Landgericht Lüneburg
Beschl. v. 05.07.2007, Az.: 4 T 92/07
Bibliographie
- Gericht
- LG Lüneburg
- Datum
- 05.07.2007
- Aktenzeichen
- 4 T 92/07
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 60799
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGLUENE:2007:0705.4T92.07.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Celle - 13.12.2006 - AZ: 37 K 12/06
Fundstelle
- Rpfleger 2008, 38-40 (Volltext mit red. LS)
Tenor:
Die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers vom 02.01.2007 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Celle vom 13.12.2006 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Der Beschwerdewert beträgt 10 000,00 €.
Gründe
I.
Mit Beschluss vom 13.12.2006 hat das Amtsgericht Celle den Verkehrswert für das Grundstück des Beschwerdeführers auf Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen vom 11.11.2006 auf 306 000,00 € festgesetzt. Bei der zum Zwecke der Begutachtung durchgeführten und zuvor angekündigten Ortsbesichtigung hatte der Beschwerdeführer dem Sachverständigen den Zutritt zum Grundstück verweigert. Der Verkehrswertbeschluss wurde dem Beschwerdeführer am 18.12.2006 zugestellt. Mit Schreiben vom 02.01.2007, eingegangen beim Amtsgericht am gleichen Tage, hat der Beschwerdeführer "Widerspruch" erhoben und Einwendungen gegen das Gutachten vorgebracht, aus denen zu erkennen war, dass er einen geringeren Wert für zutreffend erachte. Daraufhin wurde am 11.04.2007 mit Einwilligung des Beschwerdeführers ein neuer Ortstermin durchgeführt, bei dem der Sachverständige auch Zutritt zum Objekt erhielt. Aus den Gründen, die der Sachverständige in seinem Schreiben an das Amtsgericht vom 12.04.2007 näher erläutert hat, brach dieser den Ortstermin jedoch nach 20 Minuten ab.
Das Amtsgericht hat den "Widerspruch" als sofortige Beschwerde behandelt, dieser nicht abgeholfen und die Sache der Kammer zur Entscheidung vorgelegt. Diese hat aufgrund der nachfolgend dargelegten Beurteilung des Rechtsbehelfs zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung davon abgesehen, die Gläubigerin oder weitere Beteiligte im Beschwerdeverfahren anzuhören, zurnal diese ohnehin keine Bedenken gegen die Wertfestsetzung geäußert haben, und daher berechtigte Interessen, am Beschwerdeverfahren beteiligt zu werden, nicht ersichtlich waren.
II.
Der als "sofortige Beschwerde" i.S.d. § 74a Abs. 5 S. 3 ZVG auszulegende "Widerspruch" des Beschwerdeführers ist bereits unzulässig. Zwar ist er aufgrund der "Feiertagsregelung" in § 222 Abs. 2 ZPO am 02.01.2007 noch rechtzeitig innerhalb der laufenden Zweiwochenfrist des § 569 Abs. 1 S. 1 ZPO beim Amtsgericht eingegangen und daher nicht bereits verfristet. Jedoch fehlt es dem Beschwerdeführer am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis.
Das Rechtsschutzbedürfnis als Voraussetzung jeder Rechtsverfolgung verlangt, dass sich ein rechtlich schutzwürdiges Ziel nicht auf anderem prozessualen Wege gleich sicher aber einfacher erreichen lässt. Es folgt aus dem Grundsatz, dass der Zivilprozess dem einzelnen Schutz nur im Rahmen der Gemeinschaft gewährt, und folglich keiner die Gerichte als Teil der Staatsgewalt für unnütze oder gar unlautere Zwecke bemühen darf (vgl. BGH NJW 1996, 3148 sowie GRUR 1976, 257; OLG Hamm MDR 1986, 858 sowie GRUR 1991, 336; OLG Koblenz OLGZ 90, 128 und AG Stuttgart NJW 1990, 1054.).
So aber liegt der Fall hier.
Es ist in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass einem Schuldner die Verkehrswertbeschwerde zu versagen ist, wenn er dem gerichtlich bestellten Sachverständigen den Zutritt zu den Räumlichkeiten des Versteigerungsobjekts verweigert hat (vgl. LG Göttingen Rpfleger 1998, 213 und LG Dortmund Rpfleger 2000, 466 sowie Storz, Praxis des Zwangsversteigerungsverfahrens, 10. Aufl. 2007, S. 414; Stöber, 18. Aufl. 2006, § 74a ZVG Rdn. 10.5 und HintzenRpfleger 2004, 69, 73).
Dem schließt sich der erkennende Einzelrichter an, wobei entgegen den beiden genannten Entscheidungen der Landgerichte Göttingen und Dortmund, die - soweit ersichtlich - zur Unbegründetheit der Beschwerde gelangt sind, bereits das Rechtsschutzbedürfnis und damit die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs zu verneinen ist. Schließlich hat nach dem allgemeinen Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben derjenige Schuldner, der sich bewusst einer Besichtigung des Objekts durch den Sachverständigen in den Weg stellt, auch das Risiko zu tragen, dass der Sachverständige mangels eingehender Untersuchung des Grundstücks und der Räumlichkeiten zu einer Wertfeststellung kommt, die nur auf äußere Eindrücke, die ihm zugänglichen amtlichen Unterlagen sowie einer auf fachliche Erfahrung gestützten Schätzung beruht und daher zwangsnotwendig gewisse Ungenauigkeiten birgt. Wer auf diese Weise die Verkehrswertermittlung absichtlich erschwert, der handelt in hohem Maße unredlich, wenn er im Nachhinein die unter den von ihm geschaffenen Bedingungen zustande gekommene Wertfestsetzung angreift. In der Folge scheitert seine Verkehrswertanfechtung nicht erst aus materiellen Gründen auf der Ebene der Begründetheit, vielmehr ist ihm der Weg zu einer Überprüfung der Wertfestsetzung von vorne herein mangels Rechtsschutzbedürfnis versperrt.
Dies muss zumindest dann gelten, wenn der Schuldner keine rechtfertigenden Gründe für seine Verweigerungshaltung vorbringen kann (z.B. Krankheit, dringende Verhinderung, grobes Fehlverhalten des Sachverständigen vor oder beim Ortstermin o.ä.), und das Gutachten bzw. der Festsetzungsbeschluss des Amtsgerichts nicht offensichtlich an einem schwerwiegenden Mangel leiden. Dies ist hier der Fall. Denn weder hat der Beschwerdeführer sachliche Gründe für sein Verhalten dargetan. Noch ist ersichtlich, dass das Gutachten des Sachverständigen vom 11.11.2006 oder der Beschluss des Amtsgerichts vom 13.12.2006 offenkundig mit einem schwerwiegenden Fehler behaftet sind. Vielmehr hat sich das Amtsgericht im angefochtenen Beschluss an die Feststellungen des Sachverständigen gehalten, die dieser in seinem Gutachten nachvollziehbar und in sich schlüssig sowie in Übereinstimmung mit den einschlägigen Wertermittlungsvorschriften begründet hat.
Vor dem Hintergrund, dass der Schuldner anerkanntermaßen nicht gezwungen werden kann, den Zutritt des Sachverständigen zum Objekt zu dulden (vgl. BGH NJW-RR 2003, 2825), mag man gegen eine solche Betrachtungsweise einwenden, dass durch eine Behandlung der Verkehrswertbeschwerde als unzulässig eine zumindest mittelbare Verpflichtung des Schuldners entstehen würde, den Zutritt des Sachverständigen zu gestatten. Ansonsten müsse er befürchten, sich selbst durch Ausübung seines Hausrechts den Rechtsschutz gegenüber dem Vollstreckungsgericht abzuschneiden. Diese Argumentation verfängt hingegen nicht. Schließlich ist und bleibt das Recht des Schuldners, den Zutritt des Sachverständigen zu verhindern, unberührt. Dennoch kann der Schuldner, der die umfassende Ermittlung der Bewertungsgrundlagen durch den Sachverständigen auf diese Weise unterläuft und damit eine möglichst objektgetreue und genau Wertfestsetzung verhindert, redlicherweise nicht erwarten, dass seine Einwendungen gegen die Bewertung, die sich bei einer Besichtigung der Immobilie ggf. gar nicht ergeben bzw. während des Ortstermins hätten erörtert und geklärt werden können, in einem zeit- und kostenintensiven Beschwerdeverfahren geprüft werden, und sich das Zwangsversteigerungsverfahren dadurch unangemessen verzögert. Den Anspruch auf eine solche Überprüfung der Verkehrswertfestsetzung hat der Schuldner in diesen Fällen, wenn die oben beschriebenen Ausnahmen nicht greifen, gleichsam "verwirkt".
Eine solche Handhabung der Verkehrswertbeschwerde in den Fällen der Zutrittsverweigerung durch den Schuldner verstößt weiterhin auch nicht gegen die "Rechtsweggarantie" aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG. Denn zum einen wird auch dieses grundrechtsgleiche Recht nicht schrankenlos gewährt, vielmehr muss, wie für jedes dem gerichtlichen Rechtsschutz dienende Verfahren, auch für das von der Gewährleistung aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG garantierte ein Rechtsschutzbedürfnis bestehen. Eine Inanspruchnahme des Gerichts ohne anerkennenswertes Interesse würde hingegen die Zwecksetzung des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG verfehlen (vgl. Bonner Kommentar/Schenke, 46. Lieferung, Dezember 1982, Art. 19 Abs. 4 GG Rdn. 132). Zum anderen kann der Schuldner, wie oben ausgeführt, bei Darlegung eines rechtfertigenden Grundes für sein Verhalten oder bei Vorliegen eines offensichtlichen, schweren Mangels der Wertfestsetzung durchaus auch in diesen Fällen eine Überprüfung und Korrektur durch das Beschwerdegericht erreichen. Auf diese Weise kann der erforderliche verhältnismäßige Ausgleich zwischen den Interessen des Schuldners an einer Unverletzlichkeit seines Hausrechts und einer zutreffenden Wertfestsetzung einerseits sowie den Interessen der Gläubiger an einer raschen und ungestörten Durchführung des Zwangsversteigerungsverfahrens andererseits erreicht werden. Somit widerspricht die hier angestellte Betrachtungsweise auch bei dem verfassungsrechtlich grundsätzlich gebotenen vorsichtigen Umgang mit der Zulässigkeitsvoraussetzung "Rechtsschutzbedürfnis" (vgl. Bonner Kommentar/Schenke, a.a.O., Rdn. 133) nicht der "Rechtsweggarantie" aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG.
An alledem vermag sich im vorliegenden Fall zuletzt auch dadurch nichts zu ändern, dass der Beschwerdeführer den Sachverständigen anlässlich des zweiten Besichtigungstermins am 11.04.2007 Zutritt zu seinem Grundstück und den Räumlichkeiten gewährt hat. Schließlich ergibt sich aus dem Schreiben des Sachverständigen vom 12.04.2007, dass der Beschwerdeführer auch bei dieser Gelegenheit jede Kooperationsbereitschaft habe vermissen lassen und sich statt dessen auf stereotype Vorwürfe gegen den Sachverständigen und dessen Gutachten ("Mist und Schrott") beschränkt habe. Der Bitte des Sachverständigen, die gerügten Unstimmigkeiten des Gutachtens mitzuteilen, damit diese überprüft werden könnten, sei er nicht nachgekommen. Ein solches Schuldnerverhalten, wie es der Sachverständige hier glaubhaft schildert, ist ohne weiteres mit einer gänzlichen Zutrittsverweigerung gleichzusetzen, da auch in diesem Falle eine für die Wertbestimmung taugliche Untersuchung der Immobilie durch den Gutachter vereitelt wird. Dies muss umso mehr gelten, wenn der Ortstermin - wie hier - den Zweck hatte, die erhobenen Einwendungen des Schuldners zu überprüfen. Auch in diesem Falle greift daher der Grundsatz, dass ein Schuldner mit seinen Bedenken gegen die Verkehrswertermittlung nicht gehört werden kann, wenn er dieselbe zuvor bewusst erschwert hat.
Ob das Rechtsschutzbedürfnis darüber hinaus auch aus dem Grunde zu verneinen ist, dass der Beschwerdeführer als Schuldner eine Herabsetzung des Verkehrswertes anstrebt - anders sind seine Einwendungen nicht zu verstehen -, ohne zugleich ein Rechtsschutzinteresse hierfür darzulegen (vgl. dazu Storz, a.a.O., S. 414 m.w.N.), kann hier nach alledem dahinstehen, da es bereits aus den vorgenannten Gründen am Rechtsschutzbedürfnis fehlt.
III
Der Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Da der Beschwerdeführer keine Wertvorstellung geäußert hat, war der Beschwerdewert gemäß § 3 ZPO nach freiem Ermessen auf 10 000,00 € festzusetzen.
Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde i.S.d. § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 1, Abs. 2 ZPO sind nicht gegeben. Da die Zutrittsverweigerung durch den Schuldner gegenüber dem Sachverständigen im Zwangsversteigerungsverfahren die Ausnahme darstellt, ist eine grundlegende Bedeutung der hier erörterten Fragen nicht erkennbar.