Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 05.12.2017, Az.: 4 LB 50/16

Awramale; Cawramale; Jubbada Hoose; Kismayo; Somalia; subsidiärer Schutz

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
05.12.2017
Aktenzeichen
4 LB 50/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 54036
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 27.11.2014 - AZ: 3 A 2963/13

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Einzelfallentscheidung zum Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG für einen Angehörigen der Awramale (Cawramale) aus Jubbada Hoose, Somalia.

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade - Einzelrichterin der 3. Kammer - vom 27. November 2014 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der vollstreckbaren Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beklagte wendet sich mit ihrer Berufung dagegen, dass sie durch das erstinstanzliche Urteil dazu verpflichtet worden ist, dem Kläger subsidiären Schutz zuzuerkennen.

Der Kläger stammt nach eigenen Angaben aus einem Dorf nahe der südsomalischen Stadt Kismayo, gehört dem Clan der Awramale, auch Cawramale, an und wurde am 1. März 1992 geboren.

Am 5. Juni 2012 stellte der Kläger einen Asylantrag. In der Befragung zur Vorbereitung der Anhörung gab er an, dass er zu Fuß von Somalia nach Kenia gelangt sei und von dort mit Hilfe von Schleusern von Nairobi aus Richtung Europa geflogen sei. In Europa habe er sich eine Bahnfahrkarte nach Schweden besorgt. Aus den Akten ergibt sich, dass er am 22. Mai 2012 am Grenzübergang Freilassing aufgegriffen und am 25. Mai 2012 aufgrund seiner Altersangabe zunächst als Minderjähriger in Obhut genommen worden war, dann aber nach einer radiologischen Untersuchung seine Volljährigkeit festgestellt wurde. Bei seiner Vernehmung am 22. Mai 2012 gab der Kläger an, dass er Probleme wegen des Bürgerkriegs in Somalia gehabt habe und dem gesellschaftlich niedrigsten Clan angehöre. Sein Onkel sei von bewaffneten Milizen umgebracht worden. Seine Eltern hätten beschlossen, dass es für ihn besser sei, das Land zu verlassen.

Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 14. Juni 2012 gab der Kläger an, dass sein Heimatdorf und Kismayo unter der Kontrolle der Al-Shabaab ständen. Somalia habe er verlassen, weil er erstens einem relativ kleinen Clan angehöre, der von den großen Clans seines Heimatgebiets unterdrückt werde, und weil er zweitens der Kontrolle und Tötung durch die Al-Shabaab habe entgehen wollen. Im Januar 2011 habe die Al-Shabaab sein Elternhaus angezündet, wo er sich im Keller versteckt gehalten habe, um nicht zwangsweise mitgenommen zu werden. Zunächst habe er sich mit seiner Familie weiter in dem Haus aufgehalten, um sich dann im März 2012 nach Kenia zu begeben. In den Monaten vor seiner Ausreise sei sein Vater von der Al-Shabaab festgehalten worden, weil er ihn angeblich nach Europa geschickt habe. Nachdem die kenianische Armee in Somalia einmarschiert sei, sei die Flucht über einen Korridor möglich gewesen. Einmal sei er, der Kläger, auch mit 14 anderen Jugendlichen von der Al-Shabaab mitgenommen worden zur militärischen Ausbildung. Er habe aber fliehen können. Ein Aufenthalt in Mogadischu sei für ihn nicht in Frage gekommen, weil man in Somalia von seinem Clan abhängig sei.

Ein vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eingeholtes Sprachgutachten ergab, dass der Kläger mit Sicherheit sprachlich-geographisch der Herkunftsregion Südsomalia zuzuordnen sei. Während der Sprachuntersuchung gab der Kläger an, im Dorf Hoosingow, Provinz Unterer Juba, aufgewachsen zu sein. Dort habe er seinem Vater beim Getreide-, Obst- und Gemüseanbau sowie bei der Beaufsichtigung des Viehs geholfen. Das Sprachgutachten kommt zu dem Ergebnis, dass der Kläger entweder eine Zeit irgendwo in Südsomalia gelebt habe oder - was realistischer sei - in Hoosingow als Mitglied einer Majeerteenfamilie sozialisiert worden sei.

Mit Bescheid vom 12. Juli 2013 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigten und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorlagen.

Dagegen hat der Kläger Klage erhoben, die er im Wesentlichen folgendermaßen begründet hat: Ihm sei die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, weil er bei der Anhörung sein Verfolgungsschicksal glaubhaft geschildert habe. Sein Vater sei von der Al-Shabaab mitgenommen worden, weil er ihn, den Kläger, nicht habe mitgehen lassen. Im Jahr 2010 sei er, der Kläger, von Al-Shabaab aufgegriffen und ausgebildet worden. Nach seiner Flucht habe er sich zu Hause versteckt und die Al-Shabaab hätten das Haus angezündet. Daraufhin sei er mit seiner Familie nach Kenia geflohen. Im Flüchtlingslager sei per Radio mitgeteilt worden, dass er sich seiner Verantwortung vor Gott entzogen habe. Daher sei er nicht mehr sicher gewesen. Die Eltern, die vor der Flucht alles verkauft hätten, hätten ihm dann die Weiterreise mit Hilfe eines Schleppers für 8.000 Dollar ermöglicht. Widersprüche zu seiner Äußerung vor dem Bundesamt seien auf Verständigungsprobleme zurückzuführen. Ferner lägen die Voraussetzungen für Abschiebungsverbote vor. Der Kläger hat ein fachärztliches Attest vom 14. November 2014 vorgelegt, welches eine posttraumatische Belastungsstörung und eine schwere depressive Episode diagnostizierte. In der mündlichen Verhandlung am 27. November 2014 hat der Kläger angegeben, dass seine Mutter noch in Somalia und seine Schwester in Kenia lebten; sein Vater sei 2013 gestorben. Er sei nach Deutschland geflohen wegen Al-Shabaab und seiner Clanzugehörigkeit. Seine Familie sei durch die größeren Stämme ausgebeutet worden. Von der Al-Shabaab sei er zusammen mit 14 weiteren Jugendlichen in ein Lager gebracht worden. Dort sei er geschlagen worden. Einmal sei er auch mit einer Gruppe anderer Jugendlicher in den Kampf geschickt worden. Er habe aber zu Fuß bis nach Hause fliehen können und sich dort vor der Al-Shabaab versteckt. Es sei immer wieder nach ihm gesucht worden. Sein Vater sei misshandelt und verschleppt worden, das Haus sei in Brand gesteckt worden. Seine Mutter habe ihn dann mit Hilfe von Nachbarn aus dem brennenden Haus gerettet. Er sei brennend in den Busch gerannt, seine Mutter habe Zucker auf die Verbrennungen gemacht. Er habe sieben Monate in der Hütte gelebt und diese tagsüber nicht verlassen. Seine Mutter habe ihn mit Essen versorgt. Als die kenianischen Truppen nach Somalia gekommen seien, sei die ganze Familie, auch der nach zwei Monaten heimgekehrte, kranke Vater, im März 2012 nach Kenia gegangen. Er sei sich sicher, dass er bei einer Rückkehr nach Somalia von der Al-Shabaab umgebracht würde.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 12. Juli 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG zuzuerkennen,

hilfsweise,

ihm subsidiären Schutz nach § 4 AsylVfG zuzuerkennen,

hilfsweise,

festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat eingewandt, dass der Vortrag des Klägers nicht konsistent und gesteigert und daher unglaubhaft sei. Laut Anhörungsprotokoll habe der Kläger ausdrücklich erklärt, keine Verständigungsschwierigkeiten gehabt zu haben.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet, dem Kläger subsidiären Schutz gemäß § 4 AsylVfG zuzuerkennen, und den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge aufgehoben, soweit er dem entgegensteht. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Kläger weder glaubhaft gemacht habe, Somalia unter dem Druck bereits erlittener Verfolgung durch die Al-Shabaab verlassen zu haben, noch habe er glaubhaft gemacht, dass ihm bei einer Rückkehr dorthin Verfolgung drohe. Die Schilderung seiner persönlichen Fluchtgründe sei extrem oberflächlich und detailarm gewesen. Er habe sich in Widersprüche zu seiner Schilderung vor dem Bundesamt verstrickt und sein Vorbringen in wesentlichen Punkten gesteigert. Daher sei ihm der begehrte Flüchtlingsschutz nicht zuzuerkennen. Der hilfsweise geltend gemachte subsidiäre Schutz stehe dem Kläger jedoch zu. Er habe stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihm bei einer Rückkehr nach Somalia ein ernsthafter Schaden nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG in Gestalt einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen des dortigen innerstaatlichen bewaffneten Konflikts drohe. In Südsomalia herrsche Bürgerkrieg. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger aus der Gegend um Kismayo komme. Aus den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln ergebe sich, dass in Zentral- und Südsomalia ein derart hoher Gefahrengrad bestehe, dass jede dort anwesende Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG ausgesetzt sei. Eine quantitative Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts könne nicht durchgeführt werden, weil eine solche aufgrund der auf Schätzungen fußenden Erkenntnismittel und einer vermuteten Dunkelziffer nicht belastbar möglich sei. Auch aufgrund gefahrerhöhender Umstände in seiner Person sei der Kläger einer ernsthaften Bedrohung in diesem Sinne ausgesetzt. Es sei für ihn schwierig bis unmöglich, in seine Heimatregion zurückzukehren. Er laufe als junger Auslandsrückkehrer Gefahr, von Al-Shabaab als Spion verdächtigt und getötet zu werden. Es beständen auch erhebliche Gefahren aufgrund von clanbezogenen Rivalitäten und Übergriffen islamistischer Gruppen. Also sei davon auszugehen, dass der Kläger in Mogadischu verbleiben müsse. Dort sei er ohne Unterstützung und eigenes Vermögen schutzlos und Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt. Al-Shabaab agiere dort noch immer. Dies gelte auch für Kismayo. Dort sei es im Jahr 2013 auch zu erheblichen Auseinandersetzungen zwischen Clan-Milizen gekommen.

Gegen dieses Urteil hat der Senat auf Antrag der Beklagten mit Beschluss vom 22. Februar 2016 (- 4 LA 27/15 -) die von der Beklagten beantragte Berufung wegen Divergenz zugelassen.

Die Beklagte trägt zur Begründung der Berufung vor, dass das Urteil auf einer Abweichung von der übergeordneten Rechtsprechung beruhe und Tatsachen- und Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen seien. Das Verwaltungsgericht sei davon ausgegangen, dass es angesichts der bestehenden Schwierigkeit, belastbare Aussagen zu den Opferzahlen unter der Zivilbevölkerung zu erhalten, von der Verpflichtung enthoben sei, eine quantitative Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos entsprechend der höchstrichterlichen Rechtsprechung vorzunehmen. Dies widerspreche der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Beschluss vom 1. Juli 2013 (- 10 B 4.13 -) und den Urteilen vom 27. April 2010 (- 10 C 4.09 -) und vom 17. November 2010 (- 10 C 13.10 -), das in jedem Fall Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt in dem vom bewaffneten Konflikt betroffenen Gebiet fordere. Diese zu § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in der bis zum 30. November 2013 geltenden Fassung begründete Rechtsprechung gelte auch für den unionsrechtlichen subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG. Es bestehe ausreichendes Zahlenmaterial für Somalia, um zumindest eine nicht völlig realitätsferne Basis für die erforderliche Risikobewertung zu liefern. Selbst bei einer großzügigen Betrachtungsweise und unter Berücksichtigung einer Dunkelziffer bleibe das Tötungs- und Verletzungsrisiko für Mogadischu in einem niedrigen Bereich von unter 2 %. Dies sei weit entfernt von dem erforderlichen Grad des „real risk“, der dem der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entspreche. Zwar könne eine in diesem Sinne wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer quantitativen Betrachtungsweise eine Wahrscheinlichkeit von weniger als 50 % für dessen Eintritt bestehe. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit sei gegeben, wenn bei einer zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhaltes die für eine Gefährdung sprechenden Umstände größeres Gewicht besäßen und deswegen die dagegen sprechenden Tatsachen überwögen. Allerdings liege die vorliegend quantitativ festgestellte Gefährdungswahrscheinlichkeit von unter 2 % derart weit entfernt von einer an 50 % heranreichenden Schadenswahrscheinlichkeit, dass auch bei wertender Betrachtung keine beachtliche Wahrscheinlichkeit anzunehmen sei. Sowohl der EGMR als auch weitere Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit seien in Entscheidungen aus den Jahren 2013 und 2014 dementsprechend zu dem Ergebnis gekommen, dass die Voraussetzungen für subsidiären Schutz wegen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit jeder Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konfliktes in Somalia bzw. einzelnen Landesteilen nicht vorlägen. Für Kismayo, dem Herkunftsort des Klägers, gelte dies auch. Soweit das Verwaltungsgericht angenommen habe, dass sich Schwierigkeiten bei der Reise des Klägers an seinen Heimatort individuell gefahrerhöhend auswirken würden, begegne dies Zweifeln. Willkürliche Gewalt meine Gefährdungshandlungen, die ganz wesentlich dadurch gekennzeichnet seien, dass gerade kein auf den einzelnen Zivilisten konkret gezieltes Vorgehen vorliege. Das beinhalte aber, dass nur solche Gegebenheiten einbezogen werden dürften, die sich allein im Gebiet des tatsächlichen Zielortes gefahrerhöhend auswirkten und nicht bei der Reise dorthin.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er erwidert, dass in anderen Verfahren die Beklagte nach Erteilung einer Auskunft des Auswärtigen Amtes an ein Verwaltungsgericht den Bescheid selbständig insoweit abgeändert habe, dass subsidiärer Schutz gewährt worden sei. Daher vermöchten die Ausführungen der Beklagten zur Gefahrendichte in Süd- und Zentralsomalia nicht zu überzeugen.

In der mündlichen Verhandlung am 5. Dezember 2017 hat der Kläger Gelegenheit erhalten, seine Fluchtgeschichte und seine persönlichen Umstände zu schildern. Davon hat er Gebrauch gemacht. Es wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind. Die von dem Senat zugrunde gelegten Erkenntnismittel ergeben sich aus den Listen, die den Beteiligten übersandt worden sind, sowie aus der Sitzungsniederschrift.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet. Aufgrund der Einverständniserklärung der Beteiligten dufte die Berichterstatterin entscheiden (§§ 125 Abs. 1 Satz 1, 87 a Abs. 2 und Abs. 3 VwGO); die mündliche Verhandlung durfte auch in Abwesenheit der Beklagten durchgeführt werden (§§ 125 Abs. 1 Satz 1, 102 Abs. 2 VwGO).

Einer Einlegung der Berufung bedurfte es nach ihrer Zulassung durch den Senat gemäß § 78 Abs. 5 Satz 3 AsylG nicht. Die Berufung ist fristgerecht eingelegt und ausreichend begründet worden (§ 124 a Abs. 6 und Abs. 3 Sätze 3 bis 5 VwGO). Eine Bezugnahme auf den Zulassungsantrag - wie vorliegend erfolgt - genügt, wenn dieser - wie hier - einen bestimmten Antrag enthält und die im Einzelnen aufzuführenden Berufungsgründe substantiiert und auf den Fall bezogen darlegt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 3.8.2016 - 1 B 79.16 -, zitiert nach juris).

Die Berufung ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte nach der gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, die am 5. Dezember 2017 vor dem erkennenden Gericht stattgefunden hat, zu Recht verpflichtet, dem Kläger den subsidiären Schutz zuzuerkennen.

Ein Anspruch des Klägers auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG ist gegeben. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG gilt als ernsthafter Schaden die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).

Ein drohender ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG erfordert stets eine erhebliche individuelle Gefahrendichte. Diese kann nur angenommen werden, wenn dem Schutzsuchenden ein ernsthafter Schaden mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Dieser Prüfungsmaßstab folgt aus dem Tatbestandsmerkmal „… tatsächlich Gefahr liefe …“ in Art. 2 Buchst. f der Richtlinie 2011/95/EU (vormals Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG). Der darin enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Dieser stellt bei einer Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk“); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010 - 10 C 5.09 -, BVerwGE 136, 377 Rn.18 ff., Urt. v. 17.11.2011 - 10 C 13/10 -, NVwZ 2012, 454 Rn. 20, jeweils mit Verweis auf EGMR, Urt. v. 28.2.2008 - Nr. 37201/06, Saadi/Italien -, NVwZ 2008, 1330).

Für alle Anträge auf internationalen Schutz, worunter der hier begehrte subsidiäre Schutz im Sinne des § 4 AsylG fällt (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG), gilt die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU. Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, bei Rückkehr einen ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Beweiserleichterung in Gestalt einer widerleglichen tatsächlichen Vermutung setzt aber auch im Rahmen des subsidiären Schutzes voraus, dass ein innerer Zusammenhang zwischen dem vor der Ausreise erlittenen oder damals unmittelbar drohenden Schaden (Vorschädigung) und dem befürchteten künftigen Schaden besteht. Denn die der Vorschrift zugrundeliegende Wiederholungsvermutung beruht wesentlich auf der Vorstellung, dass eine Verfolgungs- oder Schadenswiederholung - bei gleichbleibender Ausgangssituation - aus tatsächlichen Gründen naheliegt (BVerwG, Urt. v. 27.4.2010 - 10 C 4.09 -, BVerwGE 136, 360 Rn 31, Urt. v. 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, NVwZ 2012, 454 Rn 21).

Bei Anwendung dieser Maßstäbe ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Somalia ein ernsthafter Schaden im Sinne einer der Varianten des § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG droht.

Seinen Angaben zu Folge, die das Gericht insoweit für glaubhaft erachtet und die durch das von der Beklagten eingeholte Sprachgutachten gestützt werden, stammt der Kläger aus der Gegend westlich von Kismayo in der Region Unterer Juba bzw. Jubbada Hoose. Soweit das Sprachgutachten von der Herkunft des Klägers aus Hoosingow ausgeht, hat dieser in der mündlichen Verhandlung überzeugend ausgeführt, dass damit nicht der Ort nahe der kenianischen Grenze, sondern der Bezirk gemeint ist. Er selbst ist deutlich näher an Kismayo aufgewachsen. Der nächste größere Ort war Abdale Birole.

Das Gericht geht davon aus, dass im März 2012, also dem Zeitpunkt zu dem der Kläger seinen insoweit überzeugenden Angaben zufolge Somalia über die kenianische Grenze zu Fuß verlassen hat, eine Ausgangssituation bestanden hat, aufgrund derer ihm wegen eines besonders hohen, allgemeinen Gefährdungsrisikos ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG gedroht hat. Denn zu diesem Zeitpunkt war es nach dem Einmarsch kenianischer und äthiopischer Truppen im Jahr zuvor noch zu offenen Kampfhandlungen der Truppen der somalischen Übergangsregierung und anderer afrikanischer Nationen gegen die Kämpfer der Al-Shabaab-Miliz gekommen. Die Al-Shabaab hielt in dieser Zeit auch noch das mittlerweile befreite Kismayo in ihrer Gewalt. Folge dieser Situation waren desaströse humanitäre Zustände und mehrere tausend Binnenvertriebene (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Somalia, Stand März 2012, S. 7; Danish Immigration Service, Security and human rights issues in South-Central Somalia, including Mogadishu, 30.1.-19.2.2012, S. 30 f.). Davon waren auch der Kläger und seine Familie betroffen, wenn man seine insoweit glaubhaften Angaben zu Grunde legt. Allerdings greift die tatsächliche Vermutung des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU vorliegend nicht ein, weil sich die Ausgangssituation in Südsomalia im nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung geändert hat; die Vermutung ist damit widerlegt.

Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG gilt als ernsthafter Schaden eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Die Schutzgewährung greift auch dann ein, wenn sich der innerstaatliche bewaffnete Konflikt nur auf einen Teil des Staatsgebietes erstreckt (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.6.2008 - 10 C 43.07 -, BVerwGE 131, 198 Rn. 25, Urt. v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 -, BVerwGE 146, 12 Rn. 13). Besteht ein bewaffneter Konflikt mit einem solchen Gefahrengrad nicht landesweit, ist für die anzustellende Gefahrenprognose auf den Zielort der Abschiebung abzustellen. Dabei kommt es weder darauf an, für welche Region sich ein unbeteiligter Betrachter vernünftigerweise entscheiden würde, noch darauf, in welche Region der betroffene Ausländer seinem subjektiven Blickwinkel nach strebt. Vielmehr ist in der Regel auf die Herkunftsregion des Schutzsuchenden abzustellen, in die er typischerweise zurückkehren wird. Ein Abweichen von dieser Regel kann nicht damit begründet werden, dass dem Ausländer in der Herkunftsregion die Gefahren drohen, vor denen § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ihm Schutz gewähren soll. Allerdings ist jedenfalls dann nicht (mehr) auf die Herkunftsregion abzustellen, wenn sich der Ausländer schon vor der Ausreise und unabhängig von den fluchtauslösenden Umständen von dieser gelöst und in einem anderen Landesteil mit dem Ziel niedergelassen hatte, dort auf unabsehbare Zeit zu leben. (BVerwG, Urt. v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 -, a.a.O., Rn. 13 f.).

Nach dem Diakité-Urteil des Europäischen Gerichtshofs (v. 30.1.2014 - C-285/12 -, NVwZ 2014, 573 [EuGH 30.01.2014 - Rs. C-285/12]) zu Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95/EU (vormals 2004/83/EG), dessen Umsetzung § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG dient, liegt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vor, wenn die regulären Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen, ohne dass dieser Konflikt als bewaffneter Konflikt, der keinen internationalen Charakter aufweist, im Sinne des humanitären Völkerrechts eingestuft zu werden braucht und ohne dass die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, der Organisationsgrad der vorhandenen bewaffneten Streitkräfte oder die Dauer des Konflikts Gegenstand einer anderen Beurteilung als der des im betreffenden Gebiet herrschenden Grads an Gewalt ist. Das am humanitären Völkerrecht orientierte Begriffsverständnis des innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes, wie es das Bundesverwaltungsgericht vertreten hat (Urt. v. 27.4.2010 - 10 C 4.09 -, a.a.O., Rn. 22 ff.), muss damit als überholt angesehen werden (vgl. BayVGH, Urt. v. 7.4.2016 - 20 B 14.30101 -, zitiert nach juris). Entscheidend für die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ist bei bewaffneten Auseinandersetzungen das Gefährdungsniveau für den Schutzsuchenden.

Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urt. v. 27.4.2010 - 10 C 4.09 -, a.a.O., Urt. v. 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, a.a.O., Urt. v. 13.2.2014 - 10 C 6.13 -, NVwZ-RR 2014, 487), welcher das Gericht folgt, enthält folgende Vorgaben zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine ernsthafte individuelle Bedrohung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a.F.) anzunehmen ist: Es genügt nicht, dass der innerstaatliche bewaffnete Konflikt zu permanenten Gefährdungen der Bevölkerung und zu schweren Menschenrechtsverletzungen führt (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.2.2014 - 10 C 6.13 -, a.a.O., Rn. 24). Allerdings kann sich eine von einem bewaffneten Konflikt ausgehende allgemeine Gefahr individuell verdichten und damit die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG erfüllen (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.6.2008 - 10 C 43.07 -, a.a.O., Rn. 34). Für die individuelle Betroffenheit bedarf es einer Feststellung zur Gefahrendichte, die jedenfalls auch eine annährungsweise quantitative Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos umfasst. Erforderlich ist eine Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung (BVerwG, Urt. v. 27.4.2010 - 10 C 4.09 -, a.a.O., Rn. 33). Eine derartige Individualisierung kann sich bei einem hohen Niveau willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Betroffenen ergeben. Dazu gehören in erster Linie persönliche Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Möglich sind aber auch solche persönlichen Umstände, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden (BVerwG, Urt. v. 27.4.2010 - 10 C 4.09 -, a.a.O., Rn. 33, Urt. v. 17.11.2010 - 10 C 13.10 -, a.a.O., Rn. 18). Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Auslegung des Begriffs der ernsthaften individuellen Bedrohung in Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95/EU (vormals 2004/83/EG) im Elgafaji-Urteil (EuGH, Urt. v. 17.2.2009 - C-465/07 -, zitiert nach juris) gibt keinen Anlass, den vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Prüfungsmaßstab aufzugeben.

Es ist das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG in der Herkunftsregion des Klägers zu prüfen. Dabei ist auch die Situation in der Stadt Kismayo miteinzubeziehen. Denn es ist am ehesten zu erwarten, dass der Kläger wieder zu seiner Herkunftsfamilie zurückkehren würde, die seinen insoweit glaubhaften Angaben zufolge wegen des Todes seines Vaters hauptsächlich noch aus Mutter und einer Schwester besteht, die zu den Binnenvertriebenen gehören und in einem Flüchtlingslager in der Stadt Kismayo untergekommen sind.

Für die Provinz Jubbada Hoose, deren Hauptsatdt Kismayo ist, ist ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt anzunehmen.

In den Worten des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs stellt sich die allgemeine Situation in Somalia nach den auch in diesem Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln aktuell im Wesentlichen wie folgt dar (BayVGH, Urt. v. 23.3.2017 - 20 B 15.30110 -, zitiert nach juris):

„Somalia ist spätestens seit Beginn des Bürgerkriegs 1991 ohne flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die Autorität der Zentralregierung wird vom nach Unabhängigkeit strebenden „Somaliland“ im Nordwesten sowie von der die Regierung aktiv bekämpfenden, radikal-islamistischen Al-Shabaab-Miliz in Frage gestellt. Das Land zerfällt faktisch in drei Teile, nämlich das südliche und mittlere Somalia, die Unabhängigkeit beanspruchende „Republik Somaliland“ im Nordwesten und die autonome Region Puntland im Nordosten. In Puntland gibt es eine vergleichsweise stabile Regierung; die Region ist von gewaltsamen Auseinandersetzungen deutlich weniger betroffen als Süd-/Zentralsomalia. In „Somaliland“ wurde im somaliaweiten Vergleich das bislang größte Maß an Sicherheit,Stabilität und Entwicklung erreicht. In Süd- bzw. Zentralsomalia mit der Hauptstadt Mogadischu kämpfen die somalischen Sicherheitskräfte mit Unterstützung der Militärmission der Afrikanischen Union AMISOM gegen die Al-Shabaab-Miliz. Die Gebiete befinden sich teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle der Al-Shabaab-Miliz oder anderer Milizen. Die meisten größeren Städte sind schon seit längerer Zeit in der Hand der Regierung, in den ländlichen Gebieten herrscht oft noch die Al-Shabaab. In den „befreiten“ Gebieten finden keine direkten kämpferischen Auseinandersetzungen mehr statt. Die Al-Shabaab verübt jedoch immer wieder Sprengstoffattentate auf bestimmte Objekte und Personen, bei denen auch Unbeteiligte verletzt oder getötet werden (siehe Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia vom 1. Januar 2017 – Stand: November 2016, S. 4 f.; Österreichisches Bundesasylamt, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Somalia – vom 25. April 2016, S. 13 ff. und Analyse der Staatendokumentation – Somalia – Sicherheitslage, 12. Oktober 2015, S. 32; siehe auch EGMR, U.v. 10.9.2015 – Nr. 4601/14 [R.H./Schweden] – NVwZ 2016, 1785; U.v. 5.9.2013 – Nr. 886/11, [K.A.B. ./. Schweden] – Rn. 87 ff.; BayVGH, U.v. 17.3.2016 – 20 B 13.30233 – juris und U.v. 17.3.2016 – 20 B 13.30233 – juris; OVG Rheinland-Pfalz, U.v. 16.12.2015 – 10 A 10689/15 – juris = Asylmagazin 2016, 29).“

In der Provinz Jubbada Hoose, die sich im äußersten Süden Somalias an der Grenze zu Kenia befindet, liegt die für Südsomalia typische Situation der vor allem im ländlichen Raum präsenten Al-Shabaab-Miliz vor. In den meisten größeren Städten, u.a. in Kismayo, stellt die Al-Shabaab aber keinen militärischen Machtfaktor mehr dar, obwohl sie immer noch eingeschränkt aktiv ist. Dies ist maßgeblich auf die Anwesenheit von Truppen der AMISOM und auch der somalischen Sicherheitskräfte (SNA) zurückzuführen, die in den letzten Jahren verschiedene Offensiven gegen die Al-Shabaab-Miliz gekämpft haben und diese erfolgreich aus den Städten verdrängen konnten (Sicherheitslage in Somalia - Bericht zur österreichisch-schweizerischen Fact Finding Mission, August 2017, S. 57 ff.; Danish Immigration Service, South and Central Somalia - Security Situation, al-Shabaab Presence, and Target Groups, März 2017, S. 14 f.; Landinfo, Somalia: Power relations in Southern Somalia, 10.11.2016). Weitere Akteure, die eine Rolle in der Region Jubbada Hoose spielen, sind Truppen der Verwaltung von Jubaland und lokale Clan-Milizen (European Asylum Support Office [EASO], Somalia Security Situation, Februar 2016, S. 32). Letztere arbeiten einerseits mit den Truppen der AMISOM zusammen, um Gebiete von der Al-Shabaab zu säubern (Sicherheitslage in Somalia - Bericht zur österreichisch-schweizerischen Fact Finding Mission, August 2017, S. 58). Andererseits ist eine Zusammenarbeit insbesondere kleinerer Clans mit Al-Shabaab üblich, die noch immer einen wichtigen Machtfaktor in Somalia darstellt und dies aller Voraussicht nach auch in Zukunft tun wird (EASO, Informationsbericht über das Herkunftsland: Süd- und Zentralsomalia Länderüberblick, August 2014, S. 96 f.). Es ergibt sich eine unübersichtliche Gesamtlage, in der ein Aufeinandertreffen von Soldaten staatlicher Truppen (somalische Sicherheitskräfte und AMISOM), Kämpfern der Al-Shabaab sowie lokaler Clan-Milizen und regionaler Truppen immer wieder vorkommt. Insbesondere die Truppen der SNA und der AMISOM sowie die der Regionalverwaltung werden von Kämpfern der Al-Shabaab angegriffen (EASO, Somalia Security Situation, Februar 2016, S. 31; Österreichisches Bundesasylamt, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Somalia, 25.4.2016, S. 23). Dies ist nach dem Diakité-Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95/EU (vormals 2004/83/EG) ausreichend für einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG.

Aus diesem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt folgt aber nicht, dass zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt eine erhebliche individuelle Gefahrendichte vorliegt, die dazu führt, dass dem Kläger im Falle seiner Rückkehr in seine Heimatregion mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG drohen würde.

Die quantitative Ermittlung des Verletzungs- und Tötungsrisikos ergibt auf der Grundlage der verfügbaren Auskünfte folgendes Bild: Für die Heimatregion des Klägers Jubbada Hoose ist schätzungsweise von einer Gesamtbevölkerung von ca. 540.000 bis 550.000 Menschen auszugehen. Diese Zahl fußt maßgeblich auf der Schätzung des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) für Somalia, die auf Erhebungen der Somalischen Behörden im Zeitraum Oktober 2013 bis März 2014 beruht. Danach beträgt die Bevölkerung für die Untere Juba-Region 489.307 Menschen (UNFPA, Population Estimation Survey 2014, Oktober 2014, S. 110 f.). Bei einem geschätzten Bevölkerungswachstum von 2,8 % im Jahr (UNFPA, a.a.O., S. 44), ergibt sich davon ausgehend drei Jahre später die Anzahl von ca. 530.000 Menschen. Zählt man noch ca. 13.000 Binnenflüchtlinge dazu, die vor der in den nördlich von Jubbada Hoose gelegenen Regionen herrschenden Dürre geflohen sind (OCHA, Somalia: Humanitarian Snapshot, 6.7.2017), ergibt sich eine Gesamtzahl für die Heimatregion des Klägers von 543.000 Menschen, wobei ein gutes Drittel der Bevölkerung auf den städtischen Bereich entfällt und der Rest Einwohner ländlicher Regionen, Nomaden oder Binnenvertriebene sind (UNFPA, a.a.O., S. 104 ff.). Dieser Gesamtzahl ist zunächst die Zahl der bekannten Todesfälle aufgrund von Konfliktvorfällen für diese Region gegenüberzustellen. Für das erste Quartal 2017 wurden 170 und für das zweite Quartal 2017 wurden 164 Todesfälle berichtet (Austrian Center for Country of Origin & Asylum Research Documentation [ACCORD], Somalia 1. und 2. Quartal 2017: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project [ACLED]). Hochgerechnet auf das gesamte Jahr 2017 sind damit 668 Todesfälle zu erwarten. Für das Jahr 2016 wurden ausweislich der ACLED-Auskünfte 678 Todesfälle in der Region Jubbada Hoose berichtet. Damit ergibt sich gemessen an der ermittelten Bevölkerung eine Wahrscheinlichkeit von rund 0,12 % Prozent (ca. 1:800), durch einen Konfliktvorfall ums Leben zu kommen. Zahlen über Verletzte liegen nicht vor. Bei der Bewertung dieser Zahlen ist einerseits zu berücksichtigen, dass die ACLED-Auskünfte sich nicht auf getötete Zivilpersonen beschränken, sondern Tote bei Konfliktvorfällen insgesamt erfassen. Schätzungsweise mehr als die Hälfte der angegebenen Toten dürften daher Soldaten und Kämpfer und nicht Zivilisten sein. Diese Schätzung beruht auf der Kategorisierung der Konfliktvorfälle durch ACLED. Danach wird im Wesentlichen unterschieden zwischen Kämpfen, Gewalt gegen Zivilpersonen, Fernangriffen, Ausschreitungen und strategischen Entwicklungen. Es ist davon auszugehen, dass in der Kategorien Kämpfe deutlich mehr Soldaten bzw. Kämpfer betroffen sind als Zivilisten. Diese Kategorie macht regelmäßig mehr als die Hälfte der in den ACLED-Auskünften angegebenen Toten aus. Andererseits muss davon ausgegangen werden, dass gerade bei getöteten Zivilpersonen im ländlichen Bereich Südsomalias und vor allem in Gebieten, die von der Al-Shabaab kontrolliert werden, eine erhebliche Dunkelziffer besteht (Sicherheitslage in Somalia - Bericht zur österreichisch-schweizerischen Fact Finding Mission, August 2017, S. 111). Daher geht das Gericht davon aus, dass die aufgrund der ACLED-Auskünfte ermittelte Tötungsquote nur eine höchst annäherungsweise Abbildung des Risikos darstellt, als Teil der Zivilbevölkerung Opfer willkürlicher Gewalt in der Heimatregion des Klägers zu werden.

Selbst bei großzügiger Betrachtungsweise und bei der vom Bundesverwaltungsgericht geforderten wertenden Gesamtbetrachtung, zu der auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet gehört (BVerwG, Urt. v. 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, a.a.O., Rn. 23), sieht das erkennende Gericht auf der Grundlage der verfügbaren Zahlen die Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, dass jede der im Konfliktgebiet anwesenden Zivilpersonen allein aufgrund ihrer Anwesenheit dort einen ernsthaften Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG erleiden würde, noch nicht als überschritten an. Denn das erforderliche besonders hohe Niveau willkürlicher Gewalt wird nicht erreicht. Das erkennende Gericht legt angesichts der anzunehmenden Dunkelziffer speziell im ländlichen Bereich Südsomalias die ermittelte Tötungsquote von 0,12 % ohne den an sich vorzunehmenden, substantiellen Abzug von getöteten Soldaten und Kämpfern zugrunde. Auch bei Berücksichtigung einer erheblichen Anzahl zusätzlicher Verletzter und einer äußerst mangelhaften medizinischen Versorgungslage (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia vom 1.1.2017, Stand: November 2016, S. 16; Österreichisches Bundesasylamt, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Somalia, 25.4.2016, S. 93) bleibt die individuelle Gefährdungsquote immer noch deutlich unter 1 %. Damit ist zwar durchaus ein spürbares, aber eben noch nicht ein besonders hohes Gefährdungsrisiko gegeben.

Die verfügbaren aktuellen Informationen zur Lage in und um Kismayo führen nicht zu einer anderen Einschätzung des allgemeinen Gefährdungsrisikos. Zwar gilt die Situation in der Unteren Juba-Region wegen der besonderen Gemengelage von rivalisierenden Clans und Warlords, Streitigkeiten zwischen der somalischen Zentralregierung und der Verwaltung von Jubaland sowie der ständigen Präsenz von Al-Shabaab als volatil (EASO, Somalia Security Situation, Februar 2016, S. 31; Österreichisches Bundesasylamt, Analyse der Staatendokumentation - Somalia Sicherheitslage, 25.7.2013, S. 12 ff.). Allerdings konnten sich in den letzten Jahren gewisse Stabilitätsfaktoren in der Gegend um Kismayo etablieren, so dass sich die Sicherheitslage insgesamt verbessert hat. Die Stadt selbst gilt mittlerweile als konsolidiert und ruhig. Die Regionalverwaltung ist für somalische Verhältnisse funktional und militärisch überdurchschnittlich gut ausgestattet. Das Hinterland von Kismayo und weitere Teile der ländlichen Unteren Juba-Region werden allerdings noch immer von Al-Shabaab kontrolliert. Die Konzentration von Kräften der Al-Shabaab ist wegen der Bedrohung durch kenianische Luftschläge eingeschränkt. Relevante Gefechte konzentrieren sich auf das unmittelbare Umfeld von Kismayo (Sicherheitslage in Somalia - Bericht zur österreichisch-schweizerischen Fact Finding Mission, August 2017, S. 58-62).

Gefahrerhöhende Umstände in der Person des Klägers, die angesichts der allgemeinen Gefährdungslage bei einer Rückkehr in seinen Heimatort zu einer ernsthaften individuellen Bedrohung seiner Person führen würden, vermag das Gericht nicht zu erkennen.

Seine gewaltsame Zwangsrekrutierung durch die Al-Shabaab-Miliz ist sehr unwahrscheinlich, bei einer Rückkehr nach Kismayo sogar nahezu ausgeschlossen, weil die Al-Shabaab dort keinen militärischen Machtfaktor mehr darstellt (s.o.). Zwangsrekrutierungen entsprechen ohnehin nicht dem modus operandi der Al-Shabaab; dementsprechend sind aus jüngerer Zeit keine oder kaum Meldungen über solche Rekrutierungen bekannt (Sicherheitslage in Somalia - Bericht zur österreichisch-schweizerischen Fact Finding Mission, August 2017, S. 49 f.). Wahrscheinlicher wäre der Versuch einer Rekrutierung des Klägers über seinen Clan, vorausgesetzt ein entsprechendes Übereinkommen besteht zwischen seinem Clan und der Al-Shabaab. Allerdings ist davon auszugehen, dass ein einzelner - also auch der Kläger - sich einem solchen Rekrutierungsversuch verweigern könnte (vgl. Sicherheitslage in Somalia - Bericht zur österreichisch-schweizerischen Fact Finding Mission, August 2017, S. 52 f., Danish Immigration Service, South and Central Somalia - Security Situation, al-Shabaab Presence, and Target Groups, März 2017, S. 20 f.).

Dass der Kläger in seiner Anhörung behauptet hat, bereits von der Al-Shabaab zwangsrekrutiert worden zu sein, führt zu keiner anderen Bewertung seines individuellen Gefährdungsrisikos. Denn seine Angaben sind insoweit unglaubhaft. Es ist dem Kläger nicht gelungen, diese Begebenheit in seinen Anhörungen durch die Beklagte, das Verwaltungsgericht erster Instanz sowie das erkennende Gericht zweiter Instanz ausreichend konsistent und plausibel zu schildern. So hat er die Episode, dass Mitglieder der Al-Shabaab nach seiner Flucht aus einem Ausbildungscamp nach ihm gesucht, seinen Vater entführt und das Haus angezündet hätten, in der mündlichen Verhandlung am 5. Dezember 2017 überhaupt erst auf Vorhalt des Gerichts geschildert. Dabei wäre es zu erwarten gewesen, dass er just diese Episode von sich aus berichten würde, zumal er zuvor ausreichend Gelegenheit gehabt hatte, seine Fluchtgeschichte zu erzählen. Bei der Schilderung dieses Vorfalls ist es dem Kläger nicht gelungen, ihn zeitlich konsistent in den Gesamtzusammenhang seiner Flucht einzuordnen. So hat er in der Anhörung durch die Beklagte am 14. Juni 2012 und in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 27. November 2014 angegeben, dass das Haus im Januar 2011 in Brand gesteckt worden sei, er sich mit seiner Familie dort noch sieben Monate aufgehalten habe und sich dann nach Kenia begeben habe. Am 5. Dezember 2017 hat er hingegen erstmalig geschildert, dass er sich ca. neun bis elf Monate an der kenianischen Grenze in einem Zeltlager, welches von der kenianischen Polizei bewacht wurde, zusammen mit zahlreichen weiteren Flüchtlingen aufgehalten habe, bevor er im März 2012 Somalia verlassen konnte. Weiter hat der Kläger in seinen gerichtlichen Anhörungen angegeben, dass sein Vater im Januar 2011 von der Al-Shabaab mitgenommen worden und ca. nach 2 Monaten wieder zurückgekehrt sei. Bei der Anhörung durch die Beklagte im Jahr 2011 hatte er hingegen den Zeitpunkt, zu dem sein Vater mitgenommen worden sei, nicht benennen können. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 27. November 2014 hat er angegeben, dass der Vater nach Hause zurückgekommen sei und man sich dann mit einer anderen Familie zusammengeschlossen habe und nach Kenia aufgebrochen sei. Vor dem erkennenden Gericht hat er hingegen in der mündlichen Verhandlung am 5. Dezember 2017 zunächst geschildert, dass sein Vater später dazugekommen sei, nachdem die Familie sich Richtung kenianische Grenze aufgemacht hatte. Diese bei jeder erneuten Schilderung abweichenden Details lassen das erkennende Gericht zu dem Schluss kommen, dass Teile der Fluchtgeschichte des Klägers wie die Flucht vor der Al-Shabaab, die Inbrandsetzung des Hauses und die Entführung des Vaters nicht den tatsächlichen Geschehnissen entsprechen. Glaubhaft bleibt allein, dass der Kläger und seine Familie als nomadisch lebende Angehörige eines Minderheitenclans in den Jahren 2011 und 2012 in den damals in Südsomalia tobenden offenen Bürgerkrieg hineingeraten sind und sich für eine Flucht Richtung Kenia entschieden haben.

Das erkennende Gericht sieht keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger aufgrund seiner somalischen Vergangenheit oder seines Aufenthaltes in Deutschland verstärkt in das Visier der Al-Shabaab geraten würde. Insbesondere ist - wie soeben ausgeführt - nicht davon auszugehen, dass er vor seiner Ausreise bereits in das Visier der Al-Shabaab geraten ist und deshalb bei einer Rückkehr besonders gefährdet wäre. Allein die Tatsache, dass der Kläger aus dem Ausland nach Somalia zurückkehren würde, bewirkt ebenfalls keine signifikante Erhöhung seines individuellen Gefährdungsrisikos. Der Kläger gehört nicht zum Kreis derjenigen Personen, die aufgrund ihres Berufs oder ihrer prominenten öffentlichen Stellung im Fokus der Al-Shabaab stehen (vgl. UK Home Office, Country Policy and Information Note - Somalia [South and Central]: Fear of Al-Shabaab, July 2017). Es ist davon auszugehen, dass im Falle der Rückkehr, sofern überhaupt eine Kontrolle durch die Al-Shabaab stattfände, letztlich sein Verhalten und seine familiären Verbindungen entscheidend dafür wären, ob er in Schwierigkeiten geraten würde (vgl. Danish Immigration Service, South and Central Somalia - Security Situation, al-Shabaab Presence, and Target Groups, März 2017, S. 24; Landinfo, Report Somalia: Practical issues and security challenges associated with travels in Southern Somalia, 4.4.2016, S. 10). Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger sein Verhalten nicht anpassen könnte oder aufgrund seiner familiären Verbindungen zu einer Zielperson der Al-Shabaab werden würde, liegen nicht vor. Seine Mutter und seine Schwester sind wieder in die Heimatregion zurückgekehrt; auch weitere Angehörige des Klägers leben dort. Der Kläger hat seine Kindheit in Südsomalia verbracht, so dass davon auszugehen ist, dass er seine Erscheinung und sein Verhalten bei einer Rückkehr den dortigen Gepflogenheiten anpassen könnte.

Seine Zugehörigkeit zu einem Minderheitsclan, nämlich dem der Cawramale bzw. Awramale, wirkt sich ebenfalls nicht gefahrerhöhend aus. Aus einer aktuellen Anfragebeantwortung zu diesem Clan (Austrian Center for Country of Origin and Asylum Research Documentation, Informationen zu einem Clan namens Cawramale [auch: Awramale], 15.7.2016) geht hervor, dass die Awramale traditionell ein Gebiet in Südsomalia westlich von Kismayo bewohnen, welches über erstklassiges Land verfügt. Wie üblich in dieser Gegend sind auch die Awramale in Konflikte und Rivalitäten zwischen den dort ansässigen Clans verwickelt. Im Jahr 2014 war es zu der Ermordung zahlreicher wichtiger Personen der Gesellschaft in Kismayo gekommen, worunter sich auch ein prominenter Ältester des Clans der Awramale befand. Weiter wird berichtet, dass die Awramale von der Macht in Kismayo zwar ausgeschlossen sind, aber von außen Druck auf die Stadt ausüben können. In der Vergangenheit haben sie mit der Al-Shabaab in Sicherheitsfragen und bei der Umsetzung der Scharia zusammengearbeitet. Letzterer Umstand dürfte sich für den Kläger im Falle seiner Rückkehr in seine Heimatregion eher gefahrmindernd als -erhöhend auswirken, jedenfalls wenn die Affiliation zwischen den Awramale und der Al-Shabaab weiterhin Bestand hat. Soweit der Kläger in seiner Anhörung Diskriminierungen seines Clans oder Sub-Clans durch andere Clans beschrieben hat, führt dieser Umstand für sich betrachtet nicht zu einer ernsthaften individuellen Bedrohung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG, sondern zu einer allgemeinen gesellschaftlichen Benachteiligung.

Weil aufgrund der verfügbaren Erkenntnisse und der Angaben des Klägers im Laufe des Verfahrens und der letzten mündlichen Verhandlung keine ernsthafte Bedrohung individuelle seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts festgestellt werden kann, ist ein Anspruch auf subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG abzulehnen. Daher kommt es in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob er in einem anderen Landesteil internen Schutz im Sinne des § 4 Abs. 3 i. V. m. § 3 e AsylG fände.

Der Kläger ist aber deshalb subsidiär schutzberechtigt, weil ihm für den Fall seiner Rückkehr nach Somalia Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG drohen würden.

Diese Vorschrift setzt Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU (vordem 2004/83/EG) um und orientiert sich an Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl 1952 II S. 685). Damit ist auch die Rechtsprechung des EGMR zu beachten. Danach haben die Staaten vorbehaltlich ihrer vertraglichen Verpflichtungen einschließlich derer aus der Konvention selbst, das Recht, die Einreise, den Aufenthalt und die Ausweisung von Ausländern zu regeln (EGMR, Urt. v. 28.5.1985 - Nr. 15/1983/71/107-109, Abdulaziz u.a./Vereinigtes Königreich - NJW 1986, 3007; BVerwG, Beschl. v. 25.10.2012 - 10 B 16.12 -, zitiert nach juris Rn. 8 m.w.N.). Die Verantwortlichkeit eines Konventionsstaates nach der Konvention kann dann begründet werden, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene im Falle seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. In einem solchen Fall ergibt sich aus Art. 3 EMRK die Verpflichtung, die Person nicht in dieses Land abzuschieben (BVerwG, Urt. v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 -, a.a.O., Rn. 23 unter Verweis auf EGMR, Urt. v. 7.7.1989 - Nr. 1/1989/161/217, Soering/Vereinigtes Königreich - NJW 1990, 2183 [BFH 13.03.1990 - IX R 104/85] Rn. 90 f. und Urt. v. 28.2.2008 - Nr. 37201/06, Saadi/Italien - NVwZ 2008, 1330 Rn. 125). Allerdings bestimmt sich der Maßstab für eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK bei Abschiebungen in Staaten mit schwierigen Lebensbedingungen nicht nach einem für alle Menschen gleich geltenden Mindeststandard einer Behandlung. So können Ausländer kein Recht aus der Konvention auf Verbleib in einem Konventionsstaat geltend machen, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Hilfe und Unterstützung zu erhalten. Der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht nach der Rechtsprechung des EGMR allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen (BVerwG, BVerwG, Urt. v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 -, a.a.O., Rn. 23). Die grundlegende Bedeutung von Art. 3 EMRK macht allerdings eine gewisse Flexibilität erforderlich, um in sehr ungewöhnlichen Fällen eine Abschiebung zu verhindern bzw. subsidiären Schutz zuzuerkennen. In ganz außergewöhnlichen Fällen können daher auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung zwingend sind. Einen solchen Ausnahmefall hat der EGMR im Urteil M.S.S./Belgien und Griechenland (v. 21.1.2011 - Nr. 30696/09 -, NVwZ 2011, 413) angenommen, wenn ein vollständig von staatlicher Unterstützung abhängiger Asylbewerber behördlicher Gleichgültigkeit gegenübersteht, obwohl er sich in mit der Menschenwürde unvereinbarer Bedürftigkeit und Armut befindet und obwohl das positive Recht des Aufnahmestaates vorsieht, dass bedürftigen Asylbewerbern Unterkunft und angemessene materielle Bedingungen gewährt werden müssen. In Fällen, in denen - wie in Somalia - die schlechten humanitären Bedingungen nicht nur oder überwiegend auf Armut oder fehlende staatliche Mittel beim Umgang mit Naturereignissen zurückzuführen sind, sondern überwiegend auf direkte und indirekte Aktionen der Konfliktparteien zurückgehen, hält der EGMR und ihm folgend das Bundesverwaltungsgericht es in Anlehnung an die im Verfahren M.S.S./Belgien und Griechenland entwickelten Kriterium ebenfalls für geboten, die Fähigkeit eines Schutzsuchenden, seine elementaren Bedürfnisse wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft zu befriedigen, weiter seine Verletzlichkeit für Misshandlungen und seine Aussicht auf eine Verbesserung der Lage in angemessener Zeit im Rahmen der Prüfung des Art. 3 EMRK zu berücksichtigen (EGMR, Urt. v. 28.6.2011 - Nr. 8319/07, Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich - NVwZ 2012, 681 Rn. 278, 282 f.; BVerwG, Urt. v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 -, a.a.O., Rn. 25).

Maßgeblich für die Beurteilung, ob der Betroffene durch die Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden, ist die Perspektive des abschiebenden Staates. Bei dieser Prüfung stellt der EGMR grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat ab und prüft zunächst, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet. Das gilt auch bei der Beurteilung von Umständen, die nicht in die unmittelbare Verantwortung des Abschiebungszielstaates fallen, dem abschiebenden Staat nach Art. 3 EMRK aber dennoch eine Abschiebung des Ausländers verbieten (BVerwG, Urt. v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 -, a.a.O., Rn. 26 unter Verweis auf EGMR, Urt. v. 28.6.2011 - Nr. 8319/07, a.a.O., Rn. 265, 301, 309.).

Davon ausgehend ist zunächst die Lage in Mogadishu in Bezug auf den Kläger in den Blick zu nehmen. Denn dieses ist die einzige Stadt in Süd- und Zentralsomalia, in die es einen geordneten Linienflugverkehr aus Europa gibt und die folglich als Zielort für eine Abschiebung in Betracht kommt (Österreichisches Bundesasylamt, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Somalia, 25.4.2016, S. 97). In der jüngeren Rechtsprechung sowohl des EGMR als auch deutscher Oberverwaltungsgerichte besteht Einigkeit darüber, dass die Sicherheitslage in Mogadischu mittlerweile ein Stabilitätsniveau erreicht hat, welches eine Bedrohungslage im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG und damit auch die Gefahr, deswegen einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden, jedenfalls für Personen ohne besondere gefahrerhöhende Umstände ausschließt (EGMR, Urt. v. 5.9.2013 - Nr. 886/11, K.A.B./Schweden, Rn. 67 ff.; Urt. v. 10.9.2015 - Nr. 4601/14, R.H./Schweden, NVwZ 2016, 1785 Rn. 67 ff.; BayVGH, Urt. v. 28.3.2017 - 20 B 15.30204 -, zitiert nach juris; Urt. v. 23.3.2017 - 20 B 15.30110 -, zitiert nach juris; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 16.12.2015 - 10 A 10689/15 -, zitiert nach juris). Dieser Beurteilung der Gefahrenlage in Mogadischu schließt sich das Gericht nach Auswertung der verfügbaren Erkenntnismittel an. Im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über Somalia des österreichischen Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (v. 25.4.2016, S. 27) wird die Lage wie folgt beschrieben:

„Mogadischu bleibt weiterhin unter Kontrolle von Regierung und AMISOM (AI 24.2.2016). Es ist höchst unwahrscheinlich, dass al Shabaab wieder die Kontrolle über Mogadischu erlangt (DIS 9.2015; vgl. UKUT 3.10.2014, EASO 2.2016). Der Rückzug der formalen Präsenz der al Shabaab aus Mogadischu ist dauerhaft. Es gibt in der Stadt auch kein Risiko mehr, von der al Shabaab zwangsrekrutiert zu werden. Es gibt in Mogadischu keine Clanmilizen und keine Clangewalt (UKUT 3.10.2014; vgl. EGMR 10.9.2015), auch wenn einzelne Clans angeblich noch in der Lage sein sollen, Angriffe führen zu können (EASO 2.2016). In Mogadischu gibt es eine Präsenz von AMISOM, somalischer Armee und Polizei, sowie des Geheimdienstes NISA. Die Stadt ist generell sicher, auch wenn sie von al Shabaab bedroht wird (EASO 2.2016; vgl. DIS 9.2015). Es besteht keine Angst mehr, dass in Mogadischu wieder Bürgerkrieg herrschen könnte. Seit 2011 hat sich die Sicherheitslage in der Stadt sehr verbessert. Die größte Gefahr geht heute von terroristischen Aktivitäten der al Shabaab aus. Die Hauptziele dafür sind die Regierung und die internationale Gemeinde (LI 1.4.2016). Die Situation in Mogadischu ist nicht derartig, dass jeder Mensch in der Stadt einem Risiko entsprechend Artikel 3 EMRK ausgesetzt wäre (EGMR 10.9.2015; vgl. UKUT 3.10.2014). Die Stadtbewohner sind normalerweise nur dann betroffen, wenn sie zur falschen Zeit am falschen Ort sind (LI 1.4.2016). Jeder Stadtbürger kann sein eigenes Risiko weiter minimieren, indem er Gebiete oder Einrichtungen meidet, die klar als Ziel der al Shabaab erkennbar sind (UKUT 3.10.2014). EASO listet als angegriffene Ziel von Sprengstoffanschlägen der al Shabaab vor allem Hotels (YSL Hotel, Central Hotel, Maka alMukarama Hotel, Jazeera Palace Hotel, Sahafi Hotel), Restaurants, Regierungseinrichtungen und -Konvois, Stellungen und Stützpunkte von Regierungskräften und AMISOM (EASO 2.2016).“

An dieser Einschätzung der generellen Lage ändern auch die jüngsten Berichte und Meldungen über die Situation in Mogadischu nichts. Der verheerende Terroranschlag am 14. Oktober 2017, welcher der Al-Shabaab zugeschrieben wird, kann nicht als Rückfall in offene bürgerkriegsartige Zustände wie im Jahr 2011 verstanden werden, zumal bis dahin von einer graduellen Verbesserung der Sicherheit in Mogadischu im Jahr 2017 berichtet wurde (International Crisis Group, Crisis Group Africa Briefing: Managing the Disruptive Aftermath of Somalia’s Worst Terror Attack, 20.10.2017). Betroffen von diesem Anschlag waren letztlich die Stadtbewohner, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Gefahrerhöhende Umstände in der Person des Klägers dergestalt, dass er einem besonders hohen Risiko ausgesetzt wäre, in Mogadischu Opfer von willkürlicher Gewalt zu werden, sind nicht erkennbar.

Der Kläger wäre bei einer Rückkehr nach Mogadischu aber deswegen einer menschenrechtswidrigen Behandlung ausgesetzt, weil er auf derart schlechte humanitäre Verhältnisse stieße, dass seine Rückführung im Lichte des im Verfahren M.S.S./Belgien und Griechenland (EGMR, Urt. v. 21.1.2011 - Nr. 30696/09, a.a.O.) entwickelten Prüfungsmaßstabs die Garantien aus Art. 3 EMRK verletzen würde.

Mogadischu wird im ostafrikanischen Raum - trotz aller Gefahren und Armutsrisiken - mittlerweile als „Boomtown“ angesehen (SpiegelOnline, Warlord City - The Business of Fear in Boomtown Mogadishu, 27.10.2017; The Guardian, Three tales of Mogadishu: violence, a booming economy … an now famine, 15.5.2017). Der ökonomische Aufschwung und die Zunahme öffentlicher Verwaltung haben zu einer wachsenden Nachfrage nach gelernten und ungelernten Arbeitskräften geführt; insbesondere auf dem Bau und in der Gastronomie werden mittlerweile vermehrt Gastarbeiter aus Kenia und Bangladesch angeworben. Anders als in anderen Landesteilen Somalias besteht vermehrt Bedarf auch an ungelernten Tagelöhnern (Landinfo, Report Somalia: Relevant social and economic conditions upon return to Mogadishu, 1.4.2016, S. 12 f.). Für Mogadischu wird von einer im landesweiten Vergleich besonders niedrigen Jugendarbeitslosigkeit von 6 % ausgegangen; die Chancen für Auslandsrückkehrer auf dem Arbeitsmarkt werden - abhängig von weiteren Umständen - als relativ günstig eingeschätzt (Österreichisches Bundesasylamt, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Somalia, 25.4.2016, S. 88, 92 f.).

Allerdings stimmen die aktuellen Berichte darin überein, dass nach Mogadishu zurückkehrende Somalier über familiäre oder Clan-Verbindungen verfügen sollten, um im wirtschaftlichen Leben Fuß zu fassen (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Magdeburg v. 2.11.2015 zum Az. 5 A 288/14 MD); Landinfo, Report Somalia: Relevant social and economic conditions upon return to Mogadishu, 1.4.2016, S. 13 f.; Österreichisches Bundesasylamt, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Somalia, 25.4.2016, S. 87 ff.). Das vom Österreichischen Bundesasylamt herausgegebene Länderinformationsblatt über Somalia (a.a.O., zuletzt geändert am 27. Juni 2017) beschreibt die Situation unter Bezugnahme auf Entscheidungen des United Kingdom Upper Tribunal aus den Jahren 2014 und 2015 wie folgt (S. 93):

„Zur Klärung, welche Mittel eine Person bei einer Rückkehr nach Mogadischu zur Verfügung hat, sind folgende Punkte zu berücksichtigen: Die Lebensumstände der Person vor der Abreise aus Mogadischu; die Dauer der Abwesenheit aus der Stadt; die Clan-Verbindungen, auf welche zurückgegriffen werden kann; der Zugang zu finanziellen Ressourcen; die Möglichkeiten der Person, sich durch Arbeit oder Selbständigkeit einen Lebensunterhalt zu finanzieren; die Verfügbarkeit von Rimessen aus dem Ausland; die Lebensumstände der Person im Gastland; und die Frage, ob die Finanzierung der Reise in den Westen einer finanziellen Unterstützung bei der Rückkehr entgegensteht. Insgesamt liegt es also an der Person selbst zu erklären, warum sie nicht an den durch den Wirtschaftsboom in Mogadischu bestehenden ökonomischen Möglichkeiten teilhaben kann.“

Das erkennende Gericht hält es ebenfalls für überzeugend, diese Aspekte in einer Gesamtschau zu berücksichtigen.

Aufgrund des aussagekräftigen Sprachgutachtens sowie der glaubhaften Angaben des Klägers zu seiner Abstammung, seiner Sozialisation und seiner familiären Situation in Somalia ergibt sich zur Überzeugung des erkennenden Gerichtes folgendes Gesamtbild: Der Kläger gehört einem südsomalischen Minderheitenclan an, der über keine nennenswerte Vernetzung in Mogadischu verfügen dürfte. Familiäre Verbindungen dorthin bestehen nicht. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger nicht über sonstige Verbindungen nach Mogadischu verfügt. Er hat seine Kindheit und Jugend im äußersten Süden Somalias als Nomade verbracht, ehe die Familie in den Jahren 2011/2012 zwischen die Bürgerkriegsfronten geriet. Zu diesem Zeitpunkt dürfte der Kläger ausweislich des aussagekräftigen radiologischen Gutachtens zur Altersfeststellung vom 31. Mai 2012 gerade volljährig gewesen sein. Auch wenn die Familie Landbesitz gehabt haben dürfte, stellt dieser - sofern er überhaupt noch besteht - offensichtlich keine zugängliche Finanzierungsquelle dar. Denn sonst wäre es nicht zu erklären, wieso Mutter und Schwester des Klägers abhängig von humanitärer Hilfe in Kismayo als intern Vertriebene leben und weitere Geschwister des Klägers sich ebenfalls ins Ausland (Kenia und    Oman) abgesetzt haben. Hinzu kommt, dass der Vater des Klägers seinen überzeugenden Schilderungen zufolge im Jahr 2013 verstorben ist. Eine wesentliche Finanzierungsquelle der in Somalia verbliebenen Familienangehörigen dürfte somit bei lebensnahe Betrachtung der Kläger selbst darstellen. Dieser hat glaubhaft angegeben, seiner in Kenia lebenden Schwester Geld zu senden, damit diese es dann an seine in Kismayo lebende Mutter und Schwester weitersenden kann. Im Umkehrschluss folgt daraus, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Somalia keine finanzielle Unterstützung aus dem Ausland zu erwarten hätte. Diese Gesamtumstände sprechen bereits dagegen, dass es dem Kläger gelingen würde, seine ökonomische und humanitäre Grundversorgung in Mogadischu sicherzustellen.

Erschwerend kommt hinzu, dass er als Person, die über keine Kontakte in Mogadischu verfügt, einem erheblichen Konkurrenzdruck durch andere Flüchtlinge und Rückkehrer ausgesetzt wäre. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen berichtet von fast 30.000 Flüchtlingen aus dem Jemen bis Ende 2015 und prognostiziert weiteren Zustrom aus dem Jemen (UNHCR, Yemen Situation Regional Refugee and Migrant Response Plan, Dezember 2015, S. 42 ff.; s. auch Österreichisches Bundesasylamt, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Somalia, 25.4.2016, S. 96 f.). Von Saudi Arabien werden laufend Somalier in ihre Heimat zurückgeschickt (Österreichisches Bundesasylamt, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Somalia, 25.4.2016, S. 97). Das Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen geht für Juli 2017 von über 160.000 Hungerflüchtlingen nach Mogadischu aus (OCHA, Somalia: Humanitarian Snapshot, 6.7.2017).

In der Gesamtschau ist also mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass der Kläger in Somalia der Gefahr einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Verelendung ausgesetzt wäre. Es ist davon auszugehen, dass er in einem der Flüchtlingslager („settlements“) in Mogadischu (vgl. Landinfo, Query response Somalia: The settlements in Mogadishu) unterkommen müsste und sich allenfalls punktuell als Tagelöhner verdingen könnte. Bei lebensnaher Betrachtungsweise könnte er so seine Grundbedürfnisse nicht in ausreichender Weise decken. Der somalische Staat bietet generell keine Hilfsprogramme an; internationale Hilfsprojekte sind zwar verfügbar, können aber nur - wenn überhaupt - elementarste Grundbedürfnisse decken (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia vom 1.1.2017, Stand: November 2016, S. 16). Ohne Verbindungen zu Familien- oder Clanmitgliedern und ohne finanzielle Unterstützung wäre der Kläger dort zudem weitgehend schutzlos.

Es ist nicht davon auszugehen, dass sich die Lage für den Kläger in anderen Landesteilen Somalias, auch nicht in seiner Heimatregion in und um Kismayo, günstiger darstellen würde. Zwar wäre dem Kläger die Reise nach Kismayo möglich, ohne dass eine Gefährdungslage geschaffen würde, die einen Anspruch auf subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 oder Nr. 3 AsylG begründen könnte. Sämtliche Regionen Südsomalias sind von Mogadischu aus mit dem Bus erreichbar, wobei die Reise teilweise auch Übernachtungen erfordert. Gefahren gehen vor allem von Straßensperren („Checkpoints“) aus, die von sämtlichen Konfliktakteuren - Clan-Milizen, staatlichen Truppen und Al-Shabaab - sowie von Banditen errichtet werden. Regelmäßig geht es bei diesen Sperren um die Generierung von zusätzlichen Einnahmen. Fahrer versuchen, soweit wie möglich auf sichere Routen auszuweichen oder Reisen zeitlich zu verschieben, sofern im Vorwege Informationen über Sperren kursieren. Entscheidend für Reisende, die in solche Sperren geraten, ist es, nicht aufzufallen (Landinfo, Report Somalia: Practical issues and security challenges associated with travels in Southern Somalia, 4.4.2016). Da der Kläger - wie bereits im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen der § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ausgeführt - nicht zu einem durch Übergriffe der Al-Shabaab besonders gefährdeten Personenkreis gehört, würde eine Reise von Mogadischu in seine Heimatregion kein für einen Anspruch aus § 4 Abs. 1 AsylG ausreichendes Gefährdungsniveau begründen.

Allerdings würde der Kläger bei lebensnaher Betrachtung auch in Kismayo keine Lebensumstände vorfinden, die ihn vor einer Verelendung schützen könnten. Die verbliebenden Mitglieder der Kernfamilie sind selbst Binnenvertriebene und von humanitärer Hilfe abhängig. Konkurrenzdruck dürfte zudem von zahlreichen Rückkehrern aus Kenia ausgehen, deren Hauptziel Kismayo ist (Sicherheitslage in Somalia - Bericht zur österreichisch-schweizerischen Fact Finding Mission, August 2017, S. 60). Mit einer finanziellen Unterstützung durch andere Familien- oder Clanmitglieder oder aus dem Ausland könnte der Kläger ebenfalls nicht rechnen.

Die Gefahr, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Somalia wegen schlechter humanitärer Bedingungen einen ernsthaften Schaden nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG erleiden würde, ist nicht in erster Linie auf generelle Armut oder fehlende staatliche Mittel zurückzuführen, sondern geht überwiegend auf direkte oder indirekte Aktionen der am Konflikt in Somalia beteiligten Akteure zurück (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 -, a.a.O., Rn. 25). Damit sind die nach §§ 4 Abs. 3 Satz 1, 3 c AsylG erforderlichen Verfolgungsakteure gegeben.

Weil der Kläger nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG subsidiär schutzberechtigt ist, braucht auf das Vorliegen nationaler Abschiebungshindernisse nicht mehr eingegangen zu werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylG nicht erhoben.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.