Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 03.11.2017, Az.: 12 ME 183/17

Abgabe einer einseitigen Erledigungserklärung durch den Rechtsmittelführer nach Versäumung der gesetzlichen Rechtsmittelbegründungsfrist hinsichtlich Eröffnung der Möglichkeit einer Sachentscheidung über die Erledigung des Rechtsstreits

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
03.11.2017
Aktenzeichen
12 ME 183/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 49531
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2017:1103.12ME183.17.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Osnabrück - 09.08.2017 - AZ: 2 B 9/17

Amtlicher Leitsatz

Die Abgabe einer einseitigen Erledigungserklärung durch den Rechtsmittelführer nach Versäumung der gesetzlichen Rechtsmittelbegründungsfrist eröffnet nicht die Möglichkeit einer Sachentscheidung über die Erledigung des Rechtsstreits.

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Osnabrück - 2. Kammer - vom 9. August 2017 wird verworfen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 15.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

1

Das Verwaltungsgericht hat es mit Beschluss vom 9. August 2017 abgelehnt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherzustellen, den die Antragsteller gegen die Genehmigung erhoben haben, die der Antragsgegner der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen unter dem 21. April 2016 zur Errichtung und zum Betrieb von sieben Windenergieanlagen in der Stadt G. ("Windpark H.") erteilt und deren sofortige Vollziehung er unter dem 23. Juni 2016 angeordnet hatte.

2

Der ablehnende Beschluss des Verwaltungsgerichts ist den Antragstellern am 11. August 2017 zugestellt worden (Bl. 293 der Gerichtsakte - GA -). Unter dem 15. August 2017 ist ein Ergänzungsbescheid zu der Genehmigung vom 21. April 2016 ergangen (vgl. Anlage B1 zu dem Schriftsatz des Antragsgegners vom 9.10.2017). Am 25. August 2017 haben die Antragsteller Beschwerde gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eingelegt (Bl. 307 GA). Auf eine Erledigungserklärung der Antragsteller vom 18. September 2017 (Bl. 316 ff. GA), die den Prozessbevollmächtigten des Antragsgegners am 25. September 2017 zugestellt wurde (Bl. 329 GA), hat der Antragsgegner der Erledigung des Rechtsstreits am 9. Oktober 2017 widersprochen (Bl. 341, erster Absatz, GA).

3

Die Antragsteller behaupten, motiviert durch eine Verfügung des Berichterstatters zweiter Instanz vom 1. September 2017 in dem Verfahren 12 ME 99/17 hätten sie bereits mit einem Schriftsatz vom 7. September 2017 (vgl. Bl. 318 und 330 GA), der erstmalig am 8. September 2017 per Telefax an das Oberverwaltungsgericht übermittelt worden sei, die Erledigung der Hauptsache erklärt.

4

Die Antragsteller beantragen (Bl. 346 GA, letzter Satz),

5

die Erledigung der Hauptsache im einstweiligen Verfahren einschließlich des Beschwerdeverfahrens festzustellen.

6

Der Antragsgegner beantragt (Bl. 339 GA),

7

die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.

8

Er hält das Rechtsmittel der Antragsteller für unzulässig, weil es nicht fristgerecht begründet worden sei. Da es sich bei der einseitigen Erledigungserklärung um eine besondere Form der Antragsänderung handele, bedürfe es, auch wenn ein Antragsteller die Feststellung der Erledigung der Hauptsache begehre, einer zulässigen Beschwerde. Im Falle einer unzulässigen Beschwerde sei nämlich der Streitgegenstand nicht an das Beschwerdegericht gelangt und könne daher auch kein anderer Streitgegenstand an seine Stelle treten.

9

Die Beigeladene beantragt (Bl. 325 GA),

10

die Beschwerde als unzulässig zurückzuweisen.

11

Sie bezieht sich zur Begründung auf einen richterlichen Hinweis vom 13. September 2017 (Bl. 314 GA), demzufolge eine Beschwerdebegründung nicht rechtzeitig eingegangen sei.

12

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Osnabrück vom 9. August 2017 ist gemäß § 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO als unzulässig zu verwerfen. Nach § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO ist die Beschwerde gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 80, 80a und 123 VwGO) innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen (§ 146 Abs. 4 Satz 2 VwGO). Auf dieses Erfordernis ist in der dem angefochtenen Beschluss beigefügten Rechtsmittelbelehrung zutreffend hingewiesen worden. Die Entscheidung vom 9. August 2017 ist den Prozessbevollmächtigten der Antragsteller am 11. August 2017 zugestellt worden. Mithin ist die Frist zur Begründung der Beschwerde am 11. September 2017 abgelaufen. Innerhalb dieser Frist ist eine Begründung nicht eingereicht worden.

13

Der Rechtsstreit ist auch nicht innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist für erledigt erklärt worden. Durch die Übermittlung einer das Datum des 7. September 2017 tragenden Erledigungserklärung am 29. September 2017 (Bl. 330 GA) an das Oberverwaltungsgericht sowie mit der Übersendung einer als "Faxjournal" bezeichneten Kopie einer (nicht unterschriebenen) handschriftlichen Aufzeichnung (Bl. 347 GA), welche die Absendung eines entsprechenden Telefaxes am 8. September 2017 dokumentieren soll, ist nicht nachgewiesen, dass die das Datum des 7. September 2017 tragende Erledigungserklärung tatsächlich bereits am 8. September 2017 bei dem Oberverwaltungsgericht einging. Dieser Nachweis ist auch nicht durch das Fax-Journal des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (Bl. 348 GA) geführt, dem lediglich zu entnehmen ist, dass am 8. September 2017 von der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Antragsteller mehrere erfolgreiche Übermittlungen per Telefax an das Oberverwaltungsgericht vorgenommen wurden. Denn es lässt sich auch anhand dieses Journals nicht der Inhalt der jeweils erfolgreich übermittelten Seiten feststellen. Entscheidend ist daher, dass dem Senat durch den Justizwachtmeisterdienst und die Geschäftsstelle trotz entsprechender Anweisungen über den Umgang mit Eingängen keine am 8. September 2017 eingegangene und dem vorliegenden Rechtsstreit zuzuordnende Erledigungserklärung der Antragsteller vorgelegt wurde. Dies rechtfertigt nämlich unter Würdigung aller Umstände den Schluss, dass eine solche Erklärung nicht am 8. September 2017, und damit letztlich nicht fristgerecht, bei dem Oberverwaltungsgericht einging. Über den mangelnden Eingang (auch) einer Erledigungserklärung innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist sind die Prozessbevollmächtigten der Antragsteller mit einer am 20. September 2017 übermittelten (vgl. Bl. 320 GA) Verfügung des Berichterstatters vom 19. September 2017 (vgl. Bl. 319 GA) unterrichtet worden.

14

Es kann den Antragstellern auch keine Wiedereinsetzung in die hiernach versäumte Frist gewährt werden. Denn weder haben die Antragsteller innerhalb der mit dem 20. Oktober 2017 abgelaufenen Monatsfrist des § 60 Abs. 2 Halbsatz 2 VwGO ein Wiedereinsetzungsgesuch gestellt noch haben sie Wiedereinsetzungsgründe glaubhaft gemacht. Sie haben nicht einmal präzise vorgetragen und glaubhaft gemacht (§ 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 294 ZPO), dass, wann genau (Uhrzeit) und durch welche Person am 8. September 2017 die das Datum des 7. Septembers 2017 tragende Erledigungserklärung per Telefax an das Oberverwaltungsgericht übermittelt worden sein soll.

15

Ist hiernach die Beschwerde mit dem fruchtlosen Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist unzulässig geworden, so ist sie zu verwerfen und kann auf die spätere, erstmalig am 18. September 2017 abgegebene, einseitige Erledigungserklärung der Antragsteller und den nachfolgenden ausdrücklichen Feststellungsantrag eine Erledigung der Hauptsache nicht festgestellt werden.

16

Denn es gibt zwar grundsätzlich keine zeitliche Grenze für den Übergang vom ursprünglichen Sachantrag zur Erledigungserklärung (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.7.2003 - BVerwG 1 B 291/02 -, NVwZ 2004, 353 f. [BVerwG 29.07.2003 - BVerwG 1 B 291/02 (1 PKH 77.02)][BVerwG 29.07.2003 - BVerwG 1 B 291/02 (1 PKH 77.02)], hier zitiert nach juris) und ist auch davon auszugehen, dass durch eine zulässig eingelegte Beschwerde der mit dem Sachantrag der Beschwerdeschrift (Bl. 308 GA, unter 2.) umrissene Streitgegenstand bereits an das Rechtsmittelgericht gelangt ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.10.1969 - BVerwG VIII C 219.67 -, BVerwGE 34, 159 ff., hier zitiert nach juris, Rn. 17). Gleichwohl kann sich aber durch eine - wie hier - letztlich materiell-rechtlich motivierte einseitige Erklärung der Erledigung der Hauptsache nur der Streit um die Begründetheit eines Rechtsmittels in einen Streit um die Erledigung der Hauptsache umwandeln (vgl. BVerwG, Beschl. v. 17.12.1993 - BVerwG 3 B 134.92 -, Buchholz 310 § 161 VwGO Nr. 103, hier zitiert nach juris, Rn. 1; Nds. OVG, Beschl. v. 1.9.2003 - 12 LA 686/02 -, juris, Rn. 2). Denn die einseitige Erledigungserklärung eines Antragstellers vermag als zulässige Änderung des Streitgegenstands nur zu wirken, wenn sie auf eine Prozesslage trifft, in der - von dem erledigenden Ereignis abgesehen - noch Raum für eine Prüfung der Begründetheit des Rechtsmittels gewesen wäre. Das ist zwar sowohl innerhalb der laufenden Rechtsmittelbegründungsfrist als auch nach einer fristgerechten Begründung des Rechtsmittels der Fall, nicht aber wenn die Rechtsmittelbegründungsfrist - wie hier - bereits versäumt worden ist. Der Übergang zu einer einseitigen Erledigungserklärung soll demjenigen, der ein unabhängig von dem erledigenden Ereignis unzulässiges Rechtsmittel führt, nämlich keine "Flucht" in die Erledigung ermöglichen, die ihm die kostenpflichtige Verwerfung des Rechtsmittels "erspart" (vgl. BVerwG, Beschl. v. 6.8.1987 - BVerwG 3 B 18.87 -, Buchholz 451.54 MStG Nr. 11, hier zitiert nach juris, Rn. 11, und Urt. v. 30.10.1969 - BVerwG VIII C 219.67 -, BVerwGE 34, 159 ff., hier zitiert nach juris, Rnrn. 16 f.). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass auf einen in z u l ä s s i g e r Weise gestellten einseitigen Antrag, die Erledigung festzustellen, zur Beurteilung der Frage, ob der Rechtsstreit erledigt ist, auf den Zeitpunkt abzustellen wäre, in dem das Ereignis eingetreten ist, welches nach der Rechtsbehauptung des jeweiligen Antragstellers die Erledigung herbeigeführt haben soll (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 11.10.1988 - 1 S 2768/88 -, GewArch 1989, 311 f., hier zitiert nach juris).

17

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2 und 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, die Antragsteller auch mit den außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu belasten, weil diese durch ihre Antragstellung ein eigenes Kostenrisiko (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO) eingegangen ist. Dem steht hier nicht entgegen, dass sich die Beigeladene bereits mit einem Antrag am Beschwerdeverfahren beteiligt hat, bevor ihr dazu durch Zustellung einer Beschwerdebegründung Veranlassung gegeben wurde (vgl. Neumann, in: Sodan/Ziekow [Hrsg.], VwGO, 4. Aufl. 2014, § 162 Rn. 137). Denn nachdem die Antragsteller dieses Verfahren mit dem Ziel fortgesetzt haben, anknüpfend an die begehrte Erledigungsfeststellung eine Änderung (auch) der erstinstanzlichen der Beigeladenen günstigen Kostenlastentscheidung anzustreben, ist deren Antragstellung nachträglich eine Veranlassung gegeben worden.

18

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 39 Abs. 1, 40, 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 und 52 Abs. 1 GKG und folgt den Vorschlägen unter den Nrn. 1.5 Satz 1 sowie 19.2 i. V. m. 2.2.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).

19

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).