Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 31.03.2008, Az.: 1 B 512/08

Einstweiliger Rechtsschutz gegen die Erklärung des Einvernehmens zu einem Listenentwurf i.R.d. Ausweisung eines FFH-Gebietes durch eine deutsche Behörde; Statthafter Rechtsbehelf in der Hauptsache und im einstweiligen Rechtsschutz gegen eine Einvernehmenserklärung einer deutschen Behörde i.S.v. Art. 4 Abs. 2 UAbs. 1 der gemeinschaftsrechtlichen Flora-, Fauna-, Habitat-Richtlinie (RL 92/43/EWG; FFH-Richtlinie); Rechtswirkungen einer Einvernehmenserklärung i.S.v. Art. 4 Abs. 2 UAbs. 1 FFH-Richtlinie; Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit für Rechtsbehelfe gegen Maßnahmen deutscher Behörden nach europäischem Gemeinschaftsrecht

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
31.03.2008
Aktenzeichen
1 B 512/08
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2008, 12408
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOLDBG:2008:0331.1B512.08.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
OVG Niedersachsen - 24.04.2013 - AZ: 4 MC 56/13

Fundstellen

  • NVwZ 2008, 586-590 (Volltext mit red. LS)
  • NdsVBl 2008, 263-267
  • NordÖR 2008, 223-228 (Volltext mit amtl. LS)
  • NuR 2008, 518-524 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

FFH Gebiet

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Die Geltendmachung nationaler Rechtsbindungen, denen eine Kommune bei der Einvernehmenserteilung unterliegt, kann prozessual im Wege des vorbeugenden Rechtsschutzes gegen die Einvernehmenserklärung erfolgen. Die Einvernehmenserteilung hat keinerlei rechtliche Auswirkungen auf eine Kommune, da unmittelbare Rechtswirkungen erst die Verabschiedung der endgültigen Liste nach der FFH-Richtlinie durch die Kommission und den Habitatausschuss erzeugt. Das Rechtsschutzbegehren gegen die Einvernehmenserteilung rechtfertigt sich daher nicht aus einem Interesse an der Abwehr unmittelbarer Rechtsfolgen des Einvernehmens, sondern daraus, dass dies die letzte Möglichkeit ist, die Aufnahme des Gebietes in die Gemeinschaftsliste unter Berufung auf nationales Recht abzuwenden.

  2. 2.

    Zu den Belangen, die vor der Entscheidung über das Einvernehmen in die Abwägung eingestellt werden müssen, zählt auch das Selbstverwaltungsrecht der Kommunen. Die gemeindliche Planungshoheit ist betroffen, wenn eine eigene, hinreichend konkrete und verfestigte Planung der Gemeinde vorliegt und diese durch die überörtliche Maßnahme nachhaltig gestört wird, d, h. unmittelbare Auswirkungen gewichtiger Art vorliegen.

  3. 3.

    Es ist nicht auszuschließen, dass die Aufnahme von Außen- und Unterems in die Gemeinschaftsliste und die Anwendung des FFH-Regimes die Seeschifffahrt auf der Unterems wesentlich erschweren könnte und das hierdurch das Selbstverwaltungsrecht einer Hafenstadt an der Ems betroffen wird.

In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Oldenburg - 1. Kammer -
am 31. März 2008
beschlossen:

Tenor:

Der Antragsgegnerin wird es bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens (VG Oldenburg, 1 A 510/08) untersagt, ihr Einvernehmen im Sinne des Art. 4 Abs. 2 UAbs. 1 Richtlinie 92/43/EWG zu einem Listenentwurf zu erteilen, der das von der Antragsgegnerin als "Unterems und Außenems (DE 2507-331)" gemeldete Gebiet enthält.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.

Der Streitwert wird auf 100.000 EUR festgesetzt.

Gründe

1

Die Antragstellerin ist eine Hafenstadt an der Ems, die hier Seeschifffahrtsstraße ist. Flussabwärts ihres Gemeindegebietes gelegene Teile der Ems wurden von der Antragsgegnerin am 17. Februar 2006 der Europäischen Kommission unter der Bezeichnung "Unterems und Außenems (DE 2507-331)" als mögliches Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung im Sinne der Richtlinie 92/43/EWG vom 21. Mai 1992 (FFH-Richtlinie) gemeldet. Damit sollten die von der Kommission gerügten Defizite bei der Meldung des Lebensraumtyps "Ästuar" (LRT 1130) behoben werden. Laut der Meldung kommen prioritäre Lebensraumtypen oder Arten in dem Gebiet nicht in signifikanter Weise vor. Die Kommission hat dieses Gebiet in ihren Entwurf einer Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung in der atlantischen Region aufgenommen. Die Antragstellerin hat am 20. Februar 2008 Klage erhoben, mit dem Ziel, die Antragsgegnerin zur Unterlassung der Erteilung des Einvernehmens zu diesem Entwurf zu verurteilen (VG Oldenburg, 1 A 510/08). Sie ist der Auffassung, ihr Selbstverwaltungsrecht würde durch die Erteilung des Einvernehmens verletzt. Mit ihrem gleichzeitig eingegangen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz begehrt sie, der Antragsgegnerin bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache die Einvernehmenserteilung vorläufig zu untersagen.

2

Die Antragsgegnerin ist der Ansicht, der Antrag sei abzulehnen. Als reines Verfahrensinternum, das keinerlei Rechtsbetroffenheit bei der Antragstellerin auslöse, sei die Einvernehmenserteilung nicht mit Rechtsbehelfen angreifbar. Ferner wäre eine Berücksichtigung des Selbstverwaltungsrechts der Antragstellerin europarechtswidrig, weil die Antragsgegnerin nach der FFH-Richtlinie über ihr Einvernehmen allein anhand naturschutzfachlicher Kriterien entscheiden dürfe. Und selbst wenn weitere Belange einzustellen seien, wäre deren ausreichende Berücksichtigung eine im nachträglichen Rechtschutz verfahren überprüfbare europarechtliche Rechtmäßigkeitsvoraussetzung der Gemeinschaftsliste. Jedenfalls sei das Selbstverwaltungsrecht der Antragstellerin aber wegen der Entfernung zum gemeldeten Gebiet schon gar nicht betroffen.

3

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat Erfolg, da er zulässig und begründet ist.

4

Der Antrag ist zulässig.

5

Die deutsche Gerichtsbarkeit ist gegeben. Die Antragstellerin begehrt Rechtsschutz dahingehend, dass eine deutsche Behörde eine bestimmte Maßnahme unterlassen soll. Die Tätigkeit deutscher Behörden unterliegt wegen Art. 19 Abs. 4 GG uneingeschränkt der deutschen Gerichtsbarkeit. Ob diese aufgrund deutschen Rechts oder Gemeinschaftsrechts - hier Art. 4 Abs. 2 UAbs. 1 FFH-Richtlinie - handeln, ist dabei unerheblich (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 1 Rn. 27).

6

Der Antrag ist gem. § 123 Abs. 1, 5 VwGO statthaft. Die Antragstellerin will, dass das Gericht der Antragsgegnerin ein zukünftiges Verhalten untersagt. Hierfür ist im Hauptsacheverfahren die vorbeugende Unterlassungsklage als Unterfall der allgemeinen Leistungsklage statthaft (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O.., Vor § 40 Rn. 8a). Für einstweiligen Rechtsschutz ist das Verfahren nach § 123 VwGO statthaft (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O.., § 123 Rn. 4).

7

Die örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Oldenburg ergibt sich aus § 123 Abs. 2 S. 1 VwGO i.V.m. § 52 Nr. 1 VwGO. Die Flächen, um deren Aufnahme in die Liste der FFH-Gebiete es hier geht, Hegen im Bezirk des Verwaltungsgerichts Oldenburg.

8

Die Antragstellerin hat auch ein Rechtsschutzbedürfnis.

9

Das Rechtsschutzbedürfnis kann nicht mit der Erwägung verneint werden, dass sich die Antragstellerin gegen einen reinen Verfahrensakt wendet, von dem keinerlei unmittelbare Rechtswirkungen ausgehen. Denn die Geltendmachung nationaler Rechtsbindungen, denen die Antragsgegnerin bei der Einvernehmenserteilung möglicherweise unterliegt, könnte prozessual nur im Wege des vorbeugenden Rechtsschutzes gegen die Einvernehmenserklärung erfolgen.

10

Zutreffend ist, dass die Einvernehmenserteilung als solche keinerlei rechtliche Auswirkungen auf die Antragstellerin hat. Dies hat die Kammer bereits in ihrem Beschluss vom 2. Juli 2007, 1 B 1815/07, bezüglich eines Unternehmens ausführlich dargelegt. Unmittelbare Rechtswirkungen zeitigt erst die Verabschiedung der endgültigen Liste nach Art. 4 Abs. 2 u.a. 3, Art. 21 FFH-Richtlinie durch Kommission und Habitatausschuss. Mit ihr - allenfalls noch abhängig vom rein technischen Vorgang der Veröffentlichung im Bundesanzeiger - unterliegt das Gebiet bereits vor dem Erlass einer nationalen Schutzgebietsverordnung automatisch nach Art. 4 Abs. 5 FFH-Richtlinie und §§ 33 Abs. 5 BNatSchG, 34b Abs. 5 S. 1 NNatG dem Schutzregime des Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-Richtlinie (vgl. Meßerschmidt/ Schuhmacher, Bundesnaturschutzrecht, Stand November 2007, BNatSchG, § 33 Rn. 61; Nds. OVG. Beschluss vom 21. März 2006, 8 LA 150/02). Der volle Schutz kommt dem Gebiet dann zu, wenn die niedersächsischen Naturschutzbehörden die Schutzgebietsverordnung gem. § 33 Abs. 2 BNatSchG, § 34b Abs. 2 Nr. 1, §§ 24, 26 - 28 NNatG erlassen haben.

11

Das Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin gegen die Einvernehmenserteilung rechtfertigt sich daher nicht aus einem Interesse an der Abwehr unmittelbarer Rechtsfolgen des Einvernehmens, sondern daraus, dass dies die letzte Möglichkeit ist, die Aufnahme des Gebietes in die Gemeinschaftsliste - die unstreitig unmittelbare Rechtsfolgen nach Außen hat - unter Berufung auf nationales Recht, beispielsweise Art. 28 Abs. 2 GG, abzuwenden.

12

Nachträglicher Rechtsschutz scheidet hierfür aus. Er ist nur insoweit ausreichend, als die Verletzung von Vorschriften des Gemeinschaftsrechts geilend gemacht wird. Denn sowohl im Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO gegen die Schutzgebietsverordnung als auch beim inzidenten Rechtsschutz gegen das mit Verabschiedung der Liste kraft Gesetzes einhergehende vorläufige Schutzregime dürften deutsche Gerichte wegen des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts die einmal europarechtlich rechtmäßig erstellte Liste nicht deswegen verwerfen, weil die Aufnahme bestimmter Gebiete gegen nationales Recht (wie z.B. Art. 26 Abs. 2 GG) verstieß (vgl. VerfGH Rheinland-Pfalz, Urteil vom 11. Juli 2005, VGH N 25/04, NVwZ 2006, 206, 207 f.). Sie könnten lediglich durch Vorlage an den EuGH nach Art. 234 EGV von diesem prüfen lassen, ob die Liste dem Gemeinschaftsrecht entspricht (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 29. September 2006, 8 LC 217/04; Beschluss vom 21. März 2006, 8 LA 150/02, NuR 2006, 391; Beschluss vom 12. Juli 2000, 3 M 1605/00, NuR 2000, 711 [OVG Niedersachsen 12.07.2000 - 3 N 1605/00]; Beschluss vom 24. März 2000, 3 M 439/00, NuR 2000, 298). Und auch das EuG würde - sollte eine Nichtigkeitsklage einer Gemeinde gegen die Liste nach Art. 230 Abs. 4 EGV zulässig sein (zweifelnd EuG, Beschluss vom 5. Juli 2005, T-117/05R, NUR 2006, 169, 170 f. [BFH 18.08.2005 - V R 71/03], Rn. 66-69; wohl bejahend Nds. OVG, Beschluss vom 21. März 2006, 8 LA 150/02) - selbstverständlich kein nationales Recht als Prüfungsmaßstab heranziehen.

13

Nachträglicher Rechtsschutz könnte also der Antragstellerin nicht mehr zum Erfolg verhelfen, soweit sie rügt, dass nationales Recht durch die Aufnahme eines Gebietes in die FFH-Liste verletzt wurde. Eine solche Verletzung nationalen Rechts wäre dann denkbar, wenn sich das Gemeinschaftsrecht hinsichtlich der Berücksichtigung wirtschaftlicher und regionaler Belange bei der Einvernehmenserteilung innerhalb eines gewissen Rahmens indifferent verhielte - sich also für den EuGH die Aufnahme eines Gebietes ex post betrachtet als ebenso rechtmäßig darstellen könnte, wie es auch seine Nichtaufnahme gewesen wäre. Denn der dann vorhandene "europarechtsfreie Raum" würde für die Antragsgegnerin die Möglichkeit eröffnen, aber auch die Pflicht begründen, einschlägige Vorgaben des nationalen Rechts zu befolgen. Soweit das Gemeinschaftsrecht den deutschen Staatsorganen bei der Umsetzung ihrer europarechtlichen Verpflichtungen Entscheidungsspielräume einräumt, sind diese aufgrund ihrer allgemeinen Rechtsbindung (Art. 20 Abs. 3 GG) verpflichtet, bei Ausfüllung dieser Freiräume deutsches Recht zu beachten (vgl. BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2005, 2 BvR 2236/04, BVerfGE 113, 273, 300 f., 307; Beschluss vom 9. Januar 2001, 1 BvR 1036/99, [...] Rn. 16; Beschluss vom 9. Juli 1992, 2 BvR 1096/92, NVwZ 1993, 883, 884; VerfGH Rheinland-Pfalz, Urteil vom 11. Juli 2005, VGH N 25/04, NVwZ 2006, 206, 208; gerade für die Einvernehmenserteilung auch VG Frankfurt, Beschluss vom 2. März 2001, 3 G 501/01, NVwZ 2001, 1188, 1189; vgl. dazu ferner allgemein Gellermann, in: Rengeling/ Middeke/ Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, 2. Aufl., § 35 Rn. 46-49 und § 36 Rn. 38 f. m.w.N.). Deutsches Recht bleibt insoweit uneingeschränkter Prüfungsmaßstab der deutschen Gerichte (vgl. VerfGH Rheinland-Pfalz, Urteil vom 11. Juli 2005, VGH N 25/04, NVwZ 2006, 206, 208; BVerfG, Beschluss vom 9. Januar 2001, 1 BvR 1036/99, [...] Rn. 16; Beschluss vom 9. Juli 1992, 2 BvR 1096/92, NVwZ 1993, 883, 884; Gellermann, in; Rengeling/ Middeke/ Gellermann, a.a.O.., § 35 Rn, 47, 49 und § 36 Rn. 38 f.).

14

In einem solchen Fall wäre es erforderlich, der materiellen Bindung deutscher Behörden an deutsches Recht bei der Ausfüllung gemeinschaftsrechtlicher Spielräume dadurch effektive Geltung zu verschaffen, dass man den Rechtsschutz auch prozessual auf den letzten deutschen Hoheitsakt vorverlegt, bei dem dieser Spielraum besteht (vgl. VG Oldenburg, Beschluss vom 2. Juli 2007, 1 B 1815/07, [...]), Andernfalls liefe die materielle Bindung an nationales Recht aus verfahrensrechtlichen Gründen leer. Zur Vermeidung einer Rechtsschutzlücke muss Rechtsschutz hier ausnahmsweise schon verfahrensbegleitend möglich sein.

15

Eine solche Vorverlagerung des Rechtsschutzes auf Verfahrensakte, die keine unmittelbaren Rechtswirkungen entfalten, ist bereits mehrfach in Fällen anerkannt worden, in denen nur diese Verfahrensakte an deutschen Rechtsnormen gemessen werden können, nicht aber die einer internationalen Rechtsordnung angehörende Sachentscheidung.

16

Zu nennen sind hier zum einen verfassungsrechtliche Rechtsbehelfe gegen Zustimmungsgesetze zu völkerrechtlichen Verträgen nach Art. 59 Abs. 2 GG. Obwohl Rechtswirkungen für Bürger und Behörden noch nicht mit dem Inkrafttreten des Zustimmungsgesetzes eintreten, sondern erst dann, wenn (und falls) der Bundespräsident von der im Zustimmungsgesetz enthaltenen Ermächtigung zum Vertragsschluss Gebrauch macht und wenn (sowie falls) der daraufhin abgeschlossene Vertrag völkerrechtlich in Kraft tritt, lässt das Bundesverfassungsgericht Rechtsbehelfe gegen das Zustimmungsgesetz ausnahmsweise sogar schon vor dessen Verkündung zu (BVerfG, Urteil vom30. Juli 1952, BVerfGE 1, 396, 410 ff. [BVerfG 30.07.1952 - 1 BvF 1/52][BVerfG 30.07.1952 - 1 BvF 1/52]; seither st. Rspr.). Dies begründet das Bundesverfassungsgericht mit der Erwägung, dass zwar erst der Vertragsschluss Rechtsfolgen auslöst, ein so spät einsetzender Rechtsschutz aber nicht mehr effektiv wäre, da das Gericht die einmal eingetretene völkerrechtliche Bindung nicht unter Berufung auf die Verletzung nationalen Rechts wieder rückgängig machen könnte (BVerfG, a.a.O.., 412 f.).

17

Zum anderen ist hier auf die Möglichkeit vorbeugenden Rechtsschutzes gegen das Abstimmungsverhalten Deutschlands im Rat zu verweisen. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Unzulässigkeit vorbeugenden Rechtsschutzes gegen die Zustimmung des deutschen Vertreters zu einer Richtlinie, die auf dem Argument beruht, die Regelungen der Richtlinie erreichten den Grundrechtsträger erst durch einen selbständig anfechtbaren Rechtsetzungsakt der deutschen Staatsgewalt (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 1989, 2 BvA 3/89, NJW 1990, 974), wird von der Literatur ganz überwiegend so interpretiert, dass im Umkehrschluss die Zustimmung zu einem unmittelbar in Deutschland anwendbaren Rechtsakt - etwa einer gemeinschaftsrechtlichen Verordnung - mit vorbeugendem Rechtsschutz angreifbar wäre (vgl. Gellermann, in: Rengeling/ Middeke/ Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, 2. Aufl., § 35 Rn. 63-66 m.w.N.). In einem derartigen Fall könne der Unmittelbarkeitszusammenhang nicht deshalb verneint werden, weil nicht der Mitwirkungsakt als solcher, sondern erst der unter deutscher Mitwirkung erlassene Rechtsakt in die Sphäre des Bürgers eingreift (Gellermann, in: Rengeling/ Middeke/ Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, 2. Aufl., § 35 Rn. 63 m.w.N.). Denn die Zustimmung stelle jedenfalls dann, wenn der Rechtsakt nicht ahne sie erlassen werden könnte, den letzten von der deutschen Staatsgewalt gesetzten Mitwirkungsakt dar und bilde eine bestimmende Ursache für die Grundrechtsverletzung (Gellermann, in: Rengeling/ Middeke/Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, 2. Aufl., § 35 Rn. 63 m.w.N.).

18

Nach diesen Maßstäben ist Rechtsschutz gegen die Einvernehmenserteilung trotz ihres Charakters als Verfahrensakt zulässig. Die Gemeinschaftsliste, die ohne das Einvernehmen der Antragsgegnerin nicht zustande kommen könnte, löst schon vor der nationalen Schutzgebietsausweisung unmittelbar den vorläufigen Schutz nach Art. 4 Abs. 5 FFH-Richtlinie, §§ 33 Abs. 5 BNatSchG, 34b Abs. 5 S. 1 NNatG aus. Es bedarf hierfür allenfalls nach des rein technischen Vorganges der Veröffentlichung im Bundesanzeiger, aber keines echten, mit Rechtsbehelfen angreifbaren Vollzugsaktes einer deutschen Behörde (zur Unanfechtbarkeit der Veröffentlichung vgl. Meßerschmidt/Schumacher, a.a.O.., § 33 BNatSchG Rn. 69 m.w.N.). Und ähnlich wie im Falle eines völkerrechtlichen Vertrages könnten nationale Gerichte auch hier die europarechtliche Bindungswirkung der Liste nicht mehr im nachträglichen Rechtsschutz unter Berufung auf deutsches Recht in Frage zu stellen.

19

Auch § 44a VwGO steht der Zulässigkeit des Antrags nicht entgegen. Bei einer am Gebot effektiven Rechtsschutzes orientierten Auslegung des § 44a VwGO muss verfahrenshandlungsbezogener Rechtsschutz immer dann möglich sein, wenn die Verfahrenshandlung zu Rechtsverletzungen führt, die im Rahmen des Angriffs auf die Sachentscheidung nicht mehr restituiert werden können (vgl. Ziekow, in: Sodann/ Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 44a Rn. 17; Kopp/ Schenke, a.a.O.., § 44a Rn. 1 m.w.N.). Es wurde bereits dargelegt, dass die Missachtung spezifisch nationaler Rechtsbindungen, denen die Einvernehmenserteilung möglicherweise unterliegt, nicht mehr im nachträglichen Rechtsschutz durch Angriffe gegen die Gemeinschaftsliste oder die nationale Schutzgebietsverordnung restituiert werden könnte.

20

Insofern wäre auch das qualifizierte, gerade auf die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes gerichtete Interesse (vgl. dazu bspw. Nds. OVG, Beschluss vom 12. Juli 2000, 3 M 1605/00, NuR 2000, 711 [OVG Niedersachsen 12.07.2000 - 3 N 1605/00]) gegeben. Es lägen besondere Gründe vor, die es rechtfertigen, nachträglichen Rechtsschutz nicht abzuwarten: Denn im Rahmen des nachträglichen Rechtsschutzes gegen die Unterschutzstellung des Gebietes könnte die Antragstellerin nicht mehr dieselben Rechte geltend machen, auf die sie sich jetzt im Rahmen des vorbeugenden Rechtsschutzes berufen kann. Namentlich wäre - wie oben dargelegt - Art. 28 Abs. 2 GG durch den Vorrang des Europarechts ausgeschlossen.

21

Vorbeugender Rechtsschutz vor nationalen Gerichten gegen die Aufnahme eines Gebietes in die Gemeinschaftsliste muss sich dabei auf die Einvernehmenserteilung beziehen. In späteren Verfahrensstadien wäre er nicht mehr effektiv. Die Einvernehmenserteilung ist die letzte Möglichkeit der Antragsgegnerin, die Aufnahme eines Gebietes in die Liste zu verhindern (vgl. auch VG Frankfurt, Beschluss vom 2. März 2001, 3 G 501/01, NVwZ 2001, 1188, 1189). Die nachfolgende endgültige Festsetzung der Liste erfolgt durch qualifizierten Mehrheitsbeschluss des Habitatauschusses oder des Rates (vgl. Art. 4 Abs. 2 u.a. 3, Art. 21 FFH-Richtlinie i.V.m. Art. 5 des Beschlusses des Rates vom 28. Juni 1999, 1999/468/EG, Amtsblatt L 184/23); die Liste könnte in dieser Phase also auch zustande kommen, wenn die Antragsgegnerin durch ein Gericht verpflichtet würde, mit "Nein" zu stimmen.

22

Ein Bedürfnis für vorbeugenden Rechtsschutz gegen die Einvernehmenserteilung besteht also nur unter der Prämisse, dass die Antragsgegnerin bei ihrer Entscheidung über das Einvernehmen überhaupt an nationales Recht gebunden ist. Dies wiederum setzt - wie dargelegt - voraus, dass ihr aus Sicht der Gemeinschaft ein europarechtlich nicht voll determinierter Handlungsspielraum zustünde, in den dann nationales Recht eindringen könnte. Wenn dagegen die Erteilung des Einvernehmens europarechtlich zwingend geboten wäre, ohne dass die Bundesregierung das Selbstverwaltungsrecht der Antragstellerin berücksichtigen dürfte, würde der Vorrang des Europarechts insofern die nationalen Rechtsbindungen verdrängen; mithin gäbe es auch kein Bedürfnis für ihre prozessuale Geltendmachung (vgl. VG Oldenburg, Beschluss vom 2. Juli 2007, 1 B 1815/07).

23

Ebenso bestünde kein Bedürfnis für vorbeugenden nationalen Rechtsschutz, wenn die gebührende Berücksichtigung der Belange der Antragstellerin durch das Gemeinschaftsrecht abschließend geregelt wäre und vom EuGH im Rahmen des nachträglichen Rechtsschutzes überprüft werden könnte.

24

Dass Belange der wirtschaftlichen und infrastrukturellen Entwicklung sowie der kommunalen Selbstverwaltung in der ersten Phase des Gebietsausweisungsverfahrens, den mitgliedsstaatlichen Gebietsmeldungen (Art. 4 Abs. 1 FFH-Richtlinie), außer Betracht bleiben müssen, ist inzwischen gesichert (vgl. EuGH, Urteil vom 7. November 2000, Rs. C-371/98; BVerwG, Urteil vom 19. Mai 1998, 4 A 9/97, BVerwGE 107, 1, 24; Urteil vom 27. Januar 2000, 4 C 2/99, BVerwGE 110, 302 ff.). Ob dies aber auch für die zweite Phase, die Erstellung der Gemeinschaftsliste nach Art. 4 Abs. 2 FFH-Richtlinie, gilt, ist umstritten (Meßerschmidt/Schumacher, a.a.O.., BNatSchG § 33 Rn. 38). Ein Teil der Literatur will auch hier nur die Berücksichtigung ökologischer Kriterien erlauben, andere Belange aber ausschließen. Solche Interessen könnten erst später berücksichtigt werden, wenn nach Art. 6 Abs. 4 FFH-Richtlinie über die ausnahmsweise Zulässigkeit eines schädigenden Vorhabens entschieden werde (vgl. Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 145 f., 151; Rödiger-Vorwerk, Die FFH-Richtlinie der Europäischen Union und ihre Umsetzung in nationales Recht, S. 31; Gellermann, NVwZ 2001, 500, 502; Louis, BNatSchG, 2. Aufl., § 19b Rn. 6). Aber auch die gegenteilige Ansicht wird vertreten (bspw. von Kerkmann, Natura 2000: Verfahren und Rechtsschutz im Rahmen der FFH-Richtlinie, S. 130 ff.; VG Frankfurt, Beschluss vom 2. März 2001, 3 G 501/01, NVwZ 2001, 1188, 1189). Ihr hat sich für Gebiete, die -wie das hierin Rede stehende - nicht als prioritär anzusehen sind, namentlich auch der Generalanwalt beim EuGH in einem obiter dictum angeschlossen (Schlussanträge des Generalanwaltes Leger vom 7. März 2000 in der Rs C-371/98, Rn. 30, 51 f., 58). Der EuGH hat hierzu in seinem Urteil vom 7. November 2000, Rs. C-371/98 nicht Stellung bezogen, da die damalige Vorlagefrage nur Phase 1 der Gebietsausweisung betraf (EuGH, a.a.O.., Rn. 12).

25

Für die Rechtsauffassung des Generalanwaltes spricht, dass nach dem quasi im "allgemeinen Teil" der FFH-Richtlinie stehenden Art. 2 Abs. 3 wirtschaftliche, soziale u.Ä. Belange bei allen aufgrund der Richtlinie getroffenen Maßnahmen berücksichtigt werden. Auch der dritte Erwägungsgrund der Präambel der FFH-Richtlinie spricht davon, dass "wirtschaftlich[e] [...] und regionale] Anforderungen" bei der Verfolgung der ökologischen Ziele der Richtlinie berücksichtigt werden "sollen". Ferner wird diese Auffassung am besten den Zielsetzungen der unterschiedlichen Verfahrensstufen gerecht. Einer ersten Phase, in der die Mitgliedstaaten nach rein naturschutzfachlichen Gesichtspunkten alle als Schutzgebiete in Betracht kommenden Flächen melden, steht eine zweite Phase gegenüber, in der Kommission und Mitgliedstaaten im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung gemeinsam die Gebiete auswählen, die letztendlich unter Schutz gestellt werden sollen (vgl. Kerkmann, a.a.O.., S. 142 f.; Schlussanträge des Generalanwaltes Leger vom 7. März 2000 in der Rs C-371/98, Rn. 30, 51 ff.).

26

Somit sprechen gewichtige Gründe dafür, dass die Erteilung des Einvernehmens zwar für den betroffenen Mitgliedstaat nicht politisch frei verhandelbar ist, er aber aus Sicht des Gemeinschaftsrechts sein Einvernehmen verweigern darf, wenn er wegen entgegenstehender wirtschaftlicher oder regionaler Belange eine Unterschutzstellung eines Gebietes ablehnt (vgl. Kerkmann, a.a.O.., S. 145 f.).

27

Da diese Abwägungsbefugnis auf Art. 2 Abs. 3 FFH-Richtlinie beruht- also gemeinschaftsrechtlich begründet ist - könnte der EuGH die gebührende Berücksichtigung der Interessen der Antragstellerin möglicherweise im Rahmen nachträglichen Rechtsschutzes gegen die Gemeinschaftsliste überprüfen (Kerkmann, a.a.O.., S. 238 f.). Er hätte dann zu entscheiden, ob Kommission und Mitgliedstaat nach Art. 2 Abs. 3 FFH-Richtlinie wegen entgegenstehender kommunaler Belange gemeinschaftsrechtlich daran gehindert waren, das betroffene Gebiet in die Liste aufzunehmen. Es ist aber nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht hinreichend sicher, ob der EuGH dies wirklich prüfen würde:

28

In den Schlussanträgen des Generalanwaltes Leger vom 7. März 2000 in der Rs C-371/98, Rn. 30, 51 ff. ist nur davon die Rede, dass die wirtschaftlichen und anderen nichtökologischen Belange aus europarechtlicher Sicht bei der Erstellung der Gemeinschaftsliste berücksichtigt werden können. Dass sie europarechtlich berücksichtigt werden müssen, so dass ein Träger dieser Belange ihre Nichtberücksichtigung vor dem EuGH erfolgreich rügen könnte, lässt sich den Schlussanträgen nicht entnehmen. Auch der im 3. Erwägungsgrund der Präambel der FFH-Richtlinie benutzte Terminus "sollen" ist nicht eindeutig in Bezug auf die Frage, ob es sich hierum eine europarechtliche Rechtspflicht handelt, deren Beachtung der EuGH strikt überwachen wird, oder nur um eine gerichtlich allenfalls sehr rudimentär kontrollierbare Ermessensleitlinie. Im Ergebnis spricht jedenfalls einiges dafür, dass der EuGH der Kommission und dem Mitgliedstaat einen weiten Beurteilungs- bzw. Ermessensspielraum in Bezug darauf zugestehen wird, ob und wie sie wirtschaftliche und regionale Belange berücksichtigen und gewichten wollen (vgl. Kerkmann, a.a.O.., S. 255; wohl auch VG Frankfurt, Beschluss vom 2. März 2001, 3 G 501/01, NVwZ 2001, 1188, 1189). Dies entspräche seiner bisherigen Rechtsprechung zur Beurteilung komplexer Entscheidungen, in die Bewertungen unterschiedlicher Natur einfließen (dazu näher Epiney/ Sollberger, Zugang zu Gerichten und gerichtliche Kontrolle im Umweltrecht, S. 393 f. m.w.N.; vgl. auch Ewer, NuR 2000, 361, 363).

29

Weil die Antragstellerin nicht eine betroffene private Grundstückseigentümerin, sondern eine sich auf ihr Selbstverwaltungsrecht berufende Gemeinde ist, kommt noch eine weitere Unsicherheit hinzu. Es kann nämlich keineswegs als gesichert gelten, dass die Gemeinschaftsgerichte ein aus Art. 2 Abs. 3 FFH-Richtlinie folgendes Abwägungsgebot als subjektives Recht der Antragstellerin auf Berücksichtigung kommunaler Belange ansehen würden. Denn während der EuGH Grundrechte, wie beispielsweise das Eigentum (Art. 6 Abs. 2 EUV i.V.m. Art. 1 Zusatzprotokoll 1 zur EMRK; Art. 17 EUGrCh), als subjektive Rechte der Betroffenen anerkennt, ist nicht ersichtlich, dass das kommunale Selbstverwaltungsrecht eine in gleicher Weise europarechtlich wehrfähige Rechtsposition ist. Es handelt sich nicht um ein "Gemeinschaftsgrundrecht" im Sinne des Art. 6 Abs. 2 EUV: Die kommunale Selbstverwaltung wird weder durch die EMRK noch durch die Grundrechtecharta geschützt und stellt auch in den mitgliedstaatlichen Verfassungstraditionen kein Grundrecht da (zum fehlenden Grundrechtscharakter des Art. 28 Abs. 2 GG vgl. Sannwald, in: Schmidt/Bleibtreu/Klein, GG, 10. Aufl., Art. 28 Rn. 31). Sie wird auch sonst im EU- oder EG-Vertrag nirgends erwähnt. Dass es sich beim kommunalen Selbstverwaltungsrecht um einen ungeschriebenen allgemeinen Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts handeln sollte, liegt angesichts der Vielgestaltigkeit der Staats- und Verwaltungsstrukturen in den 27 Mitgliedstaaten ebenfalls eher fern. Damit ist es durchaus wahrscheinlich, dass der EuGH ein in der FFH-Richtlinie möglicherweise verankertes europarechtliches Gebot zur Berücksichtigung regionaler Belange nur als objektive Rechtspflicht von Kommission und Mitgliedstaat ansehen würde, nicht aber als mit Rechtsbehelfen durchsetzbares, subjektives europarechtliches Recht einer kommunalen Gebietskörperschaft. In diese Richtung ist wohl auch der Beschluss des EuG vom 5. Juli 2005, T-117/05R, NuR 2006, 169, 170 [EuG 05.07.2005 - T 117/05] (Rn. 68) zu verstehen, wenn es dort heißt, "das allgemeine Interesse, das eine juristische Person wie die Gemeinde als die für die in ihrem Gebiet auftretenden Wirtschaftsfragen zuständige Einheit an einem für den Wohlstand dieses Gebietes günstigen Ergebnis haben kann" reiche nach ständiger Rechtsprechung des EuGH nicht aus, um gemeinschaftsrechtlichen Rechtsschutz begehren zu können.

30

Die Zulässigkeit vorbeugenden Rechtsschutzes hängt also maßgeblich von zwei europarechtlichen Fragen ab, deren Beantwortung nach derzeitigem Stand von Literatur und Rechtsprechung völlig offen ist:

  1. 1.)

    Erlaubt die FFH-Richtlinie der Antragsgegnerin die Berücksichtigung der selbstverwaltungsrechtlich geschützten Belange der Antragstellerin?

  2. 2.)

    Würde der EuGH die Gemeinschaftsliste im nachträglichen Rechtsschutz daraufhin überprüfen, ob das Selbstverwaltungsrecht der Antragstellerin ausreichend berücksichtigt wurde?

31

Auch die Antragsgegnerin gesteht zu, dass "das Vorliegen der Voraussetzungen für vorbeugenden Rechtsschutz in der Tat nicht in Zweifel gezogen werden" könnte, wenn beide Fragen im Sinne der Rechtsauffassung der Antragstellerin zu entscheiden wären.

32

Ihre verbindliche Beantwortung ist letztlich wohl nur durch den EuGH möglich. Eine Vorlage nach Art. 234 EGV im vorläufigen Rechtsschutzverfahren erscheint wegen der Eilbedürftigkeit untunlich; die Möglichkeit einer Vorlage im Hauptsacheverfahren bleibt aber nur erhalten, wenn der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz für zulässig erachtet wird. Denn andernfalls würde die Antragsgegnerin ihr Einvernehmen wohl noch vor einen Entscheidung in der Hauptsache erteilen und die Unterlassungsklage sich damit erledigen. Auch materiell-rechtlich könnte die Antragstellerin dann einen unwiederbringlichen Rechtsverlust erleiden: Es könnte sich in einem nachträglichen Rechtschutzverfahren herausstellen, dass die Geltendmachung ihres Selbstverwaltungsrechts in diesem Stadium aus europarechtlichen Gründen unmöglich ist, das Europarecht seine Berücksichtigung durch nationale Gerichte im Rahmen vorbeugenden Rechtschutzes gegen das Einvernehmen aber durchaus akzeptiert hätte. Der Antragsgegnerin droht dagegen im umgekehrten Fall kein endgültiger Nachteil, sondern allenfalls ein vorübergehender Verzug bei der Erfüllung ihrer europarechtlichen Pflichten: Wenn dem Eilantrag stattgeben wird und sich im Hauptsachverfahren herausstellt, dass vorbeugender nationaler Rechtsschutz gegen die Einvernehmenserteilung doch unzulässig ist, könnte die Erteilung des Einvernehmens nachgeholt werden. Die im Verfahren nach § 123 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung (BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 1979, 1 BvR 699/7, BVerfGE 51, 268, 286 [BVerfG 13.06.1979 - 1 BvR 699/77]) spricht somit zusätzlich für die Antragstellerin.

33

Damit geht die Kammer für das vorläufige Rechtsschutzverfahren davon aus, dass aus europarechtlicher Sicht eine Situation eintreten kann, in der der EuGH weder die Aufnahme noch die mit regionalen Belangen begründete Nichtaufnahme eines Gebietes in die Gemeinschaftsliste für europarechtswidrig erachten, sondern beide Alternativen als vom Ermessensspielraum der Kommission und des Mitgliedstaates gedeckt ansehen würde. Sowohl die Erteilung als auch die Verweigerung des Einvernehmens nach Art. 4 Abs. 2 u.a. 1 FFH-Richtlinie wären dann europarechtskonform. Für mitgliedsstaatliche Gerichte besteht hier die Möglichkeit, nur eine von beiden europarechtskonformen Optionen als mit nationalem Recht vereinbar anzusehen.

34

Es dürfte aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht nicht auf Bedenken stoßen, dass dadurch der Kontrollumfang hinsichtlich der gebotenen Berücksichtigung regionaler und wirtschaftlicher Belange im vorbeugenden nationalen Gerichtsverfahren dichter ausfällt als im nachträglichen Rechtsschutz auf Gemeinschaftsebene (vgl. Epiney/Sollberger, a.a.O.., S. 395). Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn die FFH-Richtlinie von den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen ausdrücklich die Einräumung gerichtsfreier Beurteilungsspielräume verlangen würde, die national nicht eingeschränkt werden dürfen (vgl. Epiney/ Sollberger, a.a.O.., S. 395). Dafür gibt es keinerlei Anhaltspunkte.

35

Die Antragstellerin hat somit kein Bedürfnis für vorbeugenden Rechtsschutz hinsichtlich der Frage, ob Außen- und Unterems die naturschutzfachlichen Tatbestandsvoraussetzungen der FFH-Richtlinie erfüllen. Dies ist eine gemeinschaftsrechtliche Frage, die im nachträglichen Rechtschutz geklärt werden kann. Sie hat aber ein Rechtsschutzbedürfnis bezüglich der Frage, ob die Antragsgegnerin - die Erfüllung der naturschutzfachlichen Tatbestandsvoraussetzungen der Richtlinie unterstellt - im Rahmen des dann europarechtlich eröffneten Ermessensspielraums die Interessen der Antragstellerin so berücksichtigt hat, wie dies das deutsche Recht gebietet.

36

Wenn die Antragsgegnerin der Antragstellerin darüber hinaus sogar generell ein Interesse an Rechtsschutz gegen die Gemeinschaftsliste absprechen will, da der mit der Liste eintretende Schutz nicht strenger sei als derjenige, der ohnehin schon mit der Meldung des Gebietes entstanden ist, so überzeugt dies nicht. Diese Argumentation setzt sich nicht nur in Widerspruch zur bisherigen ständigen Rechtsprechung, wonach nachteilige Rechtsfolgen gerade nicht durch die Meidung eines Gebietes, sondern erst durch seine Aufnahme in die Gemeinschaftsliste eintreten (vgl. nur Nds. OVG, Beschluss vom 21. März 2006, 8 LA 150/02), sondern verkennt auch die Folgen, die ein Obsiegen der Antragstellerin in der Hauptsache haben könnte: Der vorläufige Schutz, der gemeldeten Gebieten bis zur Aufnahme in die Liste (vgl. EuGH, Urteil vom 13. Januar 2005, C-117/03, NVwZ 2005, 311 f.) bzw. "potentiellen" FFH-Gebieten in jeder Verfahrensphase (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 24. März 2000, 3 M 439/00, NuR 2000, 298; Beschluss vom 12. Juli 2000, 3 M 1605/00, NuR 2000, 711 [OVG Niedersachsen 12.07.2000 - 3 N 1605/00]) zukommt, müsste wieder entfallen, wenn die Antragsgegnerin ihr Einvernehmen als Folge des Urteils im Hauptsacherechtsstreit endgültig verweigern würde. Denn eine Aufnahme des Gebietes in das FFH-Netz wäre gegen den erklärten Willen des betroffenen Mitgliedstaates nicht möglich (BVerwG, Beschluss vom 21. Januar 1998, 4 VR 3/97, 4 VR 9/97, NVwZ 1998, 616 ff. [BVerwG 21.01.1998 - BVerwG 4 VR 3/97][BVerwG 21.01.1998 - 4 VR 3/97]); ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 226 EGV könnte daran nichts ändern, wenn man davon ausgeht, dass Deutschland bei nicht prioritären Gebieten europarechtlich zur Verweigerung des Einvernehmens wegen entgegenstehender kommunaler Belange berechtigt ist. Der vorläufige Schutz würde dann aber keinen Sinn mehr machen, da die endgültige Unterschutzstellung, die er absichern sollte, gescheitert wäre.

37

Die Antragstellerin ist auch antragsbefugt. Sie könnte durch die Erteilung des Einvernehmens in ihrem Selbstverwaltungsrecht verletzt werden. Es ist jedenfalls möglich, dass zu den Belangen, die die Antragsgegnerin nach nationalem Recht vor der Erteilung des Einvernehmens berücksichtigen muss, auch das Selbstverwaltungsrecht der Antragsgegnerin gehört. Ferner kann nicht ausgeschlossen werden, dass diese Berücksichtigung hier nicht in ausreichendem Maße stattgefunden hat.

38

Der Antrag ist auch begründet. Die Antragstellerin hat einen Anordnungsgrund und einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.

39

Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Bei einer summarischen Prüfung der Rechts- und Sachlage sprechen beachtliche Gründe dafür, dass die Erteilung des Einvernehmens derzeit ihr Selbstverwaltungsrecht verletzen würde. Da diese Rechtsverletzung - wie dargelegt - nachträglich nicht mehr beseitigt werden könnte, dürfte aus Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG ein öffentlich-rechtlicher Anspruch der Antragstellerin auf Unterlassung der Einvernehmenserteilung folgen.

40

Die Rechtsbindungen, denen die Antragsgegnerin innerstaatlich bei Erteilung des Einvernehmens unterliegt, sind nirgendwo ausdrücklich einfachgesetzlich normiert. Sie können sich daher nur aus dem Verfassungsrecht und daraus abgeleiteten Grundsätzen ergeben. Es sind hier diejenigen verfassungsrechtlichen Bindungen entsprechend anzuwenden, denen ein nationaler Verordnungsgeber unterliegt, wenn er in rein nationalrechtlich geregelten Fällen in Ausübung seines Rechtssetzungsermessens darüber entscheidet, ab er ein Gebiet, das die Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 23 bzw. 26 BNatSchG erfüllt, durch Rechtverordnung zum Landschafts- oder Naturschutzgebiet erklären will.

41

Dabei verkennt die Kammer nicht, dass die Einvernehmenserteilung nicht selbst ein Normsetzungsakt ist und die Antragsgegnerin nicht selbst eine Schutzgebietsverordnung erlässt. Sie ist aber der letzte deutsche Hoheitsträger, der nach Ermessen darüber entscheiden kann, ob eine Schutzgebietsverordnung im Sinne des § 33 Abs. 2 BNatSchG, § 34b Abs. 2 NNatG erlassen werden muss. Denn für den späteren eigentlichen Normsetzer besteht nach Art. 4 Abs. 4 FFH-Richtlinie eine Rechtspflicht zur Unterschutzstellung der in die Gemeinschaftsliste aufgenommenen Gebiete. Ein Ermessen bezüglich des "Ob" einer Schutzgebietsverordnung steht ihm daher - abweichend von rein national geregelten Fällen - nicht mehr zu (vgl. Meßerschmidt/Schumacher, a.a.O.., BNatSchG § 33 Rn. 43).

42

Dem kann nicht entgegen gehalten werden, dass § 33 Abs. 3 BNatSchG auch alternative Formen der Unterschutzstellung - etwa durch Vertrag mit dem Eigentümer - zulässt. Der Anwendungsbereich dieser Öffnungsklausel - die im Übrigen nur die Rechtsform des Schutzes ändert, nicht aber seine Strenge - ist in richtlinienkonformer Auslegung auf Ausnahmefälle beschränkt (vgl. Meßerschmidt/Schumacher, a.a.O.., BNatSchG § 33 Rn. 56 m.w.N.), die hier offensichtlich nicht einschlägig sind. In Bezug auf das hier betroffene Gebiet ist praktisch nur die Unterschutzstellung durch Rechtsnorm denkbar.

43

Um den Rechtsschutz gegen die Ausweisung von FFH-Gebieten soweit wie europarechtlich zulässig an den Rechtsschutz in vergleichbaren, rein nationalen Fällen anzunähern, so dass eine Rücknahme der nationalen Rechtsbindung der Verwaltung nur im europarechtlich zwingend vorgeschriebenen Ausmaß erfolgt, müssen die verfassungsrechtlichen Grundsätze für die Ausübung das Normsetzungsermessen hier auf den letzten Teil des Gebietsausweisungsverfahrens angewandt werden, in dem das Europarecht dem Mitgliedstaat noch eine abwägende Ermessensentscheidung über das "Ob" der Unterschutzstellung erlaubt. Dies ist nach hier vertretener Auffassung die Einvernehmenserteilung. Ansonsten fände vor Erlass der Schutzgebietsverordnung auf keiner Verfahrensstufe eine verfassungsrechtlich gebundene Interessenabwägung statt, obwohl für einen solchen Abwägungsverzicht keine europarechtliche Notwendigkeit bestünde. Eine solche Zurücknahme der nationalen Rechtsbindung deutscher Staatsgewalt über das europarechtlich zwingend Gebotene hinaus wäre vor Art. 20 Abs. 3 GG nicht zu rechtfertigen. Sie könnte sich namentlich nicht auf Art. 23 GG stützen, da ihr ja gerade keine europarechtliche Pflicht zugrunde liegt.

44

Für den Erlass einer Schutzgebietsverordnung nach nationalem Recht gilt: Bei Vorliegen der entsprechenden tatbestandlichen Voraussetzungen hat der Verordnungsgeber bei der Entscheidung, ob ein bestimmtes Gebiet unter Schutz gestellt werden soll, einen Entscheidungsspielraum (Blum/Agena/ Franke, NNatG, §§ 24 - 34 Rn. 14). Von zentraler Bedeutung bei der Ausübung dieses "Normsetzungsermessens" ist die Beachtung des Abwägungsgebotes und des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Der Normsetzer muss das für seine Entscheidung in Frage kommende Abwägungsmaterial umfassend zusammenstellen sowie richtig bewerten und anschließend alle für oder gegen die Unterschutzstellung sprechenden öffentlichen Belange und privaten Interessen unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten gegeneinander abwägen (Blum/ Agena/ Franke, NNatG, §§ 24 - 34 Rn. 15). Das Gebot gerechter Abwägung ist verletzt, wenn eine sachgerechte Abwägung nicht stattgefunden hat (Abwägungsausfall), wenn bei der Abwägung wesentliche Belange außer Acht gelassen wurden (Abwägungsdefizit), wenn die Bedeutung eines Belanges verkannt (Abwägungsfehleinschätzung) oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Unterschutzstellung berührten öffentlichen und privaten Belangen in einer Weise vorgenommen wurde, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht (Abwägungsdisproportionalität) (Blum/ Agena/ Franke, NNatG, §§ 24 - 34 Rn. 20 m.w.N.).

45

Zu den Belangen, die hier von der Antragsgegnerin vor der Entscheidung über das Einvernehmen in die Abwägung eingestellt werden müssen, zählt auch das Selbstverwaltungsrecht der Antragstellerin.

46

Ein Eingriff in das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht, der den Gemeinden gegenüber anderen Hoheitsträgern ein Recht darauf gibt, dass ihre Interessen ermessensfehlerfrei abgewogen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. März 1987, 7 C 28/85, BVerwGE 77, 128 , 133 f.; BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1994, 11 C 18/93, BVerwGE 97, 203, 211 f., jeweils m.w.N.). liegt unter folgenden Voraussetzungen vor:

47

Er ist gegeben, wenn überörtliche Maßnahmen nachhaltige Auswirkungen auf das Gemeindegebiet haben und die Entwicklung der Gemeinde nachhaltig beeinflussen, v. a. in Bezug auf ihre Infrastruktur (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. März 1987, 7 C 28/85, BVerwGE 77, 128 , 133 f.; BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1994, 11 C 18/93, BVerwGE 97, 203, 211 f., jeweils m.w.N.). Die gemeindliche Planungshoheit ist betroffen, wenn eine eigene, hinreichend konkrete und verfestigte Planung der Gemeinde, die allerdings noch nicht verwirklich zu sein braucht, vorliegt und diese durch die überörtliche Maßnahme nachhaltig gestört wird, d, h. unmittelbare Auswirkungen gewichtiger Art vorliegen (st. Rspr. vgl. BVerwG, Urteil vom 27.10.1998, 11 A 10-98, NVwZ-RR 1999, 225, 226 [BVerwG 27.10.1998 - 11 A 10/98]; Urteil vom 15.12.1989, 4 C 36/86, BVerwGE 84, 209, 215) [BVerwG 15.12.1989 - 4 C 36/86]. Solche gewichtigen Auswirkungen liegen vor, wenn die Dispositionsfreiheit der Gemeinde über ihre Planungen - objektiv gesehen -fühlbar beeinträchtigt ist. Das ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn der Entschluss, aufgrund eines überörtlichen Vorhabens eine beabsichtigte örtliche Planung zu ändern oder aufzugeben, eine rechtlich zulässige und tatsächlich nachvollziehbare Reaktion wäre (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 21. Februar 1991, 7 L 110/89, [...] Rn. 53).

48

Die Anwendung dieser Grundsätze ist einerseits nicht auf Vorhaben innerhalb des Gemeindegebietes beschränkt, andererseits darf der überörtliche Hoheitsträger aber nicht durch uferlose Ausdehnung seiner Abwägungspflichten überfordert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.10.1998, 11 A 10-98, NVwZ-RR 1999, 225, 226 [BVerwG 27.10.1998 - BVerwG 11 A 10/98]) [BVerwG 27.10.1998 - 11 A 10/98]. Die Belange einer Gemeinde müssen daher bei Vorhaben außerhalb ihres Gebietes nur dann in die Abwägung eingestellt werden, wenn für den Abwägungspflichtigen ersichtlich ist, dass sie trotz der geographischen Entfernung zu dem überschaubaren Kreis der in ganz besonderer Weise Betroffenen gehört.

49

Obwohl diese Rechtsprechung überwiegend - wenn auch nicht ausschließlich (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1994, 11 C 16/93, BVerwGE 97, 203 ff.) - anhand überörtlicher Planungen entwickelt wurde, ist sie auf das Normsetzungsermessen vor Erlass einer naturschutzrechtlichen Schutzgebietsverordnung - und damit auch auf das Ermessen der Antragsgegnerin vor Erteilung des Einvernehmens - übertragbar. Denn die rechtlichen Anforderungen an den Erlass einer Schutzgebietsverordnung sind hinsichtlich des Abwägungsgebotes dem Erlass eines Planes angenähert (vgl. Blum/ Agena/ Franke, NNatG, §§ 24 - 34 Rn. 15 m.w.N.).

50

Nach diesen Maßstäben hätte die Antragsgegnerin die Belange der Antragstellerin in ihre Entscheidung über das Einvernehmen einstellen müssen. Dies ist keine Ausdehnung der Abwägungspflicht "ins Uferlose".

51

Die Antragstellerin ist im niedersächsischen Landesraumordnungsprogramm als Standort für einen Seehafen und hafenorientierte Industrie benannt (vgl. Ziff. 4.1.4.02 der Anl. 1 zur VO über das LROP Niedersachsen, Nds. GVBl. 2008, 26, 38). Entsprechend hat sie in ihrem Flächennutzungsplan bereits ein "Sondergebiet Hafen" ausgewiesen und allein zwischen 1999 und 2007 mehrere Millionen Euro in die Entwicklung des Hafengebietes investiert. Zusätzlich hat sie am 13. Februar 2008 einen Bebauungsplan Nr. 230 "Hafengebiet an der Rheiderlandstraße" beschlossen und weitere Flächen im Flächennutzungsplan als "Sondergebiet Hafen" ausgewiesen. Solche hafenbezogenen Planungen und Investitionen machen nur Sinn, wenn die Erreichbarkeit des Gebietes der Antragstellerin über die Seeschiffahrtsstraße Unterems auch weiterhin ohne Restriktionen gewährleistet bleibt, wobei sich diese Erreichbarkeitserwartung bei einer Seeschifffahrtsstraße auch auf Schiffe bezieht, deren Größe über dem auf Binnenschifffahrtsstraßen üblichen liegt Dass solche Schiffe regelmäßig gerade den Hafen der Antragstellerin verlassen, ist allgemein bekannt. Die Antragsgegnerin musste dies schon aus dem Planfeststellungsverfahren für das Emssperrwerk wissen, zu dessen Zwecken es auch gehört, als Stauwerk die Überführung großer Seeschiffe vom Gebiet der Antragstellerin in die Nordsee zu ermöglichen. Wäre die Befahrbarkeit der Ems für solche Großschiffe nicht mehr oder nur noch mit erheblichen Einschränkungen gewährleistet, läge ein nachvollziehbarer Grund für die Antragstellerin vor, ihre bisherigen Planungen zur Hafenentwicklung abzuändern. Die wirtschaftliche Entwicklung der Antragstellerin und ihre Infrastruktur wären von einer solchen Entwicklung nachhaltig betroffen.

52

Aber nicht nur die tatsächliche Situation der Antragstellerin macht es für die Antragsgegnerin deutlich erkennbar, dass die Antragstellerin in besonderer Weise von Maßnahmen betroffenen ist, die die Befahrbarkeit der Ems mit großen Seeschiffen erschweren könnten. Auch aufgrund der Verträge über den Ausbau und die Unterhaltung dieser Seeschifffahrtsstraße, die die Antragsgegnerin 1994 und 1996 unter anderem mit der Antragstellerin abgeschlossen hat, musste sich diese Erkenntnis geradezu aufdrängen. Denn diese Verträge manifestieren das besondere Interesse, das die Antragstellerin an Ausbau und Unterhaltung der Unterems hat. Ob sie der Einvernehmenserteilung - wie von der Antragstellerin behauptet - zwingend entgegenstehen, ist zweifelhaft, kann aber offen bleiben. Die Verträge mussten der Antragsgegnerin jedoch jedenfalls verdeutlichen, dass ihre Vertragspartnerin zu denjenigen zählt, deren Belange besonders betroffen und daher in die Abwägung einzustellen sind. Dem entgegen zu halten, der Vorrang der Europarechts verdränge insoweit die vertraglichen Rechte und Pflichten, wäre ein Zirkelschluss. Ob die FFH-Richtlinie nicht doch die abwägende Berücksichtigung solcher Umstände erlaubt, ist gerade Kernfrage des Rechtsstreites und kann -wie dargelegt - erst im Hauptsacheverfahren endgültig geklärt werden.

53

Es kann hier dahin stehen, in welchem Ausmaß sich die Aufnahme von Außen- und Unterems in die Gemeinschaftsliste tatsächlich auf die Antragstellerin auswirken würde. Es ist jedenfalls nicht völlig auszuschließen, dass die Anwendung des FFH-Regimes die Seeschifffahrt auf der Unterems wesentlich erschweren könnte. Namentlich ist nicht auszuschließen, dass die für den Erhalt des Status quo notwendigen Unterhaltungsarbeiten zukünftig einer Prüfung nach Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-Richtlinie bedürfen und daraus Erschwernisse resultieren könnten. Die Einzelheiten, zu denen die Antragsgegnerin bereits jetzt einen detaillierten Vortrag der Antragsstellerin fordert (Welche Schiffe kannten den Hafen nicht mehr erreichen? Wie groß ist deren Anteil an Verkehrsaufkommen und Umschlag des Hafens? Wie wird sich der Schiffsverkehr auf der Ems zukünftig entwickeln? Welche wirtschaftlichen Folgen ergeben sich für die Antragstellerin?), können nicht im Eilverfahren aufgeklärt werden. Solches könnte allenfalls im Hauptsacheverfahren geschehen. Vieles spricht sogar dafür, dass es Aufgabe der Antragsgegnerin ist, diese Fragen bei der Zusammenstellung des Abwägungsmaterials zu Wären. Denn das Ausmaß der Betroffenheit einzelner Belange und die voraussichtlichen Auswirkungen der geplanten Schutzgebietsausweisung sind von der abwägenden Behörde zu ermitteln, nicht von den Betroffenen (vgl. Blum/ Agena/ Franke, §§ 24 - 28 NNatG, Rn. 26).

54

Der Anspruch der Antragstellerin auf Einstellung ihres Selbstverwaltungsrechts in die Abwägung würde durch eine Einvernehmenserteilung zum jetzigen Zeitpunkt verletzt werden. Es liegt ein Abwägungsausfall vor. Eine Abwägung hat bislang noch nicht stattgefunden. Die Antragsgegnerin hält steh aufgrund ihrer europarechtlichen Rechtsauffassung nicht für berechtigt, eine Abwägung von Belangen der Antragstellerin mit Belangen des Naturschutzes durchzuführen. Dies hat sie schon vorgerichtlich wiederholt deutlich gemacht (vgl. Hintergrundpapier zum TOP 31 der 834. Sitzung des Bundesrates, Bl. 110 d. BA A; Bericht des BMU vom 23. Mai 2007 für die Sitzung des Europaausschusses des Bundesrates vom 25. Mai 2007, S. 2, Bl. 127 d. BA A; Niederschrift über die Bundesratsausschusssitzung vom 24. Mai 2007, S. 13, Bl. 139 d. BA A; Schreiben des BMU an die Landesumweitministerien vom 21. Mai 2007, S. 3 f., Bl. 148 f. d. BA; Ministervorlage des BMU vom 22. Februar 2007, S. 3, Bl. 237 d. BA) und hält auch im gerichtlichen Verfahren daran fest.

55

Auch der Anordnungsgrund wurde glaubhaft gemacht. Das Rechtschutzbegehren der Antragstellerin ist eilbedürftig. Die Antragsgegnerin führte in der Antragserwiderung aus, die Einvernehmenserteilung könne binnen einiger Wochen erfolgen, in dieser Zeitspanne ist keine gerichtliche Entscheidung in der Hauptsache möglich. Mit Erteilung des Einvernehmens droht aber der Antragstellerin, wie dargelegt, die endgültige Vereitelung ihres wahrscheinlich bestehenden Unterlassungsanspruchs. Dieser muss daher durch eine einstweilige Anordnung vorläufig gesichert werden, bis im Hauptsacheverfahren endgültig über sein Bestehen entschieden werden kann.

56

In Ausübung des gerichtlichen Ermessens bezüglich des Inhalts der Anordnung (vgl. Kopp/ Schenke, a.a.O.., § 123 Rn. 28) war hier der Antragsgegnerin die Erteilung des Einvernehmens für das gesamte als Unter- und Außenems gemeldete Gebiet bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu untersagen. Eine Beschränkung der Anordnung auf Teile des Gebietes ist nicht möglich. Das Gebiet wird im Kommissionsentwurf nur einheitlich aufgeführt, ohne in einzelne "Untergebiete" aufgegliedert zu sein, zu denen man das Einvernehmen teilweise erteilen und teilweise versagen könnte (vgl. Annex 1 zum Schreiben der Kommission vom 15. März 2007, S. 5, Bl. 20 d. BA A).

57

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung orientiert sich an den Erwägungen, die das Nds. OVG in seinem Beschluss vom 10. März 2008, 4 ME 639/07, angestellt hat.

Janssen
Wörl
Dr. Maierhöfer