Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 12.07.2000, Az.: 3 M 1605/00

Erforderlichkeit eines qualifizierten Rechtsschutzbedürfnisses für die Gewährung vorbeugenden Rechtsschutzes; Unzumutbarkeit der Verweisung auf nachträglichen Rechtsschutz; Rechtsschutz durch Normenkontrollverfahren; Anspruch der Beteiligung am Auswahlverfahren für Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
12.07.2000
Aktenzeichen
3 M 1605/00
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2000, 31970
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2000:0712.3M1605.00.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Lüneburg - 06.04.2000 - AZ: 7 B 7/00

In der Verwaltungsrechtssache
hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht - 3. Senat -
am 12. Juli 2000
beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Antragstellers auf Zulassung der Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 7. Kammer - vom 6. April 2000 wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdezulassungsverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes des Beschwerdezulassungsverfahrens wird auf 8.000 DM festgesetzt.

Gründe

1

Der Zulassungsantrag ist unbegründet, weil der Antragsteller keine hinreichenden Gründe für die Zulassung der Beschwerde dargelegt hat.

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Der Antragsteller meint zu Unrecht, dass die Richtigkeit des erstinstanzlichen Beschlusses aus den von ihm genannten Gründen im Sinne der §§ 146 Abs. 4, 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ernstlich zu bezweifeln sei. Das Verwaltungsgericht hat seinen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mit der Begründung abgelehnt, es fehle an einem Rechtsschutzinteresse. Vorbeugender Rechtsschutz komme nicht in Betracht, wenn der Betroffene zumutbarerweise auf nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden könne, den die Verwaltungsgerichtsordnung als grundsätzlich ausreichend ansehe. Voraussetzung für die Gewährung vorbeugenden Rechtsschutzes sei daher ein qualifiziertes, gerade auf die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes gerichtetes Rechtsschutzinteresse, so dass besondere Gründe vorliegen müssten, die es rechtfertigten, nachträglichen Rechtsschutz nicht abzuwarten. Derartige Umstände seien hier indes nicht gegeben, weil der Antragsteller u.a. um nachträglichen Rechtsschutz gegen eine denkbare Versagung einer Baugenehmigung für eine bauliche Anlage auf der vom Gebietsvorschlag 75 erfassten Fläche nachsuchen könne und überdies die Möglichkeit habe, sich im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens gegen die spätere Ausweisung eines Schutzgebiets gemäß § 19 b Abs. 2 i.V.m. § 12 Abs. 1 BNatSchG zu wenden. Die Einwände, die der Antragsteller dagegen erhoben hat, sind nicht geeignet, die Richtigkeit dieser Entscheidung ernstlich in Zweifel zu ziehen.

3

Die Darstellung des Antragstellers, dass seine Möglichkeiten, im Verordnungsgebungsverfahren auf die massiv berührten eigenen Belange hinzuweisen, erheblich eingeschränkt seien, ist unzutreffend. § 19 b Abs. 2 BNatSchG verpflichtet die Bundesländer zwar, die in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung eingetragenen Gebiete nach Maßgabe des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 92/43 EWG des Rates vom 21. Mai 1992 - FFH-Richtlinie - entsprechend den jeweiligen Erhaltungszielen zu geschützten Teilen von Natur und Landschaft im Sinne des § 12 Abs. 1 BNatSchG zu erklären, soweit eine Unterschutzstellung nicht nach § 19 b Abs. 4 BNatSchG unterbleiben kann: Dieser Umstand ändert aber nichts daran, dass der Antragsteller vor Erlass einer entsprechenden Verordnung von dem Beteiligungsrecht, das § 30 Abs. 2 NNatSchG jedem gewährt, Gebrauch machen kann. Daher kann keine Rede davon sein, dass seine Möglichkeiten, im Verordnungsgebungsverfahren auf die eigenen Belange hinzuweisen, eingeschränkt seien.

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Beschränkt ist allenfalls die Möglichkeit, auf die vom Verordnungsgeber zu treffende Entscheidung Einfluss zu nehmen, weil § 19 b Abs. 2, Abs. 4 BNatSchG das gemäß § 12 Abs. 1 BNatSchG, §§ 24 ff NNatSchG an sich bestehende Entscheidungsermessen über eine Unterschutzstellung von Teilen von Natur und Landschaft bezüglich der in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung eingetragenen Gebiete einschränkt. Dies hat aber nicht zur Folge, dass es für den Antragsteller unzumutbar wäre, auf nachträglichen Rechtsschutz verwiesen zu werden. Zum einen hat der Antragsgegner auch bei der Auswahl und Meldttngxler der Kommission zu benennenden Gebiete kein Ermessen, weil gemäß § 19 b Abs. 1 BNatSchG alle Gebiete zu melden sind, die die Voraussetzungen des Anhangs III Phase 1 der FFH-Richtlinie erfüllen, und nur naturschutzfachliche Gesichtspunkte berücksichtigt werden dürfen (vgl. Louis, Bundesnaturschutzgesetz, Kommentar, § 19 b Rdn. 5 f; vgl. a. BVerwG, Urt v. 19.5.1998 - 4 A 9/97 - NuR 1998 S. 544). Zum anderen besitzt der Antragsteller keinen Anspruch darauf, am Auswahlverfahren für Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung beteiligt zu werden (vgl. Louis, § 19 b Rdn. 2). Schließlich berücksichtigt der Antragsteller nicht, dass die Beschränkung des Ermessens bei der Unterschutzstellung dieser Gebiete auf das Gemeinschaftsrecht zurückzuführen ist, weil Art. 4 Abs. 4 der FFH-Richtlinie bestimmt, dass der betreffende Mitgliedsstaat ein Gebiet, das aufgrund des in Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie genannten Verfahrens als Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung bezeichnet worden ist, so schnell wie möglich - spätestens aber binnen sechs Jahren - als besonderes Schutzgebiet ausweist.

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Dem Antragsteller kann des weiteren nicht darin gefolgt werden, die Verweisung auf nachträglichen Rechtsschutz gegen die Ausweisung von Schutzgebieten gemäß § 19 b Abs. 2 i.V.m. § 12 Abs. 1 BNatSchG schränke seine Möglichkeiten ein, effektiven Rechtsschutz zu erlangen. § 19 b Abs. 2 BNatSchG verpflichtet die Länder zwar, die in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung eingetragenen Gebiete vorbehaltlich des § 19 Abs. 4 BNatSchG zu geschützten Teilen von Natur und Landschaft im Sinne des § 12 Abs. 1 BNatSchG zu erklären. Ein Normenkontrollverfahren gemäß § 47 VwGO, das der Antragsteller gegen eine sich auf seine Grundstücke erstreckende Verordnung anstrengen könnte, gäbe jedoch die Möglichkeit, die Vereinbarkeit der von der Kommission gemäß Art. 4 Abs. 2 Satz 3 der FFH-Richtlinie festgelegten Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung mit der FFH-Richtlinie durch den Europäischen Gerichtshof in einem Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 234 EGVüberprüfen zu lassen. Der Antragsteller könnte daher im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens Rechtsschutz erlangen, wenn die Einbeziehung seiner Flächen in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung gemeinschaftsrechtlich unzulässig wäre. Sein Einwand, bei einer Verweisung auf nachträglichen Rechtsschutz könne er keinen effektiven Rechtsschutz erlangen, überzeugt daher nicht. Daran würde sich selbst dann nichts ändern, wenn seine Annahme zuträfe, dass er in einem Normenkontrollverfahren die Einbeziehung von Pufferflächen in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung nicht mit Erfolg beanstanden könnte, weil die FFH-Richtlinie die Aufnahme von Pufferflächen weder ge- noch verbiete. Der Antragsteller übersieht, dass er vorbeugenden Rechtsschutz gegen die Einbeziehung solcher Flächen in die vom Land Niedersachsen erstellte Liste der nach Art. 4 Abs. 1 der FFH-Richtlinie der Kommission zu benennenden Gebiete gleichfalls nur dann verlangen könnte, wenn sie der FFH-Richtlinie widerspräche. Daher kann auch unter diesem Gesichtspunkt keine Rede davon sein, dass die Verweisung auf nachträglichen Rechtsschutz die Möglichkeiten einschränkt, effektiven Rechtsschutz zu erhalten.

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Ernstliche Zweifel, an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts lassen sich ferner nicht mit dem Hinweis darauf begründen, dass die dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit gemeldeten Gebiete mit ihrer Meldung potentielle FFH-Gebiete geworden seien und die Flächen des Antragstellers damit dem allgemeinen Verschlechterungsverbot, das sich aus einer analogen Anwendung des § 19 b Abs. 5 BNatSchG ergebe, unterlägen. Als sogenannte potentielle FFH-Gebiete können nämlich nur die Gebiete angesehen werden können, die die Kriterien des § 4 Abs. 1 der FFH-Richtlinie erfüllen (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.1.2000 - 4 C 2.99 -; Urt. v. 19.5.1998 - 4 A 9/97 - a.a.O.), so dass Gebiete, auf die dies nicht zutrifft, den rechtlichen Beschränkungen, die das Bundesverwaltungsgericht aus dem Gebot der Vertragstreue und der gemeinschaftsrechtlichen Pflicht zur "Stillhaltung" herleitet, selbst dann nicht unterliegen, wenn sie von einem Bundesland in die Liste der der Kommission nach Art. 4 Abs. 1 der FFH-Richtlinie zu benennenden Gebiete aufgenommen worden sind (Senatsbeschl. v. 24.3.2000 - 3 M 439/00 -). Außerdem könnte der Antragsteller gegen eventuelle behördliche Maßnahmen effektiven nachträglichen Rechtsschutz erlangen, so dass er auch insoweit nicht auf vorbeugenden Rechtsschutz angewiesen ist (vgl. Louis, § 19 b Rdn. 2).

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Die Beschwerde ist schließlich auch nicht gemäß § 146 Abs. 4 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 2 oder 3 VwGO zuzulassen. Zum einen wirft die Rechtssache entgegen der Darstellung des Antragstellers keine Rechtsfragen auf, die nur unter besonderen, d.h. überdurchschnittlichen Schwierigkeiten beantwortet werden können. Zum anderen hat der Antragsteller keine Fragen bezeichnet, die seiner Rechtssache grundsätzliche Bedeutung verleihen könnten. Die Frage, ob die Aufnahme von Flächen, die unter FFH - spezifischen Gesichtspunkten keine Relevanz, besitzen oder allenfalls als Pufferflächen in Betracht kommen, in die für die Mitgliedsstaaten verbindliche Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung nachträglichen Rechtsschutz durch Normenkontroll-, Anfechtungs-, Verpflichtungs- oder sonstige Klagen abschneidet, ist nach dem eingangs Gesagten ohne weiteres zu verneinen und daher nicht grundsätzlich klärungsbedürftig. Die des weiteren aufgeworfene Frage, ob die Liste den Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung unwirksam ist, soweit Pufferflächen in einem Gebiet enthalten sind, ist ebenso wenig entscheidungserheblich wie die Frage, ob die FFH-Richtlinie die Berücksichtigung von Pufferflächen ge- oder verbietet. Entsprechendes gilt für die Frage, wann und wie vorgezogener Rechtsschutz möglich ist, wenn nachträglicher Rechtsschutz abgeschnitten sein sollte. Schließlich rechtfertigt auch die Frage, ob bereits die Meldung eines Gebiets dazu führt, dass es als sogenanntes potentielles FFH - Gebiet anzusehen und zu behandeln ist, die Zulassung der Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nicht, weil sie nicht nur geklärt, sondern auch nicht entscheidungserheblich ist. Letzteres trifft gleichermaßen für die Fragen zu, ob das allgemeine Verschlechterungsverbot greift und ob § 19 b Abs. 5 BNatSchG auf potentielle FFH - Gebiete analog anwendbar ist.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 20 Abs. 3, 14, 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.

9

Dieser Beschluss ist gemäß §§ 152 Abs. 1 VwGO, 25 Abs. 3 GKG unanfechtbar.

Schnuhr
Dr. Berkenbusch
Meyer-Lang