Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 10.01.2011, Az.: 2 W 8/11
Ersatzfähigkeit der Kosten eines durch den Haftpflichtversicherer wegen des Verdachts eines vorgetäuschten Unfalls eingeholten Privatgutachtens
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 10.01.2011
- Aktenzeichen
- 2 W 8/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 10152
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2011:0110.2W8.11.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Stade - 01.11.2010 - AZ: 2 O 380/09
Rechtsgrundlagen
- § 91 ZPO
- § 103 ZPO
- § 104 ZPO
Fundstellen
- DS 2011, 404-405
- NJW-RR 2011, 1057-1058
- NZV 2011, 503-505
- VRR 2011, 83
Amtlicher Leitsatz
Die Kosten eines von dem Haftpflichtversicherer wegen des Verdachts eines lediglich vorgetäuschten Unfalls eingeholten Privatgutachtens sind nur dann erstattungsfähig im Sinne von § 91 ZPO, wenn im Zeitpunkt der Beauftragung des Sachverständigen ausreichende Anhaltspunkte für den Verdacht des Versicherungsbetrugs vorlagen und wenn das Gutachten bzw. die Erkenntnisse des Sachverständigen in den Prozess eingeführt werden.
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde des Klägers vom 16. November 2010 wird der Kostenfestsetzungsbeschluss 2 des Rechtspflegers der 2. Zivilkammer des Landgerichts Stade vom 1. November 2010 geändert und wie folgt neu gefasst:
Die auf Grund des vollstreckbaren Beschlusses des Landgerichts Stade vom 1. September 2010 von der Beklagten zu 2 an den Kläger zu erstattenden Kosten werden auf 17,37 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 13. September 2010 festgesetzt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 803,25 € festgesetzt.
Gründe
Die gemäß § 104 Abs. 3 i. V. m. §§ 567 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2, 569 ZPO zulässige, insbesondere form und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde des Klägers ist begründet. Zu Unrecht hat der Rechtspfleger der 1. Zivilkammer des Landgerichts Stade im angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss auf Seiten der Beklagten zu 2 Kosten für ein vorgerichtlich eingeholtes Sachverständigengutachten in Höhe von 1.785 € in Ansatz gebracht.
1. Damit es sich um erstattungsfähige Kosten handelt, muss ein von einer Partei vorgerichtlich eingeholtes privates Sachverständigengutachten grundsätzlich unmittelbar prozessbezogen sein. Das erfordert regelmäßig, dass eine Klage bereits angedroht ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt eine Erstattung vorgerichtlicher Sachverständigkosten nur dann in Betracht, wenn die Tätigkeit des Privatsachverständigen in unmittelbarer Beziehung zu dem sich konkret abzeichnenden Rechtsstreit steht oder sich auf den konkreten Rechtsstreit bezieht bzw. mit Rücksicht auf den konkreten Prozess in Auftrag gegeben worden ist (vgl. BGH MDR 2009, 232 [BGH 14.10.2008 - VI ZB 16/08]. BGH, NJW 2008, 1597f. [BGH 04.03.2008 - VI ZB 72/06][BGH 04.03.2008 - VI ZB 72/06]. BGH VersR 2006, 1236f.). Denn jede Partei habe grundsätzlich ihrer Einstandspflicht und ihre Ersatzberechtigung in eigener Verantwortung zu prüfen und den dadurch entstehenden Aufwand selbst zu tragen (vgl. BGH VersR 2006, 1236f.. OLG Frankfurt NJWRR 2009, 1076. OLG Celle, Beschluss vom 15.09.2009, Az.: 2 W 251/09. OLG Celle, Beschluss vom 18.12.2009, Az.: 2 W 361/09).
Hiervon gibt es nach der Rechtsprechung jedoch Ausnahmen. In seinem Urteil vom 14. Oktober 2008 (vgl. VersR 2009, 280, 281[BGH 14.10.2008 - VI ZB 16/08]. vgl. auch BGH VersR 2008, 563, je m.w.N.) hat der Bundesgerichtshof für den Fall, in dem eine Haftpflichtversicherung wegen eines (angeblichen) Unfallgeschehens in Anspruch genommen worden ist und der insoweit mit dem Streitfall vergleichbar ist, ausgeführt: "Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats und der Oberlandesgerichte wird nämlich eine die Erstattungsfähigkeit auslösende Prozessbezogenheit trotz Fehlens eines engen zeitlichen Zusammenhangs in den Fällen bejaht, in denen sich der Verdacht eines Versicherungsbetrugs aufdrängt, weil sich der Versicherer dann von vornherein auf einen Deckungsprozess einstellen muss (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Dezember 2002 - VI ZB 56/02 - VersR 2003, 481, 482. KG JurBüro 1989, 813. OLG Brandenburg VersR 2006, 287, 288[OLG Brandenburg 01.02.2005 - 6 W 19/05]. OLG Frankfurt VersR 1996, 122[OLG Frankfurt am Main 07.06.1994 - 12 W 112/94]. OLG Karlsruhe VersR 2004, 931, 932. OLG Köln VersR 2004, 803. OLG Hamburg JurBüro 1989, 819 und JurBüro 1991, 1105, 1106. OLG Hamm ZfS 2003, 145. OLG Koblenz VersR 2004, 933 und JurBüro 2006, 543 f., sowie die oben genannten Stimmen in der Literatur. a.A. OLG Karlsruhe JurBüro 2005, 656[OLG Karlsruhe 01.02.2005 - 15 W 44/04]). Sind ausreichende Anhaltspunkte für den Versuch eines Versicherungsbetrugs vorhanden, ist von Anfang an damit zu rechnen, dass es zum Prozess kommen wird, weil der Täter bei Ablehnung der Einstandspflicht versuchen wird, sein Ziel einer nicht gerechtfertigten Schadensregulierung auch durch einen Rechtsstreit zu erreichen. In einem solchen Fall ist das Privatgutachten - unabhängig von einer ausreichenden zeitlichen Nähe zum Rechtsstreit - regelmäßig als prozessbezogen anzusehen. Die Kosten hierfür sind daher im Rahmen der Bestimmungen auch dann erstattungsfähig, wenn ein Verlust von Beweismitteln nicht zu besorgen ist." Hingegen hat der Bundesgerichtshof die Erstattungsfähigkeit verneint, wenn das vorprozessual eingeholte Gutachten lediglich der allgemeinen und eher routinemäßigen Prüfung der Frage diene, ob es sich um ein vorgetäuschtes Unfallgeschehen und damit um eine Prüfung der Einstandspflicht der Versicherung handele (BGH NJW 2008, 1597f. [BGH 04.03.2008 - VI ZB 72/06], [BGH 04.03.2008 - VI ZB 72/06] zitiert nach JURIS Rdz. 10).
Im Streitfall war in dem Zeitpunkt, als die Beklagte zu 2 den Sachverständigen H. beauftragt hat, seitens des Klägers eine Klage nicht angedroht, das Gutachten (wenn es ein solches überhaupt gibt) ist auch offenkundig vor Klagerhebung erstattet worden, nachdem der Sachverständige unter dem 13. Juli 2009 seine Tätigkeit abgerechnet hat und die Klage am 23. November 2009 anhängig geworden ist. Die o.g. höchstrichterlich entwickelten Grundsätze vorausgeschickt wären die Sachverständigenkosten mithin unter dem Gesichtspunkt der Prozessbezogenheit nur dann erstattungsfähig, wenn sich der Beklagten zu 2 im Zeitpunkt der Beauftragung des Sachverständigen der Verdacht eines Versicherungsbetrugs aufgedrängt hätte bzw. aus ihrer Sicht ausreichende Anhaltspunkte für den Versuch eines Versicherungsbetrugs vorhanden gewesen wären. Hierzu hat die darlegungs und beweispflichtige Beklagte zu 2 indes Vortrag nicht gehalten. Sie hat nicht vorgetragen, wann sie den Sachverständigen überhaupt beauftragt hat und was im damaligen Zeitpunkt ihr Kenntnisstand war. Obschon der Kläger in der Beschwerdeschrift ausdrücklich und mit umfänglichem Vorbringen die Prozessbezogenheit des Gutachtens bestritten hat, hat die Beklagte zu 2 in der Beschwerdeerwiderung hierzu Vortrag nicht gehalten, obwohl sie selbst die o.g. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zitiert hat. Sie hat dort insbesondere auch gar nicht geltend gemacht, es hätten im Zeitpunkt der Beauftragung des Sachverständigen ausreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Versicherungsbetruges zu ihrem Nachteil vorgelegen und dies sei der Grund für die Einschaltung des Sachverständigen gewesen. Soweit die Beklagte pauschal auf ihren Vortrag auf Seite 14 ff. ihrer Klagerwiderung vom 25. Januar 2010 hinweist zum Beleg dafür, erst auf Grund der Tätigkeit des Sachverständigen H. in der Lage gewesen zu sein, substantiiert vorzutragen, sagen die Ermittlungen des Sachverständigen nichts dazu aus, wovon die Beklagte zu 2 bei Beauftragung des Sachverständigen ausgehen konnte und musste. Die Beklagte zu 2 verkennt, dass es auch für die Beurteilung der Prozessbezogenheit auf eine exanteBetrachtung ankommt und nicht darauf, zu welchen Erkenntnissen der Sachverständige im Rahmen seiner Ermittlungen gekommen ist und ob die Beauftragung des Sachverständigen im Nachhinein gerechtfertigt erscheint.
2. Damit es sich um erstattungsfähige Kosten handelt, muss außerdem hinzukommen, dass die Erkenntnisse des Privatsachverständigen bzw. das Gutachten in den Prozess erkennbar eingeführt werden (OLG Düsseldorf OLGR 1994, 251f., zitiert nach JURIS Rdz. 3. vgl. ferner OLG Celle, Beschlüsse vom 25.09.2009 [Az.: 2 W 260/09], vom 04.12.2009 [Az.: 2 W 343/09] und 10.12.2009 [Az.: 2 W 351/09]
und vom 25.05.2010 [Az.: 2 W 130/10]. vgl. auch OVG Niedersachsen, Beschluss vom 2.12.2009 [Az.: 12 OAG 1129/08]. noch strenger OLG München [NJWRR 1995, 1470], wonach es der Vorlage des Gutachtens im Prozess bedarf. a.A. OLG Saarbrücken [JurBüro 1990, 623, 624], wonach es sich bei dem vorgenannten Erfordernis nur um eine widerlegliche Vermutung handele, die es nicht ausschließe, die Kosten eines Privatgutachtens auch ohne Einführung desselben in den Rechtsstreit als erstattungsfähig anzusehen). Dies folgt schon aus der vorgenannten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Prozessbezogenheit, wonach allein die Vorlage des Gutachtens im Prozess für sich allein nicht die notwendige Prozessbezogenheit zu vermitteln vermag. Es reicht daher nicht aus, wenn die gutachterlichen Leistungen des Sachverständigen dem Prozeßbevollmächtigten lediglich dazu dienen, auf gegnerischen Vortrag zu antworten (vgl. OLG Düsseldorf aaO.) bzw. in den Parteivortrag eingearbeitet wird, ohne dass hinreichend erkennbar ist, dass bestimmte Ausführungen in dem (anwaltlichen) Schriftsatz eine vom Privatgutachter verantwortete Stellungnahme darstellen (vgl. OVG Niedersachsen aaO.).
Gemessen daran lässt sich den schriftsätzlichen Ausführungen der Beklagten nicht entnehmen, dass im Streitfall das Gutachten in den Prozess eingeführt worden ist. Die Beklagte zu 2 hat lediglich geschildert, welche Erklärungen die angeblichen Unfallbeteiligten bzw. die angebliche Zeugin gegenüber dem Sachverständigen angegeben haben. Welche konkreten sachverständigen Schussfolgerungen der Privatgutachter aus diesen Erklärungen gezogen hat, hat die Beklagte zu 2 nicht vorgetragen. Sie hat auch ganz bewusst das Gutachten nicht vorgelegt, so dass auch nicht festgestellt werden kann, welche Feststellungen der Sachverständige überhaupt getroffen hat. Die Ausführungen der Beklagten zu 2 zu dem Inhalt des Gutachtens erschöpfen sich in der Feststellung, der Privatgutachter sei zu dem Ergebnis gekommen, dass das vorliegend behauptete "Unfallgeschehen" in der Örtlichkeit und unter Zugrundelegung der Angaben der angeblichen "Unfallbeteiligten" technisch noch nicht einmal ansatzweise nachvollziehbar sei. Was jedoch konkret Inhalt des unfallanalytischen Sachverständigengutachtens ist, welche Feststellungen getroffen worden sind und welche Feststellungen zum Gegenstand der Ausführungen der Beklagten zu 2 als Feststellungen des Privatgutachters im Rechtsstreit geworden sind, ist nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen.
3. Danach waren die geltend gemachten Kosten des Privatgutachters in der Kostenausgleichung abzusetzen, weshalb kein Zahlungsanspruch der Beklagten zu 2 in Höhe von 785,88 € nebst Zinsen gegen den Kläger besteht, sondern vielmehr ein Zahlungsanspruch des Klägers gegen die Beklagte zu 2 in Höhe von 17,37 € nebst Zinsen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 2 ZPO. Es hätte dem Kläger oblegen, seine Einwendungen bereits vor Kostenausgleichung durch das Landgericht vorzubringen. Der Antrag der Beklagten zu 2 vom 6. September 2010, mit dem die sie die Berücksichtigung der Kosten des Privatgutachtens im Rahmen der Kostenausgleichung beantragt hatte, ist dem Kläger zur Stellungnahme binnen 2 Wochen übersandt worden. Eine Stellungnahme ist nicht abgegeben worden, weshalb der Rechtspfleger bei der Kostenausgleichung davon ausgehen durfte, dass seitens des Klägers Einwendungen nicht erhoben werden. Dass mithin erstmals in der Beschwerdeschrift Einwendungen erhoben worden sind wirkt sich dahin aus, dass der Kläger die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen hat.