Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 10.07.2023, Az.: 3 A 76/20

Innerstaatlicher bewaffneter Konflikt; Subsidiärer Schutz; Sudan; West Darfur; subsidiärer Schutz wegen Konfllikts in West Darfur und Khartum

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
10.07.2023
Aktenzeichen
3 A 76/20
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 24676
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:2023:0710.3A76.20.00

Entscheidungsgründe

Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, ist das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Dies betrifft die Verpflichtungsklage auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Die verbliebene Klage, über die die Einzelrichterin im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 VwGO), hat Erfolg. Sie ist zulässig und begründet.

Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) hat der Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Ziffern 4 bis 7 des angefochtenen Bescheids sind rechtswidrig und verletzten den Kläger in seinen Rechten.

1. Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt: 1. die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, 2. Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder 3. eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG, Art. 2 Buchstabe f), Art. 15 der Richtlinie 2011/95/EU, sog. Qualifikationsrichtlinie; im Folgenden: QRL).

Nach §§ 4 Abs. 3, 3c AsylG, Art. 6 QRL kann die die Gefahr eines ernsthaften Schadensausgehen vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor einem ernsthaften Schaden im Sinne des § 3d AsylG zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

Bezugspunkt für die nach § 4 Abs. 1 AsylG gebotene Gefahrenprognose ist der tatsächliche Zielort bei einer Rückkehr. Das ist in der Regel die Herkunftsregion des Ausländers, in die er typischerweise zurückkehren wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.05.2020 - 1 C 11.19 -, Rn. 17, zu § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG; Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, Rn. 13 ff. m.w.N.; Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 -, Rn. 17; jeweils juris).

Dem Ausländer wird der subsidiäre Schutz gem. §§ 4 Abs. 3, 3e Abs. 1 AsylG, Art. 8 QRL nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens oder Zugang zu Schutz vor einem ernsthaften Schaden nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

2. Für die Prognose der drohenden Gefahren ist im vorliegenden Fall die Lage im Bereich West Darfur in Bezug auf den Kläger in den Blick zu nehmen. Dies ist die Heimatregion des Klägers, da er nach eigenen Angaben in der dort liegenden Stadt Al-Dschunaina / Al-Junayah / Al-Geneina (vgl. Kartenmaterial https://reliefweb.int/map/sudan/sudan-administrative-map-june-2021; zuletzt abgerufen am 10.07.2023) geboren und zunächst aufgewachsen ist. Als weiterer "tatsächlicher Zielort" oder Ort des internen Schutzes kommt ausschließlich die Hauptstadt Khartum (bisheriger Zielort von Abschiebungen, vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Sudan, vom 01.06.2022, S. 24) infrage.

3. Die Einzelrichterin geht davon aus, dass die andauernden Auseinandersetzungen zwischen der RSF und den sudanesischen Streitkräften in Khartum und anderen Regionen einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt darstellen, der die Gefahr einer Art. 3 EMRK zuwiderlaufenden Behandlung durch die ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung begründet.

Das Vorliegen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der Person setzt nicht voraus, dass diese Person beweist, dass sie aufgrund von ihrer persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist. Eine solche Bedrohung kann vielmehr auch dann vorliegen, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei Rückkehr in das betroffene Land oder die betroffene Region allein durch die Anwesenheit in dem Gebiet tatsächlich Gefahr läuft, einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt zu sein (EuGH, Urteil vom 17.02.2009 - C-465/07 -, juris Rn. 43). Der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit ein Anspruch auf subsidiären Schutz besteht, ist umso geringer, je mehr der Betroffene belegen kann, dass er aufgrund seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich; liegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt.

Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Schutzsuchenden von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber auch solche persönlichen Umstände zählen, aufgrund derer der Schutzsuchende als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09, Rn. 33; Nds. OVG, Urteil vom 05.12.2017 - 4 LB 50/16 -, Rn. 38; zum Vorstehenden insgesamt: VG Bremen, Urteil vom 15.06.2021 - 7 K 530/19 -, Rn. 38; jeweils juris).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (bspw. BVerwG, Beschluss vom 13.12.2021 - 1 B 85.21 -, Rn 4) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urteil vom 10.06.2021 - C-901/19 -, juris Rn. 31 ff.) ist für die Verfolgungsdichte kein auf alle Konfliktlagen anzuwendender "Gefahrenwert" im Sinne einer zwingend zu beachtenden mathematisch-statistischen, quantitativen Mindestschwelle anzuwenden. Sondern es bedarf einer umfassenden Gesamtbetrachtung auf der Grundlage einer wertenden Gesamtschau auch der individuellen Betroffenheit. Dies ändert indes nichts daran, dass im Rahmen einer solchen Gesamtbetrachtung der Umstand, dass die Anzahl der bereits festgestellten Opfer bezogen auf die Gesamtbevölkerung in der betreffenden Region eine bestimmte Schwelle erreicht, als für die Feststellung einer solchen Bedrohung relevant angesehen werden kann, nur eben nicht im Sinne einer systematischen Anwendung eines einzigen quantitativen Kriteriums (BVerwG, a.a.O). Zu den im Rahmen der gebotenen umfassenden Wertung aller Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigenden Faktoren gehören insbesondere die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, der Organisationsgrad der beteiligten Streitkräfte und die Dauer des Konflikts als Faktoren ebenso wie andere Gesichtspunkte, etwa das geografische Ausmaß der Lage willkürlicher Gewalt, der tatsächliche Zielort des Antragstellers bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder Gebiet und die Aggression der Konfliktparteien gegen Zivilpersonen, die eventuell mit Absicht erfolgt (EuGH, a.a.O., Rn. 43).

Zur medizinischen Versorgungs- und Sicherheitslage im Sudan hat das Verwaltungsgericht Hannover ausgeführt (Urteil vom 07.06.2023 - 5 A 885/20 -, V.n.b., UA S. 8 ff.):

"Am 15. April 2023 brachen zwischen den sudanesischen Streitkräften (SAF) unter Abdelfattah al-Burhan einerseits und den von Mohamed Hamdan Dagalo ("Hemedti") angeführten Rapid Support Forces (RSF) andererseits in mehreren Städten, darunter auch Khartum, Kämpfe aus (UNHCR, Positions on Returns to Sudan, Mai 2023, S. 1). Infolgedessen hat sich die bereits vor Ausbruch der Kämpfe angespannte humanitäre Lage insbesondere in Khartum rapide verschlechtert. Obwohl der auf Grund der Kämpfe stark eingeschränkte Zugang zum Internet sowie der Betrieb des Bankensystems im Land teilweise wieder stabilisiert werden konnten, bleibt das Gesundheitssystem stark angeschlagen. Die WHO bestätigte Angaben der sudanesischen Ärztegewerkschaft, wonach zwei Drittel der Krankenhäuser den Betrieb einstellen mussten. Zudem sei das Gesundheitssystem laut der Ärztegewerkschaft nahe am Zusammenbruch. In Khartum komme es immer wieder vor, dass Gesundheitseinrichtungen von den kämpfenden Parteien militärisch genutzt würden. Bisher seien dadurch ca. 26 Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen verzeichnet worden, in deren Folge auch dort angestellte oder behandelte Menschen ums Leben gekommen seien. Weiteren Angaben der UN zufolge sei es zurzeit dennoch möglich, Hilfsgüter auf dem Seeweg nach Port Sudan zu verschiffen. Jedoch müssten diese zunächst gelagert werden, da eine Verteilung aufgrund der anhaltenden Kämpfe zu gefährlich sei. Vorherige Hilfskonvois des Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) seien nach Angaben der UN auf dem Weg nach Darfur überfallen und ausgeraubt worden. Insgesamt sei bisher knapp ein Viertel der vorrätigen Hilfsgüter auf diese Weise entwendet worden, weshalb der Nothilfekoordinator für Sudan wiederholt auf eine Zusage humanitärer Korridore durch die kämpfenden Akteure in Sudan drängte (BAMF Briefing Notes, 8.5.2023, S. 15). Angaben der International Organization for Migration (IOM) zufolge hat sich die Zahl der Binnenvertriebenen im Sudan innerhalb einer Woche mehr als verdoppelt, von 334.000 Personen am 1. Mai 2023 auf etwa 736.000 Personen am 9. Mai 2023. In 15 der 18 Bundesstaaten des Landes wurden Binnenvertriebene registriert. Die Bundesstaaten, die die meisten Binnenvertriebenen beherbergen, sind White Nile (25,6 % aller Binnenvertriebenen), West-Darfur (21,2 % aller Binnenvertriebenen) und Northern (14,4 % aller Binnenvertriebenen). Die meisten Binnenvertriebenen kamen mit 502.200 Personen, was etwa 68,2 % aller Binnenvertriebenen entspricht, aus Khartum, gefolgt von West-Darfur (21,8 % aller Binnenvertriebenen) und Süd-Darfur (6 % aller Binnenvertriebenen). Darüber hinaus sind nach Angaben des UNHCR mehr als 150.000 Menschen aus dem Sudan in die Nachbarländer Tschad, Südsudan, Zentralafrikanische Republik, Ägypten und Äthiopien gezogen. Nach wie vor werden Gesundheitseinrichtungen von Konfliktparteien angegriffen und besetzt. Laut WHO sind in Khartum weniger als ein Fünftel aller Gesundheitseinrichtungen weiterhin voll funktionsfähig, 60 % funktionieren überhaupt nicht. In vielen Teilen des Landes herrscht weiterhin ein Mangel an Nahrungsmitteln, Wasser, Treibstoff und Bargeld (OCHA, Sudan: Clashes between SAF and RSF - Flash Update No. 11 (10 May 2023)). Im Großraum Khartum kommt es infolge der zwischen SAF und RSF ausgebrochenen Kämpfe seit mehreren Tagen zu Plünderungen von Banken, Gebäuden, Geschäften und mehreren Märkten, darunter auch dem Souk Libya. Lebensmittelgeschäfte und Bäckereien sollen geöffnet sein; es wird jedoch ein erheblicher Anstieg der Preise für Grundnahrungsmittel beklagt (Radio Dabanga, Libya Market plundered, police remain absent in Sudan capital, 11.5.2023). In El Geneina wurde das Lehrkrankenhaus beschädigt, zudem wurde Angaben von Ärzte ohne Grenzen zufolge Teile des Krankenhauses geplündert. Auch in Nyala kam es zu Plünderungen von Einrichtungen von Ärzte ohne Grenzen (Human Rights Watch, Sudan: Explosive Weapons Harming Civilians, Limited Access to Water, Electricity, Medical Care Fuels Humanitarian Crisis [...], 4.5.2023, S. 9). Die sich verschlechternde humanitäre Situation ist Anlass für eine - brüchige - Waffenruhe der Konfliktparteien; gleichwohl erreichen Hilfslieferungen die Bevölkerung der Hauptstadt und des Ballungsraums nicht (https://www.dabangasudan.org/en/all-news/article/humanitarian-situation-particularly-dire-in-khartoum-and-darfur-as-clashes-impede-aid, abgerufen am 2.6.2023). Die Wasserversorgung steht vor dem Zusammenbruch, nachdem die RSF vier Wasserwerke besetzt hat (https://www.dabangasudan.org/en/all-news/article/escalating-fighting-and-water-supply-cut-off-in-sudan-capital, abgerufen am 7.6.2023).

[...]

Bereits am 16. April 2023 berichteten internationale Medien von 17 getöteten Zivilisten in Khartum und 56 getöteten Zivilisten landesweit. Mindestens 595 Menschen seien verletzt worden (BBC, Sudan: Army and RSF battle over key sites, leafing 56 civilians dead, vom 16.4.23, www.bbc.com/news/world-africa-65284945; Zugriff zuletzt am 24.4.2023).

Durch den Ausbruch dieses Konflikts wird die ohnehin schon angespannte Sicherheitslage in Sudan in einer Intensität und einem Ausmaß verschärft, dass von einer Gefährdung weiter Teile der Zivilbevölkerung auszugehen ist. Bereits in den ersten Tagen des Konflikts sind nach Medienberichten in Darfur dutzende und in Khartum hunderte Zivilpersonen zu Tode gekommen, es kam verbreitet zu Plünderungen und Übergriffen an belebten Orten wie Märkten (https://www.dabangasudan.org/en/all-news/article/deadly-sudan-army-rsf-clashes-spark-human-tragedy-widespread-looting-in-darfur, www.bbc.com/news/world-africa-65293537 vom 17.4.2023, Zugriff zuletzt am 24.4.2023; UNHCR Report vom 15. Mai 2023, https://data.unhcr.org/en/documents/download/100697, abgerufen am 26.5.2023).

Am 20. April 2023 berichtete "Zeit Online" unter Berufung auf die Schätzungen von Botschaften von bereits von 270 getöteten Zivilisten (Konfliktparteien ignorieren erneut Zeitplan für Waffenruhe, https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-04/sudan-kaempfe-waffenruhe-scheitert-tausende-fliehen; Zugriff am 24.4.23). Die Nutzung von schweren Waffen, gepanzerten Fahrzeuge und Kampfflugzeugen im dicht besiedelten Khartum hat viele zivile Todesopfer zur Folge (Amnesty International, Sudan: Parties to the conflict must ensure protection of civilians as deaths mount, vom 17.4.23, https://www.amnesty.org/en/latest/news/2023/04/sudan-conflict/, Zugriff am 24.4.23). Auch wenn sich die kriegerischen Auseinandersetzungen im Wesentlichen auf den (bisher relativ stabilen) Ballungsraum Khartum-Omdurman beschränken, werden Zusammenstöße aus allen Landesteilen berichtet. Auch in relativ ruhigen Provinzen sind Bedrohungen durch Verbrechen und Unruhen signifikant gestiegen (UNHCR Report vom 15. Mai 2023, https://data.unhcr.org/en/documents/download/100697, abgerufen am 26.5.2023).

Zwischenzeitlich sind durch westliche Militäreinsätze mehr als 1.000 EU-Bürger evakuiert worden. Während westliche Staaten ihr diplomatisches Personal ausfliegen, versuchen Einheimische und Staatsangehörige der Nachbarländer weiterhin, auf dem Landweg vor den anhaltenden Kämpfen zu fliehen. Am 11. Mai 2023 bezifferte UNHCR die Zahlen der sudanesischen Flüchtlinge auf ca. 143.000, der Flüchtlinge anderer Nationalitäten auf 9.500 und die der in Nachbarländer zurückkehrenden Flüchtlinge auf knapp 52.000.

Die Sicherheitslage hat sich auch durch mehrere Vereinbarungen über Waffenruhen nicht erkennbar gebessert. Der sudanesische Ärzteverband teilte am 24. Mai 2023 mit, dass seit Beginn der Kämpfe 865 Todesfälle und 3,634 Verletzungen registriert worden seien. Eine von Montag, dem 22. Mai 2023 vereinbarte einwöchige Waffenruhe ist bereits am Mittwoch, den 24. Mai 2023 durch heftige Kämpfe unterbrochen worden, die Konfliktparteien werfen einander Artilleriebeschuss und Luftangriffe bzw. den Überfall auf eine Münze und die Bombardierung von Stellungen und Ortschaften vor (vgl. https://www.dabangasudan.org/en/all-news/article/sudan-capital-calm-again-after-fierce-fighting-on-wednesday, abgerufen am 26.5.2023). Am 31. Mai 2023 hat die sudanesische Armee weitere Verhandlungen über eine Waffenruhe einseitig beendet und Berichten zufolge Stellungen der paramilitärischen RSF-Miliz beschossen. Die Armee habe die Gespräche beendet, weil die RSF bislang keine der Vorschriften für die kurzzeitige Waffenruhe umgesetzt habe, darunter etwa den Rückzug aus Krankenhäusern und Wohngebäuden (https://www.tagesspiegel.de/internationales/artilleriebeschuss-von-rsf-stellungen-sudanesische-armee-beendet-gesprache-um-waffenruhe-vorzeitig-9908129.html, abgerufen am 31.5.2023).

Auch in einem Bericht über den Tod einer bekannten Sängerin werden andauernde Luftangriffe auf bewohnte Eufach0000000004teile beschrieben (https://www.ecoi.net/de/dokument/2092071.html), die die Zivilbevölkerung einem realen Risiko aussetzen, durch "Kollateralschäden" getötet oder verletzt zu werden. Die Krankenhausversorgung soll zwischenzeitlich zu 80 % ausgefallen sein (UNHCR Report vom 15.5.2023, https://data.unhcr.org/en/documents/download/100697).

Am 6. Juni 2023 und dem 7. Juni 2023 ist es zu weiteren, schweren Gefechten mit Artilleriebeschuss und Luftangriffen in der Hauptstadt gekommen, die zu großen Teilen von der RSF kontrolliert wird; mehrere Zivilisten sind durch Luftangriffe getötet und verletzt worden (https://www.dabangasudan.org/en/all-news/article/escalating-fighting-and-water-supply-cut-off-in-sudan-capital und https://www.dabangasudan.org/en/all-news/article/fierce-fighting-continues-in-sudan-capital, abgerufen am 7. Juni 2023).

Auch das niedersächsische Innenministerium hat zwischenzeitlich einen bis 31. Juli 2023 befristeten Abschiebestopp in den Sudan erlassen und zur Begründung ausgeführt, dass die unvorhersehbare dramatische Entwicklung in der Republik Sudan derzeit noch nicht einschätzbare negative Auswirkungen auf die humanitären Rahmenbedingungen für abgeschobene sudanesische Staatsangehörige habe. Angesichts dessen und der noch unübersichtlichen Lage vor Ort seien Rückführungen in die Republik Sudan aus humanitären Gründen nicht zu vertreten."

Am 15.06.2023 verurteilten die USA "auf das Schärfste" die im Land begangenen Menschenrechtsverletzungen, den Missbrauch und die Gewalt gegen Menschen. Insbesondere die ethnische Gewalt der RSF und ihrer Verbündeten in West Darfur würden die USA beunruhigen. Zudem versage die SAF in ihrer Aufgabe, die Zivilbevölkerung zu schützen. Für den 18.06.2023 um 06.00 Uhr war ein 72-stündiger Waffenstillstand vereinbart (BAMF, Briefing Notes vom 19.06.2023). Dennoch gingen in den Regionen Khartum, Dafur, South Kordofan und Blue Nile Ende Juni / Anfang Juli die Kämpfe zwischen Armee und RSF mit getöteten Zivilisten und Fluchtbewegungen der Zivilbevölkerung weiter (https://www.dabangasudan.org/en/all-news/article/%e2%99%a6-sudan-this-weeks-news-in-brief-%e2%99%a6-12;https://www.dabangasudan.org/en/all-news/article/%e2%99%a6-sudan-this-weeks-news-in-brief-%e2%99%a6-11; https://www.dabangasudan.org/en/all-news/article/sudan-army-claims-victory-after-battles-with-rebel-fighters-in-blue-nile-region; zuletzt abgerufen am 10.07.2023).

Da die Zivilbevölkerung in West Darfur und Khartum signifikant von den kriegerischen Auseinandersetzungen betroffen und dort kaum noch eine medizinische Versorgung gewährleistet ist, bestehen zur Überzeugung der Einzelrichterin stichhaltige Gründe für die Annahme, dass eine Zivilperson bei Rückkehr nach West Darfur oder Khartum allein durch die Anwesenheit in dem Gebiet tatsächlich Gefahr läuft, einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt zu sein.

Wegen der kriegerischen Auseinandersetzungen ist nicht gewährleistet, dass der Kläger von Khartum aus im Fall einer Abschiebung sicher in einen anderen, von Kriegshandlungen nicht betroffenen Landesteil weiterreisen kann. Dass er einen solchen sicheren Landesteil unmittelbar aus dem Ausland erreichen kann, ist ebenfalls nicht gewährleistet.

4. Da der Kläger Anspruch auf subsidiären Schutz hat, sind auch die in Ziffern 5 bis 7 des angefochtenen Bescheids ergangenen Folgeentscheidungen aufzuheben, da sie verfrüht ergangen bzw. gegenstandslos geworden sind.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.