Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 12.12.2017, Az.: 13 PA 222/17
Erlass einer Wohnsitzauflage wegen mangelnder Lebensunterhaltssicherung eines Ausländers mit Behinderung; Vorliegen eines Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot sowie gegen Bestimmungen der UN-Behindertenrechtskonvention
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 12.12.2017
- Aktenzeichen
- 13 PA 222/17
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2017, 49558
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2017:1212.13PA222.17.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Oldenburg - 27.07.2017 - AZ: 11 A 2881/14
Rechtsgrundlagen
- § 12 Abs. 2 S. 2 AufenthG 2004
- § 25 Abs. 5 AufenthG 2004
- Art. 8 MRK
- Art. 3 Abs. 3 S 2 GG
- Art. 19 Abs. 1 UNBehRÜbk
- Art. 18 Abs. 1 UNBehRÜbk
Amtlicher Leitsatz
Wird die einem Ausländer mit einer Behinderung erteilte Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG wegen mangelnder selbstständiger Lebensunterhaltssicherung auf der Grundlage des § 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG mit einer wohnsitzbeschränkenden Auflage versehen, verstößt dies regelmäßig weder gegen das grundgesetzliche Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG noch gegen Bestimmungen der UN-Behindertenrechtskonvention.
Tenor:
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg - Einzelrichter der 11. Kammer - vom 27. Juli 2017 teilweise geändert.
Der Klägerin wird für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt B. aus B-Stadt zu den Bedingungen eines im Bezirk des Verwaltungsgerichts Oldenburg niedergelassenen Rechtsanwalts beigeordnet, soweit die Klägerin mit ihrer Klage die Aufhebung der zu ihrer Aufenthaltserlaubnis erteilten Wohnsitzauflage begehrt.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Gerichtskosten werden für das Beschwerdeverfahren nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts ist zulässig und in dem aus dem Entscheidungsausspruch ersichtlichen Umfang auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Klageverfahren teilweise zu Unrecht abgelehnt.
Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Prüfung der Erfolgsaussicht nicht dazu dienen soll, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.2.2007 - 1 BvR 474/05 -, NVwZ-RR 2007, 361, 362 m.w.N.). Entscheidungserhebliche offene Sachfragen sind daher im Prozesskostenhilfeverfahren ebenso wenig zu klären wie schwierige, noch nicht geklärte Rechtsfragen. Deren Klärung ist vielmehr dem Hauptsacheverfahren vorbehalten (vgl. BVerfG, Beschl. v. 13.3.1990 - 2 BvR 94/88 -, BVerfGE 81, 347, 358 f.).
Hier ist die Klägerin nach der von ihr vorgelegten "Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse" nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung auch nur in Raten aufzubringen.
Nach dem dargestellten Maßstab bietet ihre Klage auch hinreichende Aussicht auf Erfolg, soweit sie die Aufhebung der zu ihrer Aufenthaltserlaubnis erteilten Nebenbestimmung "Zur Wohnsitznahme im Landkreis C. verpflichtet" (Wohnsitzauflage) begehrt.
Eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann auf der Grundlage des § 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG mit einer wohnsitzbeschränkenden Auflage (Wohnsitzauflage), die selbstständig anfechtbar ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.1.2013 - BVerwG 1 C 7.12 -, BVerwGE 145, 305, 307), versehen werden (vgl. anders etwa zu wohnsitzbeschränkenden Auflagen für Asylberechtigte: Urt. v. 15.1.2013, a.a.O., S. 311; anerkannte Flüchtlinge: BVerwG, Urt. v. 15.1.2008 - BVerwG 1 C 17.07 -, BVerwGE 130, 148, 151 f. und subsidiär Schutzberechtigte: EuGH, Urt. v. 1.3.2016 - C-443/14 u.a. -, NVwZ 2016, 445 [EuGH 01.03.2016 - C-443/14; C-444/14]). Die Betätigung des Ermessens durch die zuständige Behörde ist nach § 114 Satz 1 VwGO gerichtlich nur daraufhin überprüfbar, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten wurden und von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Dabei ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn sich die Ausländerbehörde auf generelle Regelungen in Verwaltungsvorschriften bezieht, wie sie sich für die Erteilung einer Wohnsitzauflage in Nrn. 12.2.5.2.1 und 12.2.5.2.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz - AVwV AufenthG - vom 26. Oktober 2009 (GMBl. S. 877) finden. Danach wird die Wohnsitzauflage erteilt und aufrechterhalten bei Inhabern von Aufenthaltserlaubnissen nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes, soweit und solange sie Leistungen nach dem SGB II oder XII oder dem AsylbLG beziehen (vgl. Nr. 12.2.5.2.2 Satz 1 AVwV AufenthG).
1. Wird auf dieser Grundlage gegenüber einem Ausländer, der behindert ist und eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG innehat, eine Wohnsitzauflage verfügt, verstößt dies regelmäßig weder gegen das grundgesetzliche Diskriminierungsverbot (a.) noch gegen Bestimmungen der UN-Behindertenrechtskonvention (b.).
a. Nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Benachteiligung bedeutet nachteilige Ungleichbehandlung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.1.1999 - 1 BvR 2161/94 -, BVerfGE 99, 341, 357 [BVerfG 19.01.1999 - 1 BvR 2161/94]). Der besondere Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG verbietet Normgebern und Verwaltung, Behinderte gezielt schlechter zu stellen, sofern dies nicht aus zwingenden Gründen geboten ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.1.1999, a.a.O.). Darüber hinaus ist der Schutzbereich des Grundrechts berührt, wenn Rechtsnormen oder Verwaltungspraxis zwar für Behinderte und Nichtbehinderte gleichermaßen gelten, Behinderte aber wegen der unterschiedlichen Auswirkungen der Rechtsanwendung faktisch (mittelbar) benachteiligt werden, etwa weil sie eine bestimmte rechtliche Gewährleistung aus tatsächlichen Gründen nicht in Anspruch nehmen können (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.7.2015 - BVerwG 6 C 35.14 -, BVerwGE 152, 330, 337). Insoweit enthält Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG den Auftrag an Gesetzgeber und Verwaltung, die Stellung von Behinderten in Staat und Gesellschaft zu stärken (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. u.a., Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes, BT-Drs. 12/8165 S. 28 f.).
Nach diesen Maßgaben verstößt es regelmäßig nicht gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, die einem Ausländer mit Behinderung nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG erteilte Aufenthaltserlaubnis wegen einer mangelnden selbstständigen Lebensunterhaltssicherung mit einer Wohnsitzauflage zu versehen.
Die Verhängung einer Wohnsitzauflage bei einer mangelnden selbstständigen Lebensunterhaltssicherung führt nicht zu einer unmittelbaren Benachteiligung von Ausländern mit einer Behinderung. Bei einer mangelnden selbstständigen Lebensunterhaltssicherung kann die Wohnsitzauflage in gleicher Weise gegenüber behinderten wie gegenüber nichtbehinderten Ausländern verhängt werden (vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Übereinkommen der Vereinten Nationen über Rechte von Menschen mit Behinderungen - Erster Staatenbericht der Bundesrepublik Deutschland, 2011, S. 42 f.).
Die Verhängung einer Wohnsitzauflage bei einer mangelnden selbstständigen Lebensunterhaltssicherung führt auch nicht zu einer mittelbaren Benachteiligung von Ausländern mit einer Behinderung, etwa weil sie diese faktisch häufiger betrifft.
Zum einen ist das Vorliegen einer Behinderung nur einer von zahlreichen Gründen, die der Erzielung von Erwerbseinkommen und einer darauf aufbauenden selbstständigen Lebensunterhaltssicherung entgegenstehen können (vgl. BSG, Urt. v. 16.6.2015 - B 4 AS 37/14 R -, juris Rn. 34). Zum anderen ist zweifelhaft, ob die Verhängung einer Wohnsitzauflage bei einer mangelnden selbstständigen Lebensunterhaltssicherung überhaupt Menschen mit Behinderungen signifikant faktisch häufiger betrifft. Dabei verkennt der Senat nicht, dass Menschen mit Behinderungen häufiger als Menschen ohne Behinderungen in ihrer Erwerbsfähigkeit beeinträchtigt sind und hieran anknüpfend bei der Ausübung einer Erwerbstätigkeit und der Erzielung eines Erwerbseinkommens benachteiligt sein können, und diese Nachteile auch durch die zahlreichen gesetzgeberischen Maßnahmen zur Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf nicht vollständig ausgeglichen sind (vgl. hierzu etwa Bericht der Bundesregierung über die Lage von Menschen mit Behinderungen für die 16. Legislaturperiode, 2009, insbesondere S. 43 ff., veröffentlicht unter www.bmas.de; Pfaff u.a., Lebenslagen der behinderten Menschen - Ergebnis des Mikrozensus 2009, in: Statistisches Bundesamt, Wirtschaft und Statistik März 2012, S. 235 f., veröffentlicht unter www.destatis.de; Bundesagentur für Arbeit, Der Arbeitsmarkt in Deutschland - Die Arbeitsmarktsituation von schwerbehinderten Menschen, 2015, veröffentlicht unter statistik.arbeitsagentur.de). Der maßgebliche Anknüpfungspunkt der Ermessensentscheidung nach § 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG in Verbindung mit Nr. 12.2.5.2.2 Satz 1 AVwV AufenthG ist aber nicht die Ausübung von Erwerbstätigkeit und die Erzielung von Erwerbseinkommen, sondern die Lebensunterhaltssicherung ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel im Sinne des § 2 Abs. 3 AufenthG. In Bezug auf diesen Anknüpfungspunkt ist eine faktische Betroffenheit behinderter gegenüber nichtbehinderten Menschen kaum auszumachen. Denn die Unterhaltsquellen nichtbehinderter und behinderter Menschen speisen sich im Wesentlichen aus Renten und Pensionen (Nichtbehinderte: 18,8 %; Behinderte: 63,0 %), Erwerbseinkommen (Nichtbehinderte: 44,5 %; Behinderte: 19,9 %) sowie Einkünften von Angehörigen (Nichtbehinderte: 29,3 %; Behinderte: 8,7 %) und demgegenüber nur zu einem geringen Teil aus öffentlichen Mitteln, die nach § 2 Abs. 3 AufenthG der Annahme einer selbstständigen Lebensunterhaltssicherung entgegen stehen könnten (vgl. Pfaff u.a., Lebenslagen der behinderten Menschen - Ergebnis des Mikrozensus 2009, a.a.O., S. 240: ALG I, II, Sozialgeld: Nichtbehinderte: 5,5 %; Behinderte: 5,0 %; Sozialhilfe (Laufende Hilfe zum Lebensunterhalt, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung und andere Hilfen in besonderen Lebenslagen): Nichtbehinderte: 0,3 %; Behinderte: 2,3 %; Sonstige Unterstützung (BAföG, Vorruhestandsgeld, Stipendium, Pflegeversicherung, Asylbewerberleistungen): Nichtbehinderte: 0,6 %; Behinderte: 0,9 %). Das Vorbringen der Klägerin, behinderte Menschen seien gegenüber nichtbehinderten Menschen durch den Anknüpfungspunkt der mangelnden selbstständigen Lebensunterhaltssicherung als solches faktisch regelmäßig benachteiligt, findet hierin jedenfalls keine Bestätigung.
Im Übrigen läge in einer mittelbaren Benachteiligung behinderter Ausländer auch nicht zwangsläufig ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG. Denn hieraus folgt im Allgemeinen kein Anspruch darauf, dass eine konkrete mittelbare Benachteiligung unterbleibt oder beseitigt wird. Vielmehr steht Normgebern und Verwaltung bei ihrer Entscheidung darüber, ob und inwieweit sie dem grundgesetzlichen Fördergebot Rechnung tragen, regelmäßig ein Einschätzungsspielraum zu. Einerseits müssen sie die Auswirkungen einer behindertenbedingten Benachteiligung für die Betroffenen in den Blick nehmen. Andererseits haben sie rechtlich schutzwürdige gegenläufige Belange, aber auch organisatorische, personelle und finanzielle Gegebenheiten in die Entscheidungsfindung einzubeziehen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.1.1999, a.a.O., S. 357; Beschl. v. 8.10.1997 - 1 BvR 9/97 -, BVerfGE 96, 288, 304 ff.; BVerwG, Urt. v. 5.4.2006 - BVerwG 9 C 1.05 -, BVerwGE 125, 370, 383).
Die danach gebotene Abwägung fällt zu Lasten der Ausländer mit einer Behinderung aus.
Diese können sich von vorneherein nicht auf das Grundrecht der Freizügigkeit nach Art. 11 GG berufen, denn dieses ist auf Deutsche beschränkt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 3.7.2001 - 2 BvR 1022/01 -, juris Rn. 2 mit weiterem Nachweis). Auch das durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG geschützte Recht, im Rahmen der Rechtsordnung jeden beliebigen Ort aufzusuchen (vgl. BVerfG, Urt. v. 14.5.1996 - 2 BvR 1516/93 -, BVerfGE 94, 166, 198 f.), wird durch eine Wohnsitzauflage nicht berührt. Die Wohnsitzauflage tangiert vielmehr allein das auch Ausländern zustehende Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und die davon umfasste Freiheit der Wahl des Aufenthaltsortes und des Wohnsitzes in der Bundesrepublik Deutschland (vgl. BVerfG, Beschl. v. 9.2.2001 - 1 BvR 781/98 -, DVBl. 2001, 892, 893; Beschl. v. 18.7.1973 - 1 BvR 23/73 -, BVerfGE 35, 382, 399). Dieses Recht ist jedoch nur in dem durch Art. 2 Abs. 1 GG gezogenen Rahmen, insbesondere nur in den Schranken der verfassungsmäßigen Ordnung gewährleistet. Zur verfassungsmäßigen Ordnung gehört jede Rechtsnorm, die formell und materiell mit der Verfassung in Einklang steht. Dies ist hier § 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG, soweit er es gestattet, eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG wegen einer mangelnden selbstständigen Lebensunterhaltssicherung mit einer Wohnsitzauflage zu versehen. Nach der ermessenslenkenden Verwaltungsvorschrift in Nr. 12.2.5.2.1 AVwV AufenthG ist die Wohnsitzauflage darauf gerichtet, mittels einer regionalen Bindung die überproportionale fiskalische Belastung einzelner Länder und Kommunen durch ausländische Empfänger sozialer Leistungen zu verhindern. Sie soll dazu beitragen, einer Konzentrierung sozialhilfeabhängiger Ausländer in bestimmten Gebieten und damit einhergehenden Entstehung von sozialen Brennpunkten mit ihren negativen Auswirkungen auf die Integration von Ausländern vorzubeugen. Diese Ziele sind mit Blick auf behinderte und nichtbehinderte Ausländer gleichermaßen legitim und liegen im öffentlichen Interesse. Zur Erreichung dieser fiskalischen und auch integrationspolitischen Ziele ist die Wohnsitzauflage bei mangelnder selbstständiger Lebensunterhaltssicherung geeignet, erforderlich und grundsätzlich auch verhältnismäßig (vgl. BVerfG, Beschl. v. 9.2.2001, a.a.O., S. 892 f. (zu § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG a.F.); BVerwG, Urt. v. 15.1.2013, a.a.O., S. 313 f. (zu Wohnsitzauflagen nach § 9 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 23 Abs. 2 Satz 4 AufenthG); Urt. v. 19.3.1996 - BVerwG 1 C 34.93 -, BVerwGE 100, 335, 341 f. (zur räumlichen Beschränkung von Aufenthaltsbefugnissen)). Erweist sich die Wohnsitzauflage aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls ausnahmsweise als unverhältnismäßig, kann dem im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG hinreichend Rechnung getragen werden. Dies gilt insbesondere für behinderte Ausländer, wenn diese behinderungsbedingt der Pflege oder Unterstützung Angehöriger bedürfen (so ausdrücklich Nr. 12.2.5.2.4.2 Tiret 2 AVwV AufenthG).
b. Darüber hinaus ergibt sich auch aus den Bestimmungen der UN-Behindertenrechtskonvention kein allgemeines Verbot, gegenüber im Bundesgebiet lebenden Menschen mit Behinderungen auf gesetzlicher Grundlage eine Wohnsitzauflage zu verfügen (vgl. mit weiterer Begründung: Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 23.2.2015 - 8 PA 13/15 -, juris Rn. 14 ff.). Nach Art. 18 Abs. 1 der UN-Behindertenrechtskonvention anerkennen die Vertragsstaaten das gleiche Recht von Menschen mit Behinderungen auf Freizügigkeit und auf freie Wahl ihres Aufenthaltsorts. Hierzu gewährleisten die Vertragsstaaten nach Art. 19 Abs. 1 Buchst. a der UN-Behindertenrechtskonvention, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen. Schon nach dem Wortlaut dieser Bestimmungen wird Menschen mit Behinderungen nicht allgemein die Freiheit der Wahl des Aufenthaltsorts gewährleistet, sondern das - im Verhältnis zu Menschen ohne Behinderungen - gleiche Recht auf freie Wahl des Aufenthaltsorts. Dies entspricht auch dem Grundanliegen der UN-Behindertenrechtskonvention, die volle Verwirklichung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle Menschen mit Behinderungen ohne jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung zu gewährleisten und zu fördern (vgl. Art. 4 Abs. 1 der UN-Behindertenrechtskonvention) sowie alle Menschen vom Gesetz gleich zu behandeln (vgl. Art. 5 Abs. 1 der UN-Behindertenrechtskonvention). Die UN-Behindertenrechtskonvention schafft mithin kein Sonderrecht für Menschen mit Behinderungen (so ausdrücklich Denkschrift der Bundesregierung zu dem Übereinkommen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, in: BT-Drs. 16/10808, S. 46; Schulte, Die UN-Behindertenrechtskonvention, in: ZESAR 2012, 69, 72). Die UN-Behindertenrechtskonvention untersagt vielmehr in erster Linie spezifische belastende Regelungen für Menschen mit Behinderungen. Wie dargestellt enthält die Bestimmung in § 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG, nach der die hier streitgegenständliche Wohnsitzauflage verfügt worden ist, schon keine spezifische Regelung.
2. Es ist aber zweifelhaft, ob die Aufrechterhaltung der Wohnsitzauflage im konkreten Fall noch verhältnismäßig ist und sich als ermessensfehlerfreie Entscheidung des Beklagten darstellt (vgl. zum Erfordernis einer die individuellen Umstände berücksichtigenden Ermessensentscheidung bei der Anordnung und Aufrechterhaltung einer Wohnsitzauflage: Bayerischer VGH, Urt. v. 9.5.2011 - 19 B 10.2384 -, juris Rn. 45; Hailbronner, Ausländerrecht, AufenthG § 12 Rn. 34 (Stand: Oktober 2010)).
Der Beklagte weist zwar zu Recht auf die in Nrn. 12.2.5.2.1 und 12.2.5.2.2 AVwV AufenthG dokumentierten öffentlichen Interessen an der Anordnung und Aufrechterhaltung der Wohnsitzauflage hin. Die wohnsitzbeschränkende Auflage stellt hiernach - wie bereits ausgeführt - ein geeignetes Mittel dar, um mittels einer regionalen Bindung die überproportionale fiskalische Belastung einzelner Länder und Kommunen durch ausländische Empfänger sozialer Leistungen zu verhindern, und um einer Konzentrierung sozialhilfeabhängiger Ausländer in bestimmten Gebieten und der damit einhergehenden Entstehung von sozialen Brennpunkten mit ihren negativen Auswirkungen auf die Integration von Ausländern vorzubeugen. Auch die Klägerin ist zur Sicherung ihres Lebensunterhalts unverändert auf öffentliche Leistungen angewiesen.
Hier spricht aber Einiges dafür, dass dieses öffentliche Interesse von dem widerstreitenden privaten Interesse der Klägerin an einer Aufhebung der Wohnsitzauflage überwogen wird. Sie lebt seit 1989 ununterbrochen im Bundesgebiet. Seit 2009 ist sie im Besitz eines Aufenthaltstitels, der seit Januar 2014 auf der Grundlage des § 25 Abs. 5 AufenthG zum Schutz des Privatlebens nach Art. 8 EMRK erteilt und mit einer Wohnsitzauflage versehen ist. Neben dieser nunmehr seit fast vier Jahren bestehenden räumlichen Beschränkung (vgl. zum Einfluss der Dauer einer Wohnsitzauflage auf deren Verhältnis- und damit Rechtmäßigkeit: BVerwG, Urt. v. 15.1.2013 - BVerwG 1 C 7.12 -, BVerwGE 145, 305, 314; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 6.11.2017 - 8 LA 85/17 -, V.n.b., Umdruck S. 5 f.) ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin über Bindungen an Familienmitglieder verfügt, die sich außerhalb der ihr auferlegten räumlichen Beschränkung niedergelassen haben und mit denen sie zusammenleben möchte. Zudem ist die Klägerin nach dem vorgelegten Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin und Arbeitsmedizin Dr. D. aus A-Stadt vom 6. April 2017 (Blatt 44 der Gerichtsakte) "dauerhaft arbeitsunfähig" und damit objektiv zu einer selbstständigen Lebensunterhaltssicherung nicht in der Lage. Mit Blick auf die Erkrankungen der Klägerin und ihr Lebensalter erscheint eine für sie positive Änderung dieser Umstände derzeit unwahrscheinlich. Hinzu kommt, dass die Klägerin nach dem weiteren Attest des Dr. D. vom 26. Juni 2017 (Blatt 45 der Gerichtsakte) "bei allen Gängen außerhalb der Häuslichkeit begleitet werden" muss. Diese Einschätzung findet Bestätigung in dem Attest des Facharztes für Neurologie Dr. E. aus A-Stadt vom 24. Oktober 2017 (Blatt 75 der Gerichtsakte). Auch das Gutachten des F. zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit der Klägerin vom 11. Mai 2017 (Blatt 46 ff. der Gerichtsakte) bescheinigt der Klägerin, dass sie zur Führung eines selbstbestimmten Lebens auf Hilfe und Unterstützung Dritter angewiesen sei und diese Hilfe derzeit von Familienangehörigen geleistet werde (vgl. zum Einfluss solcher Umstände auf die Anordnung und Aufrechterhaltung einer Wohnsitzauflage: Nr. 12.2.5.2.4.2 AVwV AufenthG). Seit 2017 ist die Klägerin als Schwerbehinderte mit einem Grad der Behinderung von 100 und auch dem Merkzeichen G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr bzw. erhebliche Geh- und/oder Stehbehinderung) anerkannt (vgl. Blatt 70 f. der Gerichtsakte). Unter Berücksichtigung dieser Umstände liegt es nicht fern, dem Interesse der Klägerin, zur besseren Gewährleistung der erforderlichen Hilfe und Unterstützung in den Haushalt ihres Bruders nach A-Stadt umzuziehen, ein das öffentliche Interesse überwiegendes Gewicht beizumessen. Nach dem eingangs dargestellten Maßstab kommt ihrer Klage, soweit sie auf die Aufhebung der zu ihrer Aufenthaltserlaubnis erteilten Wohnsitzauflage gerichtet ist, danach hinreichende Erfolgsaussicht zu.
Soweit die Klägerin mit ihrer Klage darüber hinaus - hilfsweise für den Fall des Unterliegens - die Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer auf das Gebiet der Stadt A-Stadt bezogenen Wohnsitzauflage begehrt, fehlt es an den erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussichten. Die Klage ist nach der zutreffenden Begründung in der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts, auf die der Senat insoweit Bezug nimmt (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO), bereits unzulässig.
Die Entscheidung über die Beiordnung beruht auf § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 121 Abs. 2 ZPO.Die vorgenommene kostenmäßige Beschränkung ist nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 121 Abs. 3 ZPO regelmäßig gerechtfertigt (vgl. zum lediglich deklaratorischen Charakter einer solchen Beschränkung im Beschluss über die Beiordnung: Münchener Kommentar zur ZPO, 2. Aufl., § 121 Rn. 11 mit weiteren Nachweisen). Anhaltspunkte, die ausnahmsweise eine kostenmäßig unbeschränkte Beiordnung des auswärtigen Rechtsanwalts rechtfertigen könnten (vgl. Hamburgisches OVG, Beschl. v. 1.12.2008 - 4 So 75/08 -, NJW 2009, 1433 f. (besonderes Vertrauensverhältnis zwischen dem Beteiligten und dem auswärtigen Rechtsanwalt); OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 7.11.1995 - 3 O 5/95 -, NVwZ-RR 1996, 621, 623 (Erfordernis einer besonders qualifizierten rechtlichen Beratung, die nicht ein im Gerichtsbezirk ansässiger, sondern nur ein auswärtiger Rechtsanwalt gewährleisten kann); Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 166 Rn. 141 m.w.N.), sind nicht gegeben.
Von der Erhebung von Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren wird nach §§ 1 Abs. 2 Nr. 1, 3 Abs. 2 GKG in Verbindung mit Nr. 5502 Absatz 2 der Anlage 1 (Kostenverzeichnis) nach billigem Ermessen abgesehen. Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten folgt aus § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).