Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 27.08.2003, Az.: 4 LB 550/02

Alleinerziehende; Babysitter; Mehrbedarf

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
27.08.2003
Aktenzeichen
4 LB 550/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 48627
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 05.08.2002 - AZ: 7 A 995/02

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Ein abweichender Bedarf, der im Einzelfall eine Erhöhung des pauschalierten Mehrbedarfszuschlags für eine alleinerziehende Mutter nach § 23 Abs. 2 BSHG rechtfertigt, ist nicht gegeben, wenn der Bedarf an Betreuung des Kindes durch einen Babysitter während der ausbildungsbedingten Abwesenheit der Mutter nur einen geringen Umfang hat (hier: 5 x 5 Stunden zu je 3,-- DM, verteilt auf zwei Monate).

Tatbestand:

1

Die Klägerin zu 1) ist die Mutter des im Januar 1997 geborenen Klägers zu  2). Sie begehren die Übernahme von Kosten für die Betreuung des Klägers zu 2).

2

Am 5. April 2001 wandte sich die Klägerin zu 1) mit dem Begehren an die Landeshauptstadt E., angemessene Kosten für die Betreuung des Klägers zu 2) durch einen Babysitter zu übernehmen. Zur Begründung führte sie aus, dass sie sich in nächster Zeit verstärkt um ihre Magisterarbeit kümmern müsse und der Kindergarten, den der Kläger zu 2) besuche, vom 9. bis zum 12. April 2001 geschlossen sei. Sie brauche deshalb stundenweise einen Babysitter.

3

Die Klägerin war zu diesem Zeitpunkt Studentin und erhielt Leistungen nach dem BAföG: Im Rahmen der Sozialhilfe erhielt sie den Mehrbedarfszuschlag für Alleinerziehende und den Betrag für ihre Krankenversicherung. Der Kläger zu 2), der halbtags einen Kindergarten besucht, erhielt laufende Hilfe zum Lebensunterhalt.

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Die Klägerin zu 1), die zu diesem Zeitpunkt ihr zweites Kind erwartete, unterbrach ihr Studium am 12. Juni 2001 für die Dauer der Mutterschutzfrist.

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Den Antrag lehnte die Landeshauptstadt E. mit Bescheid vom 2. Juli 2001 ab. Zur Begründung führte sie aus: Die Klägerin, die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz erhalte, habe gemäß § 26 Abs. 1 BSHG keinen Anspruch auf einmalige und laufende Sozialhilfeleistungen. Sie erhalte einen Mehrbedarf u.a. für Alleinerziehung, da es sich hierbei um einen Bedarf handele, der von der Ausbildung unabhängig sei. Hierdurch seien sämtliche geringfügige Betreuungsaufwendungen gedeckt, so dass die Kosten für einen Babysitter nicht übernommen werden könnten.

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Den gegen diesen Bescheid am 6. Juli 2001 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19. Februar 2002 zurück.

7

Die Kläger haben am 12. März 2002 Klage erhoben. Sie haben vorgetragen: Der Bedarf an einer Betreuung durch einen Babysitter sei nicht durch den Mehrbedarfszuschlag für Alleinerziehende gedeckt. Eine Betreuung durch Verwandte oder Bekannte sei nicht möglich. Der Kläger zu 2) sei am 23., 24. und 25. Mai 2001 und am 5. und 9. Juni 2001 für jeweils fünf Stunden betreut worden. Hierfür sei ein Entgelt in Höhe von 15,-- DM pro Einsatz - insgesamt also 75,-- DM vereinbart worden.

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Die Klägerin hat beantragt,

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die Beklage unter Aufhebung des Bescheides der Landeshauptstadt E. vom 2. Juli 2001 und des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 19. Februar 2002 zu verpflichten, die angemessenen Kosten für die Betreuung des Klägers zu 2) - zumindest in Höhe der Beträge für Tagesmütter nach dem KJHG - für einen Babysitter zu zahlen.

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Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Zur Entgegnung hat sie sich auf die Begründung ihres Widerspruchsbescheides vom 19. Februar 2002 bezogen.

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Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 5. August 2002 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Es könne offen bleiben, ob der geltend gemachte Anspruch der Klägerin zu 1) oder dem Kläger zu 2) zustehe, da beide Kläger die begehrte Leistung nicht beanspruchen könnten. Hinsichtlich der Klägerin zu 1) sei ein Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 26 BSHG ausgeschlossen, da es sich um einen typischerweise erst durch die Ausbildung aufgetretenen Bedarf handele. Die Klägerin zu 1) habe auch nicht dargetan, dass sie ihre Magisterarbeit nicht während der Zeit habe schreiben können, in der der Kläger zu 2) im Kindergarten betreut worden sei. Die Beklagte habe auch zu Recht darauf verwiesen, dass der hier geltend gemachte Bedarf aus dem der Klägerin zu 1) gewährten Mehrbedarf gedeckt werden könne. Einem Anspruch des Klägers zu 2) stehe entgegen, dass es nicht Aufgabe des Bundessozialhilfegesetzes sei, grundsätzlich den Bedarf von Kindern an ihrer Betreuung zu decken, soweit ihre Eltern anderweitig beschäftigt seien. Der Kläger zu 2) sei auf die Betreuungsleistungen zu verweisen, die ihm seine Mutter im Rahmen ihrer Unterhaltspflicht erbringen müsse. Soweit sie hierzu wegen anderer ausbildungsrelevanter Tätigkeiten nicht in der Lage sei, habe sie für die Kosten der Inanspruchnahme Dritter den ihr gewährten Mehrbedarf für Alleinerziehende einzusetzen.

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Gegen diesen Gerichtsbescheid wenden sich die Kläger mit ihrer vom Senat mit Beschluss vom 25. November 2002 wegen besonderer tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten zugelassenen Berufung. Sie tragen vor: Ein Anspruch der Klägerin zu 1) sei nicht wegen § 26 BSHG ausgeschlossen. Wegen ihrer im Mai/Juni 2001 fortgeschrittenen Schwangerschaft sei ihr ein Abbruch des Studiums zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht zuzumuten gewesen, um ihren eigenen Unterhalt zu sichern, so dass der Bedarf an zusätzlichen Betreuungskosten nicht ausbildungsbedingt gewesen sei. Der Anspruch ergebe sich aus § 23 Abs. 2 BSHG. Der geltend gemachte Mehrbetreuungsbedarf sei weit über das Maß dessen hinausgegangen, was durch den Mehrbedarfszuschlag gedeckt werde.

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Die Kläger beantragen,

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den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Hannover vom 5. August 2002 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides der Landeshauptstadt E. vom 2. Juli 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 19. Februar 2002 zu verpflichten, ihnen Kosten für die Betreuung des Klägers zu 2) durch einen Babysitter in Höhe von 75,-- DM zu bewilligen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

19

Sie führt aus: Der Klägerin sei es zuzumuten gewesen, sich zunächst nach anderen Möglichkeiten zur Lösung des Betreuungsproblems zu erkundigen. Im Übrigen bezieht sie sich im Wesentlichen auf ihr bisheriges Vorbringen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagen ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten. Sie haben keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Übernahme der geltend gemachten Betreuungskosten für den Kläger zu 2).

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Ein Anspruch der Klägerin zu 1) ergibt sich zunächst nicht aus § 23 Abs. 1, Abs. 3 SGB VIII.  Danach kann vom Jugendhilfeträger  zur Förderung der Entwicklung  eines Kindes, insbesondere in den ersten Lebensjahren, eine Person vermittelt werden, die das Kind für einen Teil des Tages oder ganztags entweder im eigenen oder im Haushalt des Personensorgeberechtigten betreut. Wird eine geeignete Tagespflegeperson vermittelt und ist die Förderung des Kindes in Tagespflege für sein Wohl geeignet und erforderlich, so sollen dieser Person die entstehenden Aufwendungen einschließlich der Kosten der Erziehung ersetzt werden. Entsprechendes gilt, wenn das Jugendamt die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Tagespflege für das Wohl des Kindes und die Eignung einer von den Personensorgeberechtigten nachgewiesenen Pflegeperson feststellt (§ 23 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII). Einem Anspruch der Klägerin zu 1) nach der genannten Vorschrift steht aber bereits entgegen, dass es sich bei dem von ihr geltend gemachten Bedarf nicht um Tagespflege im Sinne des § 23 SGB VIII handelt. Die Tagespflege dient der familienergänzenden Förderung der Entwicklung von Kindern und knüpft damit an § 1 Abs. 1 und 3 SGB VIII an. Der Tagespflege kommt - auch wenn dies im Gesetz nicht ausdrücklich genannt ist – auch die Aufgabe der Bildung und Erziehung zu, da andernfalls der Zielsetzung und Systematik der allgemeinen Förderungsangebote des dritten Abschnitts des SGB VIII nicht Genüge getan würde (vgl. Grube in: Hauck, SGB VIII, § 23 Rdnr. 7). Die hieraus resultierende Notwendigkeit einer Regelmäßigkeit und einer Mindestdauer der Betreuung grenzt die Tagespflege von gelegentlichen kurzzeitigen Betreuungen im Rahmen der Nachbarschafts- oder Verwandtenhilfe ab. In der Literatur wird insoweit eine Mindestdauer von werktäglich wenigstens drei Stunden oder wöchentlich wenigstens 15 Stunden gefordert (vgl. Struck in: Wiesner/Mörsberger/Oberloskamp/Struck SGB VIII 2. Aufl. 2000, § 23 Rdnr. 14 unter Hinweis auf die Stellungnahme des Bundesrates zu § 43 Abs. 1 RegEntw., BT-Drucks. 11/5948 S. 137). Hier bedarf es keiner Entscheidung dazu, welche Mindestdauer der Betreuung werktäglich oder wöchentlich zu fordern ist. Denn abgesehen von dem von der Klägerin zu 1) geltend gemachten geringen Betreuungsaufwand von neun Stunden wöchentlich fehlt es jedenfalls an der notwendigen Regelmäßigkeit. In ihrem Antrag vom 5. April 2001 verwies sie darauf, dass der Kindergarten, den der Kläger zu 2) besuche, vom 9. bis 12. April 2001 geschlossen sei und sie deshalb stundenweise einen Babysitter brauche. Zwar hat sie in ihrem Schreiben vom 23. Mai 2001 ausgeführt, sie mache ab sofort wöchentlich neun Stunden für die Betreuung durch einen Babysitter geltend, tatsächlich hat eine Betreuung aber lediglich an fünf Tagen, und zwar am 23., 24. und 25. Mai sowie am 5. und 9. Juni 2001 stattgefunden, so dass es sich nicht um Förderung in Tagespflege gehandelt hat.

23

Die Klägerin kann ihr Begehren auch nicht mit Erfolg auf § 23 Abs. 2 BSGH stützen.    Danach ist u. a. für Personen, die mit einem Kind unter sieben Jahren zusammenleben und allein für dessen Pflege und Erziehung sorgen, ein Mehrbedarf von 40 v. H. des maßgebenden Regelsatzes anzuerkennen, soweit nicht im Einzelfall ein abweichender Bedarf besteht. Die hier geltend gemachten Kosten für die Betreuung des Klägers zu 2) beruhen nicht auf einem derartigen im Einzelfall abweichenden Bedarf und sind deshalb nicht gesondert zu decken. Nach Auffassung des Senats gehören zu den von dem Mehrbedarfszuschlag nach § 23 Abs. 2 BSHG pauschal gedeckten Aufwendungen grundsätzlich auch die typischen Mehraufwendungen  eines Allenerziehenden  für die Beaufsichtigung der Kinder. Nach der amtlichen Begründung (BT-Drucks. 10/3079 S. 5, zitiert in dem Urt. d. Sen. v. 27. März 1991 - 4 L 227/89 - FEVS 43, S. 328) zur Änderung von § 23 Abs. 2 BSHG  mit dem Vierten Änderungsgesetz vom 21. Juni 1985  (BGBl. I, 1081) wird der pauschale Mehrbedarfszuschlag deshalb für erforderlich erachtet, weil Allein-erziehende weniger mobil seien, keine ausreichende Zeit zum Preisvergleich fänden, die nächstgelegene Einkaufsmöglichkeit nutzen und ein höheres Informations- und Kontaktbedürfnis hätten. Jedenfalls von den Aufwendungen im Zusammenhang mit einem höheren Informations- und Kontaktbedürfnis sind grundsätzlich auch Kosten umfasst, die für die Betreuung von Kindern entstehen, um entsprechende Termine oder Begegnungen wahrzunehmen (Senat, Urt. v. 13. Dezember 2000 - 4 L 2274/00 - V. n. b.). Allerdings ist hiervon im Hinblick auf Kosten für die Betreuung eines Kindes bzw. Babysitterkosten eine Ausnahme dann zu machen, wenn aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls eine über den Regelfall deutlich hinausgehende entgeltliche Beaufsichtigung durch Dritte erforderlich ist. Vorliegend waren zwar dadurch, dass die Klägerin zu 1) ihre Magisterarbeit innerhalb des durch die Prüfungsordnung vorgegebenen Zeitrahmens von (grundsätzlich) sechs Monaten anfertigen musste, besondere Umstände gegeben, die einen zusätzlichen Betreuungsaufwand des Klägers zu 2) erforderten.  Der tatsächlich erforderliche zusätz-liche Betreuungsaufwand hatte hier aber nur einen so geringen Umfang, dass nicht eine über den Regelfall deutlich hinausgehende entgeltliche Beaufsichtigung durch Dritte anzunehmen ist.  Der Kläger zu 2)  ist lediglich am 23., 24. und 25. Mai 2001  sowie am 5. und 9. Juni 2001  für jeweils fünf Stunden  durch einen Babysitter betreut worden, wo-für insgesamt ein Entgelt von 75,-- DM fällig gewesen ist. Der Klägerin zu 1) sind damit lediglich in zwei Monaten Kosten in Höhe von insgesamt 75,-- DM entstanden.  Diesen Betreuungsbedarf hat sie auch mit Schriftsatz vom 18. Februar 2003 als notwendig und angemessen bezeichnet. Die damit im Durchschnitt für zwei Monate tatsächlich angefallenen Babysitterkosten in Höhe von 37,50 DM rechtfertigen deshalb die Annahme eines im Einzelfall abweichenden Bedarfs und damit die Erhöhung des Mehrbedarfszuschlags für Alleinerziehende nicht.

24

Der Kläger zu 2) kann aus eigenem Recht die Aufwendungen für den geltend gemachten Betreuungsaufwand nicht beanspruchen. Das folgt bereits daraus, dass, wie ausgeführt, ein entsprechender Bedarf durch den der Klägerin zu 1) gewährten Mehrbedarfszuschlag gedeckt ist.