Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 22.12.2022, Az.: 13 ME 257/22
Ausschluss eines Anspruchs auf Verlängerung der innegehabten humanitären Aufenthaltserlaubnis durch die Sperrwirkung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 22.12.2022
- Aktenzeichen
- 13 ME 257/22
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2022, 50425
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2022:1222.13ME257.22.00
Verfahrensgang
Rechtsgrundlagen
- § 11 Abs. 1 S. 2 AufenthG a.F.
- § 25 Abs. 5 S. 1 AufenthG n.F.
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes versagenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 5. Kammer - vom 22. September 2022 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes versagenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 5. Kammer - vom 22. September 2022 bleibt ohne Erfolg.
Mit diesem Beschluss hat das Verwaltungsgericht den Antrag des Antragstellers, gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt. VwGO die aufschiebende Wirkung seiner am 29. Juni 2022 erhobenen Klage 5 A 2674/22 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 27. Mai 2022 (Blatt 4 R ff. der Gerichtsakte) über die Befristung der Wirkung der zunächst unbefristet verfügten (Alt-)Ausweisung vom 18. Juli 2003 und der Abschiebung vom 7. Oktober 2008 auf fünf Jahre (1.), über die Versagung eines Aufenthaltstitels (2.) sowie über die auf Serbien bezogene Abschiebungsandrohung mit Ausreiseaufforderung (3.) anzuordnen, abgelehnt.
Die hiergegen vom Antragsteller mit der Beschwerdebegründung vom 25. Oktober 2022 (Blatt 100 ff. der Gerichtsakte) dargelegten Gründe, auf deren Prüfung im Beschwerdeverfahren sich der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, gebieten keine Änderung des angefochtenen Beschlusses im Sinne des Antragstellers.
1. Hinsichtlich der im Bescheid vom 27. Mai 2022 verfügten Befristung der nach altem Aufenthaltsrecht eingetretenen und gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 AufenthG wirksam gebliebenen gesetzlichen (Sperr-)Wirkung der Ausweisung vom 18. Juli 2003 und der Abschiebung vom 7. Oktober 2008 enthält die Beschwerdebegründung keine Darlegungen. Im Übrigen muss ein Erfolg der Beschwerde insoweit bereits daran scheitern, dass die gewählte Art des Eilrechtsschutzbegehrens nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt. VwGO gegen diese den Antragsteller lediglich begünstigende ausländerbehördliche Entscheidung unstatthaft, zumindest aber mangels Antragsbefugnis oder Rechtsschutzbedürfnisses (§ 242 BGB analog) im Übrigen unzulässig ist (vgl. zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen ein gesetzliches Einreise- und Aufenthaltsverbot mit behördlicher Befristung nach der früheren Rechtslage: Senatsbeschl. v. 3.4.2018 - 13 ME 86/18 -, juris Rn. 4 m.w.N.). Einen einzig in Betracht kommenden Eilantrag nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO auf vorläufige "bessere" (= kürzere) Befristung der Sperrwirkung - etwa: auf "sofort" - hat der Antragsteller weder erstinstanzlich noch in der Beschwerdeinstanz gestellt.
2. Hinsichtlich der gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Titelversagung im Bescheid vom 27. Mai 2022 ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt. VwGO zwar statthaft und auch sonst zulässig. Denn der rechtzeitig vor Auslaufen der früheren Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG (8.8.2015) - nämlich am 27. Juli 2015 im Rahmen einer Vorsprache (Blatt 1426 f. der Beiakte 1 Band VI) - gestellte Verlängerungsantrag des Antragstellers hatte eine Fortbestandsfiktion des § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ausgelöst, die durch die Titelversagung zum Erlöschen gebracht wurde (vgl. zum System: Senatsbeschl. v. 18.11.2021 - 13 ME 426/21 -, juris Rn. 7 ff.). Jedoch ist hinsichtlich der Begründetheit dieses Eilrechtsschutzbegehrens zu konstatieren, dass der Antragsteller nicht alle Begründungen der ablehnenden verwaltungsgerichtlichen Entscheidung mit Darlegungen (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO) angegriffen hat, die die Ablehnung der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen die Titelversagung gerichteten Klage in der Sache selbständig tragen, so dass die Ergebnisrichtigkeit des angegriffenen Beschlusses insoweit bereits nicht hinreichend in Zweifel gezogen worden ist (vgl. zu den Anforderungen: Senatsbeschl. v. 25.7.2014 - 13 ME 97/14 -, juris Rn. 4).
a) Einem Anspruch auf (erstmalige) Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug aus § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 5 AufenthG in Verbindung mit § 30 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2, Satz 3 und Abs. 2 Satz 1 AufenthG steht gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 AuslG 1990 in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung (Alt-Ausweisung) sowie § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG in der bis zum 31. Juli 2015 geltenden alten Fassung (Abschiebung) - als zwingender Versagungsgrund (beides heute geregelt in § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG) - noch die durch den Bescheid vom 27. Mai 2022 auf fünf Jahre ab dem 7. Oktober 2008 befristete Sperrwirkung der Ausweisung vom 18. Juli 2003 sowie der Abschiebung vom 7. Oktober 2008 entgegen, die seit der Wiedereinreise des Antragstellers am 12. Oktober 2010 gemäß § 11 Abs. 9 Satz 1 AufenthG gehemmt ist, wie der angefochtene Beschluss auf Seiten 17 f. zutreffend ausführt. Vor diesem Hintergrund kommt es in diesem Zusammenhang auf die Darlegungen des Antragstellers, die gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts gerichtet sind, es bestehe keine eheliche Lebensgemeinschaft zwischen dem Antragsteller und seiner deutschen Ehefrau D. E. A. aus F. (S. 12 bis 14 des angefochtenen Beschlusses), nicht an.
b) Die genannte Sperrwirkung schließt - wie das Verwaltungsgericht auf Seite 17 des angefochtenen Beschlusses ausführt und womit sich die Beschwerdebegründung ebenfalls nicht auseinandersetzt - derzeit auch einen Anspruch auf Verlängerung (§ 8 Abs. 1 AufenthG) der bis zum 8. August 2015 innegehabten humanitären Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG n.F. aus. Abweichend von der alten Fassung dieser Vorschrift, nach der "abweichend von § 11 Abs. 1" (AufenthG) eine derartige Aufenthaltserlaubnis erteilt werden konnte, steht nach § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nunmehr grundsätzlich die genannte Sperrwirkung auch einem solchen Aufenthaltstitel entgegen. Darauf, dass diese Sperrwirkung (= das Einreise- und Aufenthaltsverbot) nach § 11 Abs. 4 Satz 2 AufenthG aufgehoben werden soll, wenn die (sonstigen) Voraussetzungen einer humanitären Aufenthaltserlaubnis vorliegen, kommt es hier nicht an. Ein solcher Regel-Aufhebungsanspruch wäre nicht inzidenter im Rahmen des vom Antragsteller gewählten Eilrechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO, sondern mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu verfolgen (vgl. Senatsbeschl. v. 13.4.2022 - 13 LA 90/22 -, V.n.b. Umdruck S. 3 f.). Ob sich der Antragsteller der Sache nach auf einen derartigen Aufhebungsanspruch berufen kann, kann deshalb dahinstehen.
Im vorliegenden Rechtsstreit kann der Senat nach alledem nicht prüfen, ob der Antragsteller die Erteilungsvoraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG - insbesondere ein zeitlich unabsehbares rechtliches oder tatsächliches Hindernis an der Ausreise im weiteren Sinne (freiwillige Ausreise und zwangsweise Abschiebung) - etwa aus Gründen des Schutzes der Ehe mit Frau D. E. A. aus F. wegen behaupteter ehelicher Lebensgemeinschaft (Art. 6 Abs. 1 GG), des Schutzes der körperlichen Unversehrtheit wegen behaupteter dauerhafter Reiseunfähigkeit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) oder des Schutzes des Privatlebens unter Berufung auf die Rechtsposition eines faktischen Inländers (Art. 8 Abs. 1 EMRK) erfüllt. Auf alle darauf bezogenen Darlegungen in der Beschwerdebegründungsschrift vom 25. Oktober 2022 kommt es somit hier nicht an.
Nur zur Klarstellung weist der Senat jedoch auf Folgendes hin:
Die zur Beschwerdebegründung gemachten Ausführungen und eingereichten Unterlagen - insbesondere zur Führung einer ehelichen Lebensgemeinschaft - dürften nicht die Anforderungen erfüllen, die an eine notwendige Glaubhaftmachung (§ 294 Abs. 1 ZPO) im Eilrechtsstreit gestellt werden. Das gilt insbesondere für die undatierte Stellungnahme (Blatt 117 f. bzw. 119 f. der Gerichtsakte), die von der Ehefrau stammen soll. Sie ist bereits formal nicht unterschrieben und daher schon nicht verlässlich jemand anderem als dem Antragsteller zuzuordnen; erst recht handelt es sich nicht um eine eidesstattliche Versicherung im Sinne des § 156 StGB, wie sie als präsentes Beweismittel im Sinne des § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2, 294 Abs. 2 ZPO in Betracht käme. Der Vorwurf mangelnder Aktualität ist gegen die eingereichte Fotostrecke (Blatt 103 bis 110 der Gerichtsakte) zu erheben, die im Wesentlichen Lichtbilder aus den Jahren 2015 bis 2021 und nur eines aus Juli 2022 enthält und sich damit nicht ausreichend auf die derzeitigen Zustände erstreckt. Die eingereichten Kontounterlagen (Blatt 110 R ff. der Gerichtsakte) belegen nicht viel mehr, als dass die Ehefrau dem Antragsteller einmal 200 EUR und einmal 100 EUR auf dessen Konto überwiesen hat und dass monatlich regelmäßig Beträge zwischen 30 EUR und 50 EUR durch einen Telefonanbieter (G. GmbH) von ihrem Konto abgebucht werden. Aufschluss über die betroffenen Telefonnummern, die Endnutzer der zugehörigen Geräte und die zugrundeliegenden Verträge geben diese Abbuchungen nicht.
Die zu einer Reiseunfähigkeit eingereichten Unterlagen, insbesondere das fachpsychiatrische Attest vom 18. Oktober 2022 (Blatt 115 f. der Gerichtsakte), könnten allenfalls, sollten sie die Voraussetzungen des § 60a Abs. 2c und Abs. 2d AufenthG erfüllen, was hier offenbleiben kann, zur Begründung eines für § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG nicht ausreichenden vorübergehenden rechtlichen Abschiebungshindernisses im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG herhalten, das jedoch nicht Gegenstand des vorliegenden Eilrechtsstreits nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist. Insoweit wäre vielmehr Schutz vor einer Abschiebung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO (einstweilige Regelungsanordnung) zu suchen (vgl. zu derartigen "überschießenden Duldungsgründen": Senatsbeschl. v. 13.2.2020 - 13 ME 387/19 -, juris Rn. 28, und v. 9.2.2018 - 13 PA 454/17 -, juris Rn. 4).
Vor diesem Hintergrund kann offenbleiben, ob einem Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis aus § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG im vorliegenden Einzelfall auch entgegensteht, dass der Antragsteller entgegen Ziffer 3. des im Klageverfahren 12 A 3885/12 vor dem Verwaltungsgericht Hannover geschlossenen gerichtlichen Vergleichs vom 27. Februar 2013 (Blatt 1362 der Beiakte 1 Band VI) wegen nach dem 31. Juli 2012 begangener Straftaten zu Geldstrafen von mehr als 30 Tagessätzen und sogar zu einer Freiheitsstrafe (von zehn Monaten) rechtskräftig verurteilt worden ist, worauf die Antragsgegnerin in ihrem Bescheid vom 27. Mai 2022 auf Seite 6 (Blatt 7 der Gerichtsakte) hingewiesen hat.
3. Hinsichtlich der gemäß § 70 Abs. 1 NVwVG, § 64 Abs. 4 NPOG, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung nach Serbien aus dem Bescheid vom 27. Mai 2022 enthält die Beschwerde entgegen § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO keinerlei Darlegungen.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
III. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG und Nrn. 8.1 und 1.5 Satz 1 Halbsatz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NordÖR 2014, 11).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).