Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 08.12.2017, Az.: 11 ME 395/17
Abhilfe; Abstandskonkurrenz; Auswahlentscheidung; glücksspielrechtliche Erlaubnis; Glücksspielstaatsvertrag; Hauptsacheerledigung; Losverfahren; qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis; teilweise Erledigungserklärung; vorbeugender Rechtsschutz
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 08.12.2017
- Aktenzeichen
- 11 ME 395/17
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2017, 54029
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 20.07.2017 - AZ: 11 B 6018/17
Rechtsgrundlagen
- § 161 Abs 2 S 1 VwGO
- § 24 GlSpielWStVtr
- § 29 Abs 4 S 4 GlSpielWStVtr
- § 92 Abs 3 S 1 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Wird dem Betreiber einer Einzelspielhalle, die sich in Abstandskonkurrenz zu anderen Spielhallen befindet, während eines anhängigen Beschwerdeverfahrens im September 2017 eine bis zum 31. Dezember 2018 befristete glücksspielrechtliche Erlaubnis erteilt, fehlt dem Antrag, den Weiterbetrieb der Spielhalle über den 31. Dezember 2018 hinaus zu dulden, das für die Gewährung vorbeugenden Rechtsschutzes erforderliche qualifizierte Rechtsschutzbedürfnis.
Tenor:
Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt. Insoweit wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 11. Kammer - vom 20. Juli 2017 mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung für unwirksam erklärt.
Im Übrigen wird die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 11. Kammer - vom 20. Juli 2017 zurückgewiesen.
Der Antragsteller und die Antragsgegnerin tragen die Kosten der ersten und der zweiten Instanz jeweils zur Hälfte.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 7.500 EUR festgesetzt.
Gründe
Der Antragsteller betreibt im sog. B.viertel im Stadtgebiet der Antragsgegnerin am Standort „Am C. 6“ eine Einzelspielhalle, für die ihm eine Erlaubnis nach § 33 i Gewerbeordnung (GewO) erteilt worden ist. Eine weitere Spielhalle betreibt der Antragsteller am ebenfalls im B.viertel gelegenen Standort „D.straße 4“ (siehe dazu das Verfahren 11 ME 381/17). Mit einem am 29. September 2015 bei der Antragsgegnerin eingegangenen Schreiben beantragte der Antragsteller für die Spielhalle „Am C. 6“ die Erteilung einer glücksspielrechtlichen Erlaubnis nach § 24 Abs. 1 (GlüStV). Mit weiterem Schreiben vom 11. August 2016 stellte er für diese Spielhalle auch einen Befreiungsantrag nach § 29 Abs. 4 Satz 4 GlüStV. Die beiden genannten Spielhallen des Antragstellers befinden sich in einem Abstand von 10 bis 90 Metern zu insgesamt ca. 20 weiteren im B.viertel gelegenen Spielhallen, für die ebenfalls jeweils Anträge auf Erteilung von glücksspielrechtlichen Erlaubnissen gestellt wurden. Die Antragsgegnerin führte am 21. Juli 2016 einen Losentscheid durch, bei dem ausschließlich Spielhallen von konkurrierenden Spielhallenbetreibern ausgelost wurden. Mit Bescheid vom 13. Dezember 2016 lehnte die Antragsgegnerin daraufhin den Antrag auf Erteilung einer glücksspielrechtlichen Erlaubnis für die Spielhalle „Am C. 6“ sowie den darauf bezogenen Befreiungsantrag nach § 29 Abs. 4 Satz 4 GlüStV ab. Über die dagegen von dem Antragsteller erhobene Klage (11 A 800/17) ist noch nicht entschieden worden. Mit dem vorläufigen Rechtsschutzantrag vom 27. Juni 2017 hat der Antragsteller zudem beantragt, den Weiterbetrieb der Spielhalle „Am C. 6“ bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung des Gerichts in dem unter dem Aktenzeichen 11 A 800/17 geführten Hauptsacheklageverfahren zu dulden. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Verwaltungsgericht diesen Antrag abgelehnt. Mit weiteren Bescheiden vom 13. Dezember 2016 wurden anderen, sich in Abstandskonkurrenz zum Antragsteller befindlichen Spielhallen glücksspielrechtliche Erlaubnisse erteilt, gegen die der Antragsteller jeweils Drittanfechtungsklage erhoben hat (11 A 840/17 bzgl. des Standorts „B.straße 13“ und 11 A 802/17 bzgl. des Standorts „E.straße 6“), über die jeweils noch nicht entschieden worden ist. Entsprechendes gilt für eine weitere mit Bescheid vom 11. Juli 2017 für den Standort „Am C. 8-10, F. Nr. 2“ erteilte glücksspielrechtliche Erlaubnis (11 A 6837/17).
Während des anhängigen Beschwerdeverfahrens hat die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit Bescheid vom 18. September 2017 eine bis zum 31. Dezember 2018 befristete glücksspielrechtliche Erlaubnis für die Spielhalle „Am C. 6“ erteilt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass das Fehlen einer Gesetzesgrundlage für die Auswahlentscheidung bei echten Konkurrenzsituationen eine unbillige Härte darstelle. Die befristet erteilte Erlaubnis erlaube dem Antragsteller die Weiterführung seines Spielhallenbetriebs, bis der Niedersächsische Gesetzgeber eine verfassungskonforme Gesetzesgrundlage für eine Auswahlentscheidung geschaffen habe. Die Befristung sei verhältnismäßig und berücksichtige sowohl die Ziele des Glücksspielstaatsvertrages als auch die wirtschaftlichen Interessen des Antragstellers, die Spielhalle trotz Unterschreitung des Mindestabstands zu anderen Spielhallen mindesten so lange weiterführen zu können, bis eine entsprechende Rechtsgrundlage für eine Auswahlentscheidung geschaffen sei.
Daraufhin hat der Antragsteller das Verfahren mit Schriftsatz vom 9. Oktober 2017 in der Hauptsache teilweise - für den Zeitraum bis zum 31. Dezember 2018 - für erledigt erklärt. Für den Zeitraum ab dem 1. Januar 2019 hält er an seinem Antrag fest. Die Antragsgegnerin hat sich mit Schriftsatz vom 20. September 2017 der Erledigungserklärung angeschlossen und erklärt, hinsichtlich des erledigten Teils die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit damit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen und der vorinstanzliche Beschluss ist gemäß § 173 VwGO i. V. m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung für wirkungslos zu erklären.
Im Übrigen, d.h. hinsichtlich des Rechtsschutzbegehrens in Bezug auf den Zeitraum nach dem 31. Dezember 2018, hat die Beschwerde keinen Erfolg. Diesbezüglich ist die Beschwerde unzulässig, weil dem Antragsteller das für die Gewährung vorbeugenden Rechtsschutzes erforderliche qualifizierte Rechtsschutzbedürfnis fehlt.
Mit seinem nunmehr nur noch auf den Zeitraum nach dem 31. Dezember 2018 bezogenen Antrag begehrt der Antragsteller faktisch nicht nur vorläufigen, sondern zugleich vorbeugenden Rechtsschutz. Aufgrund des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 GG) gewährt die Verwaltungsgerichtsordnung grundsätzlich nur nachträglichen Rechtsschutz. Danach obliegt den Gerichten nur die Kontrolle der Verwaltungstätigkeit. Ihnen ist es regelmäßig nicht gestattet, bereits im Vorhinein gebietend oder verbietend in den Bereich der Verwaltung einzugreifen. Die Verwaltungsgerichtsordnung stellt damit ein System nachträglichen Rechtsschutzes bereit und geht davon aus, dass dieses zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) ausreicht. Vorbeugende Rechtsmittel sind daher nur ausnahmsweise zulässig, wenn ein besonderes schützenswertes Interesse gerade an der Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes besteht (sog. qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis). Ein solches qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis ist zu bejahen, wenn der Verweis auf den nachträglichen Rechtsschutz für die Betroffenen mit unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden könnten (vgl. BVerfG, Beschl. v. 15.8.2002 - 1 BvR 1790/00 -, NJW 2002, 3691, juris, Rn. 13; Senatsbeschl. v. 11.6.2010 - 11 ME 583/09 -, NVwZ 2010, 1252 [VGH Baden-Württemberg 31.05.2010 - 2 S 2423/08], juris, Rn. 37; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 17.3.2004 - 13 B 2691/03 -, juris, Rn. 10; Gersdorf, in: Posser/ Wolff, VwGO, Kommentar, 2. Aufl. 2014, § 123, Rn. 43, jeweils m.w.N.). Vorstehendes gilt auch, wenn - wie hier - der vorbeugende mit dem vorläufigen Rechtsschutz kombiniert wird; auch ein Antrag nach § 123 VwGO erfordert ein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis, wenn damit zugleich vorbeugender Rechtsschutz begehrt wird (vgl. VG Würzburg, Beschl. v. 6.4.2011 - W 6 S 11.210 -, juris, Rn. 20; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2017, Rn. 104).
Ein entsprechendes qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis ist bei dem Antragsteller nicht erkennbar. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass dem Antragsteller gegenwärtig oder in unmittelbarer Zukunft derartige schwere und unzumutbare Nachteile drohen, die ein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis im dargelegten Sinn begründen könnten. Vielmehr ist es so, dass der Antragsteller aktuell über eine bis zum 31. Dezember 2018 befristete glücksspielrechtliche Erlaubnis verfügt. Dadurch ist gewährleistet, dass er seine Spielhalle trotz der momentan bestehenden rechtlichen Unsicherheit, wie in Fällen der echten Konkurrenz - die auch hier zwischen der Einzelspielhalle des Antragstellers und den in Abstandskonkurrenz befindlichen Spielhallen anderer Betreiber vorliegt - eine Auswahlentscheidung zu treffen ist (vgl. dazu, dass in den Fällen der echten Konkurrenz die Durchführung eines Losverfahrens gegenwärtig wegen der Verletzung des Grundsatzes des Gesetzesvorbehalts rechtswidrig ist, Senatsbeschl. v. 4.9.2017 - 11 ME 330/17 -, juris), jedenfalls bis zum 31. Dezember 2018 weiterbetreiben kann. Wie die Antragsgegnerin in dem Erlaubnisbescheid vom 18. September 2017 zutreffend ausgeführt hat, liegt dem Niedersächsischen Landtag gegenwärtig ein Gesetzentwurf vor, nach dem das Niedersächsische Glücksspielgesetz geändert werden soll, um auch für Fälle der echten Konkurrenz eine verfassungsgemäße Rechtsgrundlage für die zu treffende Auswahlentscheidung zu schaffen (siehe dazu den Gesetzentwurf der Landesregierung vom 3.5.2017, Drucks. 17/7942, vgl. zum bisherigen Verlauf und zum aktuellen Stand des Gesetzgebungsverfahrens auch den Erlass des Nds. Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr vom 8.9.2017, S. 3). Würde der Senat somit zum jetzigen Zeitpunkt die Frage, ob der Antragsteller die streitgegenständliche Spielhalle nach dem 31. Dezember 2018 rechtmäßig weiterbetreiben darf, beantworten, würde er damit nicht nur in den Bereich der Verwaltung, sondern auch in den Bereich des autonomen Gesetzgebers eingreifen und dessen gegenwärtig noch ausstehende Entscheidung möglicherweise einengen (vgl. Bayerischer VGH, Beschl. v. 28.4.1992 - 21 CE 92.949 -, NVwZ-RR 1993, 54, juris, Rn. 5). Beides wäre mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung unvereinbar. Dem Antragsteller ist es demgegenüber aufgrund der ihm mit Bescheid vom 18. September 2017 erteilten Erlaubnis ohne Rechtsbeeinträchtigungen möglich und zumutbar, den Erlass der neuen Rechtsgrundlage und die sie umsetzenden Verwaltungsentscheidungen abzuwarten und anschließend ggf. dagegen die in der Verwaltungsgerichtsordnung vorgesehenen Rechtsmittel einzulegen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO und § 154 Abs. 2 VwGO. Soweit die Beteiligten das Verfahren in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO über die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden. Hier entspricht es der Billigkeit, den Beteiligten die Kosten in beiden Instanzen jeweils zur Hälfte aufzuerlegen. Hinsichtlich des erledigten Teils folgt die Kostentragungspflicht der Antragsgegnerin aus der von ihr abgegebenen Kostenübernahmeerklärung sowie daraus, dass sie durch die Erteilung der glücksspielrechtlichen Erlaubnis die (teilweise) Erledigung herbeigeführt und zugleich dem Rechtsschutzbegehren des Antragstellers (teilweise) entsprochen hat. Hinsichtlich des von dem Antragsteller von seiner Erledigungserklärung ausgenommenen Teils des Rechtsstreits ist er, wie ausgeführt, unterlegen, so dass er diesbezüglich nach § 154 Abs. 2 VwGO die Kosten zu tragen hat. Angesichts des Umstandes, dass glücksspielrechtliche Erlaubnisse nach § 24 Abs. 2 Satz 2 GlüStV stets zu befristen sind und dementsprechend auch die von der Antragsgegnerin den Konkurrenten erteilten Erlaubnisse bis zum 30. Juni 2021 befristet wurden, veranlagt der Senat den noch streitigen Teil mit dem Zeitraum vom 1. Januar 2019 bis zum 30. Juni 2021, was gegenüber dem erledigten Zeitraum vom 18. September 2017 bis zum 31. Dezember 2018 eine etwa hälftige Kostenteilung rechtfertigt.