Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 13.07.2000, Az.: 11 L 312/00

Gebührenbegriff; Gebührenpflicht; Kostenschuldner; Lebensmittelüberwachung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
13.07.2000
Aktenzeichen
11 L 312/00
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2000, 41532
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - AZ: 5 A 233/98

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

§ 46a Abs. 1 LMBG unterscheidet zwischen nicht gebührenpflichtigen "allgemeinen" und Überwachungsmaßnahmen aus besonderem Anlass (wie beispielsweise eine Probeentnahme aufgrund eines begründeten Verdachts).

Gründe

1

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg.

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1. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

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Das Verwaltungsgericht hat (im Ergebnis) zu Recht festgestellt, dass die in dem Lebensmittelgeschäft der Klägerin in aufgrund einer telefonischen Verbraucherbeschwerde durchgeführte Entnahme von Lebensmittelproben, die wegen erheblicher substanzieller Veränderungen und des hohen Keimgehalts eine deutliche Wertminderung der Waren ergeben haben, gemäß § 46 a Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz (LMBG) gebührenpflichtig ist und die Klägerin hierfür gemäß § 5 NVwKostG als Kostenschuldnerin hat in Anspruch genommen werden können.

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Nach § 46 a Abs. 1 LMBG werden Gebühren und Auslagen für nach diesem Gesetz vorzunehmende Amtshandlungen, die

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1. in die Zuständigkeit der Länder fallen,

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2. über die allgemeinen Überwachungsmaßnahmen hinaus gehen und

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3. zur Durchführung von Rechtsakten der Organe der Europäischen Gemeinschaft erforderlich sind,

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erhoben.

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Die Klägerin sieht die Voraussetzungen der Nr. 2 dieser Vorschrift in ihrem Falle als nicht erfüllt an, da der Begriff der "allgemeinen Überwachungsmaßnahmen" u.a. sämtliche Probeentnahmen (unabhängig von deren Anlass) umfasse. Diese Auslegung entspricht jedoch nicht dem Wortlaut dieser Regelung, der erkennbar eine Unterscheidung zwischen "allgemeinen" und Überwachungsmaßnahmen aus besonderem Anlass (wie im vorliegenden Fall aufgrund der telefonischen Beschwerde einer Verbraucherin) voraussetzt. Zwar ist auch denkbar, dass der Gesetzgeber die Lebensmittelüberwachungsmaßnahmen insgesamt als "allgemeine Überwachungsmaßnahmen" im Unterschied zu besonderen Amtshandlungen - wie z.B. das in der Gesetzesbegründung des Bundesrates (BT-Drs. 12/3201) erwähnte Zulassungs- und Registrierverfahren von Betrieben und die Ausstellung von Genusstauglichkeitsbescheinigungen und ähnlichen Urkunden - bezeichnen und damit aus der Gebührenpflicht herausnehmen wollte. Dies hätte der Gesetzgeber jedoch z.B. durch die (negative) Formulierung - "die keine Überwachungsmaßnahmen sind" - oder die (positive) Formulierung - "die Mitwirkung des Betroffenen voraussetzen oder diesen begünstigen" - unschwer (und unmißverständlich) zum Ausdruck bringen können. Der Wortlaut des § 46 a Abs. 1 Nr. 2 LMBG bestätigt daher die vom Verwaltungsgericht vertretene Unterscheidung zwischen "allgemeinen" und "besonderen" Überwachungsmaßnahmen.

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Aus dem Gesetzgebungsmaterial ergibt sich keine hiervon abweichende Auslegung. § 46 a LMBG wurde in das Lebensmittelbedarfsgesetz durch das Gesetz vom 18. Dezember 1992 (BGBl. I S. 2022) eingefügt. Die Vorschrift wurde vom Bundesrat vorgeschlagen. Nach diesem Vorschlag sollte allerdings Abs. 1 allgemein eine Gebührenpflicht "für Amtshandlungen, die sich nach diesem Gesetz ... ergeben," bestimmen. Diesen Vorschlag lehnte die Bundesregierung mit der Begründung (BT-Drs. 12/3201) ab, dass nach dem vorgeschlagenen Wortlaut diese Vorschrift dahingehend verstanden werden könne, dass alle Amtshandlungen nach dem Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz gebührenpflichtig seien; nach der bisherigen Rechtslage sei die Lebensmittelüberwachung jedoch nicht gebührenpflichtig. Trotz dieses Vorbehalts stimmte die Bundesregierung jedoch der letztlich verabschiedeten Gesetzesfassung zu. Hätte der Gesetzgeber anläßlich des Vorbehalts der Bundesregierung Lebensmittelüberwachungsmaßnahmen völlig aus der Gebührenpflicht herausnehmen wollen, hätte er dies etwa durch die o.g. Formulierungen klar stellen können. Dann wäre diesem Vorbehalt im vollem Umfange Rechnung getragen worden. Durch die gewählte Formulierung - "die über die allgemeinen Überwachungsmaßnahmen hinausgehen" - hat der Gesetzgeber jedoch auf die völlige Herausnahme der Lebensmittelüberwachung aus der Gebührenpflicht verzichtet und setzt in der letztlich verabschiedeten Form die Unterscheidung zwischen nicht gebührenpflichtigen "allgemeinen" und gebührenpflichtigen "besonderen" Überwachungsmaßnahmen und sonstigen gebührenpflichtigen Amtshandlungen voraus (wobei zu den besonderen Überwachungsmaßnahmen auch die in der Gesetzesbegründung des Bundesrats ferner als Beispiele erwähnten Prüfungen und Warenuntersuchungen bei der Einfuhr gehören dürften).

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Eine ähnliche Differenzierung bei den Überwachungsmaßnahmen ist entgegen der Meinung der Klägerin auch in der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 14. Juni 1989 über die amtliche Lebensmittelüberwachung (89/397/EWG) vorgesehen. Denn nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie werden die Überwachungstätigkeiten, zu denen auch Probenahmen gehören (Art. 5 Nr. 2), a) "regelmäßig" oder b) "bei Verdacht der Nichtübereinstimmung" (mit den Vorschriften) durchgeführt. Diese Unterscheidung entspricht der bei § 46 a LMBG gemäß seinem Wortlaut vorzunehmenden Differenzierung zwischen "allgemeinen" und aus besonderem Anlass (z.B. Verdachtsproben) durchzuführenden Überwachungsmaßnahmen.

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Demnach besteht eine Gebührenpflicht nach § 46 a Abs. 1 LMBG für solche besonderen Überwachungsmaßnahmen. Eine genaue Abgrenzung zwischen allgemeinen und darüber hinausgehenden, nach näherer Konkretisierung durch das Landesrecht (§ 46 a Abs. 2 Satz 1 LMBG) gebührenpflichtigen Überwachungsmaßnahmen braucht hier jedoch nicht vorgenommen zu werden. Denn hier handelt es sich jedenfalls nicht um eine allgemeine Überwachungsmaßnahme. Die Proben sind im Lebensmittelgeschäft der Klägerin in aufgrund einer telefonischen Beschwerde einer Verbraucherin entnommen worden. Es geht daher nicht um eine regelmäßige Überwachungsmaßnahme, sondern um eine Überwachungsmaßnahme aus besonderem (begründeten) Anlass.

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Es bestehen auch keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass die Klägerin Kostenschuldnerin im Sinne des § 5 NVwKostG ist. Nach dieser Vorschrift ist Kostenschuldner derjenige, der zu der Amtshandlung Anlass gegeben hat, der also einen Tatbestand geschaffen hat, der die Behörde zu der Amtshandlung veranlasst hat. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Betroffene den Tatbestand willentlich gesetzt hat und der Tatbestand unmittelbar Anlass für die Amtshandlung gewesen ist. Nicht erforderlich ist dagegen, dass die Amtshandlung von dem Betroffenen willentlich herbeigeführt worden ist (OVG Lüneburg, Urt. v. 22.4.1970, OVGE 26, 446 ff., u. Urt. v. 20.2.1984, OVGE 37, 464 ff.). Hier hat die Klägerin durch das Anbieten von zu beanstandenden Waren unmittelbar Anlass für die nach dem oben Gesagten gemäß § 46 a Abs. 1 LMBG gebührenpflichtige "Verdachtsprobe" gegeben und ist damit Kostenschuldnerin im Sinne des § 5 NVwKostG.

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Auch aus dem verfassungsrechtlichen Gebührenbegriff ergeben sich keine Zweifel an der Leistungspflicht der Klägerin. Unter Gebühren werden danach allgemein öffentlich-rechtliche Geldleistungen verstanden, die aus Anlass individuell zurechenbarer öffentlicher Leistungen dem Gebührenschuldner durch eine öffentlich-rechtliche Norm oder eine sonstige hoheitliche Maßnahme auferlegt werden und dazu bestimmt sind, in Anknüpfung an diese Leistung deren Kosten ganz oder teilweise zu decken (BVerfG, Urt. v. 3.3.1994, NVwZ 1994, 1102, 1105 [BVerwG 03.03.1994 - BVerwG 4 C 1/93]). Hier ist die erbrachte öffentliche Leistung - die Probeentnahme - der Klägerin individuell zurechenbar, da durch diese Maßnahme nicht nur die Allgemeinheit geschützt, sondern auch das die Klägerin selbst betreffende Risiko, mangelhafte Waren in ihrem Lebensmittelgeschäft in anzubieten, konkret gemindert worden ist. Es stellt das Vorliegen einer Gebühr nicht in Frage, wenn die Leistung, die sich der Staat "entgelten" lassen will, in erster Linie aus Gründen des öffentlichen Wohls erbracht worden ist (BVerfG, Urt. v. 3.3.1994, a.a.O., S. 1105). Die Probeentnahme hat hier zwar in erster Linie dem Schutz der Kunden, damit jedoch auch der Klägerin gedient, die als Lebensmittelhändlerin Interesse daran hat, einwandfreie Waren anzubieten, dies aber - wie der vorliegende Fall zeigt (eine Mitarbeiterin des Lebensmittelgeschäfts der Klägerin in gab nach dem im Verwaltungsvorgang des Beklagten befindlichen Aktenvermerk vom 3.6.1997 an, für nicht erkennbare Mängel "könne sie nichts") - durch ihre eigenen Kontrollen offenbar nicht immer sicher zu stellen vermag. Die amtliche Lebensmittelüberwachung ergänzt demnach wirkungsvoll die eigenen Kontrollen der Klägerin und ist daher auch in deren Interesse.

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2. Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) weist die Sache nicht auf, da die Gebührenpflichtigkeit der hier durchgeführten Probenentnahme sich nach dem oben Gesagten bereits aus dem Wortlaut des § 46 a LMBG ergibt und auch die Beantwortung der Frage der individuellen Zurechenbarkeit dieser Leistung im Sinne des Gebührenrechts nach dem oben Gesagten keine besonderen Schwierigkeiten bereitet.

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3. Aus diesen Gründen liegt auch keine grundsätzliche Bedeutung der Sache ( 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) vor. Die hier von der Klägerin aufgeworfenen Fragen hinsichtlich der Auslegung des § 46 a Abs. 1 Nr. 2 LMBG lassen sich nach dem oben Gesagten bereits anhand des Wortlauts dieser Vorschrift beantworten, ohne dass es hierfür der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf. Die von der Klägerin problematisierten gebührenrechtlichen Fragen sind in der oben zitierten Rechtsprechung des erkennenden Gerichts und des Bundesverfassungsgerichts bereits beantwortet.