Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 29.07.2013, Az.: 10 Sa 1105/12

Rückgewähr von Arbeitsentgelt nach Insolvenzanfechtung; unbegründete Zahlungsklage des Insolvenzverwalters bei zweckgebundener Überweisung der gesamten Lohnkosten auf das Konto der Ehefrau des Arbeitgebers und Zahlungsanweisung mit kurzem zeitlichen Vorlauf

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
29.07.2013
Aktenzeichen
10 Sa 1105/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 50186
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2013:0729.10SA1105.12.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BAG - 13.11.2014 - AZ: 6 AZR 871/13

Amtlicher Leitsatz

1. Grundsätzlich kann die Inkongruenz dadurch begründet werden, dass die Befriedigung aus dem Vermögen eines Dritten erfolgt.

2. Die Anfechtbarkeit wegen einer nicht in der Art zu beanspruchenden Befriedigung ist jedoch ausgeschlossen, sofern die Abweichung nur geringfügig oder verkehrsüblich ist.

3. Die Prüfung ist insbesondere daran auszurichten, ob die tatsächliche Deckung im Hinblick auf die Gläubigerbefriedigung als gleichwertig mit der geschuldeten anzusehen ist.

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 24. Juli 2013 - 12 Ca 200/12 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Rückgewähr von Arbeitsentgelt nach insolvenzrechtlicher Anfechtung.

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über den Nachlass des Herrn X (im Folgenden: Arbeitgeber), dessen Arbeitnehmerin die Beklagte war. Dem Konto der Beklagten wurde deren Nettoentgelt für den Monat März 2008 am Ende jenes Monats gutgebracht. Am 27. Juni 2008 eröffnete das Amtsgericht A-Stadt das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arbeitgebers; dieser verstarb im Jahre 2010, woraufhin das Insolvenzverfahren in ein Nachlassinsolvenzverfahren übergeleitet wurde. Mit Schreiben vom 21. Dezember 2011 erklärte der Kläger die Anfechtung der Zahlung an die Beklagte; dieses Schreiben erreichte sie jedoch zumindest nicht mehr im Jahre 2011. Ein Mahnbescheid über die Forderung, den der Kläger Ende Dezember 2011 beantragt hat, ist der Beklagten am 3. Februar 2012 zugestellt worden.

Der Kläger hat vorgetragen, am 26. März 2008 seien vom Geschäftskonto des Arbeitgebers 100.000,00 Euro mit dem Verwendungszweck "Löhne" auf ein Konto seiner Ehefrau überwiesen worden; am Folgetage seien von diesem Konto die für den Monat März 2008 geschuldeten Arbeitsentgelte aller Arbeitnehmer, unter anderem der Beklagten, nebst Sozialversicherungsbeiträgen überwiesen worden. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er sei nach § 131 InsO zur Anfechtung berechtigt, denn bei der Entgeltzahlung handele es sich um eine inkongruente Deckung. Im Zeitpunkt der Zahlung sei der Arbeitgeber zahlungsunfähig gewesen, denn er habe die auf seine übrigen Verbindlichkeiten zu leistenden Zahlungen eingestellt und seine eigenen Forderungen an seine Ehefrau abgetreten. Ein Schiedsgutachten habe die Zahlungsunfähigkeit bestätigt. Die Inkongruenz der an die Beklagte geleisteten Zahlung ergebe sich daraus, dass diese nicht direkt, sondern über das Konto der Ehefrau des Arbeitgebers erfolgt sei. Auf hypothetische, nur gedachte Kausalverläufe wie eine direkte Zahlung des Arbeitsentgelts durch den Arbeitgeber an die Beklagte komme es im Rahmen der Insolvenzanfechtung nicht an. Ein Bargeschäft im Sinne von § 142 InsO scheide bei inkongruenter Deckung aus. Der Mahnbescheid sei innerhalb der Verjährungsfrist beantragt und der Beklagten demnächst zugestellt worden. Die Forderung sei daher nicht verjährt; auf den Zugang einer gesonderten Anfechtungserklärung komme es nicht an.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihm 1.422,13 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27. Juni 2008 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat eine Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers im Zeitpunkt der Leistung bestritten und die Auffassung vertreten, es habe sich nicht um eine inkongruente Deckung gehandelt. Das Arbeitsentgelt für den Monat März 2008 sei ihr in korrekter Höhe und nicht verfrüht zugeflossen. Sollte die Zahlung durch die Ehefrau des Arbeitgebers erfolgt sein, was die Beklagte bestreite, habe sie dies jedenfalls nicht erkennen können. Eine solche Zahlung stellte jedenfalls keine Unregelmäßigkeit dar, weil die Ehefrau seinerzeit die Geschäfte geführt habe. Die Anfechtung scheitere ferner bereits am Zugang einer Anfechtungserklärung; die fehlende Erklärung könne durch die aus Beklagtensicht unklaren und verspäteten Angaben im Mahnbescheid nicht ersetzt werden.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Das Anfechtungsrecht hätte innerhalb der Verjährungsfrist ausgeübt werden müssen; dies sei vorliegend nicht geschehen. Eine "Demnächst-Zustellung" der Anfechtungserklärung in Form des Mahnbescheides reiche nicht aus, weil es - anders als beim Mahnbescheid - der Mithilfe eines Gerichts für den Zugang der Anfechtungserklärung nicht bedürfe.

Gegen das ihm am 17. August 2012 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat der Kläger am 5. September 2012 Berufung eingelegt und diese am 17. Oktober 2012 begründet.

Die Berufung führt aus: Der Rückgewähranspruch im Rahmen der Insolvenzanfechtung könne durch den Mahnbescheid geltend gemacht werden, ohne dass es einer zusätzlichen Anfechtungserklärung bedürfe. Die Insolvenzanfechtung wirke nicht rechtsgestaltend. Der Mahnbescheid sei rechtzeitig beantragt und demnächst zugestellt worden, denn der Kläger habe alles ihm Mögliche getan, um dem Gericht die Zustellung zu ermöglichen. Frau X, über deren Konto die Zahlung erfolgt sei, sei als Dritte und nicht als Arbeitgeberin anzusehen, so dass die Beklagte die Leistung nicht in der Art habe beanspruchen können.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover - 12 Ca 200/12 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.422,13 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27. Juni 2008 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angegriffene Urteil und meint, erforderlich für den Rückgewähranspruch sei der tatsächliche Zugang einer Anfechtungserklärung. Der Mahnbescheid sei nicht als eine solche Erklärung anzusehen, denn er enthalte keinen Hinweis darauf, dass durch ihn zugleich die Anfechtung erklärt werden solle. Die Ehefrau des Arbeitgebers habe während dessen Erkrankung faktisch die Geschäfte geführt und sei daher nicht "Dritte".

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

Die Berufung hat keinen Erfolg.

I.

Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist von diesem fristgemäß und formgerecht eingelegt und begründet worden (§ 66 ArbGG, §§ 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO) und damit insgesamt zulässig.

II.

Die Berufung ist aber nicht begründet. Dem Kläger steht mangels inkongruenter Deckung kein Rückgewähranspruch aus §§ 143 Abs. 1, 131 Abs. 1 Ziffer 2 InsO zu. Das arbeitsgerichtliche Urteil erweist sich daher im Ergebnis als richtig.

1.

Nach den soeben zitierten Vorschriften ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte, wenn die Handlung innerhalb des zweiten oder dritten Monats vor dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und der Schuldner zur Zeit der Haftung zahlungsfähig war.

2.

Es kann offenbleiben, ob der Arbeitgeber bei Leistung des Arbeitsentgelts für den Monat März 2008 zahlungsunfähig war, denn die Beklagte konnte das Entgelt in der geleisteten Höhe, zu der Zeit und auch in der Art beanspruchen.

a)

Entgegen der Auffassung des Klägers konnte die Beklagte die Leistung zu der Zeit beanspruchen. Dies gälte selbst dann, wenn man auf den 26. März 2008 abstellte, an dem 100.000,00 Euro vom Konto des Arbeitgebers auf dasjenige seiner Ehefrau überwiesen wurden. Gemäß § 614 Satz 2 BGB ist die Vergütung nach dem Ablauf der einzelnen Zeitabschnitte zu entrichten, hier also mit Ablauf des 31. März 2008. Dieser Tag war ein Montag. Wäre die Überweisung am 26. März 2008 nicht auf das Konto der Ehefrau des Arbeitgebers, sondern direkt an die Beklagte erfolgt, so wäre dies nicht verfrüht gewesen: Zwischen diesem Tag und dem 31. März 2008 lagen lediglich zwei Banktage. Es ist weder auffällig noch verdächtig, die Überweisung mit diesem kurzen zeitlichen Vorlauf zu veranlassen, um sicherzugehen, dass sie bei Fälligkeit dem Konto des Gläubigers gutgebracht ist. Eine verfrühte Zahlung muss als kongruent angesehen werden, wenn die Zeitspanne der Verfrühung die voraussichtliche Dauer des Zahlungsvorgangs nicht nennenswert überschreitet (BGH 09.06.2005 - IX ZR 152/03 - MDR 2005, 1312 = ZIP 2005, 1243). Die vorzitierte Entscheidung, der sich das erkennende Gericht insoweit anschließt, geht davon aus, dass - erst - eine Zahlung, die mehr als fünf Bankgeschäftstage vor Fälligkeit erfolgt, inkongruent ist. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

Das Vorbringen des Klägers, zuvor seien Zahlungen erst mit deutlicher Verspätung erfolgt, führt zu keinem anderen Ergebnis. Entscheidend ist, wann die Beklagte das Arbeitsentgelt für den Monat März 2008 zu beanspruchen hatte. Hinweise auf eine Stundungsabrede für diesen Monat gibt es nicht; auch eine widerspruchslose Hinnahme verspäteter Zahlungen in der Vergangenheit könnte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt als einvernehmlicher Zahlungsaufschub für den hier in Rede stehenden Monat gewertet werden.

b)

Eine inkongruente Deckung ergibt sich auch nicht daraus, dass die Beklagte die Entgeltzahlung nicht in der Art, das heißt im Wege der Überweisung vom Konto der Ehefrau des Arbeitgebers, beanspruchen konnte.

aa)

Grundsätzlich kann die Inkongruenz dadurch begründet werden, dass die Befriedigung aus dem Vermögen eines Dritten erfolgt (KPB/Schoppmeyer, InsO, 52. Lieferung, § 131 Rz. 58). Die Anfechtbarkeit wegen einer nicht in der Art zu beanspruchenden Befriedigung ist jedoch ausgeschlossen, sofern die Abweichung nur geringfügig oder verkehrsüblich ist. Die Prüfung ist insbesondere daran auszurichten, ob die tatsächliche Deckung im Hinblick auf die Gläubigerbefriedigung als gleichwertig mit der geschuldeten anzusehen ist (KPB/Schoppmeyer aaO. Rz. 40; MünchKommInsO-Kirchhof, 2. Aufl., § 131 Rz. 31).

bb)

Bei Anwendung dieser Grundsätze erweist sich die angefochtene Lohnzahlung nicht als inkongruent. Es handelt sich um eine geringfügige, die Gläubigerinteressen nicht beeinträchtigende Abweichung. Die Überweisung auf das Konto der Ehefrau des Arbeitgebers erfolgte zweckgebunden, nämlich mit dem ausdrücklich genannten Verwendungszweck "Löhne". Zwischen den Parteien ist außer Streit, dass der Betrag von 100.000,00 Euro fast genau den Lohnkosten für den März 2008 entsprach. Der am 27. März 2008 auf dem Konto der Ehefrau des Arbeitgebers eingegangene Betrag wurde unverzüglich und bestimmungsgemäß an die Gläubiger, darunter die Beklagte, in jeweils korrekter Höhe weitergeleitet. Bei dieser Sachlage vermag das Berufungsgericht eine ins Gewicht fallende Abweichung, die eine Anfechtbarkeit begründen könnte, nicht zu erkennen. Die Insolvenzanfechtung rechtfertigt sich aus einer objektiven Gläubigerbenachteiligung. Andere Gläubiger sollen nicht durch die Rechtshandlung zurückgesetzt werden (BAG 19.05.2011 - 6 AZR 736/09 - EzA InsO § 131 Nr. 3 = ZInsO 2011, 1560). Gläubigerbenachteiligung liegt vor, wenn eine Rechtshandlung entweder die Schuldenmasse vermehrt oder die Aktivmasse verkürzt und dadurch den Zugriff auf das Schuldnervermögen vereitelt, erschwert oder verzögert hat (BGH 20.01.2011 - IX ZR 58/10 - NJW-RR 2011, 630 = ZIP 2011, 438; 16.10.2008 - IX ZR 2/05 - MDR 2009, 142 = ZIP 2008, 1322). Dafür gibt es vorliegend keine Anhaltspunkte.

3.

Andere Anfechtungsgründe, insbesondere eine vorsätzliche Benachteiligung im Sinne von § 133 InsO, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

IV.

Die Zulassung der Revision folgt aus § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.