Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 11.06.2013, Az.: S 22 SO 29/12
Höhe des Anspruchs eines vollstationär untergebrachten Behinderten auf Bekleidungshilfe
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 11.06.2013
- Aktenzeichen
- S 22 SO 29/12
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2013, 50652
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2013:0611.S22SO29.12.0A
Rechtsgrundlage
- § 27b Abs. 2 S. 1 SGB XII
Tenor:
- 1.
Der Bescheid vom 13.10.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.01.2012 wird insoweit aufgehoben, als darin die Erstattung eines Betrages i.H.v. 156,89 Euro abgelehnt wird. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 156,89 Euro als Bekleidungshilfe zu zahlen.
- 2.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Erstattung eines Betrages von 156,89 Euro, die der Kläger als Bekleidungshilfe von dem Beklagten begehrt.
Der I. geborene Kläger ist vollstationär in einer Einrichtung in J. untergebracht und erhält Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII.
Im Oktober 2011 wollte der Kläger Kleidung für sich anschaffen. Seine Betreuerin fragte per E-Mail vom 06.10.2012 bei dem neu zuständigen Sachbearbeiter bei dem Beklagten an und erhielt per Mail die Auskunft, er solle wie im letzten Jahr vorgehen, also nach dem Kleidungskauf die Quittungen einreichen und diese würden dann erstattet werden.
Der Bekleidungskauf fand am 11.10.2011 statt. Der Kläger kaufte für insgesamt 266,89 Euro Kleidung ein. Im Einzelnen kaufte er zwei Hosen für 69,99 Euro bzw. 79,99 Euro und zwei Pullover für 49,95 Euro bzw. 79,95 Euro, was abzüglich eines Aktionsrabattes von 12,99 Euro den genannten Betrag in Höhe von 266,89 Euro ergab. Den Einkauf tätigte er zusammen mit seiner Betreuerin und seiner Mutter, welche den Betrag vorstreckte.
Seine Betreuerin reichte am 12.10.2011 die Quittungen ein.
Mit Bescheid vom 13.10.2011 erstattete der Beklagte einen Betrag in Höhe von 110,00 Euro und lehnte eine darüber hinausgehende Erstattung ab. Er begründete dies damit, dass ausweislich der dem Landkreis vorliegenden Preisliste die Bekleidung zu unangemessenen Preisen angeschafft wurde. Je Hose würden nur 35,00 Euro, je Pullover nur 20,00 Euro erstattet.
Hiergegen legte der Kläger, vertreten durch seine Betreuerin, form- und fristgerecht Widerspruch ein. Die Betreuerin begründete diesen damit, dass sie im Jahr zuvor verschiedene Kleidung zu höheren Preisen als in der genannten Preisliste eingekauft und diese auch erstattet bekommen habe. Sie prüfe den Bekleidungsbedarf für den Kläger vor jedem Einkauf und habe auch vor diesem Einkauf festgestellt, dass der Bedarf an Bekleidung für den Kläger dann für das laufende Jahr gedeckt sei. Zudem dürfe der Kläger als behinderter Mensch nicht auch noch in der Auswahl seiner Bekleidung eingeschränkt werden.
Der Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 31.01.2012 mit der Begründung zurück, dass die Bekleidung zu unangemessenen Preisen angeschafft worden sei. Zwar stünde dem Kläger entsprechend den Niedersächsischen Ausführungsbestimmungen zum SGB XII vom 03.03.2010 ein Dispositionsbetrag für die Bekleidungsbeihilfe in Höhe von 282,- Euro jährlich zu. Er sei jedoch gehalten, lediglich den notwendigen Bedarf zu decken und zu günstigen Preisen einzukaufen.
Mit der am 29.02.2012 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er verweist insbesondere darauf, dass auch im Jahre 2010 Kleidungsstücke zu höheren Preisen als in der Preisliste angegeben erstattet worden seien, zudem darauf, dass der Dispositionsbetrag von 282,00 Euro mit seinem Einkauf nicht ausgeschöpft worden war. Er benötige Kleidung von guter Qualität, da diese in der Einrichtung in großen Industriemaschinen mit harten Waschmitteln gewaschen und getrocknet werde. Bei jedem Einkauf sei auf die Materialzusammensetzung genauestens zu achten. Einige Pullover seien schon eingelaufen. Kleidung von guter Qualität halte hingegen auch mal fünf Jahre. Nach den Angaben der Betreuerin beanspruche er die Kleidung zudem in besonderem Maße, da er sich laufend in den Schritt greife und die Kleidung auf eine Art und Weise ausziehe, dass sie besonders beansprucht werde. Schließlich verweist er darauf, dass es an einer Ermächtigungsgrundlage für die vom Beklagten herangezogene Preisliste mangele.
Der Kläger beantragt,
- 1.
der Bescheid vom 13.10.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.01.2012 wird insoweit aufgehoben, als darin die Erstattung eines Betrages in Höhe von 156,89 Euro abgelehnt wird,
- 2.
der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 156,89 Euro als Bekleidungshilfe zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist er auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage hat in vollem Umfang Erfolg
Der Kläger hat einen Anspruch auf Erstattung weiterer 156,89 Euro als Bekleidungsbeihilfe für das Jahr 2011. Gemäß § 27b Abs. 2 Satz 1 SGB XII erhalten volljährige Leistungsberechtigte Kleidung als Teil des notwendigen Lebensunterhalts. Ausweislich der Niedersächsischen Ausführungsbestimmungen zum SGB XII vom 03.03.2010 ist gemäß der dortigen Ziffer 35.02.01.02 ein Betrag in Höhe von 282,- Euro jährlich festgesetzt.
Die vom Kläger angeschaffte Kleidung bewegt sich innerhalb dieses Betrages und war auch notwendig. Der Kläger hat nicht zu unangemessenen Preisen eingekauft. Der Begriff der Notwendigkeit ist ein unbestimmter Rechtsbegriff und bedarf der Konkretisierung durch die Rechtsprechung. Diese Konkretisierung erfolgt anhand der fallbezogenen zugrunde zu legenden Tatsachen. Im vorliegenden Fall ist bei der Bestimmung der Notwendigkeit zu berücksichtigen, dass der Kläger in einer stationären Einrichtung wohnt, in der die Bekleidung sämtlicher Bewohner in großen Industriemaschinen mit starken Waschmitteln gewaschen und getrocknet wird. Dies ergibt sich aus den unbestrittenen und glaubhaften Angaben der Betreuerin des Klägers und ist auch der erkennenden Kammer bekannt. Da bei der Kleiderpflege in voll stationären Einrichtungen nicht jedes Wäschestück einzeln angeschaut und die Pflegehinweise beachtet werden können, ist es unumgänglich, dass die Bewohner sehr strapazierfähige Kleidung erhalten. Daher muss bereits beim Einkauf auf die Materialzusammensetzung und die Pflegehinweise geachtet werden. Zudem müssen sowohl der Stoff als auch die für die Nähte verwendeten Fäden und Garne vor der Anschaffung geprüft werden. Anderenfalls käme es zu einem sehr hohen Verschleiß und damit sehr hohem Bedarf an Kleidung. Im Falle des Klägers ist es zudem nach den unbestrittenen glaubhaften Angaben der Betreuerin so, dass er die Kleidung in besonderer Weise beansprucht. Der Kläger greift sich laufend in den Schritt und zieht die Kleidung auf eine Art und Weise aus, dass sie überdehnt wird. Schließlich ergibt sich auch aus dem Einkaufsverhalten des Klägers in den Vorjahren nichts anderes. Der Kläger hat auch bisher auf eine Art und Weise eingekauft, die es ihm ermöglicht, nicht jedes Jahr alle Wäschestücke neu anschaffen zu müssen. Vielmehr erweist sich sein Einkaufsverhalten als ausgesprochen wirtschaftlich, da die Kleidung mehrere Jahre überdauert. Dies ergibt sich ebenfalls aus den unbestrittenen und glaubhaften Angaben der Betreuerin.
Für die ungeprüfte Anwendung der vom Beklagten zu Grunde gelegten Preisliste verbleibt kein Raum. Das Gericht verkennt nicht, dass es für die Verwaltungspraxis unumgänglich ist, Orientierungshilfen zu erstellen. Nichts anderes kann die in Bezug genommene Preisliste aber sein. Jedoch vermag sich aus einer derartigen Preisliste keine Einschränkung der Verwendung des Betrages herleiten, über den Hilfeempfänger nach den Ausführungsbestimmungen jährlich verfügen können. Abgesehen davon, dass nicht ersichtlich ist, auf welcher Grundlage und in welchem Zeitraum die Preisliste erstellt wurde, ist in jedem Einzelfall der konkrete notwendige Bedarf zu prüfen. Insbesondere hat sich der Beklagte bei der Entscheidung mit den konkret vorgetragenen Umständen für die Notwendigkeit der Beschaffung von qualitativ hochwertiger Kleidung auseinanderzusetzen und in seine Begründung einzubeziehen. Dabei ist auch das Einkaufsverhalten des Betroffenen in den letzten Jahren zu berücksichtigen, da sich in der Regel erst daraus der im laufenden Jahr notwendige Bedarf ergibt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Es entspricht billigem Ermessen, dem unterliegenden Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.