Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 13.02.2020, Az.: 13 ME 387/19

Abschiebung; Abschiebungsandrohung; Abschiebungsverbot, zielstaatsbezogenes; Amtsarzt; Amtsermittlungspflicht, richterliche; Antragserweiterung; Assoziationsabkommen; Aufenthaltserlaubnis; Aufenthaltsrecht; aufschiebende Wirkung; Ausreise; Ausreiseaufforderung; beantragt; Befundbericht; Begleitung; Behandlungsmöglichkeiten; Beschäftigung, ordnungsgemäße; beschäftigungsbezogen; Beschwerde; Beteiligung; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge; Darlegungen; dauerhaft; Duldungsgrund; Einreise- und Aufenthaltsverbot; einstweilige Regelungsanordnung; einstweilige Sicherungsanordnung; Erkrankung, psychische; Erteilung; Erteilungsvoraussetzung; erwerbstätigkeitsbezogen; erzwungen; Fiktion; Fortbestandsfiktion; freiwillig; glaubhaft; Gutachten; Hindernis; Hochschule; humanitär; krankheitsbezogen; Reiseunfähigkeit; Rückführung; selbstbestimmt; studienbezogen; Studierunfähigkeit; Suizidalität; Türkei; überschießend; Verlängerung; Versagungsgrund; Vollstreckungshindernis, inlandsbezogenes; Vorkehrungen; vorübergehend

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
13.02.2020
Aktenzeichen
13 ME 387/19
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 71628
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 14.11.2019 - AZ: 11 B 2969/19

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes versagenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg - Einzelrichter der 11. Kammer - vom 14. November 2019 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 14. November 2019 bleibt ohne Erfolg.

1. Mit diesem Beschluss hat das Verwaltungsgericht den Antrag des Antragstellers, gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt. VwGO die aufschiebende Wirkung der vom Antragsteller am 27. September 2019 gegen den Ablehnungsbescheid der Antragsgegnerin vom 26. August 2019 erhobenen Klage 11 A 2821/19 anzuordnen, als unbegründet abgelehnt. Die hiergegen dargelegten Gründe, auf die sich der Senat bei seiner Prüfung im Beschwerdeverfahren gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, gebieten eine Abänderung des angefochtenen Beschlusses im Sinne des Antragstellers nicht.

a) Das gilt zunächst für die in Ziffer I. des Bescheides hauptsächlich verfügte Versagung einer Aufenthaltserlaubnis, welche die durch rechtzeitig am 13. November 2018 (Bl. 63/63R der BA 001) gestellten Verlängerungsantrag ausgelöste Fortbestandsfiktion (§ 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG) beseitigt hat und welcher gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG in Verbindung mit § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO kraft Gesetzes sofortige Vollziehbarkeit zukommt. Sie ist nach einer materiellen Abwägung des öffentlichen Vollzugsinteresses mit dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers nicht gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt. VwGO zu suspendieren, weil das letztgenannte Interesse das erstgenannte nicht überwiegt. Denn aufgrund einer im Eilrechtsstreit gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage spricht derzeit nicht Überwiegendes dafür, dass die Ablehnung einer Verlängerung oder Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis rechtswidrig ist.

aa) Die der Argumentation der Antragsgegnerin im Bescheid vom 26. August 2019 entsprechend § 117 Abs. 5 VwGO folgende Entscheidung des Verwaltungsgerichts, einer Verlängerung der bis zum 3. Dezember 2018 (Bl. 103 der BA 001) gültig gewesenen studienbezogenen Aufenthaltserlaubnis (§ 16 Abs. 1, Abs. 4 Satz 3, Abs. 2 Satz 4 AufenthG) des Antragstellers (nunmehr für ein Studium der Fachrichtung „Bachelor of Engineering“ an der C. -Hochschule D.) stehe der besondere Versagungsgrund aus § 20c Abs. 2 Nr. 5 AufenthG entgegen, auf den sich die Antragsgegnerin in rechtmäßiger (ermessensfehlerfreier) Weise gestützt habe, wird von der Beschwerde nicht mit durchgreifendem Vorbringen in Zweifel gezogen.

Nach dieser Norm kann der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (u.a.) nach § 16 AufenthG abgelehnt werden, wenn Beweise oder konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Ausländer den Aufenthalt zu anderen Zwecken nutzen wird als zu jenen, für die er die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis beantragt. Dass konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine derartige „Zweckentfremdung“ eines studienbezogenen Aufenthaltstitels hier droht, hat die Antragsgegnerin auf Seiten 2 f. ihres Bescheides vom 26. August 2019 umfassend aufgrund der in der Ausländerakte (BA 001) dokumentierten Erkenntnisse zu dem bisherigen Verhalten des Antragstellers in der Vergangenheit (v.a. im Sommersemester 2019, dem 1. Fachsemester in dem betreffenden Studiengang, in welchem der Antragsteller auf der Basis der Fortbestandsfiktion an der C. -Hochschule eingeschrieben war) begründet. Sie hat insbesondere auf die zeitlichen Diskrepanzen zwischen den arbeitsvertraglichen Verpflichtungen des Antragstellers gegenüber dem Unternehmen des Bruders E. A. (Fa. F. G.) in A-Stadt einerseits und dem Studienstundenplan verwiesen, deutliche Anhaltspunkte für einen zeitlich überwiegenden Aufenthalt des Antragstellers in A-Stadt statt in D. (ausschließlich von Firmen in A-Stadt vorgenommene Abbuchungen vom Bankkonto; regelmäßige Mietzahlungen für eine weiterhin unterhaltene gesonderte Wohnung in A-Stadt; fehlende Erreichbarkeit in der Unterkunft in D. zu verschiedenen Tageszeiten) zusammengetragen und betont, der Antragsteller habe im betreffenden Semester an keiner Prüfungsklausur teilgenommen und sich auch für das Wintersemester 2019/20 nicht fristgerecht zurückgemeldet. Darüber hinaus hat die Antragsgegnerin die zeitlich vor der Beantragung einer studienbezogenen Aufenthaltserlaubnis vom Antragsteller verschiedentlich erfolglos unternommenen Versuche, erwerbstätigkeitsbezogene Titel (Blaue Karte EU bzw. beschäftigungsbezogene Aufenthaltserlaubnisse nach §§ 18, 18a AufenthG) zu erlangen, in Erinnerung gerufen und das jetzige Begehren nach einem studienbezogenen Aufenthaltstitel in der Gesamtschau mit den bereits genannten Erkenntnissen als Umgehungsversuch gewertet. Schließlich hat sie Ausführungen zur Ausübung des Ermessens nach § 20c Abs. 2 Nr. 5 AufenthG gemacht.

Dem tritt die Beschwerdebegründung vom 10. Dezember 2019 (Bl. 228 ff. der GA) im Kern nur mit dem Vortrag entgegen, der Antragsteller sei infolge Einsamkeit, Isolation und Überforderung mit dem Leben in D. aus gesundheitlichen Gründen schon Mitte des Sommersemesters 2019 studierunfähig geworden; er habe sich inzwischen gleichwohl für das laufende Wintersemester 2019/20 immatrikuliert, jedoch krankheitsbedingt nicht studiert. Dieses Vorbringen, dass sich nach Art einer protestatio facto contraria in schlichten gegenteiligen Behauptungen (ohne Glaubhaftmachung der abweichend behaupteten Tatsachen) erschöpft, setzt sich nicht hinreichend mit der Vielzahl der von der Antragsgegnerin zusammengetragenen und vom Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung bestätigten Indizien für eine „Zweckentfremdungsabsicht“ des Antragstellers im Sinne des § 20c Abs. 2 Nr. 5 AufenthG auseinander und entkräftet sie daher nicht. Überdies ist es widersprüchlich, weil an anderer Stelle der Beschwerdebegründung (Seite 3 = Bl. 230 der GA) betont wird, der Antragsteller sei erst seit dem 9. September 2019 arbeitsunfähig krankgeschrieben und seit dem 17. September 2019 in psychiatrischer Behandlung. Dieser Monat lag bereits außerhalb des Sommersemesters 2019 (vgl. die Immatrikulationsbescheinigung der C. -Hochschule D. v. 22.2.2019 auf Bl. 47 der GA). Dass es Belege für eine vorher eingetretene krankheitsbezogene Studierunfähigkeit nicht gebe, räumt die Beschwerdebegründung sogar ein (a.a.O.). Die Ermessensentscheidung der Antragsgegnerin wird nicht mit Darlegungen angegriffen.

Angesichts des dem Verlängerungsbegehren nach alledem voraussichtlich rechtmäßig entgegengehaltenen Versagungsgrundes aus § 20c Abs. 2 Nr. 5 AufenthG kommt es auf das weitere Beschwerdevorbringen zu den positiven Voraussetzungen eines Verlängerungsanspruchs aus § 16 Abs. 4 Satz 3, Abs. 2 Satz 4 AufenthG, insbesondere auf die diesbezüglichen Auswirkungen einer aktuellen, vorübergehenden Studierunfähigkeit infolge einer psychischen Erkrankung des Antragstellers, nicht mehr an.

bb) Soweit das Verwaltungsgericht ferner einen Anspruch des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG verneint hat, fehlt es der Beschwerdebegründung vom 10. Dezember 2019 entgegen § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO bereits an hiergegen gerichteten hinreichenden Darlegungen, so dass die Beschwerde insoweit unzulässig ist (§ 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO). Denn mit der Formulierung „Der Antragsteller könnte Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG haben …“ (Seite 4 = Bl. 231 der GA) wird lediglich eine Hypothese geäußert, nicht jedoch der diesbezüglichen Entscheidung des Verwaltungsgerichts im angefochtenen Beschluss dezidiert und überzeugend entgegengetreten. Ungeachtet dessen ist auch in der Sache ein Anspruch aus § 25 Abs. 5 AufenthG nicht glaubhaft (§ 294 Abs. 1 ZPO analog) gemacht.

(1) Nicht ersichtlich ist bereits, dass der Antragsteller die Erteilung eines derartigen humanitären Aufenthaltstitels überhaupt gemäß § 81 Abs. 1 AufenthGbeantragt hätte. Der Schriftsatz der Rechtsanwältin H., seiner früheren Prozessbevollmächtigten, vom 12. November 2018 (eingegangen beim Berliner Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten als damals zuständiger Ausländerbehörde am 13.11.2018, Bl. 63/63R der BA 001) bezieht sich explizit nur auf eine Verlängerung der bisher innegehabten studienbezogenen Aufenthaltserlaubnis. Desgleichen lässt sich dem Belegblatt zur Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG, die anlässlich der Vorsprache des Antragstellers bei der Ausländerbehörde A-Stadt vom 3. Dezember 2018 (Bl. 70R der BA 001) ausgestellt wurde, (konkludent) nur ein Begehren nach Verlängerung dieser Aufenthaltserlaubnis entnehmen; hierüber hat die Antragsgegnerin mit ihrem Bescheid vom 26. August 2019 entschieden.

(2) Selbst wenn man jedoch davon ausginge, dass spätestens am 3. Dezember 2018 zugleich die Erteilung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG beantragt wurde, liegen dessen materielle Erteilungsvoraussetzungen nicht vor.

Nach dieser Norm kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist (Satz 1). Die Aufenthaltserlaubnis soll erteilt werden, wenn die Abschiebung seit achtzehn Monaten ausgesetzt ist (Satz 2). Eine Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist (Satz 3). Ein Verschulden des Ausländers liegt insbesondere vor, wenn er falsche Angaben macht oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt (Satz 4). Schon eine Erfüllung der in Satz 1 der Vorschrift geregelten Voraussetzungen ist nicht glaubhaft gemacht.

(a) Denn das Beschwerdevorbringen zielt von vornherein nicht auf die Darlegung unabsehbar lang (dauerhaft) bestehender Hindernisse gleich welcher Art ab, wie sie § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG jedoch tatbestandlich verlangt. Vielmehr betont die Beschwerdebegründung in anderem Zusammenhang (Seite 3 = Bl. 230 der GA) gerade, dass es sich bei der aktuellen psychotherapeutisch und medikamentös behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung des Antragstellers, aus der ein Hindernis abgeleitet werden soll, um einen vorübergehenden Zustand handele. Hierfür spricht auch aus Sicht des Senats alles.

(b) Im Übrigen ist die besondere Erteilungsvoraussetzung einer rechtlichen oder tatsächlichen Unmöglichkeit der Ausreise aus § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG ohnehin nicht erfüllt. Denn unter „Ausreise“ in diesem Sinne ist - in Abgrenzung zu dem Duldungsgrund aus § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG, der nur eine Abschiebung in den Blick nimmt - sowohl die freiwillige Ausreise als auch die zwangsweise Rückführung (Abschiebung) zu verstehen (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung v. 7.2.2003, Entwurf eines Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz), BT-Drs. 15/420, S. 79 f.). Eine Ausreise ist mithin aus - hier allein in Betracht zu ziehenden - rechtlichen Gründen unmöglich, wenn ihr rechtliche Hindernisse entgegenstehen, welche sowohl die freiwillige Ausreise als auch die zwangsweise Rückführung ausschließen oder als unzumutbar erscheinen lassen. Solche Hindernisse sind hier nicht dargelegt.

Das gilt insbesondere für das von der Beschwerdebegründung vom 10. Dezember 2019 allein ins Feld geführte inlandsbezogene Vollstreckungshindernis „Reiseunfähigkeit“ (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, liegt Reiseunfähigkeit vor, wenn sich der Gesundheitszustand des Ausländers allein durch die Ortsveränderung voraussichtlich wesentlich verschlechterte oder eine Lebens- oder Gesundheitsgefahr transportbedingt erstmalig entstünde (Transportunfähigkeit oder Reiseunfähigkeit im engeren Sinne), aber auch dann, wenn das ernsthafte Risiko zu gewärtigen wäre, dass - außerhalb des Transportvorganges - unmittelbar durch die Abschiebung als solche und unabhängig vom Zielstaat sich der Gesundheitszustand des Abzuschiebenden wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechterte (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne), ohne dass derlei Gefahren durch Vorkehrungen im Rahmen einer besonderen Gestaltung des Abschiebevorgangs ausgeschlossen oder minimiert werden könnten (vgl. zum Ganzen Senatsbeschl. v. 19.5.2017 - 13 ME 102/17 -, V.n.b., S. 3 des Beschlussabdrucks).

Eine derartige Situation kommt hier ausweislich der zu den Akten gelangten medizinischen Unterlagen vom Tatsächlichen her allenfalls im Falle einer zwangsweisen Rückführung in Betracht. Anhaltspunkte dafür, dass sie (auch) bei einer freiwilligen - selbstbestimmten - Rückreise des Antragstellers in die Türkei einträte, fehlen.

(aa) Im Amts-/Vertrauensärztlichen Gutachten vom 23. Januar 2020 (Bl. 264 f. der GA) unterscheidet der Amtsarzt des Gesundheitsamts der Antragsgegnerin Dr. med. I. nämlich deutlich zwischen einer „Reise, die selbstbestimmt angetreten wird“ (= einer freiwilligen Ausreise) und einer „erzwungenen (Aus)-Reise zu einem Reiseziel, das nicht selbst bestimmt wird (also de facto: eine[m] Transport)“ (= einer zwangsweisen Rückführung). An dieser Unterscheidung hält er auch in seinem Nachtrag zum Amts-/Vertrauensärztlichen Gutachten vom 4. Februar 2020 (Bl. 277 der GA: „bei einer erzwungenen Ausreise bzw. einem Transport ins Herkunftsland droht […]“) fest. Allenfalls für die Abschiebungssituation sieht er überhaupt Gefahrenpotential. Während der Amtsarzt im Gutachten vom 23. Januar 2020 noch vage ausführt, es sei „nicht konkret vorhersehbar, welche psychischen Folgen (Verstärkung der latent vorhandenen Suizidalität?) eine erzwungene Ausreise haben würde“ (Bl. 265 der GA), attestiert er dem Antragsteller nunmehr in dem Nachtrag vom 4. Februar 2020 deutlicher die Gefahr einer „wesentliche[n] Verschlechterung seiner psychischen Verfassung mit Verstärkung der bisher latent vorhandenen Suizidalität“ (Bl. 277 der GA).

Ob sich daraus - wie von der Beschwerde geltend gemacht - materiell-rechtlich eine Reiseunfähigkeit im oben definierten weiteren Sinne (= ein Duldungsgrund im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG) dergestalt ergibt, dass die ärztlich attestierte Gefahr einer wesentlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder gar eines Todes des Antragstellers während des Abschiebevorgangs auch nicht durch Vorkehrungen (insbesondere Begleitung durch medizinisches und Sicherheitspersonal bis zur Übergabe an die türkischen Behörden, unter Sicherung der Anschlussbehandlung) abgewendet oder minimiert werden kann, erscheint mit Blick auf die weiteren Ausführungen des Amtsarztes im Nachtrag vom 4. Februar 2020 („Eine Begleitung durch medizinisches und/oder psychologisch geschultes Personal während einer erzwungenen Ausreise oder eines Transports ins Herkunftsland […] kann wahrscheinlich eventuelle Suizidhandlungen während der,Reise‘ verhindern.“, Bl. 277 der GA) zweifelhaft, weil der Amtsarzt damit derlei Vorkehrungen nicht per se die Wirksamkeit abspricht. Eine Reiseunfähigkeit im engen Sinne (Transportunfähigkeit) schließt der Amtsarzt jedenfalls aus (a.a.O.).

Über all dies muss der Senat im Rahmen des von der Beschwerde geltend gemachten Anspruchs aus § 25 Abs. 5 AufenthG jedoch ebenso wenig entscheiden wie darüber, ob die formalen Anforderungen an die Vorlage qualifizierter ärztlicher Atteste im Sinne des § 60a Abs. 2c Sätze 2 und 3 AufenthG zur Widerlegung der in § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG geregelten gesetzlichen Vermutung, dass gesundheitliche Gründe einer Abschiebung nicht entgegenstehen, erfüllt sind, insbesondere hinsichtlich der Darstellung der Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung wegen der psychischen Erkrankung des Antragstellers bei einer Abschiebung voraussichtlich ergeben (§ 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG). Denn auch ein positiv festgestellter Duldungsgrund „Reiseunfähigkeit“ änderte nichts an dem Befund, dass eine Gefahrensituation für den bei § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG zusätzlich in den Blick zu nehmenden Fall einer freiwilligen Rückreise in die Türkei weder thematisiert noch belegt worden ist.

(bb) Der Befundbericht der J. -Kliniken A-Stadt vom 28. November 2019 (Bl. 235 f. der GA) sowie derjenige vom 2. Oktober 2019 (Bl. 55, 58 der GA), der bereits dem Verwaltungsgericht vorgelegen hat und auf welchen die Beschwerdebegründung erneut verweist, führen zu keinem abweichenden Ergebnis. Denn auch diese Berichte prognostizieren keine Gefahren für den Antragsteller bei einer freiwilligen Ausreise. Wie das Verwaltungsgericht im angefochtenen Beschluss zutreffend hervorgehoben hat, legt der Facharzt K. seiner auf „Suizidalität und (akute) Eigengefährdung“ (Bl. 58, 236 der GA) hinauslaufenden Gefahrenprognose einen Abbruch der bisher engmaschig durchgeführten psychotherapeutischen und medikamentösen Behandlung der psychischen Erkrankung (Depression, Angst und Anpassungsstörung) zugrunde, welcher jedoch gerade bei einer vom Antragsteller freiwillig durchgeführten, in Kenntnis seiner Erkrankung verantworteten Ausreise unter dem psychoedukativen Aspekt nicht einfach unterstellt werden kann. Selbst bei einem organisierten und begleiteten Abschiebevorgang kann nicht einfach von einem Abbruch der notwendigen Behandlung ausgegangen werden. Es obläge der Antragsgegnerin, von sich aus vor einer Durchführung der Abschiebung die insoweit notwendigen Vorkehrungen für eine Gestaltung des Abschiebungsvorgangs zu treffen und deren Sicherstellung zu verantworten (vgl. Senatsbeschl. v. 5.11.2018 - 13 ME 318/18 -, V.n.b., S. 3 des Beschlussabdrucks).

cc) Dass dem Antragsteller mit Blick auf die etwaigen Auswirkungen seiner psychischen Erkrankung ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus § 25 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots aufgrund einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben in der Türkei zustehe, legt die Beschwerdebegründung nicht ansatzweise dar. An einer diesbezüglichen Prüfung im Beschwerdeverfahren ist der Senat deshalb gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO gehindert.

Er kann deshalb die Frage, ob die Erteilung eines derartigen humanitären Aufenthaltstitels gemäß § 81 Abs. 1 AufenthG überhaupt beantragt worden ist, dahinstehen lassen. Ferner kommt es nicht darauf an, ob die Ausführungen des Amtsarztes in dessen Amts-/Vertrauensärztlichem Gutachten vom 23. Januar 2020 (Bl. 265 oben der GA) und im Nachtrag hierzu vom 4. Februar 2020 (Bl. 277 der GA) sowie diejenigen des Facharztes K. der J. -Kliniken A-Stadt vom 28. November 2019 (Bl. 236 der GA), die sich ansatzweise auf die Situation nach einer Rückkehr des Antragstellers in die Türkei beziehen, im Sinne der § 60a Abs. 2c Sätze 2 und 3 in Verbindung mit § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG unter Berücksichtigung der Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat formal und inhaltlich zureichende Anhaltspunkte für eine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bieten. Unerheblich ist deshalb auch, dass bei dem Antragsteller, der kein Asylverfahren durchlaufen hat, eine negative Bindungswirkung nach § 42 Satz 1 AsylG hinsichtlich zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht besteht und somit nicht das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge kraft Zuständigkeitsvorbehalts nach § 24 Abs. 2 AsylG (vgl. hierzu Senatsbeschl. v. 13.7.2018 - 13 ME 373/17 -, juris Rn. 24 f. m.w.N.), sondern vielmehr die Antragsgegnerin als Ausländerbehörde (§ 71 Abs. 1 AufenthG) - wenngleich nach Beteiligung des Bundesamts gemäß § 72 Abs. 2 AufenthG - für eine Feststellung derartiger Abschiebungsverbote zuständig wäre.

b) Die auf §§ 59 Abs. 1 Satz 1, 50 Abs. 1 AufenthG gestützte Abschiebungsandrohung mit Ausreiseaufforderung bezogen auf die Türkei oder einen anderen aufnahmebereiten oder -verpflichteten Staat (Ziffern II. und III. des Bescheides der Antragsgegnerin vom 26. August 2019), der entsprechend § 70 Abs. 1 NVwVG in Verbindung mit § 64 Abs. 4 NPOG kraft Gesetzes sofortige Vollziehbarkeit (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO) zukommt, ist - wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - voraussichtlich ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden und daher nicht gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt. VwGO zu suspendieren.

aa) Der Antragsteller bleibt nach dem oben unter I.1.a) Ausgeführten weiterhin (vollziehbar) ausreisepflichtig, weil ihm ein aufenthaltstitelbezogener Anspruch nicht zusteht.

Seine Darlegungen im Beschwerdeverfahren zu einem Aufenthaltsrecht nach dem Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei - Assoziationsabkommen EWG/Türkei - (BGBl. 1964 II S. 509) in Verbindung mit Art. 6 f. des aufgrund dieses Abkommens erlassenen Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation - ARB 1/80 - sind nicht geeignet, gemäß § 50 Abs. 1 a.E. AufenthG zu einem Entfall der Ausreisepflicht zu führen. Wie das Verwaltungsgericht im angefochtenen Beschluss zutreffend entschieden hat, hat der Antragsteller ein derartiges gesetzliches Aufenthaltsrecht - das mit dem Besitz einer nach § 4 Abs. 5 AufenthG „ausgestellten“ (nicht: „erteilten“) Aufenthaltserlaubnis lediglich nachgewiesen würde - bereits deshalb nicht erworben, weil er die nach Art. 6 Abs. 1, 1. Spiegelstrich ARB 1/80 erforderliche Mindestzeit von einem Jahr „ordnungsgemäßer Beschäftigung“ bei demselben Arbeitgeber aufgrund des Arbeitsverhältnisses als Bauhelfer für Sanitärarbeiten mit der Fa. F. G. seit dem 1. Januar 2018 (Bl. 45/45R der GA) nicht erreicht hat. Denn in der Zeit ab dem 4. Dezember 2018 ist ihm das (nach § 16 Abs. 3 AufenthG eingeschränkte) Recht zur Beschäftigung aus der studienbezogenen Aufenthaltserlaubnis nach § 16 Abs. 1 AufenthG, die am 3. Dezember 2018 ausgelaufen war, zunächst lediglich aufgrund der Fortbestandsfiktion des § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG und seither - nach der Ablehnung des Verlängerungsantrags mit Bescheid vom 26. August 2019 - gemäß § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG erhalten geblieben. Eine Beschäftigung, die nur auf der Basis derlei Fiktionen erfolgt, ist jedoch nach der Rechtsprechung des Senats nicht „ordnungsgemäß“ im Sinne des Art. 6 Abs. 1, 1. Spiegelstrich ARB 1/80, wenn - wie hier nach dem oben unter I.1.a) Ausgeführten - letztlich keine Verlängerung oder Erteilung eines Aufenthaltstitels erfolgt (vgl. Senatsbeschl. v. 10.12.2019 - 13 ME 344/19 -, juris Rn. 4 m.w.N. insbesondere zur Judikatur des EuGH und des BVerwG), weil eine von Art. 6 Abs. 1, 1. Spiegelstrich ARB 1/80 vorausgesetzte gesicherte und nicht nur vorläufige Position des Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt des Aufenthaltsstaats dann nicht gegeben ist. Die diesen Grundsätzen zuwiderlaufende Argumentation in der Beschwerdebegründung vom 10. Dezember 2019 (Bl. 233 f. der GA) überzeugt den Senat nicht. Dem von der Beschwerde als verspätet gerügten Zeitpunkt der Entscheidung über den Verlängerungsantrag durch die Antragsgegnerin kommt keine Bedeutung zu; relevant ist allein, dass eine Verlängerung oder Erteilung eines zur Beschäftigung berechtigenden Aufenthaltstitels im Ergebnis rechtmäßigerweise abgelehnt worden ist.

bb) Etwaige Duldungsgründe im engeren Sinne (inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse) oder zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote stehen dem Erlass der Abschiebungsandrohung gemäß § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht entgegen und bedürfen daher unter diesem Gesichtspunkt keiner Prüfung.

c) Hinsichtlich des auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristeten Einreise- und Aufenthaltsverbots (Ziffer IV. des Bescheides der Antragsgegnerin vom 26. August 2019) nach § 11 Abs. 1 bis 3 AufenthG in der seit dem 21. August 2019 geltenden Fassung des Zweiten Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 15. August 2019 (BGBl. I S. 1294) enthält die Beschwerdebegründung vom 10. Dezember 2019 keinerlei Darlegungen (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO).

2. Einen Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Regelungsanordnung (Satz 2) zu verpflichten, seine Abschiebung vorläufig auszusetzen (ihn zu dulden), oder ihr im Wege der einstweiligen Sicherungsanordnung (Satz 1) die Abschiebung vorläufig zu untersagen, hat der Antragsteller im vorliegenden Eilrechtsstreit nicht gestellt.

Ein derartiges Begehren unter Berufung auf sog. „überschießende Duldungsgründe“ wäre in der vorliegenden Konstellation - etwa als Hilfsantrag entsprechend § 44 VwGO - ungeachtet des Vorrangs (vgl. § 123 Abs. 5 VwGO) eines Antrags nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zwar nicht per se unstatthaft gewesen (vgl. Senatsbeschl. v. 9.2.2018 - 13 PA 454/17 -, juris Rn. 4). Es war jedoch weder explizit noch konkludent Gegenstand des erstinstanzlichen Eilverfahrens 11 B 2969/19 vor dem Verwaltungsgericht und könnte nach Sinn und Zweck der Regelung des § 146 Abs. 4 (insbes. Sätze 3, 4 und 6) VwGO bei im Wesentlichen gleichbleibender Sach- und Rechtslage auch nicht im Wege der Antragserweiterung (entsprechend § 91 VwGO) erstmals in der Beschwerdeinstanz zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden, weil dies - entgegen der gesetzgeberisch gewollten Konzentration des Beschwerdeverfahrens auf die Gründe, die vom Beschwerdeführer in Auseinandersetzung mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts und dem erstinstanzlichen Streitgegenstand geltend gemacht werden - zu einer erstmaligen materiell-rechtlichen Prüfung durch das Beschwerdegericht führen würde, die dem Straffungs- und Beschleunigungsziel der besonderen Regelungen über die Beschwerde in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zuwiderliefe (vgl. Senatsbeschl. v. 18.5.2017 - 13 ME 62/17 -, juris Rn. 33 m.w.N.).

Vor diesem Hintergrund vermag der Senat auch unter diesem Aspekt in die Prüfung der im Zusammenhang mit dem Beschwerdevorbringen vom 10. Dezember 2019 zu § 25 Abs. 5 AufenthG (Bl. 231 f. der GA) und vom 5. Februar 2020 (Bl. 273 der GA) geltend gemachten Duldungsgründe nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG, sei es in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG oder mit Art. 3 Abs. 1 EMRK, nicht einzutreten. Aus der von der Beschwerde betonten richterlichen Amtsermittlungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) folgt mangels Entscheidungserheblichkeit der diese Duldungsgründe ausfüllenden Tatsachen im vorliegenden Eilrechtsstreit kein anderes Ergebnis, ganz abgesehen davon, dass ohnehin der Antragsteller gemäß § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO gehalten wäre, die Tatsachen, die einen auf Aussetzung oder Unterbleiben der Abschiebung gerichteten Anordnungsanspruch glaubhaft zu machen.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

III. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG und Nrn. 8.1, 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NordÖR 2014, 11).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).