Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 31.01.2018, Az.: 2 Sa 720/17

Verzugspauschale bei Zahlungsverzug der Arbeitgeberin

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
31.01.2018
Aktenzeichen
2 Sa 720/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 61071
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Oldenburg - 23.05.2017 - AZ: 1 Ca 35/17

Amtlicher Leitsatz

§ 288 Abs. 5 BGB findet auch im Arbeitsrecht Anwendung. Eine Bereichsausnahme für arbeitsrechtliche Forderungen hat der Gesetzgeber nicht vorgesehen.

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes Oldenburg vom 23. Mai 2017 - 1 Ca 35/17 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 240,00 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Zahlung der Verzugspauschale.

Der Kläger ist seit ca. 10 Jahren bei der Beklagten als Produktionsmitarbeiter beschäftigt. Er erzielt eine durchschnittliche Bruttomonatsvergütung in Höhe von 2.600,00 Euro.

Mit seiner am 06. Februar 2017 bei dem Arbeitsgericht Oldenburg eingegangenen Klage machte der Kläger Weihnachtsgeld für das Jahr 2016 in Höhe von 2.244,14 Euro brutto sowie die Zahlung monatlicher Prämien in Höhe von 34,00 Euro für die Monate Januar 2016 bis einschließlich Dezember 2016 (12 Monate x 34,00 Euro = 408,00 Euro) sowie die Verzugspauschale nach § 288 Abs. 5 BGB geltend.

Die Beklagte zahlte per 07. April 2017 das Weihnachtsgeld für das Jahr 2016 in Höhe von 2.244,14 Euro brutto sowie die geltend gemachten Prämien in Höhe von 408,00 Euro brutto.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, er könne hinsichtlich des Weihnachtsgeldes Verzugszinsen seit dem 01. Dezember 2016 beanspruchen, weil das Weihnachtsgeld mit der Abrechnung für den Monat November fällig gewesen sei. Die monatliche Prämie in Höhe von 34,00 Euro sei spätestens zum Ende des jeweiligen Monats fällig gewesen. Unabhängig vom Verzugszinsanspruch bestehe seit Juli 2016 ein Anspruch auf die Verzugspauschale.

Der Kläger hat nach übereinstimmender Teilerledigung hinsichtlich des Weihnachtsgeldes und der Prämien zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen,

1. 2.244,14 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01. Dezember 2016 abzüglich am 07. April 2017 gezahlter 2.244,14 Euro an den Kläger zu zahlen;

2. 408,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf jeweils 34,00 Euro seit dem jeweils ersten Tag des Kalendermonats von Februar 2016 bis Januar 2017 abzüglich am 07. April 2017 gezahlter 408,00 Euro brutto an den Kläger zu zahlen;

3. weitere 240,00 Euro an den Kläger zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 23. Mai 2017 hat das Arbeitsgericht Oldenburg der Klage stattgegeben. Der Kläger habe einen Anspruch auf Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basissatz seit dem 01. Dezember 2016 auf das Weihnachtsgeld in Höhe von 2.244,14 Euro brutto abzüglich am 07. April 2017 gezahlter 2.244,14 Euro (§§ 286 Abs. 2, 288 Abs. 1 BGB). Der Kläger habe ferner einen Anspruch auf Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf jeweils 34,00 Euro seit dem jeweils ersten Tag des Kalendermonats von Februar 2016 bis Januar 2017 abzüglich am 07. April 2017 gezahlter 408,00 Euro brutto (§§ 286 Abs. 2, 288 Abs. 1 BGB). Ferner habe der Kläger einen Anspruch auf Zahlung der Verzugspauschale in Höhe von 240,00 Euro gemäß § 288 Abs. 5 S. 1 BGB. § 288 Abs. 5 S. 1 BGB sei auch im Arbeitsrecht anwendbar, weil keine Bereichsausnahme vorliege. Die Beklagte habe sich seit Juli 2016 mit der Zahlung der monatlichen Prämie in Höhe von 34,00 Euro in Verzug befunden. Dem Kläger stehe deshalb gemäß § 288 Abs. 5 BGB eine Verzugspauschale in Höhe von insgesamt 240,00 Euro zu.

Das Urteil ist der Beklagten am 07. Juni 2017 zugestellt worden. Hiergegen hat sie mit einem am 04. Juli 2017 beim Landesarbeitsgericht Niedersachsen eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 07. September 2017 eingegangenen Schriftsatz begründet, nachdem zuvor auf ihren Antrag vom 04. August 2017 durch Beschluss vom 07. August 2017 die Berufungsbegründungsfrist bis zum 07. September 2017 verlängert worden war.

Die Beklagte vertritt die Ansicht, entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichtes Oldenburg finde § 288 Abs. 5 S. 1 BGB im Arbeitsrecht keine Anwendung. Der Anwendung auf arbeitsrechtliche Forderungen stehe § 12 a ArbGG, gegebenenfalls in analoger Anwendung, entgegen. Sinn und Zweck der Verzugspauschale sei nach der ausdrücklichen Regelung in Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2011/7/EU eine Entschädigung für die Beitreibungskosten des Gläubigers. Demgegenüber schließe § 12 a Abs. 1 S. 1 ArbGG im Urteilsverfahren erster Instanz einen Anspruch der obsiegenden Partei auf Entschädigung wegen Zeitversäumnis und auf Erstattung der Kosten für die Zuziehung eines Prozessbevollmächtigten oder Beistands aus. Dieser Ausschluss gelte für alle Ersatzansprüche, gleich aus welcher Grundlage und erfasse auch vorprozessuale Anwaltskosten.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 23. Mai 2017 - Az. 1 Ca 35/17 - abzuändern und die Beklagte bei Klagabweisung im Übrigen zu verurteilen, an den Kläger und Berufungsbeklagten

1. 2.244,14 € brutto nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01. Dezember 2016 abzüglich am 07. April 2017 gezahlter 2.244,14 € zu zahlen;

2. 408,00 € brutto nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf jeweils 34,00 € seit dem jeweils ersten Tag des Kalendermonats von Februar 2016 bis Januar 2017 abzüglich am 07. April 2017 gezahlter 408,00 € zu zahlen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt die angefochtene Entscheidung als zutreffend nach Maßgabe seiner Berufungserwiderung vom 27. November 2017 (Bl. 70 ff. d.A.).

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst den zu den Akten gereichten Anlagen sowie auf das Protokoll der Kammerverhandlung vom 31. Januar 2018 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.

Die gemäß § 64 Abs. 2 a ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und insgesamt zulässig (§§ 66 Abs. 1 S. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

Die Berufungszulassung durch das Arbeitsgericht ist für das Landesarbeitsgericht gem. § 64 Abs. 4 ArbGG bindend.

B.

Die Berufung ist unbegründet.

Dem Kläger steht für die Kalendermonate Juli 2016 bis Dezember 2016 die Verzugspauschale in Höhe von jeweils 40,00 Euro gemäß § 288 Abs. 5 BGB zu.

I.

§ 288 Abs. 5 BGB findet Anwendung. Dies folgt aus der Übergangsvorschrift in Art. 229, § 34 EGBGB. Danach ist diese Vorschrift auf ein vor dem 29. Juni 2014 entstandenes Dauerschuldverhältnis anzuwenden, soweit die Gegenleistung nach dem 30. Juni 2016 erbracht wird. Dies ist vorliegend der Fall.

II.

Auch die Grundvoraussetzung des § 288 Abs. 5 S. 1 BGB ist vorliegend erfüllt. Die Beklagte befand sich seit Juli 2016 mit der Zahlung der monatlichen Prämie in Höhe von 34,00 Euro in Verzug. Dies hat das angefochtene Urteil zutreffend festgestellt. Die Ausführungen des Arbeitsgerichtes Oldenburg werden von der Beklagten im Rahmen der Berufung auch nicht angegriffen.

III.

Die Beklagte ist kein Verbraucher iSd. § 13 BGB, sondern Unternehmer iSd. § 14 BGB, so dass die Vorschrift auf ihren Schuldnerverzug auch Anwendung findet.

IV.

§ 288 Abs. 5 BGB ist im Arbeitsrecht anzuwenden. Eine Bereichsausnahme liegt nicht vor.

Die Berufungskammer schließt sich der überzeugenden Rechtsauffassung der Entscheidungen des Landesarbeitsgerichtes Baden-Württemberg vom 13. Oktober 2016 (- 3 Sa 34/16 - Rn. 91ff.), des Landesarbeitsgerichtes Köln vom 22. November 2016 (- 12 Sa 524/16 - Rn. 65 ff.) und des Landesarbeitsgerichtes Niedersachsen vom 20. April 2017 (- 5 Sa 1263/16 - Rn. 24 ff.) an.

1.

Dem Anspruch steht nicht § 288 Abs. 5 S. 3 BGB entgegen, der eine Anrechnungsregelung auf einen geschuldeten Schadensersatz enthält, soweit der Schaden in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist. Dieser Vorschrift kommt aufgrund des Fehlens eines außergerichtlichen Kostenerstattungsanspruches für Rechtsverfolgungskosten im Arbeitsrecht bei Entgeltforderungen keine Bedeutung zu.

2.

Eine für den Bereich des Arbeitsrechts verdrängende analoge Anwendung des § 12 a ArbGG kommt nicht in Betracht, weil es bereits bezüglich der Verzugspauschale gemäß § 288 Abs. 5 BGB an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt. Die Ausgestaltung durch die gesetzliche Neuregelung im Jahr 2014 stellt sich als eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers dar, der eine planwidrige Regelungslücke bereits im Ansatz ausschließt. So spricht insbesondere auch der Wortlaut für eine Anwendung auch auf arbeitsrechtliche Entgeltansprüche. Eine Bereichsausnahme für das Arbeitsrecht sieht der Wortlaut der Vorschrift in keiner Weise vor.

3.

Ferner dient diese Vorschrift der Umsetzung der EU-Richtlinie zur Bekämpfung des Zahlungsverzuges im Geschäftsverkehr, und der deutsche Gesetzgeber hat mit dieser Norm die Vorgaben der Richtlinie bewusst übererfüllt. Hieraus lässt sich aufgrund einer historischen Auslegung der Vorschrift eindeutig schließen, dass ihr Anwendungsbereich auch im Arbeitsrecht eröffnet ist.

Ferner erscheint es nicht überzeugend, sondern im Gegenteil systemwidrig, wenn ein Arbeitnehmer bei verspäteter oder unvollständiger Zahlung des Arbeitsentgeltes zwar die gesetzlichen Verzugszinsen nach § 288 Abs. 1 BGB und gegebenenfalls den weitergehenden Verzugsschaden nach § 288 Abs. 4 BGB geltend machen könnte, ihm jedoch der neue Pauschalschadensersatz nach § 288 Abs. 5 S.1 BGB verwehrt bliebe. Denn diese Neuregelung knüpft systematisch gerade an die vorherigen Absätze des § 288 Abs. 5 BGB und die gesetzlichen Verzugszinsen an.

Soweit von den Kritikern dieser Norm eingewandt wird, die Erstreckung auf Arbeitsverhältnisse sei rechtspolitisch verfehlt, ist dieser Einwand unerheblich. Die Gerichte sind auch zur Anwendung einer Gesetzesnorm verpflichtet, deren rechtspolitischer Sinn zweifelhaft erscheint.

Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.

C.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Der Streitwert war in Höhe der bezifferten Klagforderung festzusetzen, §§ 3 ff. ZPO.

Gemäß § 72 ArbGG war die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache zum Bundesarbeitsgericht zuzulassen.