Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 11.12.2013, Az.: S 37 AS 447/13 ER

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
11.12.2013
Aktenzeichen
S 37 AS 447/13 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 56188
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGLUENE:2013:1211.S37AS447.13ER.0A

Tenor:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 25.11.2013 und der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe werden abgelehnt.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.)

Der Antragsteller begehrt im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Kostenübernahme für den Erwerb eines Führerscheins der Klasse B.

Der am 17.03.1992 geborene Antragsteller bezieht vom Antragsgegner seit längerem Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (= SGB II). Nachdem er bei der Fa. E. vom 26.08.2013 bis zum 20.09.2013 ein Praktikum absolviert hatte, teilte ihm diese im Schreiben vom 27.09.2013 folgendes mit:

Nach ihrem Praktikumstagen können wir Ihnen heute gerne bestätigen, dass wir Ihnen zum 01.10.2013 einen Ausbildungsplatz als Bürokaufmann mit den Schwerpunkten Lager, Verwaltung und Dienstleistungen anbieten können, sofern Sie hierfür den benötigten Führerschein der Klasse B innerhalb der dreimonatigen Probezeit nachweisen können. Der Führerschein ist für die Ausbildungszeit zwingend erforderlich, da Sie auch Servicefahrten mit unseren Fahrzeugen durchführen müssten. Wir freuen uns, Sie in unserem Unternehmen ab dem 01.10. 2013 als neuen Auszubildenden begrüßen zu dürfen.

Am 01.10.2013 begann der Antragsteller bei der Fa. E. eine Ausbildung zum Bürokaufmann. Der schriftliche Berufsausbildungsvertrag vom 08.10.2013 enthält allerdings keine Klausel, nach der der Erwerb des Führerscheins zur Fortsetzung der Ausbildung erforderlich wäre (Bl. 7 ff. der Akte des Sozialgerichts (= SG)).

Am 29.09.2013 beantragte der Antragsteller beim Antragsgegner die Förderung des Führerscheins in Höhe der voraussichtlichen Kosten von ca. 1.550,00 EUR (Bl. 76 der Akte des Beklagten). Mit dem Bescheid vom 29.10.2013 lehnte der Antragsgegner die Förderung ab. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Förderung des Führerscheins aus dem Vermittlungsbudget nicht vorgesehen sei und die Entscheidung auf § 16 Abs. 1 und 3 SGB II i. V. m. § 44 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (= SGB III) beruhen würde. Über den hiergegen erhobenen Widerspruch ist noch nicht entschieden.

Am 25.11.2013 hat der Antragsteller beim Sozialgericht (= SG) Lüneburg den Erlass einer einstweiligen Anordnung in Bezug auf die Förderung des Führerscheins beantragt und in diesem Zusammenhang auf die Entscheidung des Landessozialgerichts (= LSG) Niedersachsen-Bremen vom 21.04.2012 (L 15 AS 317/11 B ER) Bezug genommen.

Demgegenüber hat der Antragsgegner im Schriftsatz vom 02.12.2013 darauf hingewiesen, dass eine solche Förderung im Ermessen der Behörde liegen würde, und daher eine Verurteilung zur Erbringung der Leistung nur dann erfolgen könne, wenn das Ermessen auf Null reduziert sei. Im vorliegenden Fall seien jedoch bereits die Voraussetzungen der Förderung nicht erfüllt, da der Führerschein für die Aufnahme der Beschäftigung nicht erforderlich gewesen sei. Die Beschäftigungsaufnahme sei vielmehr bereits ohne die Förderung aus dem Vermittlungsbudget erfolgt. Im Übrigen sei für die Ausbildung zum Bürokaufmann der Besitz der Fahrerlaubnis der Klasse B in der Ausbildungsordnung und im Rahmenplan nicht vorgesehen. Außerdem sei nicht zu erkennen, dass der Antragsteller innerhalb der Ausbildung zum Bürokaufmann alsbald auch eigenständig Servicefahrten mit den Fahrzeugen des Ausbildungsbetriebs durchführen müsse. Da er während der Ausbildung einem Ausbilder untergeordnet sei, würde dieser Tätigkeitsbereich, wenn überhaupt, erst gegen Ende der Ausbildung und nicht während oder kurz nach der Probezeit Relevanz entfalten. Schließlich würde der Antragsteller über eine monatliche Ausbildungsvergütung von derzeit brutto 564,00 EUR und Kindergeld i. H. v. monatlich mindestens 184,00 EUR verfügen. Er sei daher in der Lage, den über den Grundfreibetrag hinausgehenden Freibetrag für die Erlangung der Fahrerlaubnis einzusetzen, wenn er mit der Fahrschule eine entsprechende Ratenzahlung vereinbart. Auch die eigene Leistungsfähigkeit des Antragstellers würde daher vorliegen.

Im Schriftsatz vom 09.12.2013 hat der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers nochmals geltend gemacht, dass der Ausbildungsbetrieb das Ausbildungsverhältnis nach Bestehen der Prüfung in eine sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigung überführen möchte und daher eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegen würde. Außerdem sei der Antragsteller weiterhin leistungsbedürftig, da er den über den Grundfreibetrag hinausgehenden Freibetrag zu einem Großteil für die Fahrtkosten zur Arbeit aufwenden müsse. Außerdem hat er ein weiteres Schreiben der Fa. E. vom 09.12.2013 eingereicht. Darin wurde ausgeführt dass die Einstellungszusage unter der Prämisse erfolgte, dass der Antragsteller den Erwerb des Führerscheins zumindest innerhalb der Probezeit bei einer Fahrschule startet und schnellstmöglich besteht. Eine finanzielle Unterstützung könne nicht erfolgen, da sich das Unternehmen im Aufbau befinden würde.

Der Antragsteller beantragt,

den Antragsgegner zu verpflichten, Leistungen nach dem SGB II zu gewähren, insbesondere die Kosten für den Erwerb eines Führerscheins der Klasse B zu übernehmen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Der Entscheidung lagen die Gerichtsakten und die Akten des Antragsgegners zu Grunde. Auf ihren Inhalt wird Bezug genommen.

II.)

Der zulässige Antrag ist nicht begründet. Gem. § 86 b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (= SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86 b Abs. 2 S. 2 SGG). Voraussetzung hierfür ist jeweils, dass ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht sind (§ 86 Abs. 2 S. 4 SGG, § 920 Abs. 3 Zivilprozessordnung (= ZPO)). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen erfolgt i. d. R. durch eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage sowie der wesentlichen Interessen.

Im vorliegenden Fall besteht kein Anordnungsanspruch. Gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 6 b Abs. 1 SGB II kann der Beklagte u. a. die im 3. Kapitel des SGB III geregelten Leistungen erbringen. In § 44 Abs. 1 SGB III ist dabei bestimmt, dass Ausbildungssuchende, von Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitssuchende und Arbeitslose aus dem Vermittlungsbudget der Agentur für Arbeit bei der Anbahnung oder Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gefördert werden, wenn dies für die berufliche Eingliederung notwendig ist. Sie sollen insbesondere bei der Erreichung der in der Eingliederungsvereinbarung festgelegten Eingliederungsziele unterstützt werden. Die Förderung umfasst die Übernahme der angemessenen Kosten, soweit der Arbeitgeber gleichartige Leistungen nicht oder voraussichtlich nicht erbringen wird. In § 44 Abs. 3 SGB III ist außerdem bestimmt, dass die Bundesagentur für Arbeit bzw. der Beklagte über den Umfang der zu erbringenden Leistungen entscheidet und auch Pauschalen festlegen kann.

Da es sich bei der genannten Förderung um eine Ermessensleistung handelt, besteht in diesem Rahmen grundsätzlich kein von vornherein festgelegter Rechtsanspruch, dass eine bestimmte Leistung in einer bestimmten Höhe erbracht wird. Gem. § 39 Abs. 1 SGB I haben die Leistungsträger ihr Ermessen vielmehr entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten, wobei nur auf die pflichtgemäße Ausübung des Ermessens ein Anspruch existiert.

Weiterhin ist zu beachten, dass eine Ermessensentscheidung gerichtlich nur in eingeschränktem Umfang überprüfbar ist, da das Gericht grundsätzlich nur feststellen kann, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens über- bzw. unterschritten sind oder ein Ermessensfehlgebrauch vorliegt (§ 54 Abs. 2 S. 2 SGG). Sofern sich die Entscheidung innerhalb des Ermessensspielraums bewegt, kann somit das Gericht nicht überprüfen, ob es sich bei der von der Behörde praktizierten Verfahrensweise um die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Regelung handelt. Zwar hat im vorliegenden Fall der Antragsgegner im Bescheid vom 29.10.2013 kein Ermessen ausgeübt. Ermessensentscheidungen der Sozialleistungsträger dürfen in einem solchen Fall jedoch nicht von den Gerichten "ersetzt" werden, in dem diese ihre eigene Ermessenserwägungen an die Stelle derjenigen des Antragsgegners setzen (vgl. SG Duisburg, Beschl. v. 25.02.2013 - S 41 AS 107/13 ER, m. w. N.).

Dies gilt im Rahmen eines Verfahrens über die Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz in besonderem Maße, da im Eilverfahren nur eine summarische Prüfung stattfindet, bei der die für Ermessensentscheidungen notwendige umfassende Berücksichtigung und Abwägung aller maßgeblichen Umstände nicht möglich und wegen der Eilbedürftigkeit auch nicht geboten ist (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 03.06.2006 - L 1 B 28/06 ER, m. w. N.).

Eine Ausnahme von der grundsätzlichen Unzulässigkeit der "Ersetzung" verwaltungsbehördlicher Ermessensentscheidungen, ggf. auch im Wege einstweiligen Rechtsschutzes, kommt allein in Fällen der sog. Ermessensreduzierung auf Null in Betracht, also dann, wenn nach der Sachlage nur eine einzige Ermessensentscheidung richtig sein kann und alle anderen Entscheidungen ermessensfehlerhaft wären (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 03.07. 2006 - L 1 B 28/06 R, m. w. N.). Andere Senate der Landessozialgerichte halten es zwar für zulässig, dass ein Gericht die Behörde gleichwohl wegen des Gebotes effektiven Rechtsschutzes in eng begrenzten Ausnahmefällen zu einem bestimmten Verhalten verpflichten darf (vgl. dazu die Nachweise bei Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 10. Aufl. 2008, § 86 b Rn. 30a). Voraussetzung für eine solche Verpflichtung wäre aber zumindest, dass bei der nachzuholenden Ermessensentscheidung diese mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu Gunsten des Antragstellers ausgeht (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.01.2009 - L 19 B 219/08 AS). Vorliegend ist hinsichtlich der vom Antragsteller konkret beantragten Förderung des Führerscheins weder eine Ermessenreduzierung auf Null ersichtlich, noch sein Obsiegen im Hauptsacheverfahren überwiegend wahrscheinlich. Der Antragsgegner hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Förderung gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 44 SGB III zur Anbahnung oder Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung erfolgt. Im vorliegenden Fall war jedoch bereits ohne eine Förderung durch den Antragsgegner der Ausbildungsvertrag abgeschlossen und die Tätigkeit begonnen worden. Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Förderung aus dem Vermittlungsbudget liegen daher bereits aus diesem Grunde nicht vor. Dies ist auch der wesentliche Unterschied zu dem vom LSG Niedersachsen-Bremen im Verfahren L 15 AS 317/11 B ER entschiedenen Fall, da dort lediglich eine Einstellungszusage des künftigen Arbeitgebers vorlag. Die Ausführungen des LSG Niedersachsen-Bremen in dem genannten Beschluss sind daher auf diesen Fall nicht übertragbar.

Darüber hinaus kann auch nicht erkannt werden, dass das Ermessen im vorliegenden Fall auf Null reduziert wäre, da die nachstehenden Erwägungen bei einer Ermessenentscheidung Berücksichtigung finden könnten. So bestehen bei einer Ausbildungsvergütung von monatlich 564,00 EUR brutto und einem Kindergeld i. H. v. 184,00 EUR durchaus Ansparmöglichkeiten, insbesondere dann, wenn mit der Fahrschule eine Ratenzahlung vereinbart wird. Vor diesem Hintergrund dürfte zumindest dem vom Ausbildungsbetrieb für erforderlich gehaltenen Beginn der Führerscheinausbildung innerhalb der Probezeit bei einer Fahrschule nichts entgegenstehen. Da der Vater des Klägers über einen Führerschein und ein Kfz verfügt, können die in der Fahrschule erlernten Fähigkeiten darüber hinaus auch in eigener Regie auf einem Verkehrsübungsplatz verfeinert und somit die Fahrschulkosten signifikant gesenkt werden. Die vom Prozessbevollmächtigten des Antragstellers geltend gemachten erheblichen Fahrtkosten zur Arbeit können ebenfalls in Grenzen gehalten werden, wenn der Antragsteller die Mitfahrgelegenheit bei seinem Vater, der im selben Betrieb tätig ist, nutzt. Schließlich wäre im Rahmen einer Ermessensausübung auch zu beachten, dass sich der Ausbildungsbetrieb entgegen seiner Ankündigung an den Führerscheinkosten zu mindestens anteilig beteiligen kann, wenn sich herausstellt, dass der Antragsteller ein wertvoller Mitarbeiter ist und der Betrieb ihn für eine Fortsetzung der Tätigkeit gewinnen möchte. Entsprechende Überlegungen haben offenbar auch dazu geführt, mit der Ausbildung zu beginnen, ohne dass der Führerschein vorhanden war. Die Kammer teilt schließlich auch die Ansicht des Antragsgegners, dass bei lebensnaher Betrachtungsweise der Betrieb dem Antragsteller seine Fahrzeuge noch nicht in der Anfangsphase der Ausbildung bzw. als Führerscheinneuling anvertrauen dürfte, sondern die vom Antragsteller durchzuführenden Fahrten erst in einer späteren Ausbildungsphase in Betracht kommen dürften. Dies eröffnet wiederum die Möglichkeit, die Kosten für den Führerschein zeitlich zu strecken.

Auch eine Förderung als Darlehen (§ 24 Abs. 1 SGB II) scheidet aus, da die Kosten zum Erwerb eines Führerscheins nicht vom Regelbedarf umfasst sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.

Gemäß § 73 a SGG in Verbindung mit § 114 ZPO war die Gewährung von Prozesskostenhilfe abzulehnen, da das Rechtsschutzbegehren, wie ausgeführt, keine hinreichenden Erfolgsaussichten bot.