Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 13.11.2013, Az.: S 37 AS 285/11
Anspruch auf Erstattung von Bewerbungskosten bei Fehlen von Belegen
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 13.11.2013
- Aktenzeichen
- S 37 AS 285/11
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2013, 56189
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2013:1113.S37AS285.11.0A
Rechtsgrundlagen
- § 6b Abs. 1 SGB II
- § 16 Abs. 1 S. 1 SGB II
- § 44 SGB III
- § 45 Abs. 1 SGB III a.F.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Bewerbungskosten.
Der im Jahr 1982 geborene Kläger bezieht seit mehreren Jahren Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (= SGB II).
Im Hinblick auf die Erstattung von Bewerbungskosten vor dem Jahr 2009 wurde dergestalt verfahren, dass der Kläger die Kostenübernahme für die vorgenommenen Bewerbungen beantragte, die entsprechende Liste der kontaktierten Arbeitgeber und seine Anschreiben beigefügte und sodann der Beklagte für jede Bewerbung pauschal 5,00 EUR erstattete (bspw. Antrag vom 05.08.2006 und Bescheid vom 13.09.2006 - Bl. 77, 97 der Akte des Beklagten (= VA)).
In der für die Zeit vom 21.10.2009 bis zum 19.04.2010 getroffenen Eingliederungsvereinbarung vom 20.10.2009 (Bl. 328 VA, Bl. 7 der Akte des Sozialgerichts (= SG)) wurde hinsichtlich der Erstattung von Bewerbungskosten allerdings folgende Regelung getroffen:
Der Grundsicherungsträger unterstützt Ihre Bewerbungsaktivitäten durch Übernahme von Kosten für schriftliche Bewerbungen auf vorherige Antragstellung und schriftlichen Nachweis nach Maßgabe des § 16 Abs. 1 SGB II i. V. m. §§ 45 ff. SGB III. Bewerbungskosten können bis zu einem Betrag von 260,00 EUR jährlich übernommen werden.
Am 20.10.2009 beantragte der Kläger die Erstattung von Bewerbungskosten in Höhe von 115,00 EUR. Mit dem Bescheid vom 26.04.2010 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt, dass Förderungen aus dem Vermittlungsbudget nur gewährt würden, wenn die Kosten durch entsprechende Belege nachgewiesen werden. Die vom Kläger beantragte Förderung sei jedoch nicht durch Nachweise belegt. Der hiergegen erhobene Widerspruch wurde mit dem Widerspruchsbescheid vom 05.07.2010 zurückgewiesen. Darin wurde ergänzend ausgeführt, dass es sich bei der Erstattung von Bewerbungskosten um eine Ermessensleistung handeln würde und der Kläger bei der Antragstellung am 20.10.2009 darauf hingewiesen worden sei, dass nur nachgewiesene Aufwendungen erstattungsfähig seien.
Der Zugangszeitpunkt dieses Widerspruchsbescheides ist zwischen den Beteiligten streitig. Der Kläger machte geltend, den Widerspruchsbescheid zunächst nicht erhalten zu haben und erhob deswegen am 05.10.2010 beim Sozialgericht (= SG) Lüneburg Untätigkeitsklage (S 23 AS 1582/10). Die Klage wurde mit dem Urteil des SG Lüneburg vom 25.11.2010 abgewiesen. Hiergegen erhob der Kläger Berufung zum Landessozialgericht (= LSG) Niedersachsen-Bremen (L 15 AS 427/10). Im Rahmen des Berufungsverfahrens wurde dem Kläger mit der gerichtlichen Verfügung vom 08.02.2010 der Widerspruchsbescheid vom 05.07.2010 am 11.02.2011 nachweislich zugestellt (Bl. 70 der Akte S 23 AS 1582/10). Die Berufung wurde mit dem Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 29.06.2011 zurückgewiesen.
Gegen den Widerspruchsbescheid vom 05.07.2010 hat der Kläger am 03.03.2011 beim SG Lüneburg Klage erhoben (S 37 AS 285/11) und geltend gemacht, dass die Klage nicht verfristet sei, weil ihm der Widerspruchsbescheid erst am 11.02.2011 durch das LSG Niedersachsen-Bremen bekannt gegeben worden sei. Im Übrigen sei sein Anspruch auf Erstattung der Bewerbungskosten i. H. v. 115,00 EUR begründet. Mit dem Antrag auf Erstattung der Bewerbungskosten habe er zwei Bewerbungslisten (Namen der Arbeitgeber, der Berufsbezeichnung und des Bewerbungsdatums) mit 23 Bewerbungsanschreiben eingereicht. Weitere Nachweiserfordernisse seien in der Eingliederungsvereinbarung nicht festgelegt worden.
Der Beklagte hat demgegenüber die Auffassung vertreten, dass die Klage unzulässig sei, weil der Widerspruchsbescheid vom 05.07.2010 am 12.07.2010 zur Post gegeben worden sei und damit als am 15.07.2010 bekannt gegeben gelten würde (§ 37 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (= SGB X)). Außerdem sei dem Kläger der Widerspruchsbescheid vom 05.07.2010 mit dem Schriftsatz vom 18.10.2010 im Verfahren S 23 AS 1582/10 nochmals übersandt und somit über das SG Lüneburg zugestellt worden. Im Übrigen sei die Klage unbegründet. Aus der Eingliederungsvereinbarung würde sich ergeben, dass Bewerbungskosten nur auf Nachweis erstattet würden. Diesen sei der Kläger bislang jedoch schuldig geblieben. Die Zusage eines pauschalen Erstattungsbetrags in Höhe von 5,00 EUR/Bewerbung sei in der Eingliederungsvereinbarung nicht enthalten.
In der mündlichen Verhandlung hat die Vertreterin des Beklagten ausgeführt, dass bis August 2009 die Bewerbungskosten grundsätzlich mit pauschal 5,00 EUR/Bewerbung entschädigt worden seien. Diese Praxis sei jedoch aufgegeben worden. Seitdem werde von den Bewerbern ein Kostennachweis für die jeweilige Bewerbung verlangt.
Der Kläger hat demgegenüber an seinem Vortrag festgehalten und erklärt, dass für ihn der Inhalt der Eingliederungsvereinbarung maßgebend sei. Da darin nicht verlangt werde, einen Kostennachweis zu führen bzw. Quittungen einzureichen, habe er die entsprechenden Quittungen nicht aufgehoben. Außerdem hat er einen Schriftsatz vom 12.11.2013 eingereicht. Auf dessen Inhalt wird Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
- 1.)
den Bescheid des Beklagten vom 26.04.2010 und den Widerspruchsbescheid vom 05.07.2010 aufzuheben,
- 2.)
den Beklagten zu verpflichten, ihm Bewerbungskosten in Höhe von 115,00 EUR zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten und die den Kläger betreffende Leistungsakte des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig; sie ist insbesondere nicht verfristet. Gem. § 87 Abs. 1 SGG ist die Klage binnen eines Monats nach der Zustellung oder der Bekanntgabe des Verwaltungsakts einzulegen. Hat - wie hier - ein Vorverfahren stattgefunden, beginnt die Frist mit dem Tag der Zustellung des Widerspruchsbescheides (§§ 87 Abs. 2, 64 SGG). Zwar gilt gem. § 37 Abs. 2 SGB X ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wurde, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Dies gilt jedoch nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsakts und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen (§ 37 Abs. 2 S. 3 SGB X). Im vorliegenden Fall ist der Widerspruchsbescheid vom 05.07.2010 dem Kläger nachweislich erst am 11.02.2011 aufgrund der Verfügung des LSG Niedersachsen-Bremen vom 08.02.2011 zugegangen. Für einen Zeitpunkt zuvor kann ein Zugang nicht nachgewiesen werden. Es kann insbesondere auch nicht festgestellt werden , dass der Widerspruchsbescheid dem Kläger mit dem Schriftsatz des Beklagten vom 18.10.2010 im Verfahren S 23 AS 1582/10 zugestellt wurde. Die am 03.03.2011 beim SG Lüneburg erhobene Klage ist somit fristgemäß.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Die angefochtene Entscheidung erweist sich als rechtmäßig, da der Kläger keinen Anspruch auf die Erstattung der geltend gemachten Bewerbungskosten hat. Ein solche Anspruch ergibt sich weder aus der maßgeblichen Eingliederungsvereinbarung noch aus dem Gesetz.
Gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 6 b Abs. 1 SGB II kann der Beklagte u. a. die im 3. Kapitel des SGB III geregelten Leistungen erbringen. Gemäß § 45 Abs. 1 SGB III in der bis zum 01.04.2012 geltenden Fassung (= § 44 SGB III in der ab dem 01.04.2012 geltenden Fassung) war wiederum bestimmt, dass Arbeitslose aus dem Vermittlungsbudget bei der Anbahnung oder Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gefördert werden, wenn dies für die berufliche Eingliederung notwendig ist. Sie sollen insbesondere bei der Erreichung der in der Eingliederungsvereinbarung festgelegten Eingliederungsziele unterstützt werden. Die Förderung umfasst die Übernahme der angemessenen Kosten, soweit der Arbeitgeber gleichartige Leistungen nicht oder voraussichtlich nicht erbringen wird. In § 45 Abs. 3 S. 1 SGB III a. F. /§ 44 SGB III n. F. war bzw. ist außerdem bestimmt, dass die Bundesagentur für Arbeit bzw. der Beklagte über den Umfang der zu erbringenden Leistungen entscheidet und auch Pauschalen festlegen kann. Da es sich bei der genannten Förderung um eine Ermessensleistung handelt, besteht in diesem Rahmen grundsätzlich kein von vornherein festgelegter Rechtsanspruch, dass eine bestimmte Leistung in einer bestimmten Höhe erbracht wird. Gem. § 39 Abs. 1 SGB I haben die Leistungsträger ihr Ermessen vielmehr entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten, wobei auf die pflichtgemäße Ausübung des Ermessens ein Anspruch besteht. Weiterhin ist zu beachten, dass eine Ermessensentscheidung gerichtlich nur in eingeschränktem Umfang überprüfbar ist, da das Gericht grundsätzlich nur feststellen kann, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens über- bzw. unterschritten sind oder ein Ermessensfehlgebrauch vorliegt (§ 54 Abs. 2 S. 2 SGG). Sofern sich die Entscheidung innerhalb des Ermessensspielraums bewegt, kann somit das Gericht nicht überprüfen, ob es sich bei der von der Behörde praktizierten Verfahrensweise um die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Regelung handelt.
Im vorliegenden Fall liegt ein Ermessensfehlgebrauch nicht vor. Es ist insbesondere nicht zu beanstanden, dass die Beklagte nur eine Erstattung von tatsächlich entstandenen und nachgewiesenen Kosten vornimmt. Das Gesetz gestattet zwar dem Grundsicherungsträger eine pauschale Kostenerstattung, zwingt ihn aber nicht dazu.
Ein Anspruch auf die pauschale Abgeltung i. H. v. 5,00 EUR/Bewerbung kann weiterhin auch nicht aus der Eingliederungsvereinbarung vom 20.10.2009 abgeleitet werden. Bereits die Formulierung "Übernahme von Kosten" legt nahe, dass nur solche Kosten erstattungsfähig sind, die auch tatsächlich verauslagt wurden. Weiterhin war in der Eingliederungsvereinbarung auch ausdrücklich festgelegt, dass eine Erstattung nur aufgrund eines entsprechenden Nachweises erfolgt. Auch insoweit spricht der Kontext mit der Formulierung "Übernahme von Kosten" dafür, dass hiermit ein konkreter Kostennachweis gemeint ist und hierfür der bloße - wie auch immer geartete - Nachweis, dass sich der Kläger bei dem betreffenden Arbeitgeber beworben hat, nicht ausreichend ist.
Ein Anspruch ergibt sich schließlich auch nicht daraus, dass der Beklagte vor August 2009 eine pauschalierte Erstattung i. H. v. 5,00 EUR/Bewerbung durchgeführt hat. Die Vertreterin des Beklagten hat in der mündlichen Verhandlung vielmehr dargelegt, dass diese Verwaltungspraxis zu Gunsten einer Nachweispflicht aufgegeben wurde. Der Kläger wurde auf Änderung dieser Verwaltungspraxis und das Erfordernis der Kostennachweispflicht auch wiederholt hingewiesen. Auch die Kammer hält eine Nachweispflicht hinsichtlich der konkret angefallenen Kosten in Zeiten, in denen eine Bewerbung mit marginalem Kostenaufwand per E-Mail möglich ist, für sachgerecht. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass eine Erstattung von Kosten vorgenommen wird, die tatsächlich gar nicht angefallen sind. Für die Einführung einer Nachweispflicht für die tatsächlich entstandenen Bewerbungskosten existiert daher kein sachlicher Grund, so dass sich die vom Beklagten praktizierte Verfahrensweise in dem ihm eingeräumten Ermessensspielraum bewegt.
Aus gegebenem Anlass weist die Kammer schließlich darauf hin, dass die Nachweispflicht für die Kostenerstattung einer Bewerbungsbemühung anders ausgestaltet sein kann, als diejenige im Zusammenhang der Vornahme einer Bewerbung zur Vermeidung einer Sanktion. Dies war auch im vorliegenden Fall so. Zwar wurde unter Ziffer 2 der Eingliederungsvereinbarung (Bemühungen des Klägers zur Eingliederung von Arbeit) ausgeführt, dass er als Nachweis über seine unternommenen Bemühungen die den Vermittlungsvorschlag beigefügte Antwortmöglichkeit ausfüllen und vorlegen solle. Diese Passage steht jedoch weder im Kontext mit den Bestimmungen zur Kostenerstattung noch kann darin generell eine abschließende Regelung hinsichtlich einer Nachweispflicht erblickt werden. Denn gem. § 20 Abs. 2 SGB X bestimmt die Behörde Art und Umfang der notwendigen Ermittlungen, ohne an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten gebunden zu sein. Dies schließt ein, dass sie ergänzende Auskünfte bei Dritten einholt, wenn ihr der Sachverhalt im Einzelfall in dem einen oder anderen Punkt aufklärungsbedürftig erscheint (§ 21 Abs. 1 SGB X).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Berufung zuzulassen, sind nicht ersichtlich.