Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 12.12.2013, Az.: 5 Sa 700/13
Weitergeltung tariflicher Regelungen zur Berechnung und Zahlung eines Theaterbetriebszuschlages nach Übergangsrecht
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 12.12.2013
- Aktenzeichen
- 5 Sa 700/13
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2013, 52097
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2013:1212.5SA700.13.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Hannover - 15.05.2013 - AZ: 5 Ca 46/13
Rechtsgrundlagen
- § 2 Abs. 2 TVÜ-VKA
- § 2 Abs. 4 TVÜ-Bund
- § 3 Abs. 1 BZTV
Amtlicher Leitsatz
Soweit § 2 Abs. 2 TVÜ VKA die Weitergeltung von bestimmten Tarifverträgen anordnet und diese auf andere Tarifverträge verweisen, die aufgehoben oder ersetzt worden sind, gelten die Bestimmungen der aufgehobenen oder ersetzten Tarifverträge statisch weiter. Die anders lautende Regelung des § 2 Abs. 4 TVÜ Bund gilt hier nicht. Sie ist weder analog anzuwenden, noch ist ihr ein allgemeines Prinzip zu entnehmen.
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 15.05.2013 - 5 Ca 46/13 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Berechnung und Zahlung eines Theaterbetriebszuschlages.
Wegen der genauen Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (dort Bl. 2 bis 4 desselben, Bl. 53 bis 56 der Gerichtsakte) Bezug genommen.
Mit Urteil vom 15.05.2013 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Wegen der genauen Einzelheiten der rechtlichen Würdigung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (dort Bl. 4 bis 10 desselben, Bl. 56 bis 62 der Gerichtsakte) verwiesen.
Dieses Urteil ist der Klägerin am 10.06.2013 zugestellt worden. Mit einem am 27.06.2013 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz hat sie Berufung eingelegt und diese mit einem am 12.09.2013 eingegangenen Schriftsatz begründet, nachdem zuvor das Landesarbeitsgericht mit Beschluss vom 05.08.2013 die Rechtsmittelbegründungsfrist bis zum 12.09.2013 verlängert hatte.
Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin in vollem Umfang das erstinstanzliche Klageziel weiter. Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Im Einzelnen greift sie die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe mit folgenden Argumenten an:
Sie meint, die vom Arbeitsgericht zitierte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 24.02.2010 sei nicht auf den vorliegenden Sachverhalt übertragbar. Wenn auch die Bereichsbestimmung des in der BAG-Entscheidung thematisierten bezirklichen Tarifvertrags nicht durch den TVöD-TV-L aufgehoben oder abgelöst worden sei, gelte dies aber für den Monatstabellenlohn, um den die Parteien dieses Rechtsstreites streiten.
Trotz der Fassung des § 2 Abs. 2 TVÜ-VKA und trotz Weitergeltung des BZTV sei für die Berechnung der Zulage der BAT mit seinen Vergütungsgruppen als Bezugnahmegröße nicht weiterhin anzuwenden. Denn der BAT sei durch die Regelungen des TVÜ-VKA und den TVöD ersetzt worden. Dies entspreche der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vom 25.02.2010. Einer ausdrücklichen zusätzlichen Regelung wie in § 2 Abs. 4 TVÜ-Bund habe es im TVÜ-VKA nicht bedurft.
Jedenfalls sei es der Wille der Tarifvertragsparteien gewesen, den vom BZTV erfassten beschäftigten Arbeitnehmern einen Zuschlag zukommen zu lassen, der prozentual von der jeweils einschlägigen monatlichen Vergütung zu berechnen ist.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an sie die Theaterbetriebszulage nach § 2 i.V.m. § 4 BZTV/BAT auf der Grundlage der jeweils für sie individuell geltenden Entgeltgruppe und Entgeltstufe des TVöD-VKA seit dem 01.10.2005 zu berechnen und zu zahlen,
hilfsweise
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an sie den Theaterbetriebszulage nach § 3 Abs. 1 BZTV auf der Grundlage der jeweils für sie individuell geltenden Entgeltgruppe und deren Stufe 1 des TVöD-VKA seit dem 01.10.2005 zu berechnen und zu zahlen,
äußerst hilfsweise
die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.146,05 € brutto nebst 5%-Punkten Zinsen über dem Basiszinssatz auf einen Betrag von 335,79 € seit dem 01.01.2010, auf einen Betrag von 387,49 € seit dem 01.01.2011 sowie auf einen Betrag von 422,78 € seit dem 01.01.2012 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufung wird auf ihre Schriftsätze vom 12.09. und 23.10.2013 verwiesen.
Entscheidungsgründe
A.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 64, 66 ArbGG und 519, 520 ZPO).
B.
Die Berufung ist unbegründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das angefochtene Urteil die Klage abgewiesen.
I.
Zunächst einmal verweist das Berufungsgericht auf die überzeugenden Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils, macht sie sich zu Eigen und stellt dies fest (§ 69 Abs. 2 ArbGG).
II.
Das Vorbringen der Parteien in der Berufung und der Sach- und Streitstand im Übrigen veranlassen folgende ergänzende Anmerkungen:
1.
Trotz der in der zweiten Instanz sprachlich geänderten Fassung der Anträge liegt keine Klagänderung im Sinne des § 533 ZPO vor. Es handelt sich um eine lediglich sprachliche Korrektur, die sich inhaltlich nicht auswirkt.
2.
Der BZTV ist genau mit dem Wortlaut im vorliegenden Streitfall zugrunde zu legen, wie er mit dem zweiten Änderungstarifvertrag vom 08.02.1991 vereinbart worden ist. Dies folgt aus der Anordnung des § 2 Abs. 2 TVÜ-VKA, der die Weitergeltung der von den Mitgliedsverbänden der VKA abgeschlossenen Tarifverträge getroffen hat. Zu diesen Tarifverträgen gehört der BZTV. In dieser Norm des TVÜ-VKA wird ausdrücklich die besondere Verantwortung der Tarifvertragsparteien hervorgehoben, die nicht abgelösten Tarifverträge, zu denen auch der BZTV zählt, bei Bedarf selbst an das neue Tarifwerk anzupassen. Dies haben die Tarifvertragsparteien unstreitig bis heute nicht getan.
3.
Keine von den Parteien zitierte BAG-Entscheidung, die sich mit dem entscheidungsrelevanten Problemkreis befasst, ist vorliegend uneingeschränkt einschlägig:
a.
Die bereits erstinstanzliche BAG Entscheidung (Urteil vom 24.02.2010, AZ: 4 AZR 708/08 - AP-Nr. 2 zu § 2 TVÜ) befasst sich zwar mit dem Problemkreis der Ablösung einer bestimmten tarifvertraglichen Regelung trotz vereinbarter Anordnung der Weitergeltung, die das Bundesarbeitsgericht (BAG aaO.) unter ganz besonderen Umständen als möglich betrachtet und diese Umstände in dem entschiedenen Streitfall verneint. Die besondere Problematik des vorliegenden Falles, die darin besteht, dass ein unproblematisch nicht abgelöster Tarifvertrag (hier der BZTV) einerseits nicht abgelöst wird aber auf einen anderen Tarifvertrag verweist, der seinerseits abgelöst worden ist, wird in dieser Entscheidung nicht abgehandelt.
b.
Ebenfalls ist die Entscheidung des BAG vom 25.02.2010 (AZ: 6 AZR 838/08 - AP-Nr. 1 zu § 2 TVÜ) nicht einschlägig. Denn dieses Urteil ist zu § 2 TVÜ-Bund ergangen, der in seinem Absatz 4 - anders als der hier maßgebliche TVÜ-VKA - ausdrücklich die Regelung enthält, dass soweit in den nicht ersetzten Tarifverträgen und Tarifvertragsregelungen auf Vorschriften verwiesen wird, die aufgehoben und ersetzt worden sind, an deren Stelle bis zu einer redaktionellen Anpassung die Regelungen des TVÖD bzw. TVÜ-Bund entsprechend gelten. In dieser Vorschrift, die im vorliegenden Streitfall keine Anwendung findet, ist genau der streitgegenständliche Problemkreis geregelt worden. Eine solche Regelung fehlt für den Bereich des TVÜ-VKA.
c.
Ebenfalls lassen sich aus der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 06.05.2009 (AZ: 10 AZR 314/08 - AP-Nr. 45 zu §§ 22, 23 BAT-Zulagen) keine Aussagen zur Lösung des vorliegenden Streitfalles entnehmen. Dies hat auch das arbeitsgerichtliche Urteil uneingeschränkt zutreffend erkannt. Die in dieser Entscheidung erfolgte Gleichsetzung des Monatstabellenlohnes und des Tabellenentgeltes im Sinne des § 15 TVÖD ist nicht verallgemeinerungsfähig. Es ist nicht erkennbar, dass diese Gleichsetzung für alle erdenklichen Fallkonstellationen gemeint und gewollt war. Denn das zitierte Urteil trifft keine Aussage über die Berechnung des streitigen Theaterbetriebszuschlages, da die Berechnung dieser Zulage bezogen auf den Monatstabellenlohn zwischen den seinerzeitigen Parteien nicht streitig war. In dieser Entscheidung ging es allein um die Problematik, ob Maßstab für die Bezugsgröße der Umfang der vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit ist.
4.
Die Auslegung der maßgeblichen tarifvertraglichen Vorschriften insbesondere des § 2 TVÜ-VKA führt zu dem Ergebnis, dass die Theaterbetriebszulage der Höhe nach unverändert so fortzuzahlen ist, wie sie zuletzt unproblematisch fortzuzahlen war, als die in dem BZTV genannte Bezugsgröße gemäß § 4 dieses Tarifvertrages, der einen prozentualen Anteil von der entsprechenden BAT-Vergütung vorsieht, noch gegolten hat. Diese Bezugsgröße gilt unverändert, gewissermaßen "eingefroren", weiter.
a.
Nach ständiger und allgemein anerkannter Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages, den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Wortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragspartei mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und der Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lässt dies ein zweifelsfreies Auslegungsergebnis nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien, wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung ergänzend heranziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG, Urteil vom 21.08.2003, Az.: 8 AZR 430/02 - AP Nr. 185 zu § 1 TVG Tarifverträge Metallindustrie; BAG, Urteil vom 22.10.2003, Az.: 10 AZR 152/03 - BAGE 108, 176 - 184; BAG, Urteil vom 24.10.2007, Az.: 10 AZR 878/06 - Juris).
b.
In Anwendung der oben dargestellten Rechtssätze rechtfertigt sich die Annahme, dass die in § 4 BZTV geregelte Höhe der Zulage, die sich in Anlehnung an die BAT-Vergütung berechnet, als Berechnungsgrundlage des Theaterbetriebszuschlages unverändert weiter gilt.
aa.
Der Wortlaut des § 2 TVÜ-VKA ist nicht uneingeschränkt eindeutig und nimmt zu dem in diesem Streitfall aufgeworfenen Problemkreis keine ausdrückliche Stellung. Er lässt beide Auslegungsvarianten zu, nämlich die, dass die Bezugsgröße durch das Tabellenentgelt im Sinne des TVÖD ersetzt wird als auch die von der Vorinstanz vorgenommene Auslegungsalternative.
bb.
Die Systematik der im öffentlichen Dienst geltenden Tarifverträge, insbesondere ein Abgleich des § 2 TVÜ-VKA und des § 2 TVÜ-Bund, wobei in beiden Fällen auf Gewerkschaftsseite die Gewerkschaft ver.di diese Tarifverträge abgeschlossen hat, spricht für eine statische Fortgewährung der Theaterbetriebszulage und gegen jedwede Entgeltanpassung im Sinne der neuen Vorschriften des öffentlichen Dienstes. Denn im Bereich des TVÜ-VKA fehlt gerade die entsprechende Vorschrift des TVÜ-Bund, die in § 2 Abs. 4 TVÜ-Bund ausdrücklich die Regelung trifft, dass soweit in nicht ersetzten Tarifverträgen und Vertragsregelungen auf Vorschriften verwiesen wird, die aufgehoben oder ersetzt worden sind, an deren Stelle bis zu einer redaktionellen Anpassung die Regelung des TVÖD bzw. TVÜ-Bund entsprechend gelten. Diese in TVÜ-Bund getroffene Regelung ist keineswegs selbstverständlich, sie normiert kein allgemeines Prinzip und enthält nicht lediglich eine Klarstellung sondern normiert etwas, was ohne eine solche Regelung nicht gegolten hätte. Mit anderen Worten: Weil § 2 TVÜ-VKA eine solche besondere Vorschrift nicht enthält, gilt das in § 2 Abs. 4 TVÜ-Bund normierte Prinzip im Bereich des TVÜ-VKA gerade nicht.
cc.
Dieser Regelungssystematik entspricht auch der erkennbare Sinn und Zweck, den die Tarifvertragsparteien der Regelung des § 2 Abs. 2 TVÜ-VKA beigemessen haben. Dort haben sie den Tarifvertragsparteien des BZTV bzw. sich selbst eine besondere Verantwortung auferlegt, den seinerzeit geltenden Status entweder zu belassen oder aber fortzuentwickeln bzw. zu verändern. Hierbei ist sogar eine für die Arbeitnehmer ungünstige Entwicklung und Veränderung möglich, beispielsweise weil die Tarifvertragsparteien zu der übereinstimmenden Auffassung gelangen, das bisherige System der Theaterbetriebszulage sei antiquiert. Mit dem in § 2 Abs. 2 TVÜ-VKA erkennbaren Prinzip der besonderen Verantwortlichkeit der Tarifvertragsparteien für die von den Mitgliedsverbänden der VKA abgeschlossenen Tarifverträge ist eine Tarifautomatik unvereinbar. Die Tarifvertragsparteien hätten eine Anpassung in jedweder Form, auch hinsichtlich der Höhe der Berechnungsgrundlage für den Theaterbetriebszuschlag vornehmen müssen. Dies ist nicht geschehen.
dd.
Nach den vorstehenden Einzelkriterien der Tarifauslegung ergibt sich eine statische Fortgeltung der Berechnungsgrundlage des Theaterbetriebszuschlages. Evtl. allgemeine Praktikabilitäts- oder gar Gerechtigkeitserwägungen, denen ohnedies nach der Rangfolge der bei einer Tarifauslegung geltenden Kriterien Hilfscharakter zukommt, müssen hinter diesem klaren Ergebnis zurück bleiben. Wenn etwas geändert werden soll, dann müssen dies die Tarifvertragsparteien tun. Hiervon ist die Berufungskammer uneingeschränkt überzeugt.
5.
Mit vorstehendem Auslegungsergebnis steht nicht nur die Unbegründetheit des Hauptantrages sondern auch der beiden Hilfsanträge fest. Auf die Problematik der richtigen Bezifferung des zweiten Hilfsantrages kommt es nicht mehr an.
C.
Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen. Gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG war wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zum Bundesarbeitsgericht zuzulassen. Die entscheidende Rechtsfrage, ob § 2 Abs. 4 TVÜ-Bund ein allgemeines Prinzip oder aber eine Ausnahmevorschrift darstellt, die im Bereich des TVÜ-VKA nicht gilt, ist eine klärungsbedürftige Rechtsfrage, die angesichts einer Vielzahl von gleichgelagerten Streitfällen (nach der übereinstimmenden Darstellung der Prozessparteien: ca. 125 Arbeitnehmer) von grundsätzlicher Bedeutung ist.