Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 13.01.2011, Az.: 13 Verg 15/10

Aufhebung eines im Wege des Verhandlungsverfahrens durchgeführten Vergabeverfahrens; Nachschieben von Gründen im Vergabenachprüfungsverfahren

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
13.01.2011
Aktenzeichen
13 Verg 15/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 10154
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2011:0113.13VERG15.10.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VK Niedersachsen - VgK-37/2010 - 27.9.2010

Fundstellen

  • BauR 2011, 1222
  • IBR 2011, 154
  • VS 2011, 15
  • Vergabe-News 2011, 74-75
  • VergabeR 2011, 531-536
  • ZfBR 2011, 514

Amtlicher Leitsatz

1. Die Voraussetzungen für die Aufhebung eines Vergabeverfahrens (hier § 26 Nr. 1 c VOB/A 2006) gelten auch im Verhandlungsverfahren.

2. Zu den Anforderungen an eine zulässige Rüge gem.§ 107 Abs. 2 GWB.

3. Auch im Vergabenachprüfungsverfahren können Gründe nachgeschoben werden, wobei der Dokumentationspflicht genügt ist, wenn dies in anwaltlichen Schriftsätzen erfolgt.

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Vergabekammer Niedersachsen vom 27. September 2010 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der der Antragsgegnerin entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe

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I. Im Jahr 2004 beschloss der Rat der Stadt B., ein neues Freizeit- und Erlebnisbad zu errichten. Auftraggeber war ihre 100%ige Tochter, die Antragsgegnerin. Aufgrund einer von den Architekten erstellten Kostenberechnung nach DIN 276 sowie von ihnen selbst vorgenommenerÜberprüfungen und einiger Abweichungen ermittelten die Projektsteuerer am 26. Februar 2009 ein Gesamtinvestitionsvolumen in Höhe von 26.101.140,53 EUR netto. Entsprechende Mittel wurden im Haushalt budgetiert. Im August 2009 rief die Antragsgegnerin zu einem Teilnahmewettbewerb für ein nichtoffenes Verfahren auf. Bis November 2009 kam es innerhalb des unveränderten Gesamtbudgets noch zu Verschiebungen in den einzelnen Kostengruppen. Die Projektsteuerer ermittelten für die zu vergebenden Generalunternehmerleistungen einen Gesamtbetrag in Höhe von 20.302.798,58 EUR netto. An dem Verfahren beteiligten sich die Antragstellerin und ein weiterer Bieter mit Angeboten über gut 25 bzw. knapp 24 Millionen EUR netto. Die Antragsgegnerin hob das Vergabeverfahren im März 2010 auf, weil das einzig wertbare Angebot der Antragstellerin das zur Verfügung stehende Budget deutlich übersteige.

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Anschließend lud sie die Antragstellerin zu dem vorliegenden Verhandlungsverfahren ein. Die Verhandlungen, in deren Verlauf auch Leistungen reduziert wurden, endeten mit einem finalen Angebot der Antragstellerin über 21.700.000 EUR netto. Weil auch dieser Betrag das für die Generalunternehmerleistungen vorgesehene Budget erheblichüberstieg, hob die Antragsgegnerin im Juni 2010 auch das Verhandlungsverfahren auf. Sie beabsichtigt nun umzuplanen und dann losweise im offenen Verfahren zu vergeben.

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Gegen die Aufhebungsentscheidung hat sich die Antragstellerin mit ihrem Nachprüfungsantrag gewandt. Diesen Antrag hat die Vergabekammer als unbegründet zurückgewiesen.

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Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde. Sie macht im Wesentlichen geltend: Ihr finales Angebot habe mit 21.700.000 EUR netto deutlich innerhalb des für die Maßnahme zur Verfügung stehenden Gesamtrahmens von 26.100.000 EUR netto gelegen. Darüber hinaus überschreite ihr Angebot auch das Budget für die Generalunternehmerleistungen nicht, weil nach der eigenen Kostenverfolgung der Antragsgegnerin dieses unter Berücksichtigung des erforderlichen Generalunternehmerzuschlags 23.387.226,85 EUR netto betrage. Jedenfalls fehle es an der für einen schwerwiegenden Aufhebungsgrund notwendigen erheblichen Kostenüberschreitung. Sie müsse auch davon ausgehen, dass die von der Antragsgegnerin aufgestellte Kostenberechnung fehlerhaft sei. Schließlich habe die Antragsgegnerin bei ihrer Entscheidung die erforderliche Interessenabwägung nicht vorgenommen und diese Entscheidung auch nicht ausreichend dokumentiert.

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Die Antragstellerin beantragt,

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den angefochtenen Beschluss aufzuheben, die Aufhebung des streitgegenständlichen Verhandlungsverfahrens aufzuheben, die Antragsgegnerin zu verpflichten, das Vergabeverfahren unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats fortzusetzen, und der Antragsgegnerin zu untersagen, die Baumaßnahme in einem offenen Verfahren neu auszuschreiben.

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Die Antragsgegnerin beantragt,

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die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.

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Sie verteidigt die Entscheidung der Vergabekammer.

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II. Die Beschwerde ist unbegründet.

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Es kann dahin stehen, ob die Antragsgegnerin den auf die Generalunternehmerleistungen entfallenden Teilbetrag zutreffend ermittelt hat. Würde die Antragsgegnerin den Zuschlag auf das finale Angebot der Antragstellerin erteilen, würde das für das Projekt zur Verfügung stehende Gesamtbudget erheblich überschritten. Dabei ist die der Budgetierung zugrunde liegende Kostenberechnung nicht zu beanstanden. Danach besteht ein ´anderer schwerwiegender Grund´ im Sinne von§ 26 Nr. 1 c VOB/A 2006, aufgrund dessen das Vergabeverfahren aufgehoben werden konnte (1.). Von diesem Ermessen hat die Antragsgegnerin fehlerfrei Gebrauch gemacht (2.).

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1. Die Antragstellerin hat ihre Aufhebungsentscheidung auf

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§ 26 Nr. 1 c VOB/A 2006 gestützt und zu den Voraussetzungen dieser Bestimmung umfassend vorgetragen. Demgegenüber ist es der Antragstellerin nicht gelungen, mit der nötigen Substanz aufzuzeigen, dass die Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang Vergabevorschriften verletzt hat (§ 107 Abs. 2 GWB). Ihre Rüge ist deshalb insoweit unzulässig.

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a) Die Antragsgegnerin hat ihre Aufhebungsentscheidung auch damit begründet, dass der Angebotsendpreis den freigegebenen Haushaltsmittelansatz für die ausgeschriebene Gesamtmaßnahme wesentlich übersteige und weitere Haushaltsmittel nicht vorhanden seien (Schreiben der Antragsgegnerin an die Antragstellerin vom 14. Juni 2010, Bl. 37 Akten VgK). Die Antragsgegnerin hat dazu weitere Einzelheiten vorgetragen, die der Antragstellerin auch wie folgt offen gelegt worden sind:

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Am 15. Dezember 2008 erstellten die Planer auf der Grundlage der Entwurfsplanung eine ausführliche Kostenberechnung nach der DIN 276. Diese ermittelte ein Gesamtinvestitionsvolumen für das gesamte Projekt in Höhe von 24.212.540 EUR netto, wobei die auf die einzelnen Kostengruppen entfallenden Teilbeträge aufgeschlüsselt sind. Auf die Kostengruppe 700 entfielen dabei nach einem pauschalen Ansatz von 18% auf die Beträge der Kostengruppen 200 bis 600 3.708.187,86 EUR netto. Diese Kostenberechnung wurde im Februar 2009 von den Projektsteuerern der Antragsgegnerinüberprüft und überarbeitet mit dem Ergebnis eines Gesamtbetrages von 26.389.235,86 EUR netto, wobei auch hier die auf die einzelnen Kostengruppen entfallenden Teilbeträge aufgeführt sind. Für die Kostengruppe 700 setzten sie zunächst 4.536.783,00 EUR an. Dieser Betrag basierte nicht auf einem pauschalen Ansatz, sondern wurde aus den verschiedenen bereits abgeschlossenen Verträgen (z.B. mit den Planern) bzw. schon vorliegenden Rechnungen sowie rechnerisch anhand der Vorgaben der HOAI ermittelt. Darin enthalten waren insbesondere die Kosten für Objektplanung einschließlich der Wiederholungsplanung und des raumbildenden Ausbaus (Kostengruppe 731), die Freianlagenplanung einschließlich Wiederholungsplanung (Kostengruppe 732), die Tragwerksplanung (Kostengruppe 735) sowie die Planung der technischen Ausstattung (Kostengruppe 736). Es kamen hinzu vorlaufende (bereits realisierte) Nebenkosten des Projekts (Architektenwettbewerb, Gutachterkosten, Gebühren und anwaltliche Beratung) in Höhe von 226.112,39 EUR sowie Nebenkosten für einige Optionspakete (Saunaerweiterung, zusätzliche Außenanlagen usw.) in Höhe von 67.798,40 EUR, so dass sich ein Gesamtbetrag in Höhe von 4.830.693,79 EUR netto ergab. Diese Kostenberechnung wurde zum Zwecke der endgültigen Budgetierung nochmals überarbeitet. Es stellte sich heraus, dass die Kosten für die Baustelleneinrichtung in Höhe von 350.000 EUR doppelt berücksichtigt waren, es wurden zwei Pakete mit Einsparpotentialen eingestellt (68.900 EUR + 489.640 EUR) und ein Umweltpaket von Höhe von 620.444,67 EUR hinzugefügt. Daraus errechnete sich ein Gesamtinvestitionsvolumen von 26.101.140,53 EUR netto, aufgeschlüsselt in die Teilbeträge der einzelnen Kostengruppen, wovon in der Kostengruppe 700 Kosten in Höhe von 4.911.621,36 EUR (4.830.693,79 EUR zzgl. 80.927,57 EUR für das Umweltpaket) veranschlagt waren. Diese Kostenberechnung bildete die Grundlage für die Budgetierung des Gesamtprojekts und die Beschaffung der notwendigen Haushaltsmittel. Sie war im März 2010, als das Verhandlungsverfahren mit der Antragstellerin eingeleitet wurde, auch noch nicht überholt, weil es keine Preissteigerungsraten gab, an die sie anzupassen gewesen wäre. Das Projekt wird in Politik undÖffentlichkeit äußerst kritisch begleitet. Eine Erhöhung der Haushaltsmittel steht deshalb nicht in Aussicht.

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Dieser Kostenansatz und damit die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel würden überschritten, wenn der Antragstellerin der Auftrag auf ihr im Verhandlungsverfahren abgegebenes finales Angebot über 21.700.000 EUR erteilt würde, und zwar unabhängig davon, welchen Teilbetrag aus dem Budgetansatz in Höhe von 26.101.140,53 EUR man für die Generalunternehmerleistungen ansetzt (nach den Angaben der Antragsgegnerin 20.303.798,58 EUR zzgl. versehentlich nicht berücksichtigter 36.000 EUR in der Kostengruppe 600 für Beschilderung). Darauf hat der Vertreter der Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nochmals ausdrücklich hingewiesen. Wenn die Antragsgegnerin der Antragstellerin für die Generalunternehmerleistungen 21.700.000 EUR vergütet, verbleiben von dem Gesamtbudget in Höhe von 26.101.140,53 EUR 4.401.140,53 EUR. Für die übrigen erforderlichen Leistungen muss die Antragsgegnerin aber mindestens 5.726.759,29 EUR aufwenden, und zwar zunächst die durch Verhandlungen mit den Planern um 449.361,71 EUR reduzierten, also in Höhe von 4.462.259,29 EUR verbleibenden Kosten der Kostengruppe 700 und die Kosten der Kostengruppe 600 in Höhe von 501.500 EUR (535.000 EUR abzgl. der oben erwähnten 36.000 EUR). Hinzu kommen die bei der Antragsgegnerin verbliebenen Leistungen für Pfahlgründung (688.000 EUR), Saunaausstattung (579.000 EUR) und die Straße am S. (166.000 EUR), wofür unter Abzug von 670.000 EUR für durch Planungsänderungen entfallende Leistungen insgesamt 763.000 EUR aufzuwenden sind. Das so entstehende Defizit in Höhe von 1.325.618,76 EUR wird sich weiter vergrößern: Mit der Antragstellerin wurden Leistungsreduzierungen verhandelt, die eine sehr tief greifende Umplanung von Teilen des Gebäudes nach sich zieht. Es wird deshalb Mehrhonorar der Planer für Architektur, Haustechnik und Tragwerksplanung anfallen. weitere Nebenkosten für die Anpassung von Gutachten, die Anpassung der bauordnungsrechtlichen Genehmigung und entsprechende Gebühren werden hinzukommen. Insgesamt ergibt eine erste Schätzung einen Betrag von 400.000 EUR. Weil die Umplanungsansätze aufgrund der Kürze der Planungszeit noch erhebliche Unsicherheiten in der Kalkulation mit sich bringen (z.B. in Bezug auf die Schnittstellen zu den bereits vorhandenen Leistungen) und darüber hinaus die Antragsgegnerin im Rahmen der Verhandlungen mit Risiken (z.B. Stahlpreisgleitung) zurückbelastet wurde, ist ein Risikobetrag für Unvorhergesehenes und Nachträge bei der Budgetierung zu berücksichtigen, der mit 5 % (von 21.700.000 EUR), d. h. mit 1.065.000 EUR zu bemessen ist. Insgesamt entsteht so eine Finanzierungslücke von 2.790.618,75 EUR.

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b) Damit hat die Antragsgegnerin schlüssig dargelegt, dass die Voraussetzungen dafür gegeben sind, das Verhandlungsverfahren aufzuheben

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(§ 26 Nr. 1 c VOB/A 2006).

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aa) Nach § 26 Nr. 1 c VOB/A 2006 kann eine Ausschreibung aufgehoben werden, "wenn andere schwerwiegende Gründe bestehen". Im Hinblick auf das zu schützende Vertrauen des Bieters darauf, dass ein Ausschreibungsverfahren (auch: Verhandlungsverfahren, vgl. BGH, Urteil vom 1. August 2006, X ZR 115/04, zitiert nach juris, Rn. 14) seiner Funktion nach normalerweise durch den Zuschlag an einen Teilnehmer beendet wird, ist die Regelung eng auszulegen. Sie kann nur dann eingreifen, wenn die schwerwiegenden Gründe erst nach Beginn der Ausschreibung eingetreten sind oder dem Ausschreibenden jedenfalls vorher nicht bekannt sein konnten (vgl. BGH, Urteil vom 8. September 1998, X ZR 99/96, zitiert nach juris, Rn. 15).

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Die schwerwiegenden Gründe können - wie hier geltend gemacht - darin liegen, dass auch das niedrigste Angebot (hier: das einzig verbliebene Angebot der Antragstellerin) höher liegt als die verfügbaren Mittel, und zwar unabhängig davon, ob das niedrigste Angebot einen angemessenen Preis aufweist oder nicht (vgl. Rusam in Heiermann/Riedl/Rusam, Handkommentar zur VOB, 11. Aufl., A § 26 Rn. 10). Es reicht aus, dass die Finanzierung des Bauvorhabens in nicht unwesentlichem Umfang berührt wird (BGH, Urteil vom 8. September 1998, aaO., Rn. 18). Dabei ist jedoch von Bedeutung, worin die Ursache für das Auseinanderklaffen des Preises des wirtschaftlichsten Angebots und der möglichen Finanzierung zu suchen ist. Ein schwerwiegender Grund i. S. des§ 26 Nr. 1 c VOB/A 2006 ist nämlich nicht gegeben, wenn der Auftraggeber den Finanzbedarf in fahrlässiger Weise zu gering bemessen hat (vgl. Rusam, aaO. BGH, Urteil vom 8. September 1998, aaO., Rn. 19). Eine Kostenschätzung ist allerdings mit Unsicherheiten und Unwägbarkeiten behaftet. Die betreffende Prognose ist dann nicht zu beanstanden und hinzunehmen, wenn sie unter Berücksichtigung aller verfügbaren Daten in einer der Materie angemessenen und methodisch vertretbaren Weise erarbeitet wurde (BGH, Urteil vom 8. September 1998, aaO., Rn. 23).

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bb) Nach ihrem Vorbringen hat die Antragsgegnerin die Gesamtkosten des Projekts nach einem anerkannten Verfahren ermittelt und sie auch der jeweiligen tatsächlichen Entwicklung angepasst. Danach ist abzusehen, dass die zur Verfügung stehenden Mittel für das Gesamtprojekt in nicht unwesentlichem Umfang überschritten werden, wenn der Antragstellerin der Zuschlag auf ihr finales Angebot erteilt wird.

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c) Die Antragstellerin hat demgegenüber nicht in einer den Anforderungen des

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§ 107 Abs. 2 GWB genügenden Weise darzulegen vermocht, dass die Antragsgegnerin ihren Finanzierungsbedarf vergabefehlerhaft ermittelt hat.

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aa) Rügen, die pauschal die Fehlerhaftigkeit des Vergabeverfahrens angreifen oder die ohne Substanz auf bloßen Verdacht hin ins Blaue erhoben werden, sind unzulässig. Die völlig vage und pauschale Behauptung einer Rechtsverletzung reicht nicht aus (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18. Juni 2008, Verg 36/07, zit. nach juris, Rn. 25, 28). Die Anforderungen richten sich im Wesentlichen danach, welche Kenntnisse der Bieter bezüglich der gerügten Vergabeverstöße hat oder haben kann. Das kann aber nicht zu der Konsequenz führen, dass ein Bieter mit pauschalen und unsubstantiierten Behauptungen Nachprüfungsanträge "ins Blaue hinein" stellen kann in der Erwartung, die Amtsermittlungspflicht der Vergabekammer werde zum Nachweis eines Vergabeverstoßes führen. Der Bieter hat daher zumindest Indizien oder tatsächliche Anhaltspunkte aufzuzeigen, die ihn zu dem Schluss bewogen haben, die Vergabestelle habe sich rechtswidrig verhalten.

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Ein Mindestmaß an Substantiierung ist einzuhalten. reine Vermutungen zu eventuellen Vergabeverstößen reichen nicht aus. Die Antragstellerin kann sich auch nicht unter Berufung auf den Untersuchungsgrundsatz des § 110 Abs. 1 GWB ihrer Darlegungslast entziehen. Die Amtsermittlungspflicht setzt einen zulässig gestellten Antrag voraus und dient nicht dazu, Vergabeverstöße erst zu recherchieren (OLG München, Beschluss vom 7. August 2007, zit. nach juris, Rn. 11. ebenso OLG Frankfurt, Beschluss vom 9. Juli 2010, 11 Verg 5/10, zit. nach juris, Rn. 50 f).

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bb) Nach diesen Maßstäben ist das Vorbringen der Antragstellerin zu einer fehlerhaften Kostenberechnung unzureichend.

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Allein der Umstand, dass in dem vorangegangenen nichtoffenen Verfahren die beiden abgegebenen Angebote die von der Antragsgegnerin für die Generalunternehmerleistungen angesetzten Kosten um eine Größenordnung von 20 % überschritten haben, kann hier kein ausreichendes Indiz dafür sein, dass die Kostenberechnung den vertretbaren Rahmen verlassen hat. Angebote werden anders als eine Kostenberechnung und auch untereinander ganz unterschiedlich kalkuliert. Rückschlüsse auf Fehler der Kostenberechnung lassen sie nur zu, wenn eine ausreichende Anzahl der Angebote oder zusätzliche Indizien ein objektivierbares Vergleichsmaß erkennen lassen. Zwei Angebote im nichtoffenen Verfahren genügen dafür nicht, zumal nur das Angebot der Antragstellerin wertbar war. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem (die Aktenseinsicht betreffenden) Fall des OLG Düsseldorf, bei dem es sich um ein offenes Verfahren handelte mit drei die Kostenschätzung erheblichübersteigenden Angeboten und der zusätzlichen Erklärung des Auftraggebers, er habe die Baupreisentwicklung unterschätzt und außer Ansatz gelassen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. Dezember 2007, Verg 40/07, zit. nach juris, Rn. 30).

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Konkrete Einwendungen zu den oben angegebenen ihr offen gelegten Zahlen hat die Antragstellerin - abgesehen von der bereits berücksichtigten Korrektur der Kostengruppe 600 - nur hinsichtlich der Kostengruppe 700 erhoben. Sie reichen aber - auch in Zusammenschau mit den Angebotsendpreisen im nichtoffenen Verfahren - nicht aus. Die Antragstellerin hat hierzu in den Schriftsätzen an die Vergabekammer vom

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6. August 2010 und vom 6. September 2010 ausgeführt, dass die von der Antragsgegnerin angesetzten Kosten von 4.911.620,00 EUR im Vergleich zu den im Angebot der Antragstellerin hierfür enthaltenen Kosten von 2.094.177,80 EUR offensichtlich zu hoch erscheinen. Tatsächlich dürften sich die anzusetzenden Kosten entsprechend einer von ihr vorgelegten Aufstellung (ASt 12) auf ca.

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2.400.900,00 EUR belaufen. Die von der Antragstellerin für sich selbst angesetzten Baunebenkosten können aber schon deshalb kein Maßstab sein, weil die kompletten Planungsleistungen einschließlich Ausführungsplanung von der Antragsgegnerin zur Verfügung gestellt werden. Die Aufstellung ASt 12 lässt wiederum die konkrete Geschichte des vorliegenden Objekts vollkommen unberücksichtigt. Das Projekt wurde seit seinen Anfängen im Jahr 2005 mehrfach verzögert und umgeplant, so durch ein Bürgerbegehren im Jahr 2007 und einen bis Juni 2008 bestehenden Planungsstopp. Sie lässt außerdem völlig außer Betracht, dass auch für die Vergabeverfahren betreffend die Planungs- und Projektsteuerungsleistungen sowie die Bau- und Lieferleistungen erhebliche Kosten anfallen.

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Die Antragstellerin macht außerdem geltend, die Kostenberechnung sei deshalb fehlerhaft, weil die Antragsgegnerin fälschlicherweise keinen Generalunternehmerzuschlag berücksichtigt habe. Auch insoweit ist ein Vergabefehler nicht erkennbar. Eine Kostenberechnung nach DIN 276, wie sie die Antragsgegnerin vorgenommen hat, soll die für das Bauwerk erforderlichen Kosten ermitteln. Dazu teilt sie diese Kosten in einzelne Kostengruppen auf. Ob das Bauwerk durch einen Generalunternehmer erstellt werden soll, ist - was auch die Antragstellerin nicht verkennt - für eine Kostenberechnung nach DIN 276 unerheblich. Denn es gibt keinen generellen Erfahrungssatz, dass sich Baukosten durch den Einsatz eines Generalunternehmers erhöhen. Andernfalls würde, worauf die Antragsgegnerin zu Recht hingewiesen hat, ein Bau mit Generalunternehmern von vornherein als unwirtschaftlich ausscheiden. Zuschläge, mit denen ein Generalunternehmer möglicherweise kalkulieren muss, lassen sich vielmehr potentiell durch Einsparungen an anderer Stelle (z.B. geringere Architektenkosten oder vom Generalunternehmer ausgehandelte günstige Nachunternehmerleistungen) wieder ausgleichen. In diesem Sinne sind auch Generalunternehmerzuschläge in den einzelnen Kostenansätzen der Kostenberechnung nach DIN 276 auch dann enthalten, wenn sie nicht ausdrücklich aufgeführt sind.

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Dass die Antragsgegnerin in ihrer Kostenberechnung ausnahmsweise und systemwidrig mit Ansätzen gerechnet hat, wie sie ein Generalunternehmer veranschlagt, und dann versäumt hat, den Zuschlag zu berücksichtigen, ergibt sich auch nicht aus der "Kostenverfolgung Kostenberechnung/GU-Angebote" Stand 24. Februar 2010. Soweit die Antragstellerin dies daraus ableiten will, dass auf diesem Blatt den Kostenberechnungen ein GU-Zuschlag von 15% hinzugerechnet wurde, handelt es sich um eine haltlose Spekulation. Nach der unwiderlegten Darstellung der Antragsgegnerin diente die Aufstellung nicht der Korrektur der Kostenberechnung, sondern sollte den Versuch unternehmen, nachträglich die Kosten plausibel zu machen. Sie ist ausdrücklich als "Vorabzug" gekennzeichnet und durch die spätere "Gegenüberstellung Kostenberechnung/Angebotsprüfung" Stand 5. März 2010 ohnehinüberholt.

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Fehler der Kostenberechnung hat die Antragstellerin auch nicht mit ihren Hinweisen auf die Baupreisentwicklung ausreichend dargelegt. Zwar trifft es zu, dass sich der Baupreisindex für gewerbliche Betriebsgebäude vom Zeitpunkt der Kostenberechnung der Architekten im Dezember 2008 bis zum zweiten Quartal des Jahres 2010 um 1 % erhöht hat. Eine solche geringe Abweichung kann aber von vornherein eine Kostenberechnung nicht unvertretbar niedrig machen. Abgesehen davon kann nicht auf den Zeitpunkt der Abgabe des finalen Angebots der Antragstellerin im April 2010 abgestellt werden, sondern muss ein Zeitpunkt kurz vor Beginn des Verhandlungsverfahrens im März 2010 maßgeblich sein. Vom letzten Quartal 2008 bis zum ersten Quartal 2010 ist der Index aber lediglich um 0,1 % gestiegen.

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Soweit die Antragstellerin die Berechnung der Generalunternehmerleistungen mit 20.303.798,58 EUR angreift, kommt es darauf nicht an, weil unabhängig davon dargelegt ist, dass jedenfalls die Kosten für die von der Antragsgegnerin selbst zu erbringenden Leistungen und für das finale Angebot der Antragstellerin zusammen das Budget von 26.101.140,53 EUR beträchtlich übersteigen.

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Ansonsten verweist die Antragstellerin im Wesentlichen darauf, dass die Antragsgegnerin schwerwiegende Gründe für eine Aufhebung der Ausschreibung nachvollziehbar darlegen müsse, dass sie solche und die hierzu vorgetragenen Einzelheiten - soweit ihr unbekannt - bestreite und dass sie selbst mangels Akteneinsicht nicht in der Lage sei, ihrerseits hierzu näher vorzutragen. Damit wird sie indessen ihrer oben beschriebenen Obliegenheit nicht gerecht, zumindest hinreichende Anhaltspunkte für einen Vergabeverstoß vorzubringen.

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2. Das ihr danach zustehende Ermessen hat die Antragsgegnerin mit ihrer Aufhebungsentscheidung ordnungsgemäß ausgeübt.

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a) Die Antragstellerin beanstandet, dass die erforderlichen Ermessenserwägungen nicht vorgenommen, jedenfalls aber nicht ausreichend dokumentiert seien.

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b) Die entsprechende Rüge ist unbegründet.

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Eine fehlerfreie Ermessensentscheidung setzt voraus, dass die Antragsgegnerin die Interessen der Beteiligten gegeneinander abwägt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. Dezember 2006, Verg 54/06, zit. nach juris, Rn. 44).

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Die auf Seiten der Antragsgegnerin bestehenden Gründe für eine Aufhebung sind in der am 11. Juni 2010 erstellten ´Anlage zu EFB 351: Begründung der Entscheidung über die Aufhebung´ ausreichend dokumentiert. Zwar ist die eigentliche Aufhebungsentscheidung bereits am 7. Juni 2010 ergangen. Auf dem entsprechenden Formblatt EFB 351 in den Vergabeakten ist als Begründung nur angegeben: ´Das Verhandlungsverfahren wird aus den in der Anlage (Begründung der Entscheidung über die Aufhebung) ersichtlichen Gründen (Unwirtschaftlichkeit des Verhandlungsergebnisses) aufgehoben.´ Dass diese Anlage erst vier Tage später erstellt wurde, ist indessen unerheblich. Eine Dokumentation kann auch nachträglich erfolgen, wenn dies so zeitnah geschieht, dass sie die maßgeblichen Feststellungen hinreichend detailliert und zutreffend erfasst und Manipulationen ausgeschlossen sind (vgl. Senat, Beschluss vom 11. Februar 2010, 13 Verg 16/09, zit. nach juris, Rn. 35).

41

Die Antragstellerin rügt als solches zutreffend, dass diese Dokumentation nicht erkennen lässt, dass auch die Interessen der Antragstellerin mit erwogen worden sind. Das ist aber unschädlich, weil die Antragsgegnerin die entsprechenden Erwägungen im Nachprüfungsverfahren in zulässiger Weise und hinreichend dokumentiert nachgeholt hat. Auch im Vergabenachprüfungsverfahren können Gründe nachgeschoben werden, wobei der Dokumentationspflicht genügt ist, wenn dies in anwaltlichen Schriftsätzen erfolgt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21. Juli 2010, Verg 19/10, zit. nach juris, Rn. 150. diese Entscheidung steht nicht im Widerspruch zum Senatsbeschluss vom 11. Februar 2010, 13 Verg 16/09, zit. nach juris, Rn. 34 ff: dort ging es allein um die nachträgliche Dokumentation, während vorliegend auch die eigentliche (Ermessens-)Entscheidung selbst nachgeholt wird). Hier hat die Antragsgegnerin in ihren anwaltlichen Schriftsätzen vom 20. Juli 2010 an die Vergabekammer und vom 6. Dezember 2010 an den Senat ausgeführt, dass und aus welchen Gründen das Gesamtbudget nicht erhöht werden konnte und dass den Interessen der Antragstellerin auch deshalb wenig Gewicht beizumessen sei, weil ihre Aufwendungen für das vorliegende Verhandlungsverfahren im Hinblick auf das vorangegangene nichtoffene Verfahren gering gewesen seien. Das ist für eine fehlerfreie Ermessensentscheidung ausreichend.

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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 120 Abs. 2, § 78 GWB. Weil die Beschwerde erfolglos bleibt, ist es billig, die Antragstellerin mit ihren Kosten zu belasten.