Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 04.07.2023, Az.: 3 A 166/19

humanitäre Lage; Innerstaatlicher bewaffneter Konflikt; Südsudan; schlechte humanitäre Bedingungen durch Akteur verursacht

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
04.07.2023
Aktenzeichen
3 A 166/19
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 24453
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:2023:0704.3A166.19.00

Amtlicher Leitsatz

In den südsudanesischen Landesteilen Upper Nile, Warrap, Jonglei, Unity, Eastern Equatoria und Central Equatoria (ggf. mit Ausnahme der Hauptstadt Juba) besteht derzeit ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, der eine ernsthafte individuelle Bedrohung für Leben oder Unversehrtheit jeder Zivilperson, die sich in diesem Gebiet aufhält, bedeutet. Für die schlechte humanitäre Lage im Südsudan sind Akteure verantwortlich.

[Tatbestand]

Der Kläger ist nach eigenen Angaben 45 Jahre alt, südsudanesicher Staatsangehöriger, katholischer Christ und dem Volk der Dinka zugehörig. Er erreichte die Bundesrepublik Deutschland am 21.04.2016 über Libyen, Italien, Frankreich und Belgien kommend auf dem Landweg. Hier stellte er am 26.04.2016 einen Asylantrag.

Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 16.01.2017 gab der Kläger an, er habe sein Heimatland verlassen, weil er vom Militär desertiert sei. Er habe von 2006 bis 2012 Dienst im 2. Infanterieregiment in der Ortschaft G., 29 km entfernt von der Hauptstadt H., abgeleistet und in der dortigen Kaserne gelebt. Er sei in der Verwaltung gewesen. Danach habe er das Militär ohne Probleme verlassen. Als im Jahr 2013 erneut der Krieg ausgebrochen sei und am 04.01.2014 sein Wohnort angegriffen worden sei, sei er zu seiner Einheit nach G. zurückgekehrt und dort bis zu seiner Ausreise am 06.11.2015 geblieben. Am 01.07.2015 habe der Divisionskommandeur den Befehl gegeben, dass die 7., 8., 9. und 10. Brigade nach Malakal gehen müssten, um die Stadt zurückzuerobern. Sie sollten nicht wieder zurückzukehren. Jeder habe sich an dieser Mission beteiligen müssen. Er, der Kläger, habe Probleme mit den Füßen gehabt und daher keine Militärstiefel tragen können. Er sei in das Büro gegangen und habe von seinem Problem berichtet. Die Person dort habe sein Problem gekannt und alles abgelehnt. Da er mit seinen Vorgesetzten diskutiert habe, sei er festgenommen worden. Man habe ihn dann in ein Gefängnis gebracht. Er sei insgesamt zwei Tage in Gefangenschaft gewesen. Weil seine Füße angeschwollen seien, sei er in ein Krankenhaus nach H. gebracht worden. Er sei in Begleitung eines weiteren Gefangenen und dreier Militärpolizisten gewesen. In H. sei ihm von dem Krankenhaus aus die Flucht gelungen. Er sei er zu einem Freund nach Hause gegangen. Es sei der 31.10. gewesen. Der Freund habe ihn mit dem Auto bis zur Grenze zum Sudan gebracht. Den Rest sei er, der Kläger, zu Fuß gegangen. Die Grundschule habe er abgeschlossen und die Sekundarschule ohne Abschluss verlassen. Seine wirtschaftlichen Verhältnisse im Südsudan seien schlecht gewesen. An Verwandten würden im Südsudan noch zwei Cousins väterlicherseits leben. Seine Frau, mit der er traditionell verheiratet sei, seine drei Söhne und seine Mutter würden in Ägypten leben. In gesundheitlicher Hinsicht habe er Probleme mit seinen Füßen, einem Auge und psychische Probleme.

Nach Übersendung des Anhörungsprotokolls machte der Kläger mit Schreiben vom 27.01.2017 einige Korrekturen zur militärischen Lage im Juni 2015 geltend und gab dabei an, er sie in der 2. Division gewesen. Zudem legte er Unterlagen insbesondere über Beratungen durch Psychologiestudenten und eine chronische entzündliche Hauterkrankung vor.

Mit Bescheid vom 16.08.2019 lehnte die Beklagte die Anträge des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung sowie auf subsidiären Schutz ab (Ziffern 1 bis 3) und verneinte das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG (Ziffer 4). Zudem forderte sie den Kläger zur Ausreise innerhalb von 30 Tagen nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens auf, wobei sie für den Fall der Nichtbefolgung die Abschiebung in den Südsudan androhte (Ziffer 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot befristete sie auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6). Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen an, der Kläger verfüge zwar über besondere Kenntnisse zum südsudanesischen Militär und deren Operationen im Jahr 2015. Dennoch habe er eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen Befehlsverweigerung bzw. Desertion nicht glaubhaft gemacht. Seine Angaben zu Festnahme und Flucht seien detailarm, vage und oberflächlich. Daher sei der Kläger nicht vorverfolgt ausgereist. Die Sicherheitslage im Südsudan sei zwar fragil. Dennoch sei das Risiko für den aus H. stammenden Kläger, allein aufgrund seiner Anwesenheit dort Opfer willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes zu werden, weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt. Sein Existenzminimum könne der Kläger bei einer Rückkehr in den Südsudan wieder sichern. Im Übrigen sei er auf die Unterstützung der dortigen Familienangehörigen - zumindest zwei Cousins - zu verweisen. Die vorgelegten medizinischen Unterlagen würden keine Behandlungsbedürftigkeit und eine daraus ggf. resultierende gesundheitliche Gefährdung bei Rückkehr belegen.

Dagegen hat der Kläger am 28.08.2019 fristgerecht Klage erhoben. Zur Begründung bezieht er sich auf seine Angaben in der Anhörung beim Bundesamt und verteidigt deren Glaubhaftigkeit. Bei Wiedereinreise bestehe die Gefahr, dass er nach seinem Militärdienst gefragt werde, zugeordnet werden könne und er wegen Desertion mit der Todesstrafe bestraft werde. Abgesehen davon sei er wegen der allgemein instabilen Sicherheitslage in Gefahr.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter entsprechender Aufhebung ihres Bescheids vom 16.08.2019 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,

hilfsweise, ihm den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen,

weiter hilfsweise, Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezogen auf den Staat Südsudan festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf ihren Bescheid.

Das Gericht hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung ergänzend zu seinem Fluchtschicksal befragt. Wegen des Ergebnisses dieser Anhörung wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie den Inhalt der Akten der Beklagten und der Ausländerakten der Stadt C-Stadt Bezug genommen. Diese Unterlagen sind ebenso Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen wie die Erkenntnismittel, die sich aus der den Beteiligten mit der Ladung übersandten Liste ergeben.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage hat zwar nicht mit dem Hauptantrag, aber mit dem ersten Hilfsantrag Erfolg. Der Kläger hat Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Insoweit ist der Bescheid der Beklagten vom 16.08.2019 rechtswidrig. Die Einzelrichterin legt die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zugrunde (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 AsylG).

I. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Der Vortrag des Klägers zu seiner Desertion vom südsudanesischen Militär war nicht glaubhaft. Die Einzelrichterin glaubt dem Kläger zwar, dass er im (süd)sudanesischen Militär in der Verwaltung tätig und auch an bewaffneten Auseinandersetzungen beteiligt war. Sein diesbezüglicher Vortrag in der mündlichen Verhandlung war detailreich und offenbarte spezielle Kenntnisse. Demgegenüber waren die Angaben zu seiner angeblichen Flucht vom Militär jedoch oberflächlicher, teilweise lebensfern und in zeitlicher Hinsicht unstimmig. Die bereits nach seiner Bundesamtsanhörung vom 16.01.2017 im angefochtenen Bescheid angesprochenen Argumente gegen die Glaubhaftigkeit seines Vortrags zu der Flucht gelten auch nach der mündlichen Verhandlung. Zu seiner eigentlichen Gefangenschaft hat der Kläger von sich aus keine Details berichtet. Die Einzelrichterin hält es für lebensfern, dass der Freund den Kläger in der Gefangenschaft besuchen durfte und auf dessen Bitten völlig ungehindert dessen Tasche samt Reisepass aus seinem Raum in der Kaserne holen konnte. Fernliegend ist auch, dass von den drei Militärpolizisten, die den Kläger und einen weiteren Gefangenen zum Krankenhaus begleitet haben sollen, zwei zum Mittagessen unterwegs waren und den dritten, betrunkenen, Militärpolizisten allein auf den Kläger haben aufpassen lassen. Die zeitlichen Angaben des Klägers zu seiner Gefangenschaft und seiner Ausreise waren nicht plausibel. Der Kläger hat während seines freien Vortrags sowohl in der Bundesamtsanhörung als auch in der mündlichen Verhandlung zunächst bekundet, dass er zwei Tage in Gefangenschaft gewesen und am 06.11.2015 ausgereist sei. Im Laufe der mündlichen Verhandlung zeigte er sich verunsichert, ob er zwei Tage in Gefangenschaft oder zwei Tage bei seinem Freund gewesen sei. Auf Vorhalt der zeitlichen Unstimmigkeiten machte er zum einzigen Mal in der mündlichen Verhandlung Erinnerungsschwierigkeiten geltend und behauptete dann, er sei vom 01.07. bis 31.10.2015 im Gefängnis gewesen. Weitere Erklärungsversuche wollte er nicht machen. Wäre der Kläger tatsächlich inhaftiert gewesen, so wäre zu erwarten gewesen, dass er zu diesem einschneidenden Erlebnis auch nach längerer Zeit stimmig angibt, ob dies wenige Tage oder mehrere Monate waren. Die intellektuellen Fähigkeiten dazu hat er angesichts seines elfjährigen Schulbesuchs.

Da der Vortrag des Klägers zu seiner Desertion nicht glaubhaft ist, hat er den Südsudan nicht vorverfolgt verlassen. Neue Verfolgungsgründe sind nicht ersichtlich. Insbesondere hat der Kläger die gleiche Volkszugehörigkeit wie der Präsident (Dinka; vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Südsudan vom 25.03.2021, Stand: Dezember 2020 [im Folgenden: Lagebericht], S. 9).

Im Übrigen nimmt das Gericht zur Begründung der Ablehnung der Flüchtlingseigenschaft Bezug auf die zutreffenden Ausführungen im angegriffenen Bescheid vom 16.08.2019 (S. 3 bis 5) und stellt fest, dass es diesen folgt (vgl. § 77 Abs. 3 AsylG).

II. Der Kläger hat Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes.

Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt: 1. die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, 2. Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder 3. eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG, Art. 2 Buchstabe f), Art. 15 der Richtlinie 2011/95/EU, sog. Qualifikationsrichtlinie; im Folgenden: QRL).

Nach §§ 4 Abs. 3, 3c AsylG, Art. 6 QRL kann die die Gefahr eines ernsthaften Schadensausgehen vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor einem ernsthaften Schaden im Sinne des § 3d AsylG zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

Bezugspunkt für die nach § 4 Abs. 1 AsylG gebotene Gefahrenprognose ist der tatsächliche Zielort bei einer Rückkehr. Das ist in der Regel die Herkunftsregion des Ausländers, in die er typischerweise zurückkehren wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.05.2020 - 1 C 11.19 -, Rn. 17, zu § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG; Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, Rn. 13 ff. m.w.N.; Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 -, Rn. 17; jeweils juris).

Dem Ausländer wird der subsidiäre Schutz gem. §§ 4 Abs. 3, 3e Abs. 1 AsylG, Art. 8 QRL nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens oder Zugang zu Schutz vor einem ernsthaften Schaden nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

1. Mit Blick auf seine Militärvergangenheit droht dem Kläger kein ernsthafter Schaden. Insoweit wird auf die Ausführungen unter I. verwiesen.

2. Für die Prognose anderer Gefahren ist im vorliegenden Fall die Lage im Bundesstaat Unity in den Blick zu nehmen. Denn der dort liegende Ort Panrieng/Pariang im Norden des Südsudans nahe der Grenze zum Sudan (Kartenmaterial aus: Human Rights Division United Nations Mission in South Sudan, Annual brief on violence affecting civilians, January-December 2022 [im Folgenden: HRD UNMISS 2022], S. 5) ist nach eigenen Angaben des Klägers sein Geburtsort, in dem er auch traditionell geheiratet hat, als Bauer eigene Felder bewirtschaftet hat und wo noch zwei Cousins leben. Zwar war der Kläger von 2006 bis 2012 und die letzten ca. anderthalb Jahre vor seiner Ausreise eigenen Angaben zufolge in der Militärkaserne in G. 29 km östlich der Hauptstadt H. im Bundesstaat Central Equatoria stationiert. Die Stationierung ist jedoch nicht als Abkehr vom Heimatort zu betrachten, zumal der Kläger im Jahr 2023 dorthin zurückgekehrt war. Selbst wenn man dies anders sähe, würde dies vorliegend nicht zu einem anderen Ergebnis führen.

3. In den Bundesstaaten Unity und Central Equatoria (letzterer ggf. mit Ausnahme der Hauptstadt H.) besteht nach Überzeugung des Gerichts ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, der infolge willkürlicher Gewalt eine ernsthafte individuelle Bedrohung für Leben oder Unversehrtheit jeder Zivilperson, die sich in diesem Gebiet aufhält, bedeutet.

a) Das Vorliegen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der Person setzt nicht voraus, dass diese Person beweist, dass sie aufgrund von ihrer persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist. Eine solche Bedrohung kann vielmehr auch dann vorliegen, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei Rückkehr in das betroffene Land oder die betroffene Region allein durch die Anwesenheit in dem Gebiet tatsächlich Gefahr läuft, einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt zu sein (EuGH, Urteil vom 17.02.2009 - C-465/07 -, juris Rn. 43). Der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit ein Anspruch auf subsidiären Schutz besteht, ist umso geringer, je mehr der Betroffene belegen kann, dass er aufgrund seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich; liegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Schutzsuchenden von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber auch solche persönlichen Umstände zählen, aufgrund derer der Schutzsuchende als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09, Rn. 33; Nds. OVG, Urteil vom 05.12.2017 - 4 LB 50/16 -, Rn. 38; zum Vorstehenden insgesamt: VG Bremen, Urteil vom 15.06.2021 - 7 K 530/19 -, Rn. 38; jeweils juris).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (bspw. BVerwG, Beschluss vom 13.12.2021 - 1 B 85.21 -, Rn 4) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urteil vom 10.06.2021 - C-901/19 -, juris Rn. 31 ff.) ist für die Verfolgungsdichte kein auf alle Konfliktlagen anzuwendender "Gefahrenwert" im Sinne einer zwingend zu beachtenden mathematisch-statistischen, quantitativen Mindestschwelle anzuwenden. Sondern es bedarf einer umfassenden Gesamtbetrachtung auf der Grundlage einer wertenden Gesamtschau auch der individuellen Betroffenheit. Dies ändert indes nichts daran, dass im Rahmen einer solchen Gesamtbetrachtung der Umstand, dass die Anzahl der bereits festgestellten Opfer bezogen auf die Gesamtbevölkerung in der betreffenden Region eine bestimmte Schwelle erreicht, als für die Feststellung einer solchen Bedrohung relevant angesehen werden kann, nur eben nicht im Sinne einer systematischen Anwendung eines einzigen quantitativen Kriteriums (BVerwG, a.a.O). Zu den im Rahmen der gebotenen umfassenden Wertung aller Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigenden Faktoren gehören insbesondere die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, der Organisationsgrad der beteiligten Streitkräfte und die Dauer des Konflikts als Faktoren ebenso wie andere Gesichtspunkte, etwa das geografische Ausmaß der Lage willkürlicher Gewalt, der tatsächliche Zielort des Antragstellers bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder Gebiet und die Aggression der Konfliktparteien gegen Zivilpersonen, die eventuell mit Absicht erfolgt (EuGH, a.a.O., Rn. 43).

b) Die Sicherheitslage im Südsudan insgesamt stellt sich folgendermaßen dar:

Das Land hat über 12 Millionen Einwohner. Der bis 2018 andauernde Bürgerkrieg konzentrierte sich auf die Bundestaaten Unity, Upper Nile, Jonglei und die Equatorias, wo es bis heute regelmäßig gewaltsame Auseinandersetzungen mit Waffen gibt. Am 22. 02.2020 kam es zu der Bildung einer Übergangsregierung der Nationalen Einheit unter Staatspräsident Salva Kiir Mayardit (SPLM-IG; Angehöriger der Ethnie der Dinka) und dem bisherigen Oppositionsführer Dr. Rieck Machar Teny (SPLM-IO) als erstem von fünf Vizepräsidenten. Auch die Parteien SSOA und "Former Detainees" sind in der Regierung vertreten. Damit wurde ein wichtiger Schritt zur Umsetzung des zwischen den ehemaligen Gegnern 2018 vereinbarten südsudanischen Friedensabkommens von 2018 (Revitalized Agreement on the Resolution of the Conflict in South Sudan, R-ARCSS) unternommen (Lagebericht S. 5, 9).

Im Zuge der bürgerkriegsähnlichen Zustände seit Mitte Dezember 2013 müssen Angehörige der Nuer, Schilluk und anderer Ethnien mit Verfolgung und Gewalt in den von der Regierung gehaltenen Gebieten rechnen. Einheiten der Rebellen, also der sog. "SPLM in Opposition" (oder auch "Anti-Government Forces"/ SPLM-IO) verüben ihrerseits Gewalttaten, auch gegen Zivilisten, dies vor allem in den Gliedstaaten Upper Nile, Unity, Jonglei und den Äquatorias. Die Mehrzahl von Verbrechen und schwersten Menschrechtsverletzungen wird aber den Regierungskräften zugeschrieben. Ein effektiver Schutz durch staatliche Organe besteht nicht. Insgesamt ist der Konflikt durch einen Zerfall der Gruppen mit wechselnden Zielen und auch Loyalitäten gekennzeichnet. Die Lage insbesondere außerhalb H. s lässt sich auch als zunehmende Lokalisierung und Anarchisierung der Konflikte charakterisieren (Lagebericht S. 7). Unabhängig von den gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen der Regierung und der in immer mehr einzelne Gruppen zerfallenden bewaffneten Opposition kommt es immer wieder und in verschiedenen Bundesstaaten zu gewalttätigen innerethnischen Auseinandersetzungen zwischen den Angehörigen der Dinka, Nuer und Murle. Auch innerhalb der Ethnien werden Konflikte um Vieh, Frauen und Land sehr häufig gewaltsam ausgefochten (Lagebericht S. 5). Der weitverbreitete Besitz von Waffen erhöht die Opferzahl bei Auseinandersetzungen (Lagebericht S. 9).

Die Sicherheitslage ist instabil und von zahlreichen Konflikten auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene gekennzeichnet, unterstützt von Ernteausfällen, einer der weltweit schlimmsten Hungerkatastrophen und Millionen von Binnenflüchtlingen. Mit Neuabschluss eines Friedensvertrags im September 2018 sind politisch motivierte Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien mit wenigen Ausnahmen, vor allem in Central Equatoria, landesweit zwar zurückgegangen. Dennoch bleibt das Gewaltniveau gegen die Zivilbevölkerung allgemein sehr hoch, nächtliche Ausgangssperren gelten fort. In den Landesteilen Central Equatoria, Western Equatoria, in den Grenzgebieten zu Uganda und der Demokratischen Republik Kongo, aber vereinzelt auch in Bahr el Ghazal, Unity State und Upper Nile kommt es weiterhin immer wieder zu begrenzten bewaffneten Auseinandersetzungen. In der Hauptstadt H. kommt es immer wieder zu nächtlichem Schusswaffengebrauch. In Südsudan bestehen außerhalb der größeren Städte vielerorts Gefahren durch gewaltsam ausgetragene interkommunale Konflikte, marodierende Sicherheitskräfte und Kriminalität. Darüber hinaus besteht im ganzen Land eine erhebliche Gefahr durch Landminen (Auswärtiges Amt, Reise- und Sicherheitshinweise zum Südsudan, Stand: 04.07.2023, unverändert gültig seit 06.03.2023).

Die Human Rights Division der United Nations Mission in South Sudan (HRD UNMISS) dokumentierte für das Jahr 2022 etwa 3.500 Fälle, in denen Zivilpersonen von Gewalt einschließlich Tötungen und Verletzungen betroffen waren. Die Zivilbevölkerung trägt die Hauptlast der sog. subnationalen Gewalt im Südsudan. Die statistisch erfassten Zahlen haben in 2022 gegenüber 2021 zwar abgenommen, allerdings kann dies eine Untererfassung sein, da die Arbeit der Helfer verschiedentlich behindert wurde. Verantwortlich für die Gewaltausübung sind zu über 90 % staatliche und oppositionelle Sicherheitskräfte sowie ihnen nahestehende bewaffnete Gruppen, außerdem Stammesmilizen und Zivilschutzgruppen. Die meisten Gewaltvorfälle entfallen auf die Regionen Upper Nile und Warrap (zusammen 42 %), gefolgt von Jonglei, Unity, Eastern Equatoria und Central Equatoria (letzteres: 11 %). Die Vorfälle konzentrieren sich auf bestimmte Bezirke (HRD UNMISS 2022).

Speziell in Central Equatoria hat die National Salvation Front im Jahr 2022 hat mit verschiedenen Begründungen 145 Zivilisten entführt, weitere wurden vertrieben (HRD UNMISS 2022, S. 3 f.). Außerdem kam es in Central Equatoria Ende 2022 und Anfang 2023 verstärkt zu Gewalt zwischen eingewanderten Rinderhirten, die mit Sicherheitseliten verbündet sind, und der einheimischen Bevölkerung, einschließlich Tötungen und Vertreibungen (UN Security Council, Letter dated 26 April 2023 from the Panel of Experts on South Sudan addressed to the President of the Security Council [im Folgenden: Bericht der Expertengruppe vom 26.04.2023], Rn. 100 ff.; UN Security Council, Report of the Secretary-General, Situation in South Sudan, 22.02.2023, Rn. 17 f.).

Nach den Daten des Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED) wird für das Jahr 2022 von 784 Todesopfern in der Kategorie "Gewalt gegen Zivilpersonen" und 1091 Todesopfern in der Kategorie "Kämpfe" ausgegangen, insgesamt 1890 (militärische und zivile) Todesopfer. In Central Equatoria wurden 135 Tote an verschiedenen Orten, darunter H., lokalisiert. In Warrap, Unity, Jonglei, Upper Nile und Eastern Equatoria waren deutlich mehr Menschen betroffen (ACCORD vom 12.04.2023, Kurzübersicht Konfliktvorfälle aus ACLED-Project in 2022).

Die Belastbarkeit der Zahlen des ACLED-Projekts ist eingeschränkt. Denn sie erfassen nicht die verletzten Personen und geben auch keine exakte Auskunft zum Verhältnis von getöteten Zivilpersonen zu getöteten Nicht-Zivilisten. Dies ist im Rahmen der Prüfung des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG, die auf Gefahren für die Zivilbevölkerung abstellt, jedoch geboten. ACLED kategorisiert lediglich die Konfliktvorfälle in insbesondere Kämpfe (battles), Explosionen/Fernangriffe (explosions/remote violence), Gewalt gegen Zivilpersonen (violence against civilians), Proteste, strategische Entwicklungen und Ausschreitungen. Es ist davon auszugehen, dass in der Kategorien Kämpfe deutlich mehr Soldaten bzw. Kämpfer betroffen sind als Zivilisten. Andererseits muss davon ausgegangen werden, dass gerade bei getöteten Zivilpersonen im ländlichen Bereich des Südsudans eine erhebliche Dunkelziffer besteht. Daher stellt die aufgrund der ACLED-Auskünfte ermittelte Tötungsquote nur eine höchst annäherungsweise Abbildung des Risikos dar, als Teil der Zivilbevölkerung Opfer willkürlicher Gewalt im Südsudan zu werden (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 05.12.2017 - 4 LB 50/16 -, juris Rn. 45 zu Somalia; Nds. OVG, Urteil vom 24.09.2019 - 9 LB 136/19 -, juris Rn. 97 zu Irak: Annahme eines Faktors von drei für nicht erfasste verletzte Zivilisten sowie eine darüber hinausgehende Dunkelziffer an Referenzfällen).

c) Bei der für den gesamten Südsudan geschätzten Bevölkerungszahl von über 12 Millionen bleibt das statistische Risiko, allein aufgrund der Anwesenheit in diversen Regionen des Landes Opfer willkürlicher Gewalt zu werden, zwar recht gering. Andererseits kommen in den Bundesstaaten Upper Nile, Warrap, Jonglei, Unity, Eastern Equatoria und Central Equatoria seit Jahren bei immer wieder aufflammender Gewalt verschiedenster Gruppierungen beständig Zivilpersonen zu Schaden. Die Gefahren bestehen dort außerhalb der größeren Städte vielerorts, so dass das Gewaltniveau gegen die Zivilbevölkerung als "allgemein sehr hoch" eingeschätzt wird. Die medizinische Versorgungslage, die in die wertende Gesamtbetrachtung ebenfalls einzustellen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 -, juris Rn. 23), ist vor allem auf dem Land äußerst schwach. Bisher hängt die medizinische Grundversorgung in Südsudan in erster Linie vom Einsatz der internationalen Gemeinschaft ab. Dies gilt insbesondere für die von Konflikten betroffenen Gebiete. In größeren Städten gibt es Krankenhäuser und Apotheken (Lagebericht S. 18). Für humanitäre Helfer ist der Südsudan jedoch angesichts der instabilen Sicherheitslage einer der gefährlichsten Einsatzorte (Lagebericht S. 6) Für die südsudanesischen Landesteile Upper Nile, Warrap, Jonglei, Unity, Eastern Equatoria und Central Equatoria (ggf. mit Ausnahme der Hauptstadt H.) geht das Gericht deshalb vom Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts aus, der eine ernsthafte individuelle Bedrohung für Leben oder Unversehrtheit jeder Zivilperson, die sich in diesem Gebiet aufhält, bedeutet (s.a. VG Oldenburg, Urteil vom 11.07.2022 - 1 A 4057/18 -, juris S. 24 ff.).

4. Daneben droht dem Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in den Bundesstaaten Unity und Central Equatoria sowie im gesamten Land Südsudan einschließlich der Hauptstadt H. eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung aufgrund der schlechten humanitären Lage, die im Südsudan durch einen Akteur hervorgerufen ist.

a) Schlechte humanitäre Bedingungen können nur dann zur Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG führen, wenn sie maßgeblich auf direkte oder indirekte bewusste und zielgerichtete Handlungen oder Unterlassungen staatlicher oder nichtstaatlicher Akteure zurückzuführen sind (Nds. OVG, Beschluss vom 11.03.2021 - 9 LB 129/19 -, Rn. 102; BVerwG, Urteil vom 20.05.2020 - 1 C 11.19 -, Rn. 12, 15; jeweils juris und m.w.N.).

b) Die humanitäre Situation im Südsudan stellt sich wie folgt dar:

Die humanitäre Lage war bereits seit der Unabhängigkeit des Landes 2011 angespannt und verschlechtert sich seitdem kontinuierlich. Das Land leidet weiterhin unter extremster Ernährungsunsicherheit. Das südsudanesische Justizsystem ist ausgesprochen schwach. Nichtregierungsorganisationen (NROs) unterliegen immer wieder willkürlichen Beschränkungen von Regierungsstellen und Sicherheitsorganen, die durch Korruption und Missmanagement auf Regierungsseite noch verstärkt werden. Nachdem im Jahr 2017 und wiederholt 2019 und 2020 die Zahlung von Gehältern für Angehörige der öffentlichen Verwaltung einschließlich der Sicherheitskräfte über Monate eingestellt wurde, erhöhte sich der Druck auf die im Land tätigen NROs deutlich. Südsudan ist einer der gefährlichsten Einsatzorte für humanitäre Helfer. 2020 wurden neun von ihnen getötet. Seit Oktober 2019 haben gewaltsame Vorfälle zugenommen. Raub, Plünderungen und Erpressungen von NROs sind immer noch an der Tagesordnung (Lagebericht S. 5, 9).

Die UN-Mission im Südsudan (UNMISS), die eine Rückkehr zum Bürgerkrieg verhindern, Frieden schaffen und beim Aufbau einer guten Regierung unterstützen soll, wurde bis zum 15.03.2024 verlängert. Zu ihrem Mandat gehört der Schutz von Zivilpersonen und die Schaffung von förderlichen Bedingungen für die Lieferung humanitärer Hilfe (UN Security Council, Resolution 2677 (2023), Adopted by the Security Council at its 9281st meeting on 15 March 2023).

Derzeit ist die Zahl der Vertriebenen auf dem höchsten Stand seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens 2018 und die Ernährungsunsicherheit auf dem höchsten Stand seit der Unabhängigkeit. Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung werden im Jahr 2023 humanitäre Hilfe benötigen. Für die meisten Menschen, insbesondere außerhalb von H., hat die Übergangszeit keine greifbaren Fortschritte gebracht. Die Verschlechterung der humanitären Lage ist zum Teil die Folge von Gewalttaten. In den letzten Jahren und Monaten kam es in den meisten Teilen des Landes zu schweren Zusammenstößen zwischen gut bewaffneten Kräften, die zu Todesfällen, Vertreibungen, schweren Menschenrechtsverletzungen, konfliktbedingter sexueller Gewalt und Behinderungen bei der Bereitstellung humanitärer Hilfe führten. Die Expertengruppe der UN hat Gewalt und Missbrauch, einschließlich schwerer konfliktbedingter geschlechtsspezifischer Gewalt, in Upper Nile, Jonglei und Central Equatoria dokumentiert. Ein Großteil dieser Gewalt ist auf das Zusammentreffen mehrerer Schwachstellen bei der bisherigen Umsetzung des Friedensprozesses zurückzuführen. Die Bemühungen um eine Schwächung der Oppositionsgruppen, die anhaltende politische Abhängigkeit von lokalen Jugendmilizen und die Verzögerungen bei der Bildung einer einheitlichen nationalen Armee haben zu einer Zersplitterung der Sicherheitslandschaft geführt, die durch den freien Fluss von Waffen zwischen Zivilisten und Militärs noch verstärkt wird. Humanitäre und wirtschaftliche Krisen haben die Gemeinschaften im Wettbewerb um die immer knapper werdenden Ressourcen gegeneinander ausgespielt, was durch Überschwemmungen und Behinderungen der humanitären Hilfe noch verstärkt wurde. Diese Kämpfe wurden wiederum von lokalen und nationalen Führern politisiert, deren eigenes Schicksal oft von ihrer Fähigkeit abhängt, Gewalt zu mobilisieren. In zunehmendem Maße ist die Gewalt jedoch auch auf die wachsende Unzufriedenheit mit dem politischen Prozess in H. zurückzuführen. Die Verzögerungen und die Verschlechterung der humanitären Bedingungen haben die Geduld und das Vertrauen vieler politischer und militärischer Führer im Landesinneren auf die Probe gestellt, die zunehmend versucht haben, ihren eigenen Weg durch eine Übergangszeit zu finden, die vielen nicht mehr als vorübergehend erscheint. Dabei haben sie Kräfte mobilisiert, die ihnen lokale Gebiete und Ressourcen wie Flusskontrollpunkte und Viehbestände streitig machen, während sich die nationale Führung immer weniger in der Lage sieht, die Gewalt zu kontrollieren und zu lenken. Die Öleinnahmen, die auf eine Vielzahl von Konten verteilt sind und leicht zweckentfremdet und veruntreut werden können, haben die Institutionen, die die Situation durch regelmäßige Gehaltszahlungen, humanitäre Hilfe und Entwicklungshilfe stabilisieren könnten, weitgehend nicht erreicht (Bericht der Expertengruppe vom 26.04.2023, einleitende Zusammenfassung).

Führende Politiker des Südsudans versuchen, sich von der Verantwortung für die Gewalt freizusprechen und bezeichnen sie als "interkommunal", "stammesbezogen" und "subnational". Die Zersplitterung der Oppositionsgruppen, die von den Unterhändlern der Regierung begünstigt wurde, hat es möglich gemacht, zu behaupten, dass die Unterzeichner des Friedensabkommens einen direkten Konflikt vermieden haben, selbst wenn ihre verbündeten Milizen und ihre neuen Kameraden aufeinandertreffen (Bericht der Expertengruppe vom 26.04.2023, einleitende Zusammenfassung und Rn. 79).

Die subnationale Gewalt ist nach wie vor eine Herausforderung für den Frieden und die Sicherheit im Südsudan. In den meisten Teilen des Landes außerhalb von H. kam es zu schweren Zwischenfällen, die mehrere Unterzeichner des Friedensabkommens zu verletzen drohen. Die Zahl der Vertriebenen hat - teilweise als Folge dieser Gewalt - den höchsten Stand seit der Unterzeichnung des Abkommens erreicht, und die Lieferung humanitärer Hilfe wird häufig behindert. Ein Großteil der Gewalt auf subnationaler Ebene ist auf das Zusammentreffen mehrerer, sich gegenseitig verstärkender Schwächen des bisherigen Friedensprozesses zurückzuführen. Die Bemühungen der Regierung, Oppositionsgruppen zu schwächen und Personen zu belohnen, die in der Lage sind, lokale militärische Kräfte zu befehligen, haben die politische und sicherheitspolitische Landschaft fragmentiert. Überschwemmungen, Vertreibung und eine humanitäre Krise haben dazu geführt, dass die Gemeinschaften verarmt und vom Friedensprozess desillusioniert sind, was den gewaltsamen Wettbewerb um knappe Ressourcen verschärft und Milizen mobilisiert, die von den Eliten politisiert werden. Da es nicht gelungen ist, eine einheitliche nationale Armee zu schaffen, ist die nationale Regierung nicht in der Lage oder nicht willens, wirksam zu intervenieren. Die humanitären Auswirkungen dieser subnationalen Gewalt sind beträchtlich und verschärfen die Folgen von Überschwemmungen, früherer Gewalt und einer Wirtschaftskrise. Die Prognosen deuten nun auf eine Zunahme der akuten Ernährungsunsicherheit für bis zu 7,76 Millionen Südsudanesen Anfang 2023, wobei mehr als 1,4 Millionen Kinder unter fünf Jahren an akuter Unterernährung leiden dürften. Dies übertrifft das Niveau der Ernährungsunsicherheit, das während der Konflikte 2013 und 2016 herrschte. Auch die Zahl der Menschen, die humanitäre Hilfe benötigen, wird den Prognosen zufolge steigen, wobei mehr als zwei Drittel der Bevölkerung bereits auf solche Hilfe angewiesen sind. Trotz dieser Bedingungen werden die Mitarbeiter der humanitären Hilfe weiterhin zur Zielscheibe und berichten über bürokratische Hindernisse und Zugangsbeschränkungen, einschließlich der gezielten Angriffe auf Nahrungsmittelkonvois. Die Auswirkungen der subnationalen Gewalt sind in der Regel auch weit über ihre intensivste Phase hinaus spürbar. Trotz eines Rückgangs der Gewalt im Jahr 2023 ist zum Beispiel die Ernährungssicherheit in Fashoda, Panyikang, Fangak und Pigi, die alle im Großraum Upper Nile liegen, weiterhin stark beeinträchtigt. Humanitäre Helfer berichteten von "anhaltenden Hindernissen für den Flusstransport" und wiesen darauf hin, dass im Februar 2023 mindestens 161.000 Menschen aufgrund der anhaltenden Auswirkungen des Konflikts in die Phasen 4 (Notstand) und 5 (Hunger) getrieben wurden. Humanitäre Organisationen bestätigten, dass sie im Februar 2023 immer noch von Milizen, die entlang des Nils operieren, belästigt und ausgeraubt wurden (Bericht der Expertengruppe vom 26.04.2023, Rn. 62-66).

Der zuständige Generalsekretär der Vereinten Nationen geht aktuell davon aus, dass etwa 9,4 Millionen Menschen im Südsudan im Jahr 2023 humanitäre Unterstützung oder Schutz benötigen. Die subnationale Gewalt unterhöhle erzielte Fortschritte (UN Security Council, Report of the Secretary-General, Situation in South Sudan, 22.02.2023, Rn. 100).

Der Krieg hat die Existenzgrundlage von Millionen Menschen zerstört, die von bäuerlicher Landwirtschaft gelebt hat. Das Land steht vor enormen strukturellen Herausforderungen, wie einer desolaten (Verkehrs-)Infrastruktur, einem sehr niedrigen Bildungsniveau, einem fast vollständigen Mangel an staatlichen Institutionen sowie völlig unzureichenden Grundversorgungsleistungen insbesondere in den Bereichen Wasser, sanitäre Einrichtungen und Gesundheit. Bis auf die höchste Ebene grassiert Korruption. Die wirtschaftliche Situation wird noch dadurch verschärft, dass die Regierung ihre Einnahmen vorwiegend in Waffen und militärische Ausrüstung investiert. Mehr als 80 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner leben unterhalb der Armutsgrenze und somit von weniger als umgerechnet 1,90 US-Dollar pro Tag (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Südsudan, vom 28.04.2022, S. 26, 27)

Im Dezember 2020 waren rund 1,6 Millionen Südsudanesen innerhalb des eigenen Landes auf der Flucht. Zu den Hauptfaktoren von Binnenvertreibung zählen bewaffnete Konflikte, interkommunale und ethnische Gewalt, Menschenrechtsverletzungen, Zwangsvertreibungen und zuletzt Naturkatastrophen. Einige der Vertriebenen suchen Schutz in Flüchtlingslagern von UN-Stützpunkten, diese sind der Größenordnung der Schutzsuchenden jedoch oftmals nicht gewachsen (Lagebericht S. 5, 13, 17).

Im Südsudan gibt es keine Reintegrationsprojekte der BRD (Lagebericht S. 17).

UNHCR appelliert an alle Staaten, keine Abschiebungen nach Südsudan vorzunehmen. Die Situation im Südsudan ist nach Auffassung von UNHCR im Hinblick auf Sicherheit, Recht und Ordnung sowie Menschenrechte nicht vereinbar mit einer sicheren und würdevollen Rückkehr von Flüchtenden. Dies gelte unabhängig davon, ob ihnen internationaler Schutz zustehe oder nicht (UNHCR Position on returns to South Sudan - Update III, Oktober 2021, Rn. 26-28).

c) Mit mehr als zwei Dritteln der Bevölkerung, die auf humanitäre Unterstützung angewiesen sind, wobei knapp zwei Drittel der Bevölkerung von akuter Ernährungsunsicherheit (Mangelversorgung und Unterernährung) betroffen sind, ist die humanitäre Lage im Südsudan sehr schlecht. Nach Überzeugung des Gerichts ist dafür ein Akteur im Sinne von § 3a Nr. 1 und 3 AsylG verantwortlich. Die derzeitigen humanitären Umstände sind vom Staat selbst bzw. nichtstaatlichen Akteuren entscheidend und zielgerichtet mitverursacht. Da die Regierung selbst sowie zahlreiche andere staatliche und nichtstaatliche Akteure die Arbeit von humanitären Helfern konterkarieren, sie nicht schützen, sondern Anschläge auf sie zulassen, und Einnahmen aus dem Ölgeschäft versickern lassen, tragen Sie als Akteure eine entscheidende Verantwortung für das Leid der Bevölkerung. Die Nichtregierungsorganisationen und die UNMISS sind wegen des Widerstands, auf den sie treffen, nicht imstande, die humanitäre Lage entscheidend zu verbessern.

In den Fällen, in denen die schlechten humanitären Verhältnisse im Abschiebungszielstaat primär auf direkte oder indirekte Handlungen oder Unterlassungen dortiger Konfliktparteien zurückzuführen, hält der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte seinen im Verfahren M. S. S. v. Belgium and Greece (Urteil vom 21.01.2011 - 30696/06 - HUDOC) entwickelten und im Verfahren Sufi and Elmi v. The United Kingdom (Urteil vom 28.6.2011, - 8319/07 und 11449/07 - HUDOC Rn. 282 f.) auch im Hinblick auf die humanitären Bedingungen in Flüchtlingslagern in Süd- und Zentralsomalia angewandten weniger strengen Maßstab für besser geeignet, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK festzustellen (vgl. EGMR, Urteil vom 29.01.2013 - 60367/10 [S. H. H. v. United Kingdom] - HUDOC Rn. 77). Danach muss die Fähigkeit des Betroffenen berücksichtigt werden, seine elementaren Bedürfnisse wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft zu befriedigen, weiter seine Anfälligkeit für Fehlbehandlungen sowie seine Aussicht auf eine Verbesserung der Lage in angemessener Zeit (vgl. EGMR, Urteil vom 29.01.2013, a. a. O., Rn. 89 ff.; zum Vorstehenden insgesamt: Nds. OVG, Urteil vom 24.09.2019 - 9 LB 136/19 -, juris Rn. 111).

d) Der Fall des Klägers zeichnet sich nicht durch besondere Umstände aus, die die Annahme zuließen, dass er - anders als der weit überwiegende Teil der Bevölkerung - nicht vom Verhungern bedroht wäre.

Der 45-jährige Kläger gehört zwar nicht zu den vulnerablen Personen. Er ist ein gesunder, erwerbsfähiger und für die Rückkehr als alleinstehend anzusehender Mann. Seine Kinder und deren Mutter sollen sich nach seinen Angaben in Ägypten befinden. Der Kläger verfügt über einen Grundschulabschluss, eine weiterführende Schulbildung - nach eigenen Angaben ohne Abschluss - sowie Arbeitserfahrung in der Militärverwaltung und als Soldat. Dennoch sind seine Chancen auf eine existenzsichernde Arbeit im Südsudan extrem schlecht. Er hat keine über ein Anlernen hinausgehende Berufsausbildung. In der Landwirtschaft wird er im Südsudan an den infrage kommenden Orten nicht arbeiten können, da dieser Erwerbssektor am Boden liegt. Eine Rückkehr in die staatliche Armee oder andere bewaffnete Einheiten kann vom Kläger nicht verlangt werden. Er hat in der mündlichen Verhandlung insoweit glaubhaft versichert, in gewaltbehafteten Milieus aufgrund seiner Erlebnisse nicht mehr arbeiten zu wollen. Gegen seinen Willen kann ihm dies nicht abverlangt werden, zumal in einem Land wie dem Südsudan. Tätigkeiten im öffentlichen Sektor kommen für eine Existenzsicherung ohnehin nicht infrage, da dort Gehaltszahlungen unsicher sind. Von Gelegenheitsarbeiten wird der Kläger angesichts der Vielzahl von Flüchtlingen und Binnenflüchtlingen im Land und des Drucks auf den informellen Arbeitssektor ebenfalls nicht leben können, da er sich aus der Menge nicht besonders wird hervortun können. Sein Temperament ist nach dem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck zurückhaltend. Dass seine Freunde in H. ihm Arbeitsgelegenheiten verschaffen könnten, ist angesichts seiner fehlenden Ausbildung und seiner langen Zeit außer Landes (über sieben Jahre) ebenfalls nicht gesichert. Dass seine Freunde in H. ihn zunächst mit "Bett, Brot und Seife" versorgen werden, kann angesichts der allgemein schwierigen Lage und fehlender Aussichten auf Verbesserung nicht erwartet werden. Andere Anlaufstellen in sicheren Landesteilen besitzt der Kläger nicht.

5. Da der Kläger im gesamten Südsudan sein Existenzminimum nicht wird sichern können, kommen die weniger von Gewalt betroffenen Bundesstaaten Northern Bahr el Ghazal, Western Equatoria, Lakes und Western Bahr el Ghazal, die wie die Hauptstadt H. über Flughäfen verfügen (vgl. HRD UNMISS 2022, S. 5) und die der Kläger deshalb auf dem Luftweg in Sicherheit erreichen könnte, oder die Hauptstadt H. nicht als interne Fluchtalternative zur Heimatregion Unity in Betracht. Es kann nicht vernünftigerweise erwartet werden, dass der Kläger sich dort niederlässt.

6. Anhaltspunkte für das Vorliegen von Ausschlussgründen nach § 4 Abs. 2 AsylG bestehen nicht.

III. Da dem Kläger der subsidiäre Schutzstatus zuzuerkennen ist, sind Ziffer 3 bis 6 des Bescheids vom 16.08.2019 aufzuheben. Die Feststellungen zum Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten, die Ausreiseaufforderung samt Abschiebungsandrohung sowie die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sind gegenstandslos geworden.

Über den weiter hilfsweise gestellten (Verpflichtungs-)Antrag auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG war nicht mehr zu entscheiden, da die Klage mit dem vorrangig gestellten Hilfsantrag erfolgreich ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 83b AsylG.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.