Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 04.12.2017, Az.: 4 LA 335/16

Stützen der Naturschutzbehörde auf die von der in der Vergangenheit erfolgten Dokumentation der natürlichen Gegebenheiten durch sachkundige Mitarbeiter ausgehenden Indizwirkung; Positive Feststellung des Fortbestands des Biotops; Naturschutzrechtliche Anordnung zur Beseitigung der Entwässerung einer Biotopfläche

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
04.12.2017
Aktenzeichen
4 LA 335/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 49555
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2017:1204.4LA335.16.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 21.09.2016 - AZ: 5 A 6867/13

Amtlicher Leitsatz

Der Untersuchungsgrundsatz erfordert es nicht, bei einem registrierten Biotop vor Erlass einer naturschutzrechtlichen Anordnung Ermittlungen anzustellen, um den Fortbestand des Biotops positiv festzustellen. Die Naturschutzbehörde darf sich vielmehr grundsätzlich auf die Indizwirkung stützen, die von der in der Vergangenheit erfolgten Dokumentation der natürlichen Gegebenheiten durch sachkundige Mitarbeiter ausgeht (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 22.12.2015 - 4 ME 270/15 -).

Tenor:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 5. Kammer - vom 21. September 2016 wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.

Der Streitwert des Berufungszulassungsverfahrens wird auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

1

Der Antrag des Klägers,

die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zuzulassen,

hat keinen Erfolg. Denn die von ihm geltend gemachten Berufungszulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, und der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache, § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, liegen nicht vor bzw. sind nicht den Maßgaben des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt worden.

2

Das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 18. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Oktober 2013, mit dem der Beklagte dem Kläger gestützt auf § 3 Abs. 2 BNatSchG i. V. m. §§ 2 Abs. 2 und 15 Abs. 1 NAGBNatSchG auferlegt hat, die zusätzlich geschaffene Entwässerung einer Biotopfläche zu beseitigen, mit Urteil vom 21. September 2016 abgewiesen. In seinem Urteil ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der Kläger ein Entwässerungsrohr auf einer Biotop-Fläche (seggen-, binsen- und hochstaudenreiche Nasswiese) verlegt und so gegen das Verbot aus § 30 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG verstoßen hat, weil dadurch eine die geschützte Nasswiese erheblich nachteilig beeinträchtigende Entwässerungsmöglichkeit geschaffen worden ist.

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Der Kläger hat ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zunächst damit begründet, dass das Verwaltungsgericht verkannt habe, dass es im vorliegenden Fall nicht um die Wiederherstellung eines zerstörten Biotops, sondern um die Vermeidung einer Beeinträchtigung eines vermeintlichen Biotops gegangen sei, weil zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses aktuelle Feststellungen zum Bestehen eines Biotops nicht getroffen worden seien und der Beklagte daher das Vorliegen eines Biotops nicht ausreichend nachgewiesen habe. Daher sei der streitgegenständliche Bescheid rechtlich fehlerhaft.

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Soweit dieser Einwand des Klägers der Sache nach darauf abzielt, dass das Verwaltungsgericht den Umfang der Ermittlungspflicht des Beklagten aus §§ 1 Abs. 1 NVwVfG, 24 Abs. 1 VwVfG verkannt habe und daher irrtümlich davon ausgegangen sei, dass der Beklagte vom Vorliegen der Voraussetzungen für den Erlass der angefochtenen naturschutzrechtlichen Ordnungsverfügung ausgehen durfte, begründet er keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Denn aus der den Beklagten treffenden Ermittlungspflicht folgt nicht, dass er bei jedem registrierten Biotop vor Erlass einer naturschutzrechtlichen Beseitigungs- und Wiederherstellungsanordnung erneut den Nachweis seines Bestehens führen muss. Vielmehr kommt der durch sachkundige Mitarbeiter einer Naturschutzbehörde vorgenommenen Dokumentation der natürlichen Gegebenheiten - wie sie der Beklagte vorliegend erstmalig aktenkundig im Jahr 1992 vorgenommen und in nachfolgenden Jahren bis Juni 2011 aktualisiert hat - ein erheblicher Indizienwert für das Vorhandensein eines Biotops zu (Senatsbeschl. v. 22.12.2015 - 4 ME 270/15 -). Aufgrund dieser Indizwirkung wäre der Beklagte im Rahmen der ihn treffenden Ermittlungs- und Nachweispflichten nur dann gehalten gewesen, vor Erlass einer naturschutzrechtlichen Anordnung zum Schutz eines Biotops erneute Ermittlungen zu dessen Vorliegen anzustellen, wenn Anhaltspunkte vorgelegen hätten, dass die Biotop-Eigenschaft unabhängig von dem festgestellten beeinträchtigenden Ereignis verlustig gegangen wäre. Von solchen Anhaltspunkten kann vorliegend indessen keine Rede sein, zumal der Beklagte erst im Jahr 2011 festgestellt hatte, dass die biotoptypischen Pflanzenarten auch nach der Schlitzung der Fläche durch den Kläger noch vorhanden gewesen sind.

5

Soweit der Einwand des Klägers hingegen darauf abzielt, dass ein Biotop zum Zeitpunkt des Einbaus des Entwässerungsrohres nicht (mehr) bestanden habe, genügt er den Darlegungsanforderungen nicht. Denn der Kläger hat keine nachvollziehbaren Gründe dafür aufgezeigt, warum die vom Verwaltungsgericht getroffene Feststellung, dass im Zeitpunkt des Einbaus der Rohr- bzw. Drainageleitung die vom Kläger bewirtschaftete Fläche die Eigenschaft eines gesetzlich geschützten Biotops aufgewiesen hat, fehlerhaft ist. Das Verwaltungsgericht hat sich unter Bezugnahme auf die Senatsrechtsprechung auf die soeben erläuterte Indizwirkung der Dokumentation des Biotops gestützt. Zudem hat es auf eine Fotodokumentation der Nasswiese vom 1. August 2012 hingewiesen, die im Zuge der Deichsanierung für die wasserrechtliche Plangenehmigung erstellt worden ist. Die Indizwirkung für das Bestehen eines Biotops hat das Verwaltungsgericht durch die unsubstantiierten Darlegungen des Klägers nicht für erschüttert gehalten. Um ernstliche Zweifel an dieser Begründung des Verwaltungsgerichts darzulegen, hätte der Kläger im Berufungszulassungsverfahren substantiiert dartun müssen, woraus sich Zweifel für das weitere Vorhandensein der biotoptypischen Pflanzengesellschaften hätten ergeben sollen. Dies hat er nicht getan. Die vorgelegte Luftbildaufnahme aus dem Jahr 2012 ist hinsichtlich der schutzwürdigen Pflanzengesellschaften nicht aussagekräftig, weil darauf einzelne Pflanzen oder Pflanzengesellschaften nicht zu erkennen sind. Dass nunmehr ausweislich des Schriftsatzes des Beklagten vom 4. September 2017 bei einem Ortstermin im Mai 2017 festgestellt worden ist, dass aktuell kein Biotop im Sinne des § 30 BNatSchG vorhanden sei, führt ebenfalls nicht zu ernstlichen Zweifeln an dem Urteil des Verwaltungsgerichts. Denn maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer naturschutzrechtlichen Beseitigungs- und Wiederherstellungsanordnung ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides (vgl. BayVGH, Urt. v. 25.9.2012 - 14 B 10.1550 -, zitiert nach juris), vorliegend also die Sachlage im Juli 2013. Zu diesem Zeitpunkt bestand aber kein Anlass, die fortbestehende Biotop-Eigenschaft der Nasswiese in Frage zu stellen. Ohne dass es darauf in diesem Berufungszulassungsverfahren ankäme, weist der Senat darauf hin, dass es aufgrund der mindestens seit Sommer 2013 durchgeführten Entwässerung plausibel erscheint, dass der nunmehr festgestellte Biotopverlust auf die fortgesetzte Entwässerung mit dem Drainagerohr zurückzuführen ist, dessen Entfernung der Bescheid des Beklagten vom 18. Juli 2013 anordnet.

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Weiter hat der Kläger ernstliche Richtigkeitszweifel darauf stützen wollen, dass das von ihm verlegte Rohr keine zusätzliche Entwässerungsmöglichkeit geschaffen habe. Vielmehr sei über die Grüppe mit Hilfe des westlich gelegenen Durchlasses schon immer entwässert worden und am östlichen Ende der Grüppe, an dem das zu beseitigende Drainagerohr ansetze, habe ebenfalls zuvor ein Entwässerungsdurchlass bestanden. Die Zielrichtung der von ihm, dem Kläger, durchgeführten Arbeiten habe nicht in der Schaffung einer zusätzlichen Entwässerungsmöglichkeit bestanden, sondern er habe lediglich eine bessere Querungsmöglichkeit für sein Weidevieh schaffen wollen. Der Kläger hat im Berufungszulassungsverfahren eine Zeugin benannt, die die Fläche seit ihrer Kindheit kenne und bestätigen könne, dass auch am nord-östlichen Ende der Grüppe ein Durchlass vorhanden gewesen sei.

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Dieses Vorbringen genügt den Darlegungsanforderungen nicht. Denn es ist bereits nicht dargetan, wieso ein möglicherweise vor der Verlegung des Drainagerohres vorhandener Durchlass am östlichen Grüppenende überhaupt entscheidungserheblich wäre. Das Verwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung ausdrücklich festgestellt, "dass bereits durch die Entwässerung mit der geschaffenen Rohr- bzw. Drainageleitung zum neuen Deichfußgraben und über den ebenfalls neu geschaffenen Düker zum B. schloot (und in das dortige Schöpfwerksgebiet) eine neue Entwässerungsqualität (erstmaliger Direktanschluss der nordöstlichen Flächen an das nördliche Schöpfwerksgebiet) geschaffen wurde" (S. 13 des Urteilsabdrucks). Dieser Feststellung ist der Kläger nicht entgegengetreten, sondern hat vielmehr selber eingeräumt, dass er das zu beseitigende Rohr zum Zwecke der Entwässerung neu verlegt hat. Damit hat er aber eine vorher so nicht vorhandene und damit zusätzliche Entwässerung der Nasswiese geschaffen, deren Beseitigung der Beklagte unabhängig davon, ob an anderer Stelle entwässert wird oder möglicherweise früher entwässert wurde, fordern durfte. Denn es liegt auf der Hand und bedarf daher keiner weiteren Begründung, dass ein Feuchtbiotop durch eine verstärkte Entwässerung aufgrund eines neu verlegten Drainagerohres erheblich beeinträchtigt werden kann (vgl. Senatsbeschl. v. 29.4.2014 - 4 ME 30/14 -). Darüber hinaus genügt das Vorbringen des Klägers auch deshalb den Darlegungsanforderungen nicht, weil er sich nicht hinreichend mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu diesem Punkt auseinandergesetzt hat. So hat das Verwaltungsgericht sich darauf gestützt, dass aus im Verwaltungsverfahren vorgelegten Luftbildern und den Lichtbildern, die anlässlich der Biotopkontrolle gefertigt worden waren, hinreichend zu entnehmen ist, "dass es zuvor eine funktionierende Entwässerung des Biotops über den nordöstlichen Teil durch ein Rohrsystem weder in das Tief noch zu anderen Gewässern der II. oder III. Ordnung gegeben hat" (S. 12 des Urteilsabdrucks). Weiterhin hat es darauf verwiesen, dass "auch in den eigenen Skizzen der früheren und neuen Entwässerungssituation (BA A Bl. 85 und 86) - anders als beim westlichen Ende der Grüppe - kein östlicher Rohrdurchlass eingezeichnet ist" (Umbruch S. 12/13 des Urteilsabdrucks). Dieser Würdigung ist der Kläger nicht substantiiert entgegengetreten. Seine Ausführungen zum Verlauf der Grüppe und zu ihrem teilweisen Rückbau, um seinen Rindern eine bessere Überquerungsmöglichkeit zu schaffen, sind nicht geeignet, den sich aus den genannten Abbildungen ergebenden Befund zu entkräften. Auch die nunmehr erfolgte Benennung einer Zeugin führt nicht zu einer anderen Bewertung, zumal der Kläger versäumt hat zu erläutern, wieso ihm die Benennung dieser Zeugin nicht schon im erstinstanzlichen Verfahren möglich gewesen ist.

8

Schließlich hat der Kläger ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils darauf gestützt, dass das Verwaltungsgericht verkannt habe, dass die Entwässerung der Fläche des Klägers wegen Wassermassen, die durch die Abführung von Regenwasser auf das Grundstück des Klägers durch die Erhöhung des Nachbargrundstücks entstanden seien, notwendig sei, und dass der angefochtene Bescheid des Beklagten unter einem Ermessensfehler leide, weil dieser Umstand nicht berücksichtigt worden sei. Dieser Einwand führt nicht zur Unrichtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils. Denn eine vom Kläger eigenmächtig verstärkte und dauerhafte Entwässerung der Nasswiese ist auch dann ein unzulässiger Eingriff in den Fortbestand des Biotops, wenn die Entwässerung zeitweise durch andere Umstände kompensiert wird. Dies hat das Verwaltungsgericht in seinem Urteil zutreffend festgestellt. Zudem hat es ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Beklagte bei der Ausübung seines Ermessens dem Interesse des Klägers an der landwirtschaftlichen Nutzung seines Grundstücks ausreichend Rechnung getragen hat. Ein darüberhinausgehendes Interesse des Klägers an der Fortsetzung des naturschutzrechtswidrigen Eingriffs in das Biotop hatte der Beklagte nicht zu berücksichtigen.

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Die Berufung ist auch nicht wegen besonderer tatsächlicher Schwierigkeit der Rechtsache, § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, zuzulassen. Denn der Kläger hat nicht ansatzweise dargelegt, wieso die Beantwortung der von ihm aufgeworfenen Fragen, soweit sie entscheidungserheblich sind, mit solchen Schwierigkeiten verbunden sein soll. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr zu sämtlichen Fragen in seinem Urteil ausführlich Stellung bezogen und sich mit ihnen auseinandergesetzt. Dass der Kläger die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Würdigung nicht teilt, verleiht der Sache keine besonderen tatsächlichen Schwierigkeiten. Die Ermittlung und rechtliche Bewertung einer in der Vergangenheit liegenden tatsächlichen Situation gehört im Übrigen zum Kernbereich verwaltungsrichterlicher Tätigkeit und ist nicht geeignet, besondere tatsächliche Schwierigkeiten einer Rechtssache zu begründen.

10

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.