Sozialgericht Lüneburg
v. 08.10.2013, Az.: S 1 R 381/12

Anspruch eines Häftlings auf Gewährung einer Drogentherapie als Leistung zur medizinischen Rehabilitation

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
08.10.2013
Aktenzeichen
S 1 R 381/12
Entscheidungsform
Gerichtsbescheid
Referenz
WKRS 2013, 50654
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGLUENE:2013:1008.S1R381.12.0A

Tenor:

  1. 1.)

    Die Klage wird abgewiesen.

  2. 2.)

    Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Drogentherapie als Leistung zur medizinischen Rehabilitation.

Am 09.02.2012 beantragte der Kläger die Gewährung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation für Abhängigkeitskranke. Zu diesem Zeitpunkt befand er sich in Haft in der JVA D ... Mit dem Bescheid vom 10.02.2012 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass eine entsprechende Leistung aufgrund der gegenwärtigen Inhaftierung des Klägers gem. § 12 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI ausgeschlossen sei. Der hiergegen erhobene Widerspruch wurde mit dem Widerspruchsbescheid vom 27.06. 2012 zurückgewiesen. Darin wurde ergänzend ausgeführt, dass auch ein ausreichender Erfolg für eine erneute Entwöhnungsbehandlung nicht zu erwarten sei, da dem Kläger bereits im Juli 2011 eine Entwöhnungsbehandlung gewährt worden sei (Bescheid vom 22.06.2011, Bl. 35 VA), die er jedoch aufgrund von mehreren Rückfällen abgebrochen habe.

Hiergegen hat der Kläger am 20.07.2012 Klage beim Sozialgericht (= SG) Lüneburg erhoben. Am 12.03.2013 wurde der Kläger gem. § 35 Betäubungsmittelgesetz (= BtMG) aus der Haft zur Therapie in das "Projekt E. entlassen (Bl. 39 SG-Akte). Seit dem 10.04.2013 befindet er sich jedoch wieder in Haft. Voraussichtlicher Austritt ist jetzt erst am 24.11.2014 (Bl. SG-Akte).

Mit dem Beschluss vom 10.06.2013 lehnte das SG Lüneburg die Gewährung von Prozesskostenhilfe und die Beiordnung von Rechtsanwältin F. ab. Der Beschluss wurde nicht angefochten.

Der Kläger beantragt,

  1. 1.

    den Bescheid der Beklagten vom 10.02.2012 und den Widerspruchsbescheid vom 26.06.2012 aufzuheben,

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, ihm Leistungen zur medizinischen Rehabilitation für Abhängigkeitskranke zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Entscheidung lagen die Gerichtsakten und die Akten der Beklagten zugrunde. Auf ihren Inhalt wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig, da der Kläger keinen Anspruch auf die Gewährung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation für Abhängigkeitskranke hat. Ein solcher Anspruch ist im vorliegenden Fall gem. § 12 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI derzeit ausgeschlossen ist. Danach können nämlich Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nicht für Versicherte erbracht werden, die sich in Untersuchungshaft, im Vollzug einer Freiheitsstrafe oder in freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung befinden oder die einstweilig gem. § 126 a Abs. 1 Strafprozessordnung (= StPO) untergebracht sind. Dies ist beim Kläger der Fall, da er zum Vollzug einer Freiheitsstrafe in der JVA D. untergebracht ist.

Eine Auslegung der Vorschrift, die dem Kläger gleichwohl einen Anspruch auf Durchführung der gewünschten Rehabilitationsmaßnahme in Kostenträgerschaft der Beklagten einräumt, kommt nicht in Betracht. Der Gesetzgeber hat in § 12 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI einen eindeutigen Wortlaut gewählt. Der aus dem allgemeinen Sprachgebrauch zu entnehmende Wortsinn bildet dabei den Ausgangspunkt und bestimmt zugleich die Grenze der Auslegung, da das, was jenseits des möglichen Wortsinns liegt, mit ihm auch bei "weitester" Auslegung nicht mehr vereinbar ist, nicht als Inhalt des Gesetzes gelten kann (BSG, Urt. v. 24.06.2003 - B 2 U 45/02 R, Rz. 16, m. w. N.). Die Regelung sollte im Übrigen klare Verhältnisse schaffen und bestimmt, dass die Rehabilitation inhaftierter Personen nicht in den Aufgabenbereich der gesetzlichen Rentenversicherung fällt (Sozialgericht (= SG) Fulda, Beschluss vom 30.03.2011 - S 3 R 85/11 ER, m. w. N.) Eine Gewährung von Reha-Leistungen durch den Rentenversicherungsträger wäre daher erst dann möglich, wenn der Strafvollzug - tatsächlich - ausgesetzt bzw. unterbrochen ist (Kater in Kasseler Kommentar, § 12 SGB VI, Rz. 16). Eine Unterbrechung der Freiheitsstrafe zum Zwecke der Durchführung der Leistung zur medizinischen Rehabilitation wird in § 35 BtMG geregelt. Eine solche Unterbrechung liegt wiederum derzeit nicht vor, da nach der Haftbescheinigung der Justizvollzugsanstalt D. der Kläger dort seit dem 10.04.2013 (wieder) einsitzt, Unterbrechungszeiträume nicht vorhanden sind und die Haft voraussichtlich erst am 24.11.2014 endet. Die im Urteil des Amtsgerichts G. vom 23.05. 2012 (Az.: ) vorab erteilte Zustimmung zur Zurückstellung der Strafvollstreckung i. S. v. § 35 BtMG ist hierfür nicht ausreichend, da diese Zustimmung lediglich ein Element der durch die Vollstreckungsbehörde zu verfügenden Zurückstellung ist (§ 35 Abs. 1 S. 1 BtMG). Auch die Möglichkeit einer bedingten Rehabilitationsgewährung bei Wegfall der Ausschlussvoraussetzungen ist vom Gesetzgeber nicht vorgesehen. Er kann auch nicht durch Auslegung des § 12 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI im Sinne von Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 GG geschaffen werden. Denn die Rentenversicherungsträger und damit in Folge die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit sind nur für die mit der Erwerbsfähigkeit der Versicherten zusammenhängenden Fragen zuständig und nicht für die Aussetzung des Strafvollzuges. Letzteres ist allein Sache der Strafvollzugsbehörden bzw. der Strafvollstreckungsgerichte (§§ 56 ff. Strafgesetzbuch (= StGB)). Im Übrigen hat der Kläger einen Anspruch auf medizinische und ergänzende Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gem. § 58 S. 1, 2, Nr. 4 Strafvollzugsgesetz (= StVollzG). Damit sind die zur Bewältigung der vorliegenden Problematik zur Verfügung stehenden Maßnahmen im Strafgesetzbuch und seinen Nebengesetzen geregelt und von den hierfür zuständigen Behörden durchzuführen (vgl. Hessisches LSG, Beschluss v. 06.01.2011 - L 5 R 486/10 B ER).

Die Entscheidung konnte durch Gerichtsbescheid erfolgen, da der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten hierzu gehört wurden (§ 105 SGG). Sie haben sich auch mit dieser Entscheidungsform einverstanden erklärt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.