Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 31.01.2018, Az.: 2 Sa 946/17
Verzugspauschale bei Zahlungsverzug der Arbeitgeberin
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 31.01.2018
- Aktenzeichen
- 2 Sa 946/17
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2018, 61073
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
Rechtsgrundlagen
- § 13 BGB
- § 14 BGB
- § 288 Abs. 5 S. 1 und S. 3 BGB
- Art. 229 § 34 EGBGB
Amtlicher Leitsatz
§ 288 Abs. 5 BGB findet auch im Arbeitsrecht Anwendung. Eine Bereichsausnahme für arbeitsrechtliche Forderungen hat der Gesetzgeber nicht vorgesehen.
Tenor:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger
a. 2.124,60 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1. Dezember 2016 abzüglich am 8. Juni 2017 gezahlter 2.124,60 Euro;
b. 306,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf jeweils 34,00 Euro seit dem jeweils ersten Tag des Kalendermonats von Mai 2016 bis November Januar 2016 sowie vom März 2017 bis April 2017 abzüglich am 8. Juni 2017 gezahlter 306,00 Euro;
c. 280,00 Euro
netto zu zahlen.
2. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
3. Die Beklagte trägt die erstinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 1/5 und die Beklagte zu 4/5.
4. Die Revision wird für die Beklagte hinsichtlich Ziffer 1 c des Tenors zugelassen. Im Übrigen wird die Revision nicht zugelassen.
5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 360,00 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung der Verzugspauschale.
Der Kläger ist seit ca. 16 Jahren bei der Beklagten als Kunststoffformgeber beschäftigt. Er erzielt eine durchschnittliche Bruttomonatsvergütung in Höhe von 2.600,00 Euro.
Mit seiner am 15. Februar 2017 bei dem Arbeitsgericht Oldenburg eingegangenen Klage machte der Kläger Weihnachtsgeld für das Jahr 2016 in Höhe von 2.124,60 Euro brutto sowie die Zahlung monatlicher Prämien in Höhe von 34,00 Euro für die Monate Mai 2016 bis November 2016 sowie für die Monate März 2017 und April 2017 (9 Monate x 34,00 Euro = 306,00 Euro) sowie die Verzugspauschale nach § 288 Abs. 5 BGB geltend.
Die Beklagte zahlte per 08. Juni 2017 das Weihnachtsgeld für das Jahr 2016 in Höhe von 2.124,60 Euro brutto sowie die geltend gemachten Prämien in Höhe von 306,00 Euro brutto.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, er könne hinsichtlich des Weihnachtsgeldes Verzugszinsen seit dem 01. Dezember 2016 beanspruchen, weil das Weihnachtsgeld mit der Abrechnung für den Monat November fällig gewesen sei. Die monatliche Prämie in Höhe von 34,00 Euro sei spätestens zum Ende des jeweiligen Monats fällig gewesen. Unabhängig vom Verzugszinsanspruch bestehe ein Anspruch auf die Verzugspauschale.
Der Kläger hat nach übereinstimmender Teilerledigung hinsichtlich des Weihnachtsgeldes und der Prämien zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen,
1. 2.124,60 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01. Dezember 2016 abzüglich am 08. Juni 2017 gezahlter 2.124,60 Euro;
2. 306,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf jeweils 34,00 Euro seit dem jeweils ersten Tag des Kalendermonats von Mai 2016 bis November 2017 sowie von März 2017 bis April 2017 abzüglich am 08. Juni 2017 gezahlter 306,00 Euro;
3. 360,00 Euro an den Kläger zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Mit Urteil vom 15. August 2017 hat das Arbeitsgericht Oldenburg der Klage stattgegeben. Der Kläger habe einen Anspruch auf Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basissatz seit dem 01. Dezember 2016 auf das Weihnachtsgeld in Höhe von 2.124,60 Euro brutto abzüglich am 08. Juni 2017 gezahlter 2.124,60 Euro (§§ 286 Abs. 2, 288 Abs. 1 BGB). Der Kläger habe ferner einen Anspruch auf Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf jeweils 34,00 Euro seit dem jeweils ersten Tag des Kalendermonats von Mai 2016 bis November 2016 abzüglich am 08. Juni 2017 gezahlter 306,00 Euro brutto (§§ 286 Abs. 2, 288 Abs. 1 BGB). Ferner habe der Kläger einen Anspruch auf Zahlung der Verzugspauschale in Höhe von 360,00 Euro gemäß § 288 Abs. 5 S. 1 BGB. § 288 Abs. 5 S. 1 BGB sei auch im Arbeitsrecht anwendbar, weil keine Bereichsausnahme vorliege. Die Beklagte habe sich in den streitigen Monaten mit der Zahlung der monatlichen Prämie in Höhe von 34,00 Euro in Verzug befunden. Dem Kläger stehe deshalb gemäß § 288 Abs. 5 BGB eine Verzugspauschale in Höhe von insgesamt 360,00 Euro zu.
Das Urteil ist der Beklagten am 22. August 2017 zugestellt worden. Hiergegen hat sie mit einem am 20. September 2017 beim Landesarbeitsgericht Niedersachsen eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 22. November 2017 eingegangenen Schriftsatz begründet, nachdem zuvor auf ihren Antrag vom 23. Oktober 2017 (Montag) durch Beschluss gleichen Tag die Berufungsbegründungsfrist bis zum 23. November 2017 verlängert worden war.
Die Beklagte vertritt die Ansicht, entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichtes Oldenburg finde § 288 Abs. 5 S. 1 BGB im Arbeitsrecht keine Anwendung. Der Anwendung auf arbeitsrechtliche Forderungen stehe § 12 a ArbGG, gegebenenfalls in analoger Anwendung, entgegen. Sinn und Zweck der Verzugspauschale sei nach der ausdrücklichen Regelung in Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2011/7/EU eine Entschädigung für die Beitreibungskosten des Gläubigers. Demgegenüber schließe § 12 a Abs. 1 S. 1 ArbGG im Urteilsverfahren erster Instanz einen Anspruch der obsiegenden Partei auf Entschädigung wegen Zeitversäumnis und auf Erstattung der Kosten für die Zuziehung eines Prozessbevollmächtigten oder Beistands aus. Dieser Ausschluss gelte für alle Ersatzansprüche, gleich aus welcher Grundlage und erfasse auch vorprozessuale Anwaltskosten.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 15. August 2017 - Az. 1 Ca 198/17 - abzuändern und die Beklagte bei Klagabweisung im Übrigen zu verurteilen, an den Kläger und Berufungsbeklagten
1. 2.124,60 € brutto nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01. Dezember 2016 abzüglich am 08. Juni 2017 gezahlter 2.124,60 € zu zahlen;
2. 306,00 € brutto nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf jeweils 34,00 € seit dem jeweils ersten Tag des Kalendermonats von Mai 2016 bis November 2016 sowie von März 2017 bis April 2017 abzüglich am 08. Juni 2017 gezahlter 306,00 € zu zahlen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt die angefochtene Entscheidung als zutreffend nach Maßgabe seiner Berufungserwiderung vom 27. Dezember 2017 (Bl. 74 ff. d. A.).
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst den zu den Akten gereichten Anlagen sowie auf das Protokoll der Kammerverhandlung vom 31. Januar 2018 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
A.
Die gemäß § 64 Abs. 2 a ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und insgesamt zulässig (§§ 66 Abs. 1 S. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
Die Berufungszulassung durch das Arbeitsgericht ist für das Landesarbeitsgericht gem. § 64 Abs. 4 ArbGG bindend.
B.
Die Berufung ist nur teilweise begründet.
Dem Kläger steht für die Kalendermonate Juli 2016 bis November 2016 und die Kalendermonate März 2017 bis April 2017 die Verzugspauschale in Höhe von jeweils 40,00 Euro gemäß § 288 Abs. 5 BGB zu. Insoweit ist die Berufung unbegründet.
Für die Kalendermonate Mai 2016 und Juni 2016 steht ihm die Verzugspauschale nicht zu. Insoweit ist die Berufung begründet.
I.
Nach der Übergangsvorschrift in Art. 229, § 34 EGBGB ist § 288 Abs. 5 BGB auf ein vor dem 29. Juni 2014 entstandenes Dauerschuldverhältnis anzuwenden, soweit die Gegenleistung nach dem 30. Juni 2016 erbracht wird. Dies ist vorliegend hinsichtlich der Prämien für die Monate Mai 2016 und Juni 2016 nicht der Fall. Insoweit war die Klage auf die Berufung der Beklagten abzuweisen.
II.
Hinsichtlich der weiteren Monate ist die Grundvoraussetzung des § 288 Abs. 5 S. 1 BGB vorliegend erfüllt. Die Beklagte befand sich seit Juli 2016 mit der Zahlung der monatlichen Prämie in Höhe von 34,00 Euro in Verzug. Dies hat das angefochtene Urteil zutreffend festgestellt. Die Ausführungen des Arbeitsgerichtes Oldenburg werden von der Beklagten im Rahmen der Berufung insoweit auch nicht angegriffen.
III.
Die Beklagte ist kein Verbraucher iSd. § 13 BGB, sondern Unternehmer iSd. § 14 BGB, so dass die Vorschrift auf ihren Schuldnerverzug auch Anwendung findet.
IV.
§ 288 Abs. 5 BGB ist im Arbeitsrecht anzuwenden. Eine Bereichsausnahme liegt nicht vor.
Die Berufungskammer schließt sich der überzeugenden Rechtsauffassung der Entscheidungen des Landesarbeitsgerichtes Baden-Württemberg vom 13. Oktober 2016 (- 3 Sa 34/16 - Rn. 91ff.), des Landesarbeitsgerichtes Köln vom 22. November 2016 (- 12 Sa 524/16 - Rn. 65 ff.) und des Landesarbeitsgerichtes Niedersachsen vom 20. April 2017 (- 5 Sa 1263/16 - Rn. 24 ff.) an.
1.
Dem Anspruch steht nicht § 288 Abs. 5 S. 3 BGB entgegen, der eine Anrechnungsregelung auf einen geschuldeten Schadensersatz enthält, soweit der Schaden in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist. Dieser Vorschrift kommt aufgrund des Fehlens eines außergerichtlichen Kostenerstattungsanspruches für Rechtsverfolgungskosten im Arbeitsrecht bei Entgeltforderungen keine Bedeutung zu.
2.
Eine für den Bereich des Arbeitsrechts verdrängende analoge Anwendung des § 12 a ArbGG kommt nicht in Betracht, weil es bereits bezüglich der Verzugspauschale gemäß § 288 Abs. 5 BGB an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt. Die Ausgestaltung durch die gesetzliche Neuregelung im Jahr 2014 stellt sich als eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers dar, der eine planwidrige Regelungslücke bereits im Ansatz ausschließt. So spricht insbesondere auch der Wortlaut für eine Anwendung auch auf arbeitsrechtliche Entgeltansprüche. Eine Bereichsausnahme für das Arbeitsrecht sieht der Wortlaut der Vorschrift in keiner Weise vor.
3.
Ferner dient diese Vorschrift der Umsetzung der EU-Richtlinie zur Bekämpfung des Zahlungsverzuges im Geschäftsverkehr, und der deutsche Gesetzgeber hat mit dieser Norm die Vorgaben der Richtlinie bewusst übererfüllt. Hieraus lässt sich aufgrund einer historischen Auslegung der Vorschrift eindeutig schließen, dass ihr Anwendungsbereich auch im Arbeitsrecht eröffnet ist.
Ferner erscheint es nicht überzeugend, sondern im Gegenteil systemwidrig, wenn ein Arbeitnehmer bei verspäteter oder unvollständiger Zahlung des Arbeitsentgeltes zwar die gesetzlichen Verzugszinsen nach § 288 Abs. 1 BGB und gegebenenfalls den weitergehenden Verzugsschaden nach § 288 Abs. 4 BGB geltend machen könnte, ihm jedoch der neue Pauschalschadensersatz nach § 288 Abs. 5 S.1 BGB verwehrt bliebe. Denn diese Neuregelung knüpft systematisch gerade an die vorherigen Absätze des § 288 Abs. 5 BGB und die gesetzlichen Verzugszinsen an.
Soweit von den Kritikern dieser Norm eingewandt wird, die Erstreckung auf Arbeitsverhältnisse sei rechtspolitisch verfehlt, ist dieser Einwand unerheblich. Die Gerichte sind auch zur Anwendung einer Gesetzesnorm verpflichtet, deren rechtspolitischer Sinn zweifelhaft erscheint.
Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.
C.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 a, 92 Abs. 1 ZPO.
Der Streitwert war in Höhe der bezifferten Klagforderung festzusetzen, §§ 3 ff. ZPO.
Gemäß § 72 ArbGG war die Revision für die Beklagte hinsichtlich Ziffer 1 c des Tenors wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache zum Bundesarbeitsgericht zuzulassen. Im Übrigen sah die Kammer keinen Grund für die Zulassung der Revision gemäß § 72 ArbGG.