Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 07.01.2014, Az.: S 37 AS 463/13 ER
Antrag auf Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz gegen eine Eingliederungsvereinbarung
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 07.01.2014
- Aktenzeichen
- S 37 AS 463/13 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2014, 14255
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2014:0107.S37AS463.13ER.0A
Rechtsgrundlagen
- § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 - 5 SGG
- § 31 Abs. 1 Nr. 1 SGB II
Tenor:
Der Antrag auf Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz vom 03.12.2013 wird abgelehnt. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.)
Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine Eingliederungsvereinbarung als Verwaltungsakt.
Der im Jahr D. geborene Antragsteller hat eine Maurerlehre absolviert und ist Fachkraft für Lagerwirtschaft. Er ist seit Jahren arbeitslos und steht im Leistungsbezug des Antragsgegners. Am 15.10.2013 besprach sein persönlicher Ansprechpartner beim Antragsgegner mit ihm den Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung. Da der Antragsteller diverse Vorbehalte äußerte, wurde ihm der Entwurf der Eingliederungsvereinbarung mitgegeben (Bl. 402 der Akte des Antragsgegners (= VA)). Am 29.10.2013 gab der Antragsteller beim Antragsgegner einen Gegenentwurf ab. Eine Verpflichtung zur Vornahme von Bewerbungen war darin nicht enthalten. Vielmehr war darin u. a. "die Freistellung des Antragstellers vom Zwang, den Sinn seines Lebens und seiner Arbeit mit Gelderwerb zu begründen oder im Gelderwerb suchen zu müssen und die Sicherstellung der für ihn erforderlichen finanziellen Lebensgrundlage" als Zielvereinbarung festgehalten. Auf die Bl. 408 - 410 VA wird vollinhaltlich Bezug genommen. Mit dem Bescheid vom 31.10.2013, zugestellt am 01.11.2013 (Bl. 411 VA), wurde dem Antragsgegner daraufhin eine Eingliederungsvereinbarung als Verwaltungsakt zugestellt. Darin wurden für den Zeitraum 05.11.2013 bis zum 04.05.2014 die vom Antragsgegner zu erbringenden Leistungen und die von ihm zu erbringenden Bemühungen festgehalten. Dem Antragsteller wurde insbesondere aufgegeben, seine Bewerbungsaktivitäten durch mindestens 2 Bewerbungen im Monat auf sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen zu dokumentieren bzw. nachzuweisen. Mit dem hiergegen am 03.01.2013 erhobenen Widerspruch machte er geltend, dass die Eingliederungsvereinbarung unwirksam sei. Über den Widerspruch ist noch nicht entschieden.
Am 04.12.2013 hat der Antragsteller beim Sozialgericht (= SG) Lüneburg einen Antrag auf Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz gestellt und beantragt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Eingliederungsverwaltungsakt vom 31.10.2013 anzuordnen. Zur Begründung hat er vorgetragen, dass der Eingliederungsverwaltungsakt aus mehreren Gründen nichtig, zumindest aber rechtswidrig sei, da er u. a. vor dem Erlass des Verwaltungsakts nicht angehört worden sei, die Bestimmungen über die Kostenerstattung und die Dauer der Eingliederungsvereinbarung zu unbestimmt seien und die Sanktionsregelungen nur eine Absenkung i. H. v. 10 %, nicht aber i. H. v. 30 %, hätten vorsehen dürfen. Außerdem sei in der Eingliederungsvereinbarung nicht darauf hingewiesen worden, dass die Leistungen nur erbracht würden, wenn er einen entsprechenden Antrag vor dem Eintritt des leistungsbegründenden Ereignisses stellen würde. Schließlich seien dem Verwaltungsakt keine ausreichenden Verhandlungen vorausgegangen. Insgesamt seien die Regelungen für einen Normalbürger so unverständlich, dass unter Berücksichtigung aller Umstände von der Nichtigkeit des Eingliederungsverwaltungsakts auszugehen sei.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 31.10.2013 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er hält den Bescheid für rechtmäßig.
Der Entscheidung lagen die Gerichtsakten und die Akten des Antragsgegners zu Grunde. Auf ihren Inhalt wird Bezug genommen.
II.)
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Verwaltungsakt vom 31.10.2013 ist zulässig, aber unbegründet.
Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Der Widerspruch gegen einen Eingliederungsverwaltungsakt hat keine aufschiebende Wirkung, da er die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit oder Pflichten erwerbsfähiger Leistungsberechtigter bei der Eingliederung in Arbeit regelt und die aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels durch Bundesgesetz in diesem Fall ausdrücklich ausgeschlossen wurde (§ 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i. V. m. § 39 Nr. 1 SGB II).
Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs aufgrund von § 86b Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 - 5 SGG ist anhand einer Interessenabwägung zu beurteilen (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.03.2007 - L 13 AS 211/07 ER-B). Die öffentlichen Interessen am sofortigen Vollzug des Verwaltungsakts und die privaten Interessen an der Aussetzung der Vollziehung sind gegeneinander abzuwägen. Je größer die Erfolgsaussichten, umso geringere Anforderungen sind an das Aussetzungsinteresse zu stellen. Ist die in der Hauptsache zulässige Klage aussichtslos, wird die aufschiebende Wirkung nicht angeordnet. Demgegenüber ist die aufschiebende Wirkung anzuordnen, wenn der Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig ist und der Betroffene dadurch in seinen subjektiven Rechten verletzt wird (LSG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 21.03.2012 - L 5 AS 509/11 B ER). Die gegeneinander abzuwägenden Interessen ergeben sich in der Regel aus den Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens, dem Vollziehungsinteresse und der für die Dauer einer möglichen aufschiebenden Wirkung drohenden Rechtsbeeinträchtigung (LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 13.03.2007 - L 13 AS 211/07 ER-B). Hierbei ist wiederum zu beachten, dass das Gesetz mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung in den Fällen des § 86a Abs. 2 Nr. 1 - 5 SGG dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Entscheidung grundsätzlich den Vorrang vor dem Interesse des Betroffenen an einem Aufschub der Vollziehung einräumt.
Nach diesen Maßstäben ist die aufschiebende Wirkung des Rechtmittels gegen den Bescheid vom 31.10.2013 nicht anzuordnen. Zunächst ist feststellen, dass Hinweise für eine Nichtigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsakts nicht existieren. Dies wäre nur dann der Fall, wenn er an einen besonders schweren Fehler leiden würde und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommender Umstände offensichtlich ist (§ 40 Abs. 1 S. 1 SGB X). Ein solcher Fehler liegt jedoch hier nicht vor. Vielmehr ist der Erlass eines Eingliederungsverwaltungsakts ausdrücklich gesetzlich vorgesehen, wenn eine Eingliederungsvereinbarung nicht zustande kommt (§ 15 Abs. 1 S. 6 SGB II). Der Erlass einer Eingliederungsvereinbarung wurde mit dem Antragsteller am 15.10.2013 auch ausführlich besprochen, wobei ihm Gelegenheit gegeben wurde, sich die Vereinbarungen durchzulesen und einen Gegenvorschlag einzureichen (Bl. 402 VA). Es kann daher keine Rede davon sein, dass keine Verhandlungen stattgefunden haben. Weiterhin kann auch die vom Kläger geltend gemachte fehlende Anhörung keinen schweren Fehler darstellen, da gesetzlich bestimmt ist, dass diese ggf. noch nachgeholt werden kann (§ 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X). Auch die vom Kläger gerügte Unbestimmtheit hinsichtlich der Dauer der Eingliederungsvereinbarung kann nicht erkannt werden, da sie grundsätzlich für den Zeitraum vom 05.11.2013 bis zum 04.05.2014 gilt, jedoch vorher endet, wenn der Antragsteller - aus welchen Gründen auch immer - nicht mehr hilfebedürftig ist. Die fehlende Hilfebedürftigkeit ist daher eine zulässige auflösende Bedingung für die Rechte und Pflichten der Beteiligten aus dem Eingliederungsverwaltungsakt und keine Unbestimmtheit. Auch der Hinweis auf die Sanktionsregelungen, nach der bei einem ersten Pflichtverstoß gegen die in der Eingliederungsvereinbarung genannten Verpflichtungen eine Sanktion von 30 % des für den Antragsteller maßgebenden Regelbedarfs erfolgt, entspricht der gesetzlichen Regelung (§ 31a Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 31 Abs. 1 Nr. 1 SGB II). Schließlich ist auch nicht zu erkennen, dass die Formulierungen in dem Eingliederungsverwaltungsakt so unverständlich sind, dass ein Normalbürger im Allgemeinen und der Kläger im Besonderen nicht in der Lage wären, diese zu verstehen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Antragsteller durch den langjährigen Leistungsbezug mit den gesetzlichen Rahmenbedingungen ausreichend vertraut ist. Insgesamt kann daher eine Nichtigkeit des Eingliederungsverwaltungsakts nicht festgestellt werden.
Ob sich der angegriffene Verwaltungsakt möglicherweise aufgrund der geltend gemachten Aspekte als rechtswidrig erweist, kann zwar nicht völlig ausgeschlossen werden. Bei der vorzunehmenden Interessensabwägung war jedoch im konkreten Fall dem Vollziehungsinteresse des Antragsgegners der Vorrang einzuräumen, da eine Rechtsverletzung aufgrund der Eingliederungsvereinbarung nur ganz marginale Folgen nach sich ziehen kann. Vom Antragsteller wird nämlich lediglich verlangt, sich zweimal im Monat auf ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis zu bewerben, dies zu dokumentieren und gegenüber dem Antragsgegner nachzuweisen. Der Antragsgegner hat zu Recht darauf hingewiesen, dass nach dem in § 2 SGB II festgeschriebenen Subsidiaritätsgrundsatz ein Hilfebedürftiger alle Möglichkeiten zur Beseitigung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit ausschöpfen muss und verpflichtet ist, aktiv an allen zumutbaren Maßnahmen der Eingliederung teilzunehmen. Der Subsidiaritätsgrundsatz wurde vom Bundesverfassungsgericht insbesondere Entscheidung vom 09.02 2010 (1 Bvl 1/09 (3/09, 4/09)) bestätigt. Danach muss der Staat die notwendigen materiellen Mittel erst dann im Rahmen seines Auftrags zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung eines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrags bereitstellen, wenn sie der Hilfebedürftige weder aus einer Erwerbstätigkeit noch aus Vermögen noch durch Zuwendungen Dritter erhalten kann (Rz.134). Daraus resultiert im Umkehrschluss die Pflicht eines Hilfebedürftigen, die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit aktiv zu betreiben, wenn ihm keine anderweitigen Mittel zur Verfügung stehen. Vor diesem Hintergrund ist die in dem Eingliederungsverwaltungsakt festgelegte marginale Verpflichtung, lediglich 2 Bewerbungen pro Monat zu tätigen, für den Antragsteller in Ansehung seines Alters, seiner Ausbildung und seines Wohnorts (Celle) zumutbar. Sie liegt im Übrigen deutlich im unteren Bereich der Zumutbarkeit, da die Vornahme von Bewerbungen zum Kernbereich der gesetzlich festgelegten Selbsthilfeobliegenheiten zählt und daher grundsätzlich in eine Eingliederungsvereinbarung Eingang finden muss. Da der Gegenentwurf des Antragstellers keine Bewerbungsbemühungen vorsah, konnte der Antragsgegner die Verhandlungen über eine Eingliederungsvereinbarung außerdem als gescheitert ansehen. Ernsthafte Nachteile des Antragstellers durch die Vornahme der geforderten Bewerbungen sind schließlich auch dann nicht erkennbar, wenn sich die eine oder andere Bestimmung der Eingliederungsvereinbarung als rechtswidrig erweisen sollte. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Frage einer möglichen Sanktion nicht in diesem Verfahren relevant werden kann, weil hierfür ein gesondertes Verwaltungsverfahren durchzuführen wäre, wobei gegen eine für den Antragsteller ungünstige Entscheidung weitere Rechtsbehelfe gegeben sind. Eine Verpflichtung des Staates, Leistungsempfänger "vom Zwang, den Sinn des Lebens und der Arbeit mit Gelderwerb zu begründen oder im Gelderwerb suchen zu müssen" freizustellen, entspricht im Übrigen weder dem Gesetz noch ist diese verfassungsrechtlich geboten.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.