Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 22.08.2003, Az.: 7 ME 105/03
Abschaltautomatik; Abstand; Drittschutz; Lärm; Schattenwurf; Sicherheitszuschlag; Umweltverträglichkeitsprüfung; Windenergie-Erlass NRW; Windkraftanlage
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 22.08.2003
- Aktenzeichen
- 7 ME 105/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 48168
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 09.05.2003 - AZ: 2 B 7/03
Rechtsgrundlagen
- § 5 Abs 1 Nr 1 BImSchG
- TA Lärm
- § 3c Abs 1 S 1 UVPG
Gründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
Die dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO) rechtfertigen eine Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses nicht.
Das Verwaltungsgericht hat entschieden, dass das Interesse der Beigeladenen an der sofortigen Ausnutzung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung vom 31. Juli 2002 das Interesse der Antragsteller an einem Aufschub überwiegt, weil die Antragsteller durch die angefochtene Genehmigung bei summarischer Prüfung nicht in ihren eigenen Rechten verletzt werden. Dieser Beurteilung setzen die Antragsteller durchgreifende Gesichtspunkte nicht entgegen.
Soweit das Verwaltungsgericht schon im Ansatz die Möglichkeit einer Verletzung der Antragsteller in eigenen Rechten für ausgeschlossen gehalten hat, weil diese von einer - unterstellt - fehlenden Standsicherheit der Anlagen, Überschreitung von Baugrenzen und dem Fehlen der Umweltverträglichkeitsprüfung im Genehmigungsverfahren nicht betroffen werden könnten, stellt sich die Sach- und Rechtslage in Anbetracht des Beschwerdevorbringens für die Antragsteller nicht günstiger dar.
Selbst wenn der geringste Abstand zwischen der nächstgelegenen Windenergieanlage und einem Wohngrundstück der Antragsteller nur 450 m betrüge, ist nicht erkennbar, dass einer der Antragsteller durch die angeblich fehlende Standsicherheit einer konkreten Gefährdung ausgesetzt werden könnte. Eine solche Gefahr lässt sich auch nicht mit der bloßen Behauptung der Antragsteller begründen, einzelne herabstürzende Teile würden „manchmal einige 100 m weit geschleudert“.
Ebenso wenig bestehen Zweifel an der Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass die Festsetzungen eines Bebauungsplans über die überbaubaren Grundstücksflächen und damit über die konkrete Lage der baulichen Anlagen auf den Baugrundstücken regelmäßig und auch hier keinen drittschützenden Charakter haben, so dass es auf die Frage, ob hier tatsächlich Baugrenzen überschritten werden, nicht ankommt. Anhaltspunkte dafür, dass den Festsetzungen des hier einschlägigen Bebauungsplans insoweit ein weitergehender auf die Vermittlung von Drittschutz zielender Planungswille der Gemeinde entnommen werden könnte, hat das Verwaltungsgericht nicht feststellen können. Eine solche drittschützende Wirkung ist dann in Betracht zu ziehen, wenn Nachbarn durch die Festsetzung im Sinne eines „Austauschverhältnisses“ rechtlich derart verbunden sind, dass sie zu gegenseitiger Rücksichtnahme verpflichtet sind. Die Erwägungen, die das Bundesverwaltungsgericht (Urteil v. 16. 9. 1993 – 4 C 28.93 -, BVerwGE 94, 151) veranlasst haben, den Festsetzungen eines Bebauungsplans über die Art der baulichen Nutzung nachbarschützende Funktionen unabhängig davon zuzusprechen, ob der Nachbar durch ein baugebietswidriges Vorhaben tatsächlich spürbar beeinträchtigt wird, lassen sich nicht in gleicher Weise auf Festsetzungen über Baugrenzen, zumal bei den hier gegebenen erheblichen Abständen zwischen den Nutzungen, übertragen. Die Festsetzungen im Bebauungsplan erschöpfen sich insoweit vielmehr in ihrer objektivrechtlichen Ordnungsfunktion.
Was die von den Antragstellern vermisste Umweltverträglichkeitsprüfung im Genehmigungsverfahren angeht, so ist zum einen darauf hinzuweisen, dass die Auswirkungen des Vorhabens auf die Umwelt im Bauleitplanverfahren ermittelt und bewertet worden sind. Zum anderen hat der Antragsgegner im immissionsschutzrechtlichen Verfahren gemäß § 3c Abs. 1 Satz 1 UVPG iVm Nr. 1.6.2 der Anlage 1 vorgeprüft, ob das Vorhaben nach den dort aufgeführten Kriterien die Pflicht zur Umweltverträglichkeitsprüfung auslöst, und ist dabei zu einem negativen Ergebnis gekommen. Dagegen führt die Beschwerde substantiierte Angriffe nicht. Selbst wenn hier die Notwendigkeit bestanden hätte, eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen, so könnten sich die Antragsteller - wie das Verwaltungsgericht ebenfalls zutreffend festgestellt hat - nicht auf eine verfahrensrechtlich geschützte und selbständig durchsetzbare Rechtsposition unabhängig von ihrer materiell-rechtlichen Betroffenheit berufen. Dass die angefochtene Genehmigung unter Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften erteilt worden ist und die Antragsteller deshalb in eigenen Rechten verletzt werden, hat das Verwaltungsgericht indes nachfolgend (S. 9 ff. des Beschlussabdrucks) im Einzelnen verneint.
Was die von den Antragstellern befürchteten unzumutbaren Lärmbelästigungen angeht, hat das Verwaltungsgericht unter Auswertung der von der Beigeladenen beigebrachten Schallimmissionsprognose der „Projekt“ - Projektierungsgesellschaft für regenerative Energiesysteme mbH vom 11. Juli 2002 und der schalltechnischen Stellungnahme des TÜV Nord vom 22. Juli 2002 festgestellt, dass der für Außenbereichsgrundstücke während der Nachtzeit maßgebliche Immissionswert von 45 dB(A) nicht nur eingehalten, sondern um mindestens 2,3 dB(A) unterschritten wird. Das Beschwerdevorbringen ist nicht geeignet, diese Feststellung zu erschüttern. Das Verwaltungsgericht hat des Näheren begründet, dass die Grundstücke der Antragsteller im Außenbereich belegen sind und demzufolge nicht den Schutz eines allgemeinen Wohngebiets in Anspruch nehmen können. Diese Darlegungen werden durch die Wiederholung einer bloßen gegenteiligen Behauptung nicht infrage gestellt. Den Antragstellern wird damit auch nicht das Recht bestritten, bei geöffnetem Fenster schlafen zu können. Der für die Ermittlung der Lärmbelästigungen maßgebliche Immissionsort liegt nach Nr. A.1.3 Buchst. a des Anhangs zur TA Lärm bei bebauten Flächen 0,5 m außerhalb vor der Mitte des geöffneten Fensters des vom Geräusch am stärksten betroffenen schutzbedürftigen Raumes. Damit wird dem Anliegen der Antragsteller hinreichend Rechnung getragen. Im Rahmen der genannten schalltechnischen Untersuchungen sind nicht nur die Windenergieanlagen in E., sondern auch jene bereits zuvor genehmigten in F. berücksichtigt worden. Der erwähnte, am Immissionspunkt 23 (dem Wohnhaus des Antragstellers zu 3) ermittelte Beurteilungspegel stellt somit bereits die maximal zu erwartende Gesamtbelastung für die Antragsteller durch insgesamt 17 Windenergieanlagen dar. Diesen sachverständigen Feststellungen können die Antragsteller nicht mit Erfolg eigene Messungen entgegenhalten, die nicht von einer fachkundigen Stelle durchgeführt worden sind und offenkundig auch nicht die Anforderungen erfüllen, die das maßgebliche Regelwerk der TA Lärm an die Ermittlung von Geräuschimmissionen stellt.
Zweifel an den von dem Antragsgegner und dem Verwaltungsgericht herangezogenen Schallimmissionsprognosen ergeben sich auch nicht deshalb, weil diese - wie die Antragsteller meinen - von einem zu großen Abstand der Windenergieanlagen zu den Grundstücken der Antragsteller ausgehen. Die Schallimmissionsprognosen legen einen Abstand von der nächstgelegenen Windenergieanlage zum Immissionspunkt 23 (Wohnhaus des Antragstellers zu 3) von 522,25m (510,64 m über Grund) zugrunde. Die Koordinaten für die Standorte der Windenergieanlagen und der Immissionspunkte sind auf der Basis von Karten im Maßstab von 1 : 10.000 ermittelt worden. Diese Prognosegrundlagen werden durch die Behauptung der Antragsteller, der geringste Abstand betrage 450 m, und die bereits in erster Instanz eingereichte Zeichnung nicht schlüssig infrage gestellt. Dabei meinen die Antragsteller offenbar, die Entfernung nach dem Abstand zwischen ihrer jeweiligen Grundstücksgrenze und dem „nächstgelegenen Rotor“ bestimmen zu können. Darauf kommt es indes nicht an. Es ist bereits dargelegt worden, dass sich der maßgebliche Immissionsort nicht an dem Punkt des Grundstücks, der der Windenergieanlage am nächsten liegt, sondern entsprechend den Vorgaben der TA Lärm 0,5 m vor geöffnetem, vom Lärm am stärksten betroffenen Fenster des Wohngebäudes befindet. Ebenso wenig kann auf den „nächstgelegenen Rotor“ abgestellt werden. Abgesehen davon, dass dessen Position im Verhältnis zur Umgebung betriebsbedingt variiert, verkennt dieser Ansatz auch die Geräuschentstehungsmechanismen von Windenergieanlagen. Deren Betrieb ist mit aerodynamisch erzeugten und mit mechanisch verursachten Geräuschen verbunden. Die aerodynamischen Geräusche werden durch die rotierenden Flügel hervorgerufen, wobei allerdings das Geräuschverhalten maßgeblich durch das Vorbeistreichen der Rotorblätter am Mast und durch den insoweit gegebenen Abstand beeinflusst wird. Zu den mechanisch verursachten Geräuschen tragen das Getriebe, der Generator, Lüfter und Hilfsantriebe bei (vgl. dazu Ohms, DVBl. 2003, 958, 960; Landesumweltamt NRW, Windenergieanlagen und Immissionsschutz, Materialien Nr. 63/2002, S. 11). Dies alles spricht dafür, im Rahmen einer Schallimmissionsprognose den Abstand zwischen dem Mast der jeweiligen Windenergieanlage und dem nach den Vorgaben der TA Lärm zu ermittelnden jeweiligen Immissionsort zugrunde zu legen.
Die Antragsteller haben auch nicht plausibel machen können, warum unter dem Aspekt der Ton- oder Impulshaltigkeit Sicherheitszuschläge angebracht sind. Vielmehr wird in der schalltechnischen Prüfung durch den TÜV Nord vom 22. Juli 2002 (S. 3) ausdrücklich festgestellt, dass über den geplanten Anlagentyp gesicherte Erkenntnisse vorliegen, wonach von ihm im gesamten Leistungsbereich keine ton- oder impulshaltigen Geräuschimmissionen ausgehen, die bei der Ausbreitungsberechnung zu berücksichtigen wären. Mit dieser Feststellung des Sachverständigen setzen sich die Antragsteller ebenso wenig auseinander, wie mit dem Hinweis des Verwaltungsgerichts, dass sie auch aus der von ihnen zitierten Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Münster zu ihren Gunsten nichts Weitergehendes herleiten könnten. Ein Sicherheitszuschlag von 2 dB(A) würde zudem nichts daran ändern, dass der maßgebliche Immissionsrichtwert eingehalten wird.
Die der Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung enthält unter anderem die Nebenbestimmung (S. 6 unten unter 4.), die Windkraftanlagen so zu errichten und zu betreiben, dass der Schallleistungspegel der einzelnen Anlagen im Nachtbetrieb bei einer Windgeschwindigkeit von 10 m/s 103 dB(A) nicht überschreitet. Die Antragsteller wenden sich in diesem Zusammenhang gegen die Berücksichtigung der Windgeschwindigkeit in 10 m Höhe. Es entspricht indessen dem aktuellen Stand der Erkenntnisse, dass für die Immissionsprognose grundsätzlich der Schallleistungspegel zu verwenden ist, der gemäß Technischer Richtlinie zur akustischen Vermessung von Windenergieanlagen bei einer Windgeschwindigkeit von 10 m/s in 10 m Höhe über Boden, aber bei nicht mehr als 95 % der Nennleistung ermittelt wurde (vgl. „Grundsätze für Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen“ - Windenergie-Erlass NRW - v. 3.5.2002, MBl. S. 742, Nr. 5.3.1). Die Beschwerde legt nicht dar, dass insoweit bessere Erkenntnisse gewonnen worden sind und inwiefern sich die Antragsteller darauf zu ihren Gunsten berufen könnten.
Auch hinsichtlich des zu erwartenden Schattenwurfs werden die Antragsteller durch die angefochtene Genehmigung nicht in ihren Rechten verletzt. Aufgrund der als Nebenbestimmung (S. 7 unter Nr. 7 der Genehmigung) angeordneten Installation von Abschaltvorrichtungen zur Steuerung der Schlagschattenwurfzeiten, welche als zeit- und strahlungsgesteuerte Abschaltvorrichtung eingesetzt werden soll, ist gewährleistet, dass die Richtwerte des Landesamtes für Ökologie – und des Windenergie-Erlasses NRW, Nr. 5.3.2 - von maximal 8 Stunden Schlagschattenwurf pro Jahr und maximal 30 Minuten pro Tag an den Immissionsorten eingehalten werden. Da der Wert von 30 Stunden pro Kalenderjahr auf Grundlage der astronomisch möglichen Beschattung entwickelt worden ist, wird für Abschaltautomatiken, die – wie hier – meteorologische Parameter berücksichtigen, ein entsprechender Wert für die tatsächliche, reale Schattendauer, die meteorologische Beschattungsdauer, festgelegt; dieser Wert liegt wie angeordnet bei 8 Stunden pro Kalenderjahr (vgl. dazu Landesumweltamt NRW, Materialien Nr. 63, S. 40 f.; Ohms, DVBl. 2003, 958, 962). Die Nebenbestimmung sieht ferner vor, dass der zur Steuerung notwendige Abschaltzeitplan (Steuerungsprogramm) nach exakter geometrischer Einmessung der Windenergieanlagen vor der endgültigen Inbetriebnahme der Anlagen von einem unabhängigen Gutachter nach § 26 BImSchG zu überprüfen und dieses Gutachten unverzüglich dem Antragsgegner vorzulegen ist. Damit ist den berechtigten Interessen der Nachbarschaft hinreichend Rechnung getragen. Weitergehende Ansprüche können die Antragsteller nicht mit Erfolg geltend machen.