Landgericht Lüneburg
Urt. v. 09.01.2007, Az.: 5 O 199/06
Bibliographie
- Gericht
- LG Lüneburg
- Datum
- 09.01.2007
- Aktenzeichen
- 5 O 199/06
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 60801
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGLUENE:2007:0109.5O199.06.0A
Fundstellen
- r+s 2007, 329-330 (Volltext mit red. LS)
- zfs 2007, 341-342 (Volltext mit amtl. LS)
In dem Rechtsstreit
...
hat die 5. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht ..., die Richterin am Landgericht ... und die Richterin am Landgericht ... auf die mündliche Verhandlung vom 12.12.2006 für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand
Der Kläger ist Eigentümer eines mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks in .... Er unterhält für dieses Objekt bei der Beklagten seit dem 22.09.2002 eine Wohngebäude-Vielschutzversicherung, die unter anderem das Risiko aus Leitungswasserschäden umfasst. Dem Vertrag liegen die VGB 88 - Fassung September 2001 - zugrunde, was vom Kläger jedoch bestritten wird. Die Wohnungen in dem Haus des Klägers stehen zumindest weit überwiegend leer.
Vom 22.-28.01.2006 herrschten durchweg Frosttemperaturen. Die wasserführenden Leitungen in dem Wohnhaus des Klägers waren nicht abgesperrt. Der Kläger hielt sich vom 20.-23.01.2006 in ... auf. Nach seiner Rückkehr aus ... das genaue Datum ist streitig - stellte der Kläger fest, dass in dem Wohnhaus wegen eines Leitungswasserrohrbruchs in einer ungenutzten Wohnung in der zweiten Etage ein erheblicher Wasserschaden eingetreten ist. Frostbedingt waren wasserführende Leitungsrohre geplatzt und hatten erheblichen Schaden angerichtet.
Der Kläger informierte die Beklagte über den Schadensfall. Die Beklagte beauftragte den Sachverständigen ... mit der Schadensermittlung. Dieser fertigte unter dem 11.02.2006 eine handschriftliche Stellungnahme, in der er u.a. ausführt, dass das Schadensbild darauf hindeute, dass über einen langen Zeitraum das Gebäude nicht beheizt worden sei, Kaltwasserleitungen seien nicht abgesperrt und entleert gewesen, Unterputzabsperrventile seien nicht abgesperrt gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Kurzinformation des Sachverständigen ... vom 11.02.2006, Anlage B 4, Bl. 65 d.A. Bezug genommen.
Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 06.03.2006 eine Schadensregulierung u.a. deshalb ab, weil der Kläger in grob fahrlässiger Weise gegen seine Verpflichtungen aus dem Versicherungsvertrag verstoßen habe, das leerstehende Gebäude bzw. die leerstehenden Gebäudeteile genügend häufig zu kontrollieren und dort alle wasserführenden Anlagen und Einrichtungen abzusperren, zu entleeren und entleert zu halten. Sie berief sich insoweit auf Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung; zugleich kündigte sie den Versicherungsvertrag. Dieses Schreiben wurde dem Kläger am 10.03.2006 zugestellt.
Der Kläger ist der Ansicht, er habe die ihm aus dem Versicherungsvertrag obliegenden Kontrollen ausreichend durchgeführt. Er behauptet, er habe den Schaden am 24.01.2006 festgestellt; er habe die Kontrolle und Überwachung des Gebäudes übernommen, indem er täglich die Heizung überprüft habe. Die Wohnungstüren hätten weit offen gestanden. Bis zum 24.01.2006 habe die Heizung einwandfrei funktioniert.
Der Kläger beantragt,
- 1.
die Beklagte zu verurteilen, an ihn zum Zwecke der Wiederherstellung des auf dem Grundstück des Klägers befindlichen Wohngebäudes ... einen Betrag in Höhe von 180 267,45 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 10.03.2006 zu zahlen;
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger als Ersatz des Mietausfallschadens an diesem Gebäude einen Betrag in Höhe von 15 840,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 10.03.2006 zu zahlen;
- 3.
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger als Ersatz für nicht anrechenbare Rechtsanwaltskosten für die außergerichtlich angefallene Geschäftsgebühr einen Betrag in Höhe von 1 200,40 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 10.03.2006 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie beruft sich auf Leistungsfreiheit wegen grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung. Entgegen § 11 Abs. 1 c) der vereinbarten VGB 88 habe der Kläger - was unstreitig ist - die wasserführenden Leitungen nicht abgesperrt, entleert und entleert gehalten.
Außerdem sei gegen § 11 Abs. 1 d) VGB 88 verstoßen worden, weil - so behauptet die Beklagte - ausreichende Kontrollen der Beheizung nicht vorgenommen worden seien, andernfalls es zu Wasserschäden im behaupteten Umfang nicht hätte kommen können.
Wegen des weitergehenden Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Die Beklagte ist dem Kläger nicht zur Entschädigung des Ende Januar 2006 im Wohnhaus des Klägers entstandenen Leitungswasserschadens verpflichtet.
Die Beklagte ist wegen Obliegenheitsverletzung leistungsfrei geworden (§§ 11 Abs. 1 Nr. 1 c) und Nr. 2 VGB 88, 6 Abs. 3 VVG).
Für die Wohngebäudeversicherung galten die VGB 88 in vollem Umfang. Der Kläger selbst legt als Anlage K 2 zur Klageschrift die VGB 88 vollumfänglich vor und bezeichnet diese Anlage in der Klageschrift als "die vereinbarten Wohngebäudevertragsbedingungen". Wenn er dann im Schriftsatz vom 02.09.2006 behauptet, die VGB 88 seien nicht bei seinen Vertragsunterlagen gewesen, kann dies nicht durchgreifen, zumal er mit Schriftsatz vom 29.10.2006 ausführt, er habe die Unterlagen erhalten, die er vorgelegt habe. Der Kläger hat somit die VGB 88 komplett erhalten. Auch die Versicherungsbestätigung ist entgegen der Ansicht des Klägers eindeutig. Wenn dort formuliert ist "Verbundene Wohngebäudeversicherung (VGV) zum gleitenden Neuwert nach VGB 88" kann dies nur so verstanden werden, dass die VGB 88 in ihrer Gänze Vertragsinhalt geworden sind. Im übrigen ist der Einwand, der Kläger habe die VGB 88 nicht erhalten, nicht erheblich. Nach Ablauf von einem Jahre gelten die Bedingungen, wie sie im Vertrag aufgeführt sind, § 5 a Abs. 2 S. 4 VVG.
Die danach maßgebliche Sicherheitsvorschrift des § 11 Nr. 1 c) VGB 88 hat der Kläger objektiv verletzt. Die Klausel verlangt für nicht genutzte Gebäude kumulativ eine genügend häufige Kontrolle und das Absperren, Entleeren und Entleerthalten aller wasserführenden Anlagen und Einrichtungen. Letzteres hat der Kläger unstreitig unterlassen, obwohl die Wohnung, in der das Leitungsrohr platzte, leerstand, d.h. nicht genutzt war.
§ 11 Nr. 1 d) VGB 88, der vorschreibt, in der kalten Jahreszeit alternativ entweder alle Gebäude (oder Gebäudeteile) zu beheizen und dies genügend häufig zu kontrollieren oder dort alle wasserführenden Anlagen und Einrichtungen abzusperren, zu entleeren und entleert zu halten, ist für die Entscheidungsfindung nicht einschlägig, weil § 11 Nr. 1 c) VGB 88 erkennbar eine Sonderregelung für das höhere Risiko nicht genutzter Gebäude oder Gebäudeteile darstellt.
Nichtsdestotrotz hat der Kläger auch die Kontrollobliegenheit des § 11 Nr. 1 d) VGB 88 verletzt. Nach dieser Vorschrift hat der Versicherungsnehmer nicht benutzte Gebäude oder Gebäudeteile, soweit dort wasserführende Anlagen nicht abgesperrt und entleert sind, genügend häufig zu kontrollieren. Dies erfordert im allgemeinen während der Frostperiode eine zumindest halbwöchentliche Kontrolle der Heizungsanlage (vgl. OLG Celle VersR 1984, 437). Dies gilt auch für den vorliegenden Fall. Durch § 11 Nr. 1 d) VGB 88 soll für unbenutzte Gebäude das Risiko eines Leitungswasserschadens dem Risiko bei benutzten Gebäuden angeglichen werden. Nach § 11 Nr. 1 d) VGB 88 hat der Versicherungsnehmer während der kalten Jahreszeit für eine genügend häufige Beheizung und Kontrolle zu sorgen, soweit wasserführende Anlagen und Einrichtungen nicht abgesperrt und entleert sind. Für den Umfang der erforderlichen Beheizung und Kontrolle ist der Zweck dieser Sicherheitsvorschrift maßgeblich, Leitungswasserschäden infolge Frostes zu vermeiden. Erforderlich ist demnach eine solche Kontrolldichte, dass durch einen Ausfall der Heizungsanlage keine Frostschäden entstehen. Demnach ist mindestens eine halbwöchentliche Kontrolle erforderlich, denn spätestens nach einem halbwöchigen Ausfall der Heizungsanlage besteht die Gefahr, dass Frostschäden entstehen.
Eine zumindest halbwöchentliche Kontrolle hat der Kläger unmittelbar vor dem Schadenseintritt nicht durchgeführt. Bei Zugrundelegung des klägerischen Vertrags hat dieser den Schaden am 24.01.2006 entdeckt. In der Zeit vom 20.-23.01.2006 war er ortsabwesend, so dass eine letzte Kontrolle allenfalls am 19.01.2006 hätte stattfinden können. Selbst wenn der Kläger die Heizung noch am Morgen des 20.01.2006 vor seiner Abreise kontrolliert hätte, hätte die nächste Kontrolle nicht erst am 24.01.2006 stattfinden dürften.
Die Obliegenheitsverletzung war kausal für den Eintritt des Versicherungsfalles. Hierfür muss der Versicherer nur darlegen und ggf. beweisen, dass der Versicherungsnehmer oder sein Repräsentant eine Obliegenheit verletzt hat, die bezweckt und bei abstrakter, vom Einzelfall losgelöster Betrachtung auch geeignet ist, den Eintritt eines Versicherungsfalles der vorliegenden Art mindestens zu erschweren ( BGH VersR 1997, 485 [BGH 13.11.1996 - IV ZR 226/95]). Dies ist der Fall. Die Verletzung der Verpflichtung, die Leitungen abzusperren bzw. eine ausreichende Beheizung des Gebäudes zu kontrollieren, vergrößert die Gefahr, dass Wasserleitungen einfrieren und dadurch der Versicherungsfall eintritt. Der Versicherungsnehmer kann sich mit dem Kausalitätsgegenbeweis entlasten. Dieser von ihm zu führende Beweis ist nur dann erbracht, wenn mit Sicherheit festzustellen ist, dass sich die Obliegenheitsverletzung in keiner Weise auf den Eintritt des konkreten Versicherungsfalles ausgewirkt hat ( BGH VersR 1997, 483, 486). Diesen Beweis hat der Kläger nicht geführt. Vielmehr spricht alles dafür, dass bei abgesperrten Leitungen bzw. hinreichenden Kontrollen der Schaden zumindest reduziert worden wäre.
Die gesetzliche Vermutung für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit hat der Kläger nicht zu widerlegen vermocht. Die behauptete Einstellung der Heizung, die eine höhere Innentemperatur gewährleisten sollte, und die angeblich durchgeführten Heizungskontrollen sind nicht geeignet, den Vorwurf vorsätzlichen oder zumindest grob fahrlässigen Verhalten entfallen zu lassen. Es steht nicht im Belieben eines Versicherungsnehmer, vereinbarte Sicherungsvorschriften zu ignorieren, weil er meint, auch ein geringerer Sicherheitsstandard sei ausreichend. Soweit gefahrvorbeugende Obliegenheiten rechtlich nicht als überzogen oder untauglich zu beanstanden sind - was für § 11 Nr. 1 c) VGB 88 vom Kläger zu Recht nicht geltend gemacht wird - hat der Versicherungsnehmer sie zu beachten.
Es mag sein, dass der Versicherungsnehmer nur gering oder überhaupt nicht schuldhaft handelt, wenn er statt der vorgeschriebenen eine alternative Sicherheitsmaßnahme wählt, von der er den Umständen nach annehmen darf, dass sie zur Vorbeugung der Risikoverwirklichung besser oder zumindest gleich gut geeignet ist als die vom Versicherer verlangte Maßnahme (vgl. BGH VersR 1995, 956, 957 [BGH 14.06.1995 - IV ZR 116/94]). Dass er derartige Überlegungen vorgenommen hat, hat der Kläger indes nicht vorgetragen. Es kann auch keine Rede davon sein, dass die nach seiner Sachdarstellung vorgenommenen Sicherungsmaßnahmen im Hinblick auf das Leitungswasserrisiko mit dem bedingungsgemäß geforderten Absperren, Entleeren und Entleerthalten aller wasserführenden Anlagen und Einrichtungen gleichwertig sind. Es liegt auf der Hand, dass Frostschäden - wie sie im Streitfall eingetreten sind - ausgeschlossen sind, wenn alle wasserführenden Leitungen entleert sind.
Die Beklagte ist ihrer nach § 6 Abs. 1 S. 3 VVG bestehenden Kündigungsobliegenheit mit Schreiben vom 06.03.2006 nachgekommen. Als Kündigungsgrund hat sich die Beklagte in diesem Schreiben auch ausdrücklich auf die Obliegenheitsverletzung gemäß § 11 VGB 88 berufen.
Die Beklagte hat, wie gemäß § 6 Abs. 1 S. 2 VVG erforderlich, den Versicherungsvertrag innerhalb eines Monats, nachdem sie von der Verletzung Kenntnis erlangt hatte, gekündigt. Nach ihrem eigenen Vorbringen hatte sie die schriftliche Stellungnahme des Sachverständigen ... vom 11.02.2006, auf die sie sich in ihrem Leistungsablehnungs- und Kündigungsschreiben vom 06.03.2006 zur Begründung der Obliegenheitsverletzung berief, am 11.02.2006 erhalten. Die Monatsfrist wäre somit am 11.03.2006 abgelaufen. Das Schreiben vom 06.03.2006 ging dem Kläger am 10.03.2006 und damit innerhalb der Monatsfrist zu. Die Frist beginnt, wenn der Versicherer den objektiven Tatbestand der Obliegenheitsverletzung kennt. Von solcher Kenntnis ist auszugehen, wenn dem Versicherer das Tatsachenmaterial vorliegt, nach dem eine Kündigung wegen Obliegenheitsverletzung ernstlich in Betracht kommt. Das war hier mit Zugang der Stellungnahme des Sachverständigen der Fall. Genau hierauf hat die Beklagte ihre Leistungsablehnung und Kündigung mit Schreiben vom 06.03.2006 auch gestützt. Die Monatsfrist nach § 6 Abs. 1 S. 2 VVG lief somit am 11.03.2006 ab. Entscheidend für ihre Einhaltung ist - entsprechend der allgemeinen Regelung des § 130 Abs. 1 S. 1 BGB - der Zugang der Kündigungserklärung, der hier am 10.03.2006 erfolgte.
Der Wirksamkeit der Kündigung steht nicht entgegen, dass sie nicht von den gesetzlichen Vertretern der Beklagten unterzeichnet und ihr keine Originalvollmacht beigefügt war. Dies hätte der Kläger unverzüglich rügen müssen, § 174 BGB, was er jedoch nicht getan hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit basiert auf § 709 S. 1, S. 2 ZPO.