheid vom 19. März 2010 ließ der Antragsgegner im Einvernehmen mit seiner Naturschutzbehörde eine raumordnungsrechtliche Zielabweichung für die Errichtung der von der Antragstellerin zu 1) geplanten Bodendeponie für mineralische Abfälle zu. Im Raumordnungsprogramm bleibe das Ziel, Vorranggebiete für Natur und Landschaft vor störenden Einflüssen zu schützen, bestehen, es brauche aber im abfallrechtlichen Deponiegenehmigungsverfahren nicht beachtet zu werden. Die Zielabweichung sei raumordnerisch vertretbar, da es sich um einen atypischen Sachverhalt handele. Der Standort M.-Stadt sei aufgrund eines umfangreichen Erkundungsprogramms zur vormals geplanten Hausmülldeponie insbesondere wegen der geologischen Verhältnisse für eine Deponie der Klasse I (mineralische Abfälle) als geeignet zu betrachten. Auf eine erneute Ausweisung als Vorrangstandort für Abfallbeseitigungsanlagen im RROP 2005 sei nur deswegen verzichtet worden, weil 2002 beschlossen worden sei, die Hausmülldeponie aufgrund veränderter Rahmenbedingungen in der Abfallwirtschaft nicht zu bauen. Die betroffenen Grundstücke lägen im Randbereich des großflächigen Vorranggebiets für Natur und Landschaft und seien naturschutzfachlich als weniger bedeutsam einzustufen.

Am 28. Januar 2015 erging zugunsten der Antragstellerin zu 1) ein Planfeststellungsbeschluss für die Errichtung und den Betrieb einer im Laufe des Verwaltungsverfahrens verkleinerten (von ursprünglich 24,5 ha und 1,8 Mio. m3 auf 9,94 ha umzäunter Deponiefläche und 640.000 m3 Volumen) Abfalldeponie der Deponieklasse I. Diesen Beschluss hat der 7. Senat des erkennenden Gerichts mit Urteil vom 4. Juli 2017 (Az.: 7 KS 7/15) für rechtswidrig und nicht vollziehbar erklärt. Das Planergänzungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen.

Der Antragsteller zu 2) ist Geschäftsführer der Antragstellerin zu 1) und Eigentümer der Flurstücke N., O., P. und Q., sämtlich Flur L. der Gemarkung M.-Stadt , die - bis auf das Flurstück Q. - ausweislich des Planfeststellungsbeschlusses aus dem Jahr 2015 zum Betriebsgelände der genehmigten Deponie gehören.

Die Flurstücke H., I. und der nordöstliche Teil des Flurstücks J. sind Bestandteil des mit Verordnung vom 17. Dezember 2014 festgesetzten Naturschutzgebiets "M.-Stadter Bruch", das aus einer zusammenhängenden Fläche von ca. 128 ha besteht und im Naturraum "R. Geest" liegt. Es entspricht im Wesentlichen dem Areal, welches im Regionalen Raumordnungsprogramm (RROP) 2005 des Antragsgegners als Vorranggebiet für Natur und Landschaft festgelegt und im Landschaftsrahmenplan 2003 als Gebiet, das die Voraussetzungen für ein Naturschutzgebiet erfüllt, beschrieben ist. Mit Urteil vom 19. April 2018 (Az.: 4 KN 368/15 -, juris) erklärte der 4. Senat des erkennenden Gerichts die Schutzgebietsverordnung für unwirksam, u.a. weil sie die zeitlich vorrangige Deponieplanung nicht angemessen berücksichtige. Die Nachfolgeverordnung des Antragsgegners vom 13. Dezember 2019 versuchte diesen Fehler durch eine Ausnahmeregelung von den im Naturschutzgebiet geltenden Verboten - beschränkt auf die Flächen innerhalb der bereits planfestgestellten Deponieumzäunung und die im Planfeststellungsbeschluss zugelassene Liste der Abfälle - zu beheben. Diese Einschränkung hat der 4. Senat mit Urteil vom 18. April 2024 u.a. deswegen für unwirksam erklärt, weil sich die Einschränkung wegen des noch nicht abgeschlossenen ergänzenden Planfeststellungsverfahrens als unverhältnismäßig erweise (Az.: 4 KN 262/20 - juris).

Das streitgegenständliche RROP 2020 beruht auf dem Landes-Raumordnungsprogramm in der Fassung vom 26. September 2017 (im Folgenden LROP 2017). Im Aufstellungsverfahren beteiligten sich die Antragsteller mit dem Ziel, ihre Deponieplanung zu sichern, wobei sie insbesondere auf das nach dem Urteil des 7. Senats erforderliche ergänzende Planfeststellungsverfahren hinwiesen. Die Vertretung des Antragsgegners beschloss das RROP 2020 am 29. April 2020 als Satzung. Die Genehmigung durch die obere Landesplanungsbehörde datiert auf den 26. Mai 2020. Die Bekanntmachung erfolgte am 28. Mai 2020.

Die Flurstücke im Eigentum des Antragstellers zu 2) sowie der südwestliche Teil des Flurstücks J. sind als Fläche für die Landwirtschaft ("aufgrund hohen Ertragspotenzials") zeichnerisch festgelegt. Die Flurstücke, für die zugunsten der Antragstellerin zu 1) eine Auflassungsvormerkung eingetragen ist, liegen - Flurstück J. nur teilweise (Nordosten) - innerhalb des Vorranggebiets für Natur und Landschaft ("M.-Stadter Bruch") und sind zudem als Vorranggebiet Biotopverbund festgelegt. Entsprechende Festlegungen gelten für die in der näheren Umgebung der eigentlichen Deponieflächen befindlichen Flurstücke S., T., K. und U., sämtlich Flur L., Gemarkung M.-Stadt. Hier gelten folgende, in Ziffer 3.1.2 Natur und Landschaft formulierte durch Fettdruck als Ziele gekennzeichneten Vorgaben des RROP 2020:

Die im LROP ausgewiesenen Vorranggebiete Biotopverbund sind in die zeichnerische Darstellung übernommen und dort räumlich näher festgelegt worden. (Abs. 01)

Ergänzende Kerngebiete des Biotopverbunds und geeignete Habitatkorridore zur Vernetzung von Kerngebieten sind in der zeichnerischen Darstellung als Vorranggebiete Biotopverbund festgelegt. (Abs. 02)

1Die in der zeichnerischen Darstellung festgelegten Vorranggebiete Natur und Landschaft sind in ihrer Funktion für den Naturhaushalt zu sichern und zu entwickeln. 2Sie sind vor störenden Einflüssen und Nutzungen zu schützen. (Abs. 04)

Der Bau und Betrieb einer Deponie der Klasse I gemäß dem Planfeststellungsbeschluss vom 28.01.2015 einschließlich möglicher Änderungen im Planergänzungsverfahren ist im Vorranggebiet Biotopverbund bzw. Natur und Landschaft "M.-StadterBruch" abweichend von den Ziffern 02 und 04 möglich, soweit die Änderungen auf die im Planfeststellungsbeschluss dargestellten Flächen beschränkt bleiben. (Abs. 06)

Unter Ziffer 4.3 Sonstige Standort- und Flächenanforderungen heißt es korrespondierend zu dem Ziel des LROP 2017 "In allen Landesteilen sind unter Beachtung des Prinzips der Nähe ausreichende Kapazitäten für Abfallentsorgungsanlagen zu sichern und bei Bedarf festzulegen." (Abs. 03) im RROP 2020:

1Aufgrund des großflächigen und zugleich dünn besiedelten Landkreisgebietes wird zur Sicherung von Deponiekapazitäten für mineralische Abfälle (Deponieklasse I) die Beteiligung an einem Standort gemeinsam mit einer benachbarten Gebietskörperschaft angestrebt.2Eine Kooperation mit privaten Dritten besteht nicht.3Falls eine Beteiligung oder eine Kooperation mit einem Betreiber einer bereits bestehenden Deponie nicht möglich ist, wird ein Standortsuchverfahren nach festgelegten Kriterien durchgeführt.4Als Vorbehaltsgebiet Abfallbeseitigung/Abfallverwertung wird die Abfalldeponie Helvesiek festgelegt. (Abs. 02)

Zur Begründung ihres am 27. Mai 2021 zeitgleich zu dem inhaltsgleichen Rügeschreiben an den Antragsgegner erhobenen Normenkontrollantrags machen die Antragsteller im Wesentlichen geltend: Ihr Antrag sei zulässig, insbesondere sei eine Verletzung ihrer Rechte vermittelt durch die Auflassungsvormerkung und den Planfeststellungsbeschluss - Antragstellerin zu 1) - bzw. durch die beabsichtigte Nutzung des Grundeigentums - Antragsteller zu 2) - aufgrund der die Deponieplanung unzureichend berücksichtigenden Festlegungen des RROP 2020 möglich. Der Antrag sei auch begründet. Die parzellenscharfe Formulierung in Ziffer 3.1.2 Abs. 06 RROP 2020 sei unzulässig, da damit eine räumliche Grenze für das Planergänzungsverfahren abschließend gezogen werde und so der Gestaltungs- und Konkretisierungsspielraum der Planfeststellungsbehörde unzulässig eingeschränkt werde. Ein Ausnahmefall, in dem die parzellenscharfe Festlegung gerechtfertigt sei, liege nicht vor. Die Zielfestlegung in Ziffer 4.3 Abs. 02 RROP 2020 genüge nicht dem Entwicklungsgebot aus § 13 Abs. 2 ROG, da sie der Zielvorgabe in Ziffer 4.3 Abs. 02 LROP 2017 widerspreche. Diese Vorgabe des RROP 2020 sei nicht geeignet den tatsächlich bestehenden - und im Verfahren 7 KS 7/15 als Planrechtfertigung anerkannten - Bedarf auf dem Gebiet des Antragsgegners zeitnah ausreichend zu decken. Das Abwägungsgebot des § 7 Abs. 2 Satz 1 ROG sei im Hinblick auf die Zielvorgaben in Ziffer 3.1.2 Abs. 04 und 06 sowie Ziffer 4.3 Abs. 02 RROP 2020 nicht gewahrt. Es sei nicht berücksichtigt worden, dass sich während des planmäßig über 20 Jahre laufenden Deponiebetriebs aufgrund geänderter (unter-)gesetzlicher Vorschriften wie beispielsweise der Verordnung über Deponien und Langzeitlager (DepV) zur Erfüllung der Betreiberpflichten die Notwendigkeit wesentlicher Änderungen des Betriebs ergeben könne. Dies führe zu einem nicht gerechtfertigten Eingriff in die Rechte der Antragstellerin zu 1) aus Art. 14 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG. Im Hinblick auf den Planfeststellungsbeschluss vom 28. Januar 2015 habe der Antragsgegner das Verhältnis zwischen Fachplanung und Raumordnung, insbesondere den hier zum Tragen kommenden Prioritätsgrundsatz, verkannt. Die in Ziffer 3.1.2 Abs. 06 RROP 2020 formulierte Beschränkung auf die planfestgestellte Deponieumzäunung vernachlässige die Bedeutung des Planergänzungsverfahrens, auf das die Antragstellerin zu 1) einen Anspruch habe, soweit die Identität des Vorhabens gewahrt bleibe, d.h. die Planung in ihren Grundzügen nicht modifiziert werde. Das Ziel in Ziffer 4.3 Abs. 02 Satz 1 RROP 2020 missachte zudem die vom KrWG und Abfallwirtschaftsplan geforderte ortsnahe Entsorgung und die Entsorgungssicherheit auf dem Gebiet des Antragsgegners. Der Antragsgegner sei unzutreffend von einer zu geringen Menge an mineralischen Abfällen ausgegangen. Ein ausreichender Bedarf an Deponiekapazitäten für mineralische Abfälle sei im Rahmen der Prüfung der Planrechtfertigung seitens des Gerichts festgestellt worden (NdsOVG, Urt. v. 4.7.2017 - 7 KS 7/15 -, juris Rn. 118). Die Deponie müsse nicht als Eigenbetrieb des Antragsgegners ausgestaltet werden. Der Antragsgegner habe auch seine aufgrund des Grundstückskaufvertrags aus dem Jahr 2010 bestehenden Schutz- und Treuepflichten verkannt. Die Abwägungsfehler seien beachtlich, insbesondere fristgerecht gemäß § 9 Abs. 5 ROG gerügt worden.

Die Antragsteller beantragen,

das Regionale Raumordnungsprogramm 2020 des Antragsgegners für unwirksam zu erklären, soweit es die Flurstücke H., I., J., K., U., S. und T., Flur L. , Gemarkung M.-Stadt als Vorranggebiet für Natur und Landschaft sowie als Vorranggebiet Biotopverbund festlegt, und hinsichtlich der Zielvorgaben in Ziffer 4.3 Abs. 02 Sätze 1 und 3.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er hält den Antrag mindestens teilweise für unzulässig und verteidigt die angegriffenen Festsetzungen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Der Antrag hat Erfolg.

1.

Der fristgerecht gestellte Normenkontrollantrag ist gemäß § 47 VwGO zulässig, insbesondere sind die Antragsteller antragsbefugt. Für die Errichtung und den Betrieb der von ihnen geplanten Deponie sind sie auf eine Planfeststellung (§§ 35 ff. KrWG) angewiesen. Die maßgeblichen Regelungen (§ 35 Abs. 2 KrWG i.V.m. § 74 Abs. 2 VwVfG) setzen voraus, dass die Deponie mit raumordnungsrechtlichen Bestimmungen vereinbar ist (vgFlur L. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 ROG, § 35 Abs. 3 Satz 2 BauGB). Die Antragsteller haben nachvollziehbar dargelegt, dass die Ausnahmeregelung der Ziffer 3.1.2 Abs. 06 RROP 2020 nicht ausreicht, um etwaige erforderliche Anpassungen des Vorhabens im Planergänzungsverfahren bzw. im laufenden Betrieb von den angegriffenen Zielvorgaben freizustellen. Ebenso nachvollziehbar ist ihr Vortrag, die Regelungen in Ziffer 4.3 Abs. 02 Satz 1 und 3 RROP 2020 könnten ihnen im ergänzenden Verfahren oder bei späteren Anpassungen entgegengehalten werden. Den Regelungen ist zu entnehmen, dass der Antragsgegner nicht nur eine kreiseigene Deponie der Klasse I auf seinem Gebiet ablehnt, sondern auch die von den Antragstellern geplante Deponie. Eine Verletzung der Interessen der Antragsteller erscheint möglich, hat doch der Kreistag im Aufstellungsverfahren deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er die vorhandene Deponieplanung so weit wie möglich beschränken will, wenn er sie schon nicht mehr verhindern kann.

2.

Der Antrag ist überwiegend begründet.

a)

Die Festlegung des M.-Stadter Bruchs als Vorranggebiet für Natur und Landschaft sowie als Vorranggebiet Biotopverbund erweist sich als abwägungsfehlerhaft, soweit die Flurstücke H., I., J. und K. betroffen sind.

Das Abwägungsgebot des § 7 Abs. 2 Satz 1 ROG verlangt, dass eine Abwägung überhaupt stattfindet, dass in die Abwägung an Belangen eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss, und dass weder die Bedeutung der betroffenen Belange verkannt noch der Ausgleich zwischen ihnen in einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht. Innerhalb des so gezogenen Rahmens wird das Abwägungsgebot dagegen nicht verletzt, wenn sich der Planungsträger in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit notwendigerweise für die Zurücksetzung des anderen Belanges entscheidet. Ein solches Vorziehen oder Zurücksetzen bestimmter Belange ist vielmehr Ausdruck der Planungsbefugnis, die eine planerische Gestaltungsfreiheit einschließt.

Bei der Bestimmung der Anforderungen an die Ermittlungstiefe und die Abwägungsdichte innerhalb der raumplanerischen Abwägung ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Raumordnung nicht um eine Fachplanung oder eine verbindliche Bauleitplanung handelt. Die von der Rechtsprechung für die kommunale Bauleitplanung entwickelte Abwägungsdogmatik bedarf für Raumordnungspläne der Anpassung, um dem Auftrag, der Maßstäblichkeit, aber auch den verfassungsrechtlichen Grenzen der Raumordnungsplanung gerecht zu werden. Raumordnungspläne sind rahmensetzende Planungen für raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen anderer Stellen und Personen, ersetzen diese aber nicht. Hinsichtlich der bei Raumordnungsplänen zu treffenden abschließenden Abwägung bedeutet dies, dass an diese nur solche Anforderungen gestellt werden können, die dem rahmensetzenden Charakter dieser Pläne gerecht werden. Ermittlungstiefe und Abwägungsdichte werden einerseits durch die Aufgabenstellung der Raumordnung und andererseits durch den Detaillierungsgrad der jeweils angestrebten Zielaussage bestimmt. Je konkreter die Festlegungen eines Regionalplans sind, umso schärfer sind die Raumverhältnisse im Umfeld und die möglichen konkreten Auswirkungen der Planung in den Blick zu nehmen. Angesichts des Charakters des Raumordnungsplans als überörtliche rahmensetzende Planung und wegen des nur groben Rasters der raumordnerischen Abwägung und der damit verbundenen Ungenauigkeiten kann sich der Plangeber deshalb regelmäßig darauf beschränken, private Belange in einer pauschalen, typisierenden Art und Weise, als Gruppenbelange zu berücksichtigen, es sei denn, eine spezifische Betroffenheit privater Belange eines Einzelnen drängte sich auf (VGH BW, Urt. v. 10.2.2016 - 8 S 1477/15 -, juris Rn. 83 f. m.w.N.).

Gemessen hieran hat der Antragsgegner die Interessen der Antragsteller als Eigentümer bzw. Betreiber der geplanten Deponie M.-Stadt nicht hinreichend berücksichtigt. Auf der Grundlage eines mit sehr großer Mehrheit gefassten Beschlusses des Kreistags (vgl. Protokoll der Kreistagssitzung am 18.12.2009 Punkt 19) hatte der Antragsgegner mit notariellem Kaufvertrag vom 29. Januar 2010 der Antragstellerin zu 1) die Flurstücke H., I. und J. "für die Errichtung einer Bodendeponie" (§ 1 Abs. 2 des Kaufvertrags) verkauft. Mitverkauft wurden die Gutachten zur Geologie, Hydrogeologie und Standsicherheit dieses Geländes (§ 2 Abs. 1 des Kaufvertrags), die der Antragsgegner für die seit den frühen 1970-er Jahren auf dem Gelände geplante Hausmülldeponie eingeholt hatte, bevor er seine Planung aufgrund veränderter Rahmenbedingungen im Jahr 2002 aufgab. Die zunächst positive Haltung des Antragsgegners gegenüber der Deponieplanung ergibt sich auch aus dem Zielabweichungsbescheid vom 19. März 2010. Dieser war erforderlich, da bereits das RROP 2005 die Deponiefläche als Vorranggebiet für Natur und Landschaft festlegte und die Zielvorgabe enthielt, dass diese Gebiete vor störenden Einflüssen oder Veränderungen zu schützen seien (vgl. Ziffer 2.1 Abs. 03 RROP 2005). Die im Verfahren zu beteiligende Naturschutzbehörde des Antragsgegners erklärte im Verfahren ihr Einvernehmen. Das Deponiegelände befinde sich am südlichen Rand des erhaltungs- und schutzwürdigen Gebiets. Gefährdete Arten kämen nicht vor. Eine tief greifende negative Veränderung des landesweit für den Naturschutz wertvollen Bereichs insgesamt oder entsprechende weitere Auswirkungen in diesen hinein seien von der geplanten Deponie nicht erwarten (Bescheid v. 19.3.2010 S. 2). Auf dieser Grundlage gestattete der Antragsgegner die Zielabweichung und führte zur Begründung aus: Der Standort M.-Stadt sei insbesondere wegen der geologischen Verhältnisse geeignet für eine Deponie der Klasse I. Wenn bei der Erstellung des RROP 2005 der weiterhin bestehende Bedarf für eine Deponie bekannt gewesen wäre, wären die Deponieflächen aufgrund ihrer Eignung - wie in den RROP 1985 und 1998 - weiterhin als Vorrangstandort Abfallbeseitigungsanlagen ausgewiesen und nicht als Vorranggebiet für Natur und Landschaft überplant worden. Die Zielabweichung sei auch mit den Grundzügen der Planung i.S.v. § 6 Abs. 2 ROG vereinbar. Das Gesamtkonzept der im RROP 2005 ausgewiesenen Vorranggebiete für Natur und Landschaft werde nicht unterlaufen, da sich die Größe des Plangebiets auf ca. 10 ha beschränke, die betroffenen Grundstücke sich im Randbereich eines großflächigen Vorranggebiets befänden und sie naturschutzfachlich als weniger bedeutsam einzustufen seien (Bescheid v. 19.3.2010 S. 2 unten). In den Ermessenserwägungen berücksichtigte der Antragsgegner neben der grundsätzlichen Eignung des Standorts (ausweislich eines früheren Standortsuchverfahrens sogar für eine Deponie der Klasse II) insbesondere, dass die Genehmigung der bislang genutzten Deponie Helvesiek zum 31. Dezember 2011 auslaufe (Bescheid v. 19.3.2010 S. 3).

Mit diesen Entscheidungen hat der Antragsgegner bei den Antragstellern das Vertrauen darauf hervorgerufen, dass ihre Deponieplanung sich wegen der festgestellten Standorteignung und dem vorhandenen Bedarf an Deponiekapazitäten raumordnungsrechtlich gegen die naturschutzfachlichen Belange durchsetzt. Dieses Vertrauen der Antragsteller wurde dann durch den Planfeststellungsbeschluss vom 28. Januar 2015 bestätigt. Bei dessen Überprüfung hatte das Gericht keine Zweifel, dass die erforderliche Planrechtfertigung gegeben ist, weil das Vorhaben im öffentlichen Entsorgungsinteresse liege. Die Planfeststellungsbehörde habe den Bedarf für die Deponie zutreffend ermittelt. Die Berechnung zur ausreichenden Auslastung der Deponie seien nachvollziehbar und nicht zu beanstanden (vgl. NdsOVG, Urt. v. 4.7.2017 - 7 KS 7/15 -, DVBl. 2017, 1440 = juris Rn. 117 f.). Zugleich hatte das Gericht keinen Zweifel an der Vereinbarkeit der Deponie mit Naturschutzrecht (vgl. NdsOVG, Urt. v. 4.7.2017 - 7 KS 7/15 -, DVBl. 2017, 1440 = juris Rn. 140 ff.). Das zugunsten der Deponieplanung eingreifende Prioritätsprinzip sowie der Aspekt des Vertrauensschutzes führen vor diesem Hintergrund dazu, dass dem Interesse der Antragsteller an der Umsetzung der Deponieplanung einschließlich notwendiger Änderungen in der Abwägung ein besonderes Gewicht zukommt. Um dieses zu überwinden, bedarf es gegenläufiger Interessen von erheblichem Gewicht; die politische Neubewertung der unveränderten Gegebenheiten allein reicht hierfür nicht aus. Erforderlich wären - mindestens - beispielsweise neue naturschutzfachliche oder abfallwirtschaftliche Tatsachen oder Erkenntnisse, die die im Zielabweichungsverfahren getroffene Abwägung zugunsten der Deponieplanung in Frage stellten. Hieran fehlt es. Aus den Akten ergibt sich, dass die entscheidungserheblichen Tatsachen bereits bei Verkauf der Flächen und Bewilligung der Zielabweichung im Jahr 2010 auf dem Tisch lagen. Zudem hat der Antragsgegner in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass der Festlegung der Deponieflächen als Vorranggebiet Biotopverbund sowie als Vorranggebiet für Natur und Landschaft - im Verhältnis zu der Zielabweichungsentscheidung aus dem Jahr 2010 - keine neuen Erkenntnisse zugrunde liegen.

Auch die im Verlauf des Aufstellungsverfahren des RROP 2020 aufgenommene Zielfestlegung, die den Bau und Betrieb der von den Antragstellern geplanten Deponie "gemäß dem Planfeststellungsbeschluss vom 28.01.2015 einschließlich möglicher Änderungen im Planergänzungsverfahren" im Vorranggebiet Biotopverbund bzw. Natur und Landschaft ermöglicht, soweit die Änderungen im Planergänzungsverfahren auf die im Planfeststellungsbeschluss vom 28. Januar 2015 dargestellten Flächen beschränkt bleiben (vgl. Ziffer 3.1.2 Abs. 06 RROP 2020), berücksichtigt die Interessen der Antragsteller nicht hinreichend. Zur Aufnahme dieser Regelung sah sich der Antragsgegner genötigt, nachdem der 4. Senat des erkennenden Gerichts mit Urteil vom 19. April 2018 (Az.: 4 KN 368/15) die Verordnung des Antragsgegners vom 17. Dezember 2014, mit der das Gebiet "M.-Stadter Bruch" unter Naturschutz gestellt wurde, wegen nicht hinreichender Beachtung des Vorrangs der Fachplanung für unwirksam erklärt hatte (vgl. Begründung des RROP 2020 S. 77). In Kenntnis, dass das Planergänzungsverfahren Änderungen an der bisherigen Deponieplanung mit sich bringen könnte, wurde der räumliche Geltungsbereich der Freistellungsregelung gleichwohl auf die im Planfeststellungsbeschluss aus dem Jahr 2015 dargestellte Fläche und der sachliche Geltungsbereich auf die Deponie gemäß Planfeststellungs- und Ergänzungsbeschluss beschränkt. Damit trägt der Antragsgegner weder möglichen räumlichen Änderungen im Planergänzungsverfahren als Ausfluss des Prioritätsprinzips noch den nachvollziehbaren Interessen der Antragsteller, auf etwaige (unter-)gesetzliche Änderungen im laufenden Betrieb reagieren zu können, hinreichend Rechnung. Letzteres gilt sowohl in räumlicher als auch in sachlicher Hinsicht (vgl. Begründung des RROP 2020 S. 77). Mit Blick auf die vorgesehene Betriebszeit der Deponie von rund 20 Jahren ist es äußerst wahrscheinlich, dass veränderte gesetzliche oder wirtschaftliche Rahmenbedingungen Anpassungen erfordern werden. Solche notwendigen Anpassungen, die die Identität des Vorhabens unberührt lassen, darf der Antragsgegner aufgrund einer bloßen politischen Neubewertung bekannter Tatsachen nicht mit dem Mitteln des Raumordnungsrechts behindern.

Soweit der Antragsgegner dem in der mündlichen Verhandlung entgegengehalten hat, dass Ziffer 3.1.2 Abs. 06 RROP 2020 solche Anpassungen nicht ausschließe, weil diese regelmäßig nicht raumbedeutsam seien, mag das bei isolierter Betrachtung der Anpassung im Grundsatz vielfach zutreffen. Raumbedeutsam ist jedoch die Deponie als solche, die durch Ziffer 3.1.2 Abs. 06 RROP 2020 räumlich auf den bereits planfestgestellten Bereich und sachlich auf den im Planergänzungsverfahren zu erreichenden Bestand beschränkt wird. Vor diesem Hintergrund können jedenfalls größere, die Gesamtsituation spürbar beeinflussende Änderungen - auch wenn sie die Identität des Vorhabens noch nicht in Frage stellen - in der Zusammenschau mit dem Bestand zu beurteilen und deshalb ihrerseits als raumbedeutsam anzusehen sein (vgl. Runkel, in: Spannowsky/Runkel/Goppel, ROG, 2. Aufl. 2018, § 3 Rn. 109). Hinzu kommt selbstständig tragend, dass die Genese der Ziffer 3.1.2 Abs. 06 RROP 2020 den Schluss rechtfertigt, der Kreistag des Antragsgegners ziele darauf, Änderungen ungeachtet ihrer Raumbedeutsamkeit und der Reichweite der raumordnungsrechtlichen Ermächtigungsgrundlagen zu verhindern. Auch das begründet einen Abwägungsfehler.

Der Fehler im Abwägungsvorgang ist auch nicht gemäß § 11 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 ROG unbeachtlich geworden. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass die Mängel der Abwägung innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung des Raumordnungsplans gegenüber der zuständigen Stelle unter Darlegung des die Verletzung begründenden Sachverhalts geltend gemacht worden sind. Dies haben die Antragsteller mit Schreiben vom 27. Mai 2021 getan. Dass sie dabei die am 28. Mai 2021 abgelaufene Jahresfrist des § 11 Abs. 5 Satz 1 ROG nahezu voll ausgeschöpft haben, ist nicht zu beanstanden. Soweit der Antragsgegner meint, dass das Rügeschreiben der Antragsteller seine Funktion verfehle, weil er aufgrund des zeitgleich erhobenen Normenkontrollantrags keine Zeit mehr gehabt habe, vor dem gerichtlichen Verfahren die Rügen zu prüfen und die geltend gemachten Mängel ggf. zu beheben, ist dies nicht zutreffend. Eine zeitliche Staffelung der Rüge gemäß § 11 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 ROG und des Rechtsschutzersuchens sieht das Gesetz nicht vor. Vielmehr stehen die materiell-rechtlich wirkende Ausschlussfrist gemäß § 11 Abs. 5 Satz 1 ROG und die gleich lange Antragsfrist nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO selbstständig nebeneinander.

Dass der dargestellte Fehler im Abwägungsvorgang auch auf das Ergebnis der Abwägung durchschlägt, ist weit überwiegend wahrscheinlich; dies kann der Senat aber offenlassen.

Die Festlegung als Vorranggebiet Biotopverbund sowie als Vorranggebiet für Natur und Landschaft ist im Hinblick auf die Flurstücke H., I., J. und K. unwirksam. Diese Flurstücke sind Teil der eigentlichen Deponiefläche (H., I. und J.) bzw. dienen ihrer Erschließung (Flurstück K., auf dem zugunsten der vorgenannten Flurstücke Erschließungsbaulasten eingetragen sind). Die geplante Verwendung dieser Flurstücke gehört zu den raumbedeutsamen Maßnahmen i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 6 ROG, bei denen die Ziele der Raumordnung zu beachten sind (vgl. § 35 Abs. 2 KrWG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 ROG, § 35 Abs. 3 Satz 2 BauGB). Dagegen fehlt es den geplanten Maßnahmen auf den Flurstücken S., T. und U., die nicht unmittelbar Bestandteil der Deponie sind, bereits an ihrer Raumbedeutsamkeit. Soweit dort die Einleitungsstelle des unbelasteten Niederschlagswasser aus dem Regenrückhaltebecken in den Vorfluter geplant ist (Flurstück S.), nach einer in den Planergänzungsbeschluss aufzunehmenden Nebenbestimmung Messstellen für das Oberflächenwassermonitoring eingerichtet werden sollen (Flurstücke S. und T.) bzw. bereits nach dem Planfeststellungsbeschluss vom 28. Januar 2015 eine Leitung zur Einleitung von unbelastetem Niederschlagswasser aus dem Regenrückhaltebecken der Deponie in den Vorfluter verlegt werden soll (Flurstück U.), ist die Inanspruchnahme des Raumes gering und hinsichtlich der Messstellen möglicherweise nur temporär gegeben. Die für § 3 Abs. 1 Nr. 6 ROG erforderliche Größenordnung, die sich regelmäßig jenseits der normalen Dimension von Planungen und Maßnahmen bewegt und in erster Linie Großvorhaben meint (vgl. Runkel in: Spannowsky/Runkel/Goppel, ROG, 2. Aufl. 2018, § 3 Rn. 111), wird nicht erreicht. Diese Einschätzung entspricht der des Antragsgegners. Zur Rechtfertigung der räumlichen Begrenzung der Freistellungsregelung für die Deponie (Ziffer 3.1.2 Abs. 06 RROP 2020) hat er in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, etwaige Änderungen im Planergänzungsverfahren wie etwa das Verlegen von Leitungen oder die Einrichtung von Messstellen seien ebenso wenig raumbedeutsam und damit nicht den Vorgaben des RROP 2020 unterworfen wie beispielsweise eine Änderung des Abfallschlüssels im laufenden Betrieb.

Die Festlegung des Gebietes "M.-Stadter Bruch" als Vorranggebiet Biotopverbund bzw. als Vorranggebiet für Natur und Landschaft ist schließlich räumlich teilbar. Der Zielabweichungsbescheid sowie das Urteil des 4. Senats vom 18. April 2024 (Az.: 4 KN 262/20) sprechen dafür, dass die am südlichen Rand dieses Gebiets liegenden Flächen aus naturschutzfachlicher Sicht nicht unabdingbar für den Rest des Gebiets sind. Vor diesem Hintergrund geht der Senat davon aus, dass der Kreistag - hätte er die Abwägungsfehlerhaftigkeit seiner Entscheidung erkannt - an der Festlegung der außerhalb der Deponie liegenden Teilflächen des M.-Stadter Bruchs als Vorranggebiet festgehalten hätte. Dem ist der Antragsgegner in der mündlichen Verhandlung auch nicht entgegengetreten.

b)

Die abfallrechtlichen Zielfestlegungen in Ziffer 4.3 Abs. 02 Satz 1 und 3 RROP 2020 verstoßen gegen das Entwicklungsgebot des § 13 Abs. 2 Satz 1 ROG und leiden an Abwägungsfehlern.

Nach § 13 Abs. 2 Satz 1 ROG sind die Regionalpläne aus dem Raumordnungsplan für das Landesgebiet zu entwickeln. Ziffer 4.3 Abs. 03 Satz 1 LROP 2017 gibt das Ziel vor, in allen Landesteilen unter Beachtung des Prinzips der Nähe ausreichende Kapazitäten für Abfallentsorgungsanlagen zu sichern und bei Bedarf festzulegen. Als Grundsatz der Raumordnung formuliert besteht ein besonderer Bedarf hinsichtlich Deponiekapazitäten der Deponieklasse I u.a. dort, wo eine solche Deponie weiter als 35 km vom Ort des Abfallaufkommens entfernt ist (vgl. Ziffer 4.3 Abs. 03 Satz 2, 1. Spiegelstrich LROP 2017). So liegt es hier. Auf dem Gebiet des Antragsgegners gab es bereits bei Beginn des Aufstellungsverfahrens keine Deponie der Klasse I. Vielmehr befand und befindet sich die nächstgelegene Deponie dieser Art in Hittfeld, Landkreis Harburg, und damit von der nordöstlichen Kreisgrenze mindestens 30 km entfernt; ein Großteil des Gebiets des Antragsgegners liegt deutlich weiter als 35 km von dieser Deponie entfernt. Soweit der Antragsgegner der Auffassung war, dass ausgehend von der geringen Menge dieser Abfallkategorie - seinen Angaben nach in den Jahren 2017 und 2018 ca. 307 t, die der kreiseigenen Abfallwirtschaft zugeführt wurden -, kein Bedarf für eine kreiseigene Deponie bestünde (vgl. Begründung des RROP 2020 S. 155), und er daher das Ziel formuliert hat, es werde die Beteiligung an einem Standort gemeinsam mit einer benachbarten Gebietskörperschaft angestrebt (vgl. Ziffer 4.3 Abs. 02 Satz 1 RROP 2020), geht er fehl. Bei der Ermittlung des Bedarfs an Deponiekapazitäten sind sämtliche auf dem Kreisgebiet anfallenden Abfälle zu berücksichtigen, und nicht bloß diejenigen, für die eine Überlassungspflicht nach § 17 KrWG besteht. Ausgehend von den Zahlen des Abfallwirtschaftsplans Niedersachsen, Teilplan Siedlungsabfälle und nicht gefährliche Abfälle, Stand 2019 (im Folgenden Abfallwirtschaftsplan), der von 1,5 Mio. Tonnen nicht verwertbaren mineralischen Bauabfällen ausgeht (Abfallwirtschaftsplan S. 40), ergibt sich unter Zugrundelegung von ca. 7,9 Mio. Einwohnern in Niedersachsen und ca. 164.500 Einwohnern im Gebiet des Antragsgegners eine Abfallmenge von gut 31.000 t/Jahr. Etwa die Hälfte wird auf Deponien der Klasse I abgelagert (Abfallwirtschaftsplan S. 41). Richtig ist zwar, dass der Antragsgegner nicht gezwungen ist, eine kreiseigene Deponie der Klasse I zu betreiben, sondern entsprechende Kapazitäten auch durch private Betreiber bereitgestellt werden können. Gleichzeitig hat er aber den auch ausweislich des Abfallwirtschaftsplans bestehenden Bedarf (Abfallwirtschaftsplan S. 46 f.) zeitnah zu decken. Dem werden die in Ziffer 4.3 Abs. 02 RROP 2020 formulierten Zielvorgaben nicht gerecht. Sie verschieben die Lösung eines aktuell bestehenden Problems in die ferne Zukunft und nehmen damit einem vom LROP 2017 missbilligten Zustand auf unabsehbare Zeit hin, obwohl Deponiekapazitäten im Kreisgebiet zeitnah realisiert werden können. Dies verstößt gegen das Entwicklungsgebot des § 13 Abs. 2 Satz 1 ROG.

Sie sind auch mit den oben dargestellten Vorgaben an eine fehlerfreie Abwägung nicht in Einklang zu bringen. Der Antragsgegner ist schon von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen, indem er den Bedarf an Deponiekapazitäten unzutreffend ermittelt hat. Hinzu kommt, dass er die weit fortgeschrittene Deponieplanung der Antragsteller vollständig ausgeblendet hat, obwohl diese sogar nach dem Abfallwirtschaftsplan zur Schließung der bestehenden Lücke bei den Entsorgungsmöglichkeiten beitragen könnte (Abfallwirtschaftsplan S. 46).

Angesichts dessen bedarf es keiner weiteren Ausführungen, ob die Zielvorgabe der Ziffer 4.3 Abs. 02 Satz 3 RROP 2020 hinsichtlich der darin enthaltenen Verfahrensregelung die insoweit erforderliche Bestimmtheit aufweist (vgl. hierzu ausführlich Senatsurt. v. 29.4.2020 1 KN 103/17 -, BauR 2020, 1423 = BRS 88 Nr. 156 = juris Rn. 43 ff.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 analog, § 709 Satz 2, § 711 Satz 1 und 2 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.