Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 08.08.2003, Az.: 9 LA 126/03

Beitragsentstehung; Ersetzen; Ersetzung; Rückwirkung; Schlechterstellungsverbot; Straßenausbaubeitrag; Straßenausbaubeitragssatzung; Unwirksamkeit; Wirksamkeit

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
08.08.2003
Aktenzeichen
9 LA 126/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 48427
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 27.02.2003 - AZ: 4 A 5851/02

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Das Schlechterstellungsverbot des § 2 Abs. 2 Satz 4 NKAG gilt beim rückwirkenden Inkraftsetzen einer neuen Straßenausbaubeitragssatzung auch dann, wenn die ersetzte Satzung unwirksam ist.

Das Vorhandensein einer Straßenausbaubeitragssatzung ist bei § 6 Abs. 6 NKAG nicht Beitragsentstehungsvoraussetzung.

Gründe

1

Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu § 2 Abs. 2 Satz 4 NKAG begegnen auch in sonstiger Hinsicht keinen ernstlichen Zweifeln an ihrer Richtigkeit. Das Verwaltungsgericht hat aus zutreffenden, mit der ständigen Senatsrechtsprechung (vgl. z.B. Beschl. v. 16.4.1992 - 9 M 1513/92 - dng 1992, 288) in Einklang stehenden Erwägungen angenommen, dass das Schlechterstellungsverbot des § 2 Abs. 2 Satz 4 NKAG auch gilt, wenn eine (hier wegen fehlerhafter Festlegung des Anliegeranteils) unwirksame Straßenausbaubeitragssatzung rückwirkend ersetzt wird durch eine fehlerfreie Satzung. Die Beklagte wendet gegen diese Rechtsansicht ein, bei einer unwirksamen Satzung liege nicht ein "Ersetzen" sondern die erstmalige Schaffung anwendbaren Rechts vor, so dass das Gesamtaufkommen aus der ersetzten Satzung wegen deren Unwirksamkeit immer "Null" sei. Der Begriff des "Ersetzens" ist indessen schon beim Vorhandensein einer (eventuell unwirksamen) Satzung, also nicht nur bei einer Wirksamkeit der ersetzten Satzung erfüllt. Bei einer unwirksamen Satzung ist das Gesamtaufkommen keineswegs "Null", weil es unter Vertrauensschutzgesichtspunkten nicht auf das rechtlich zulässige, sondern darauf ankommt, was nach dem tatsächlich bestehenden Satzungsrecht aus der Sicht der Beitragspflichtigen erhoben werden kann. Folglich kann es bei § 2 Abs. 2 NKAG nur auf das Vorhandensein einer Satzung, also ohne Rücksicht auf deren Wirksamkeit, ankommen, wovon Satz 2 des Absatzes nach seinem eindeutigen Wortlaut auch ausdrücklich ausgeht. Ob das Schlechterstellungsverbot des § 2 Abs. 2 Satz 4 NKAG auch dann greift, wenn nach der ersetzten Satzung (beispielsweise wegen Fehlens eines Abgabesatzes entgegen § 2 Abs. 1 Satz 2 NKAG) eine Beitragserhebung gänzlich ausgeschlossen ist, mag dahinstehen, weil ein solcher Fall, der dem von der Beklagten zitierten Urteil des 3. Senats des beschließenden Gerichts vom 24. Februar 1997 (- 3 L 2662/95 - NST-N 1997, 257) zugrunde lag, hier offensichtlich nicht gegeben ist. Die Straßenausbaubeitragssatzung der Beklagten vom 19. März 1992 enthält nämlich alle für die Beitragsberechnung erforderlichen Regelungen, so dass sowohl der im Einzelfall zu zahlende Beitrag als auch das Beitragsgesamtaufkommen errechnet werden können und die von § 2 Abs. 2 Satz 4 NKAG geforderte Vergleichsberechnung daher möglich ist. Die von der Beklagten befürwortete Begrenzung des Anwendungsbereichs des § 2 Abs. 2 Satz 4 NKAG auf die Fälle, in denen eine wirksame Satzung rückwirkend ersetzt wird, würde die Vorschrift im Übrigen praktisch bedeutungslos machen, weil es die rückwirkende Ersetzung wirksamen Satzungsrechts schon aus allgemeinen verfassungsrechtlichen Erwägungen nur in Ausnahmefällen geben kann. Denn Höherbelastungen in Folge rückwirkender Änderung rechtmäßiger Satzungsbestimmungen sind für die Abgabepflichten nicht vorhersehbar und stellen daher regelmäßig eine unzulässige echte Rückwirkung dar (vgl. OVG Münster, Urt. v. 17.5.1990 - 2 A 500/88 - NVwZ-RR 1991, 664, 665; VGH Baden-Württ., Urt. v. 24.8.1989 - 2 S 1540/88 - ZKF 1991, 191). Schließlich führt auch die gesetzlich bestehende Beitragserhebungspflicht zu keinem für die Beklagte günstigeren Ergebnis, weil sie einen Beitragsanspruch in den Fällen, in denen dieser unter besonderen rechtlichen Gesichtspunkten (etwa wegen Verjährung, Verwirkung oder unzulässiger Rückwirkung) ausgeschlossen ist, nicht zu begründen vermag.

2

Die Berufung kann auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen werden. Die von der Beklagten im Zusammenhang mit § 2 Abs. 2 Satz 4 NKAG aufgeworfenen Fragen sind nicht klärungsbedürftig. Denn es ist in der Rechtsprechung des beschließenden Senats (z.B. Beschl. v. 16.4.1992 - 9 M 1513/92 - aaO) bereits geklärt, dass § 2 Abs. 2 Satz 4 NKAG auch - und gerade - die Ersetzung unwirksamen Satzungsrechts erfasst und eine solche Auslegung nicht gegen die (beim Vorhandensein einer Straßenausbaubeitragssatzung bestehende) Beitragserhebungspflicht und das Gebot der Gleichbehandlung verstößt. Die für den Fall einer Entbehrlichkeit der Rückwirkungsanordnung gemachten Ausführungen der Beklagten vermögen die begehrte Zulassung der Berufung schon deshalb nicht zu rechtfertigen, weil insoweit die Entscheidungserheblichkeit einer klärungsbedürftigen Frage nicht entsprechend den Anforderungen des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargetan ist. Im Übrigen ist in der Rechtsprechung des beschließenden Senats (Urteile v. 21.6.1989 - 9 L 12/89 -; v. 23.8.1989 - 9 L 153/89 - NSt-N 1989, 358 = Nds.Rpfl. 1990, 26 = dng 1989, 356; v. 22.4.1998 - 9 L 215/95 - und v. 16.9.1998 - 9 L 2645/96 -) bereits geklärt, dass das Vorhandensein einer Satzung bei § 6 Abs. 6 NKAG nicht Beitragsentstehungsvoraussetzung ist. Diese Rechtsprechung ist zwar zum Kanalbaubeitragsrecht entwickelt worden, indem dort für den Zeitpunkt des Entstehens der Vorteilslage, also bei betriebsfertiger Herstellung des Abwasserbeseitigungssystems für ein Grundstück, das Vorhandensein einer - ggf. rückwirkend erlassenen - wirksamen Beitragssatzung gefordert wird. Sie gilt aber entsprechend für das Straßenausbaubeitragsrecht, weil die gesetzliche Ausgangslage und die Interessenlage identisch sind (ebenso zum Straßenausbaubeitragsrecht z.B. Hess.VGH, Beschl. v. 13.2.2003 - 5 UZ 35/03 - ZKF 2003, 124 [OVG Nordrhein-Westfalen 20.08.2002 - 15 A 1031/01]; OVG Greifswald, Urt. v. 9.6.1999 - 1 L 307/98 - NordÖR 2000, 313; OVG MV, Beschl. v. 29.7.1997 - 6 M 93/97 - DVBl 1998, 56 = NordÖR 1998, 267).