Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 31.07.2013, Az.: S 2 U 143/11

Entziehung einer aufgrund einer Berufskrankheit nach der Ziffer 4302 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (hier: BK 4302) gewährten Rente aufgrund der Normalisierung der Schädigungen

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
31.07.2013
Aktenzeichen
S 2 U 143/11
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 50278
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGLUENE:2013:0731.S2U143.11.0A

Tenor:

  1. 1.)

    Die Klage wird abgewiesen.

  2. 2.)

    Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Entziehung einer Rente, die aufgrund einer Berufskrankheit nach der Ziffer 4302 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (hier: BK 4302) gewährt worden war.

Die im Jahr 1969 geborene Klägerin absolvierte von 1985 - 1989 eine Ausbildung zur Maschinenschlosserin. Von Februar 1989 - April 1990 war sie bei der D. beschäftig und mit der Reparatur von Bremszylindern und der Einrichtung von Waggons betraut. Bei diesen Tätigkeiten traten keine arbeitsplatzbezogenen Beschwerden auf.

Von Mai 1990 - Oktober 1992 war sie bei der E. als Dreherin beschäftigt. Dort hatte sie Kontakt zu Kühlschmierstoffen und Metallstaub. Dabei kam es nach ihren Angaben zu einem Hautausschlag an den Händen mit dem Auftreten von Bläschen. Von April 1993 - Februar 1995 überwachte sie in der Schleiferei/Poliererei der F. Fertigungsabläufe und richtete Schleif- und Poliermaschinen ein. Dabei hatte sie Kontakt zu Schleifstaub sowie beim Abziehen der Polierscheiben zu faserigem Staub. Von Februar 1995 - April 1997 war sie beim gleichen Arbeitgeber mit dem Ein-richten von Automaten betraut. Die gleiche Tätigkeit führte sie für die G. von April 1997 - Oktober 1999 aus. Dabei hatte sie insbesondere Kontakt zu mehreren Kühlschmiermitteln. Während dieser Tätigkeit traten bei ihr Augen- und Nasenbrennen, eine Brustenge und ein Kloßgefühl im Hals auf.

Während des Mutterschutzes und des Erziehungsurlaubs (Oktober 1999 - Dezember 2002) und der nachfolgenden Erwerbslosigkeit bis August 2003 war sie weitgehend beschwerdefrei. Nur beim Basteln mit Klebstoffen und Lösungsmitteln im häuslichen Umfeld entwickelte sich erneut ein Hautausschlag.

Ab dem 13.08.2003 war sie als Dreherin bei der H. tätig. Dabei war sie gegenüber Metall- und Bakelitstäuben sowie Kühlschmierstoff-Aerosolen und Phenolharz exponiert. Nach ihren Angaben kam es dabei immer wieder zu einem Ausschlag an den Händen mit Bläschenbildung. Ab Juli 2004 seien stechende Kopfschmerzen, eine allgemeine Erschöpfung, Luftnot bei Treppensteigen, ein blutiges Nasensekret, ein Kloßgefühl im Hals und ein nicht-produktiver Husten aufgetreten, wobei sich die Beschwerden in der Urlaubszeit jeweils zurückbildeten. Im März und im August 2006 kam es am Arbeitsplatz jeweils zu einem Asthmaanfall. Seit dem 14.08.2006 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt.

Die internistisch-pneumologischen Untersuchungen des behandelnden Arztes Dr. I. am 27.03.2006, 12.05.2006 und 29.08.2006 erbrachten die Diagnose eines "Intrinsic-Asthma und eines hyperreagiblen Bronchialsystems mit hochgradiger Empfindlichkeit". Die weiteren Messwerte der Lungenfunktion hätten eine im Wesentlichen ungestörte ventilatorische und respiratorische Lungenfunktion in Ruhe zu den o. g. Untersuchungszeitpunkten angezeigt. Das Atopie-Screening im Haut-Prick-Test sei negativ gewesen. Im Bericht vom 12.05.2006 ging Dr. I. außerdem davon aus, dass aufgrund der Summationswirkung beruflicher und nicht beruflicher Einflüsse eine Bronchitis entstanden sei. Eine im J. am 06.07.2007 durchgeführte Videostroboskopie ergab ein Stimmlippenoedem mit dem bei Verdacht auf einen layrngo-pharyngealen Reflux (Bl. 64 der Akte der Beklagten (= BA)). Als außerberufliche Schadstoffexposition ist seit dem 17. Lebensjahr ein Nikotinabusus von ca. 1 Schachtel/Tag bekannt, der ab ca. 2006 reduziert wurde. Nach dem Gutachten der Dres. Prof. K., L. und M. vom 24.09.2007 ist diese Exposition mit ca. 20 pack-years einzuschätzen (Bl. 70 BA).

Am 14.08.2006 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Anerkennung einer Berufskrankheit (Bl. 370 BA). Unter dem 24.09.2007 erstatteten die Dres. Prof. K., L. und M. ein arbeitsmedizinisch-internistisches Zusammenhangsgutachten. Darin gelangten sie zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin eine BK 4302 mit einer leichten obstruktiven Atemwegserkrankung vorliegen würde. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (= MdE) würde 20 % betragen. Neben einem langjährigen Nikotinkonsum sei aufgrund der Arbeitsanamnese von einer wesentlichen Teilverursachung durch eine langjährige berufliche Exposition gegenüber Kühlschmiermitteln auszugehen. Mit dem Bescheid vom 01.09. 2009 erkannte die Beklagte eine BK 4302 und als deren Folge "eine leichte obstruktive Atemwegsstörung mit übermäßiger Empfindlichkeit der Bronchien" an. Außerdem gewährte sie ab dem 01.08.2007 eine Rente nach einer MdE i. H. v. 20 % als vorläufige Entschädigung (Bl. 236 BA).

Unter dem 04.04.2011 erstatteten die Dres. Prof. K., L. und M. ein weiteres arbeitsmedizinisch-internistisches Zusammenhangsgutachten. Darin gelangten sie zu dem Ergebnis, dass sich die Lungenfunktion abgesehen von einer grenzwertigen Einschränkung der endexspiratorischen Flüsse weitgehend normalisiert habe. Es sei daher zu einer Besserung der Befunde gekommen, so dass die MdE nur noch 10 % betragen würde (Bl. 418 BA). Mit dem Bescheid vom 09.05.2011 entzog die Beklagte die Rente gemäß § 48 SGB X mit Wirkung für die Zukunft (Anmerkung: Im Verfügungssatz des Bescheids wurde allerdings der 31.05.2010 als Entziehungszeitpunkt genannt (= 468 BA)). Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass die berufliche Schadstoffexposition bei ihr auch Schleimhautschäden verursacht hätte, die sich täglich in Form von Heiserkeit, einem blutigen Nasensekret und einem Engegefühl bei körperlicher Belastung äußern würden. Diese Begleiterkrankungen seien zwar in den Gutachten beschrieben, jedoch nie von der Beklagten berücksichtigt worden. Der Widerspruch wurde mit dem Widerspruchsbescheid vom 04.11.2011 zurückgewiesen.

Hiergegen hat die Klägerin am 16.11.2011 durch ihre Prozessbevollmächtigte beim Sozial-gericht (= SG) Klage erhoben und geltend gemacht, dass sie immer noch unter den Folgen der eingeatmeten Stäube leiden würden. Sie habe ein allergisches Asthma und eine Schädigung der Schleimhäute erlitten. Sie sei unentwegt heiser, habe ein krustiges Nasen-sekret und bekomme bei körperlicher Belastung Atemnot und ein Engegefühl. Bei ihrer Tätigkeit als kaufmännische Sachbearbeiterin würde immer wieder ihre Stimme versagen. Sie habe auch ständig das Gefühl, einen Kloß im Kehlkopfbereich zu haben. Sie habe einen Logopäden aufgesucht, um die Heiserkeit beizulegen. Sämtliche logopädische Behandlungen seien in dieser Hinsicht fehlgeschlagen. Im Schreiben vom 03.09.2012 wurde die Prozessbevollmächtigte der Klägerin darauf hingewiesen, dass das entschädigungs-fähige Störungsbild der BK 4302 nur eine obstruktive Atemwegserkrankung beinhalten würde. Demgegenüber könnten die zusätzlich geltend gemachten Gesundheitsstörungen im Rahmen der BK 4102 nicht berücksichtigt werden. Daraufhin hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin mitgeteilt, dass die Klägerin weiterhin unter einer manifesten obstruktiven Atemwegserkrankung leiden würde.

Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt,

  1. 1.

    den Bescheid der Beklagten vom 09.05.2011 und den Widerspruchsbescheid vom 04.11.2011 aufzuheben,

  2. 2.

    die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin weiterhin eine Rente zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Nachdem die Klägerin eine Umschulung absolviert hat, ist sie seit Februar 2010 in Vollzeit als Disponentin an einem Büroarbeitsplatz tätig (Bl. 405 BA).

Der Entscheidung lagen die Akten der Beklagten und die Gerichtsakten zugrunde. Auf ihren Inhalt wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtene Entscheidung der Beklagten ist rechtmäßig, da sich die Folgen der anerkannten BK 4302 wesentlich gebessert haben und daher die Klägerin ab dem 31.05.2011 keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente hat.

Aus gegebenem Anlass wird zunächst darauf hingewiesen, dass der Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens lediglich den Bescheid der Beklagten vom 09.05.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.11.2011 umfasst (Bl. 468, 484 BA). Damit wurde die der Klägerin mit Bescheid vom 01.12.2009 gewährte Rente gem. § 48 SGB X entzogen. Mit dem Bescheid vom 01.12.2009 wurde seinerzeit als Grundlage für die Rentenzahlung wiederum (nur) eine BK 4302 anerkannt. Die Bezeichnung der Berufskrankheit lautet:

"Durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können".

Als Folge der BK 4302 wurde seinerzeit eine "leichte obstruktive Atemwegsstörung mit übermäßiger Empfindlichkeit der Bronchien" anerkannt. Eine allergische Erkrankung, die im Übrigen nur im Rahmen einer BK 4301 anerkennungsfähig wäre, wurde demgegenüber seinerzeit nicht festgestellt und war auch nicht Gegenstand des Bescheids. Ein allergisches Asthma kann daher auch in diesem Verfahren keine Berücksichtigung finden.

Gem. § 48 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (= SGB X) ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine Verschlimmerung des Unfallfolgenzustandes ist dabei nur dann eine wesentliche Änderung i. S. der obigen Vorschrift, wenn sich hierdurch der Grad der MdE um mehr als 5 % verändert (§ 73 Abs. 3 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (= SGB VII)). Entscheidend für die Feststellung, ob eine wesentliche Änderung i. S. des § 48 Abs. 1 SGB X vorliegt, ist ein Vergleich zwischen den objektiven Verhältnissen, d. h. den objektiven Befunden im Zeitpunkt des Erlasses der bindend gewordenen letzten bescheidmäßigen Feststellung der Leistung und dem Zustand im Zeitpunkt der Neufeststellung (Schütze in v. Wulffen, Kommentar zum SGB X, 7. Aufl., § 48 Rz. 5, 6, m. w. N.).

Mit der Klage wurde zwar geltend gemacht, dass die Klägerin weiter unter Atemnot und einem Engegefühl bei Belastung leidet. Im Rahmen der BK 4302 können jedoch nicht sämtliche Atemwegserkrankungen, sondern spezifisch nur eine "obstruktive Atemwegserkrankungen" berücksichtigt werden, welche sich wiederum durch eine Erhöhung der Atemwegswiderstände auszeichnet. Bei der Untersuchung am 30.08.2010 war jedoch diesbezüglich eine deutliche Besserung festzustellen, da bis auf eine leichte Einschränkung der endexspiratorischen Flusswerte ein normaler Befund für die Atemwegswiderstände und -volumina vorlag (Bl. 411 VA). Die Einschätzung dieses Befunds mit einer MdE von 10 % im Gutachten der Dres. Prof. K. L. und M. vom 04.04.2011 ist daher überzeugend und korrespondiert im Übrigen mit den Angaben der Klägerin, nach denen ihr Asthma nicht mehr so ausgeprägt sei wie im Jahr 2006 (Bl. 464 VA). Es wird darauf hingewiesen, dass auch die im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten im sozialgerichtlichen Verfahren verwertbar sind (vgl. BSG, Urt. v. 08.12.1988 - 2/9b RU 66/87; BSG SozR Nr. 66 zu § 128 SGG). Sie sind insbesondere keine Parteigutachten, da die Sozialversicherungsträger im Rahmen des für sie geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes zur Objektivität verpflichtet sind (§§ 20 SGB X, 17 SGB I).

Die weiteren von der Klägerin geltend gemachten Beschwerden (Heiserkeit, Schädigung der Nasenschleimhäute, Kloßgefühl im Kehlkopfbereich, Hautirritationen) gehören demgegenüber nicht zum entschädigungsfähigen Störungsbild der BK 4302 und konnten bzw. können daher in die MdE-Bemessung keinen Eingang finden (siehe Mehrtens/Branden-burg, Kommentar zur BKV, M 4302, Rz. 2, m. w. N.). Von der BK 4302 werden vielmehr nur obstruktive Erkrankungen der tieferen Luftwege, nicht jedoch Erkrankungen der höheren Luftwege, der Nasenschleimhäute oder eine Rhinopathie erfasst (so ausdrücklich BSG, Urt. v. 30.10.2007 - B 2 U 15/06 R, Rz. 16). Ob es sich bei den geltend gemachten zusätzlichen Beschwerden um Folgen einer Berufskrankheit bzw. einer sog. "Wie-BK" gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII handelt, müsste vielmehr in gesonderten, von der Beklagten durchzuführenden Feststellungsverfahren geprüft werden.

Schließlich wird darauf hingewiesen, dass der im Bescheid vom 09.05.2011 genannte Entziehungszeitpunkt (31.05.2010) bei Würdigung des gesamten Sachverhalts eine offenbare Unrichtigkeit darstellt und eine Entziehung der Rente erst ab dem 31.05.2011 erfolgt ist. Dies ergibt sich insbesondere aus der im Bescheid verwendeten Formulierung, dass der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben war, sowie aus dem Protokoll über die Zahlungseinstellung, in dem als Soll-Wegfall-Monat der Mai 2011 angegeben ist (Bl. 476 BA).

Die Entscheidung konnte durch Gerichtsbescheid (§ 105 SGG) erfolgen, da der Sachverhalt, soweit er für die Entscheidung bedeutsam ist, geklärt ist und die Beteiligten hierzu gehört wurden. Die Beteiligten haben sich auch mit dieser Entscheidungsform einverstanden erklärt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.