Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 02.07.2007, Az.: 1 B 1815/07

Tätigkeit deutscher Behörden als Gegenstand uneingeschränkter deutscher Gerichtsbarkeit; Bestehen eines qualifizierten Rechtsschutzinteresses als Voraussetzung für die Gewährung vorbeugenden Rechtsschutzes; Rechtliche Überprüfbarkeit einer Liste von "Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung" durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) aufgrund der Vorlage eines nationalen Gerichts; Möglichkeit einer Inanspruchnahme von Rechtsschutz gegen die Veröffentlichung einer Liste von "Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung" im Bundesanzeiger; Vorliegen schwerer Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Gemeinschaftsrechtsaktes als Voraussetzung für eine Gewährung von nationalem Eilrechtsschutz gegen einen Vollzug dieses Rechtsaktes; Zulässigkeit der nationalen Überprüfung eines Vollzugs von Gemeinschaftsrecht mit den Grundrechten des Grundgesetzes (GG)

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
02.07.2007
Aktenzeichen
1 B 1815/07
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2007, 37358
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOLDBG:2007:0702.1B1815.07.0A

Verfahrensgegenstand

FFH Gebiet

In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Oldenburg -1. Kammer-
am 2. Juli 2007
beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 60.000 EUR festgesetzt.

Gründe

1

Die Antragstellerin begehrt, es der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache zu untersagen, gem. Art. 4 Abs. 2 u.a. 1 der Richtlinie 92/43/EWG vom 21. Mai 1992 (FFH-Richtlinie) ihr Einvernehmen gegenüber der Europäischen Kommission zum Entwurf einer Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung zu erteilen.

2

Der Antrag ist unzulässig.

3

Die deutsche Gerichtsbarkeit ist zwar gegeben. Die Antragstellerin begehrt Rechtsschutz dahingehend, dass eine deutsche Behörde eine bestimmte Maßnahme unterlassen soll. Die Tätigkeit deutscher Behörden unterliegt wegen Art. 19 Abs. 4 GG uneingeschränkt der deutschen Gerichtsbarkeit. Ob sie aufgrund deutschen Rechts oder Gemeinschaftsrechts -hier Art. 4 Abs. 2 UAbs. 1 FFH-Richtlinie -handeln, ist dabei unerheblich (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., § 1 Rn. 27).

4

Der Antrag ist auch gem. § 123 Abs. 1, 5 VwGO statthaft. Es geht hier nicht um die Anordnung, Wiederherstellung oder Feststellung der aufschiebenden Wirkung eines Anfechtungsrechtsbehelfes gegen einen Verwaltungsakt. Die Antragstellerin begehrt vielmehr, dass das Gericht es der Antragsgegnerin aufgibt, ein bestimmtes, in Zukunft erstmals drohendes Verhalten -nämlich die Erklärung des Einvernehmens nach Art. 4 Abs. 2 UAbs. 1 FFH-Richtlinie im Hinblick auf das Gebiet "Unterems und Außenems" -zu unterlassen. Hierfür wäre im Hauptsachverfahren die vorbeugende Unterlassungsklage als Unterfall der allgemeinen Leistungsklage statthaft (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O.., Vor § 40 Rn. 8a). Im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes ist es das Verfahren nach § 123 VwGO (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O.., § 123 Rn. 4).

5

Der Antragstellerin fehlt aber das Rechtsschutzbedürfnis für ihren Antrag. Vorbeugender vorläufiger Rechtsschutz kommt nicht in Betracht, wenn der Betroffene zumutbarerweise auf nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden kann, da die VwGO grundsätzlich nachträglichen Rechtsschutz als ausreichend ansieht. Voraussetzung für die Gewährung vorbeugenden Rechtsschutzes ist daher ein qualifiziertes, gerade auf die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes gerichtetes Rechtsschutzinteresse, so dass besondere Gründe vorliegen müssten, die es rechtfertigen, nachträglichen Rechtsschutz nicht abzuwarten (vgl. bspw. Nds. OVG, Beschluss vom 12. Juli 2000, 3 M 1605/00, NuR 2000, 711).

6

Hier stehen der Antragstellerin aber effektive und zumutbare Möglichkeiten zur Erlangung nachträglichen Rechtsschutzes gegen die Unterschutzstellung des Gebiets "Unterems und Außenems" nach der FFH-Richtlinie und den sie umsetzenden §§ 33 BNatSchG und 34b NNatG zur Verfügung. Dies wurde in der Rechtsprechung -gerade auch der erkennenden Kammer -bereits mehrfach für die Meldung der für einen solchen Schutz in Betracht kommenden Gebiete durch die Länder an den Bund gem. § 33 Abs. 1 S. 1, 2 BNatSchG und für die weitere Meldung durch den Bund an die Kommission gem. Art. 4 Abs. 1 FFH-Richtlinie, § 33 Abs. 1 S. 3 BNatSchG entschieden (vgl. nur Nds. OVG, Beschluss vom 29. September 2006, 8 LC 217/04; Nds. OVG, Beschluss vom 21. März 2006, 8 LA 150/02, NuR 2006, 391; Nds. OVG, Beschluss vom 12. Juli 2000, 3 M 1605/00, NuR 2000, 711; Nds. OVG, Beschluss vom 24. März 2000, 3 M 439/00, NuR 2000, 298; VG Oldenburg, Beschluss vom 20. Januar 2000, 1 B 4195/99; VG Oldenburg, Beschluss vom 2. Februar 2000, 1 B 82/00; VG Oldenburg, Beschluss vom 29. Juni 2000, 1 B 2016/00, NuR 2000, 713; VG Oldenburg, Urteil vom 31. August 2004, 1 A 136/02; VG Oldenburg, Urteil vom 29. Juni 2004, 1 A 4193/99; für gleichlautende Rspr. aus anderen Bundesländern und zustimmendes Schrifttum vgl. Messerschmidt/Schumacher, Bundesnaturschutzrecht, § 33 BNatSchG Rn. 69). Nichts anderes gilt auch für die Erteilung des Einvernehmens zu dem von der Kommission zu erstellenden Entwurf einer Liste der "Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung" gem. Art. 4 Abs. 2 UA. 1 FFH-Richtlinie.

7

Die Erteilung dieses Einvernehmens selbst zeitigt für die Antragstellerin keinerlei unmittelbare Rechtsfolgen. Eventuelle Einschränkungen ihres Gewerbebetriebs ergeben sich aus ihm nicht.

8

Der volle in der FFH-Richtlinie vorgesehene Schutz kommt den betroffenen Gebieten erst zu, wenn die Kommission aus dem mit Einvernehmen der Bundesregierung erstellten Entwurf in dem gem. Art. 4 Abs. 2 UA. 3, Art. 21 FFH-Richtlinie vorgesehenen Verfahren die endgültige Liste erstellt (zum Unterschied zwischen dem Entwurf nach Art. 4 Abs. 2 UA. 1 -dessen Zustandekommen die Antragstellerin hier verhindern will - und der eigentlichen Liste vgl. auch Messerschmidt/Schumacher, a.a.O.., § 33 BNatSchG Rn. 44) und die niedersächsischen Naturschutzbehörden dies gem. § 33 Abs. 2 BNatSchG, §§ 34b Abs. 2 Nr. 1, 24, 26 -28 NNatG durch Erlass einer entsprechenden Satzung bzw. Verordnung umgesetzt haben.

9

Zwischen der Bekanntmachung der Liste im Bundesanzeiger und der Unterschutzstellung durch die Naturschutzbehörde stellen §§ 33 Abs. 5 BNatSchG, 34b Abs. 5 S. 1 NNatG die betroffenen Gebiete kraft Gesetzes unter einen gewissen Schutz. Auch dieser Schutz ist aber nicht unmittelbare Rechtsfolge des Einvernehmens der Bundesregierung. Er hängt zusätzlich -lässt man die Veröffentlichung im Bundesanzeiger als rein technischen Vorgang einmal außer Betracht -von der Verabschiedung der endgültigen Liste durch die Kommission in dem Verfahren Art. 4 Abs. 2 u.a. 3, Art. 21 FFH-Richtlinie i.V.m. Art. 5, 7 und 8 des Beschlusses 1999/468/EG (ABl. L 184 vom 17. Juli 1999, S. 23) unter Beteiligung eines mit Vertretern der Mitgliedstaaten besetzten Ausschusses und gegebenenfalls von Rat und Europäischem Parlament ab.

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Gewisse Einschränkungen für den Betrieb der Beklagten mögen allerdings bereits jetzt insofern bestehen, als nach der Rechtsprechung des EuGH schon die Meldung der Gebiete durch die Mitgliedstaaten gem. Art. 4 Abs. 1 FFH-Richtlinie bis zur Erstellung der Liste durch die Kommission ein allgemeines Verschlechterungsverbot mit sich bringt (vgl. EuGH, Urteil vom 13. Januar 2005, C-117/03 (Dragaggi), NVwZ 2005, 311 f. [EuGH 13.01.2005 - C 117/03]; Messerschmidt/ Schumacher, a.a.O.., § 33 BNatSchG Rn. 62). Da diese Rechtsfolge aber bereits mit der Meldung nach Art. 4 Abs. 1 FFH-Richtlinie eintrat, ist die Erteilung oder Verweigerung des Einvernehmens zum Listenentwurf nach Art. 4 Abs. 2 u.a. 1 FFH-Richtlinie insofern belanglos.

11

In dieser Hinsicht würde ein Erfolg im vorliegenden Verfahren der Antragstellerin keinerlei rechtlichen Vorteil bringen.

12

Auch unter dem Gesichtspunkt der Rechtsfigur des "potentiellen FFH-Gebietes" drohen der Antragstellerin durch die Erteilung des Einvernehmens zum Listenentwurf keine unmittelbaren rechtlichen Nachteile. Denn nur das Gebiet, das die naturschutzfachlichen Kriterien nach Art. 4 Abs. 1 erfüllt, kann als potentielles Schutzgebiet angesehen werden. Gebiete, auf die dies nicht zutrifft, unterliegen den rechtlichen Beschränkungen, die das BVerwG aus dem Gebot der Vertragstreue und der gemeinschaftsrechtlichen Stillhaltepflicht herleitet, nicht, unabhängig davon, in welcher formalen Phase sich das Verfahren zur Ausweisung besonderer Schutzgebiete zur Zeit befindet (VG Oldenburg, Beschluss vom 20. Januar 2000, 1 B 4195/99; zustimmend Nds. OVG, Beschluss vom 24. März 2000, 3 M 439/00, NuR 2000, 298; Nds. OVG, Beschluss vom 12. Juli 2000, 3 M 1605/00, NuR 2000, 711).

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Daher kann für die Antragstellerin kein Rechtsschutzbedürfnis dahingehend bestehen, die Erteilung des Einvernehmens zum Listenentwurf als solche zu verhindern. Ihr rechtliches Interesse kann nur darauf gerichtet sein, die Unterschutzstellung der betroffenen Gebiete gem. § 33 Abs. 2 BNatSchG, §§ 34 b Abs. 2 Nr. 1, 24, 26 -28 NNatG oder eine für sie nachteilige Anwendung des vorläufigen gesetzlichen Schutzes nach §§ 33 Abs. 5 BNatSchG, 34b Abs. 5 S. 1 NNatG zu verhindern. Hierfür stehen aber ausreichende und effektive Möglichkeiten nachträglichen Rechtsschutzes -einschließlich nachträglichen vorläufigen Rechtsschutzes -zur Verfügung.

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Wie in der Rechtsprechung zum vorbeugenden Rechtsschutz gegen die Meldung von FFH- Gebieten zutreffend hervorgehoben wurde, ist gegen die Unterschutzstellung der Gebiete durch die Naturschutzbehörde, die gem. § 34b Abs. 2 NNatG i.V.m. §§ 24, 26 -28 NNatG durch Satzung oder Verordnung erfolgt, die Normenkontrolle gem. § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO, § 7 Nds. AGVwGO statthaft. Da der durch § 33 Abs. 2 BNatSchG. § 34b Abs. 2 Nr. 1 NNatG umgesetzte Art. 4 Abs. 4 FFH-Richtlinie die deutschen Behörden europarechtlich zwingend verpflichtet, alle von der Kommission in die Liste aufgenommenen Gebiete unter Schutz zu stellen, und da den deutschen Gerichten keine Kompetenz zur Verwerfung europäischer Gemeinschaftsrechtsakte zukommt, könnte das OVG in einem solchen Normenkontrollverfahren nicht unmittelbar prüfen, ob die hier betroffenen Gebiete die naturschutzfachlichen Kriterien der FFH-Richtlinie erfüllen bzw. ob die nach Ansicht der Antragstellerin durch Art. 2 FFH-Richtlinie europarechtlich gebotene Abwägung (hierzu S. 39 der Antragsschrift) vor Erlass der Liste ordnungsgemäß stattgefunden hat. Es kann aber durch Vorlage an den EuGH gem. Art. 234 S. 1 b EGV von diesem prüfen lassen, ob die Liste, die einen Rechtsakt der Gemeinschaftsorgane darstellt, im Hinblick auf die Aufnahme dieser Gebiete dem Gemeinschaftsrecht -einschließlich der Richtlinie selbst und der in Art. 6 Abs. 2 EU-Vertrag erwähnten europäischen Gemeinschaftsgrundrechte -entspricht (so auch Nds. OVG, Beschluss vom 29. September 2006, 8 LC 217/04; Nds. OVG, Beschluss vom 21. März 2006, 8 LA 150/02, NuR 2006, 391; Nds. OVG, Beschluss vom 12. Juli 2000, 3 M 1605/00, NuR 200, 711; Nds. OVG, Beschluss vom 24. März 2000, 3 M 439/00, NuR 200, 298; aus europarechtlicher Sicht ebenso EuG, Beschlüsse vom 22. Juni 2006, T 136, 137 und 150/04, das deshalb eine individuelle Nichtigkeitsklage vor dem EuG nach Art. 230 Abs. 4 EGV für unzulässig hält). Der EuGH hat in seinemUrteil vom 13. Januar 2005, C-117/03 (Dragaggi), NVwZ 2005, 311 f. [EuGH 13.01.2005 - C 117/03] deutlich gemacht, dass er die Aufnahme eines Gebietes in die Liste durch die Kommission nicht als durch die entsprechenden Vorschläge der Mitgliedstaaten vorgezeichneten Automatismus versteht, sondern den Gemeinschaftsorganen - und damit auch sich selbst -eine Prüfung abverlangt, ob die gemeldeten Gebiete wirklich die europarechtlich an ein FFH-Gebiet zu stellenden Anforderungen erfüllen.

15

Auch gegen den mit Veröffentlichung der Liste im Bundesanzeiger kraft Gesetzes einhergehenden vorläufigen Schutz der Gebiete könnte die Antragstellerin, soweit sie dadurch in ihren Rechten betroffen ist, nachträglichen Rechtsschutz ersuchen. Zwar sind auf Unterlassung der Veröffentlichung gerichtete Rechtsbehelfe unzulässig (vgl. Meßerschmidt/ Schumacher, a.a.O.., § 33 BNatSchG Rn. 69 m.w.N.) und nach der Rechtsprechung des EuG ist wohl auch eine Nichtigkeitsklage der Antragstellerin gegen die Liste selbst nach Art. 230 Abs. 4 EGV nicht möglich (vgl. dazu Nds. OVG, Beschluss vom 29. September 2006, 8 LC 217/04 m.w.N. auf EuG, Beschlüsse vom 22. Juni 2006, T 136, 137 und 150/04). Jedoch stünde der Antragstellerin das gesamte Instrumentarium der VwGO gegen die nationalen Vollzugsakte zur Verfügung. Sie könnte gegen sie belastende, auf §§ 33 Abs. 5 BNatSchG, 34b Abs. 5 S. 1 NNatG beruhende Verwaltungsakte mit der Anfechtungsklage vorgehen, mit Verpflichtungs- bzw. allgemeiner Leistungsklage Verwaltungsakte und Realakte, die ihr mit Hinweis auf diese Normen verweigert werden (etwa ein Ausbaggern der Fahrrinne der Ems), erstreiten oder mit der Feststellungsklage feststellen lassen, dass bestimmte von ihr beabsichtigte Verhaltensweisen nicht durch §§ 33 Abs. 5 BNatSchG, 34b Abs. 5 S. 1 NNatG verboten sind. Das Verwaltungsgericht hätte dann wieder die oben beschriebene Möglichkeit, durch Vorlage an den EuGH die Vereinbarkeit der Aufnahme von Unterems und Außenems in die Liste mit den in der FFH-Richtlinie festgesetzten naturschutzfachlichen Kriterien und mit den Gemeinschaftsgrundrechten überprüfen zu lassen. Dasselbe Instrumentarium inzidenten Rechtsschutzes stünde der Antragstellerin übrigens zusätzlich zum Normenkontrollantrag nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO auch nach der Unterschutzstellung der Gebiete durch die Naturschutzbehörde zur Verfügung.

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Dabei sollte betont werden, dass auch die Pflicht zur Vorlage an den EuGH nicht dazu führt, dass der nachträgliche Rechtsschutz für die Antragstellerin aufgrund langer Verfahrensdauer unzumutbar würde. Die Antragstellerin kann auch im Rahmen der soeben beschriebenen Möglichkeiten nachträglichen Rechtsschutzes nach § 47 Abs. 6, §§ 80, 80a oder § 123 VwGO vorläufigen Rechtsschutz begehren. In diesem Rahmen können die deutschen Verwaltungsgerichte wegen der Eilbedürftigkeit des Verfahrens nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ausnahmsweise selbst vorläufigen Rechtsschutz gegen den nationalen Vollzug von Gemeinschaftsrechtsakten gewähren, an deren Rechtmäßigkeit sie schwere Zweifel hegen (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Februar 1991, C 143/88 und C 92/89, Slg. 1991, I-534 (Zuckerfabrik Süderdithmarschen) undUrteil vom 9. November 1995, C 466/93, Slg. 1995, I3799 (Atlanta Fruchthandelsgesellschaft); dazu auch näher Lenz/Borchardt, EU- und EG- Vertrag, Art. 234 Rn. 15 f.; Gellermann, in: ders./ Rengeling/ Middeke, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, 2. Aufl. 2003, § 36 Rn. 67 f.). Das bedeutet für den vorliegenden Fall, dass die Verwaltungsgerichte, sollten sie in nachträglichen einstweiligen Rechtsschutzverfahren zu der Auffassung gelangen, Unterems und Außenems erfüllten nicht die Kriterien der FFH-Richtlinie oder ihre Aufnahme in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung verstoße gegen Gemeinschaftsgrundrechte, vorläufigen Rechtsschutz bis zu einer von ihnen herbeizuführenden Entscheidung des EuGH nach Art. 234 EGV gewähren könnten.

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Auch das von der Antragstellerin zur Unzumutbarkeit nachträglichen Rechtsschutzes angeführte Argument, dass im Rahmen nachträglichen Rechtsschutzes wegen des Vorrangs eines einmal erlassenen Gemeinschaftsrechtsaktes vor deutschem Recht nicht mehr überprüft werden könnte, ob die Bundesregierung innerstaatliche Rechtsbindungen, denen sie bei der Abgabe des Einvernehmens unterlag, verletzt hat (vgl. dazu S. 27 f. der Antragsschrift), kann jedenfalls im konkreten Fall keinen Erfolg haben.

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Generell mag es bedenkenswert sein, einen auf Unterlassen der Einvernehmenserklärung gerichteten Rechtsbehelfs ausnahmsweise dann für zulässig zu erachten, wenn die Bundesregierung mit der Abgabe dieser Erklärung spezifisch nationale Rechtsbindungen verletzen würde. Denn diese wären für den EuGH, der im Rahmen der Vorlage nach Art. 234 EGV nur Gemeinschaftsrecht als Prüfungsmaßstab heranziehen darf, in der Tat unbeachtlich und auch deutsche Gerichte dürften wegen des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts die einmal erstellte Liste nicht deswegen für rechtswidrig erachten, weil die Einvernehmenserklärung der Bundesregierung zum Entwurf gegen nationales Recht verstieß. Hier mag es erforderlich sein, nationalen Rechtsvorschriften, die nach Erlass eines Gemeinschaftsrechtsaktes (hier der Liste) wegen des Vorrang des Europarechts nicht mehr zum tragen kommen können, dadurch effektive Geltung zu verschaffen, dass man die Bundesregierung an der zum Zustandekommen des Gemeinschaftsrechtsaktes erforderlichen Mitwirkung hindert. Als solche nationalen Rechtsvorschriften kämen vor allem die verfahrensrechtlichen Vorschriften des EuZBLG und des EuZBTG in Betracht, die die Beteiligungsrechte von Ländern, Bundestag und Bundesrat in Bezug auf das Verhalten der Bundesregierung im Rahmen der Europäischen Union regeln.

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Die Antragstellerin hat aber nichts vorgetragen, was auf eine Verletzung solcher spezifisch innerstaatlichen Rechtsbindungen schließen ließe. Auch ansonsten ist dafür nichts ersichtlich.

20

Wie die Antragstellerin selbst einräumt, hat der Bundesrat hier gem. § 5 Abs. 2 EuZBLG der Erklärung des Einvernehmens durch die Bundesregierung zugestimmt.

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Die Antragstellerin macht im Wesentlichen folgendes geltend: 1.) Die hier betroffenen Gebiete erfüllten nicht die naturschutzfachlichen Voraussetzungen eines FFH-Gebietes (vgl. dazu S. 41 ff. der Antragsschrift), 2.) ihr Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG und ihr Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb würden verletzt (vgl. dazu S. 28 ff. und 42 f. der Antragsschrift) und 3.) die grundrechtlich sowie durch Art. 2 der FFH-Richtlinie gebotene Abwägung ihrer wirtschaftlichen Interessen mit den Interessen des Naturschutzes sei nicht in rechtmäßiger Weise erfolgt (vgl. dazu S. 38 ff. und 42 der Antragsschrift).

22

Keine dieser Einwendungen bezieht sich aber auf eine innerstaatliche Rechtsbindung, der die Antragsgegnerin bei der Abgabe ihres Einvernehmens nach Art. 4 Abs. 2 UA. 1 FFH- Richtlinie unterliegt.

23

Sofern die Antragstellerin geltend macht, die Unter- und Außenems erfülle nicht die naturschutzfachlichen Voraussetzungen für die Aufnahme in die Liste, handelt es sich nicht um einen Verstoß gegen nationales Recht, sondern gegen Europarecht. Die Kriterien, die an ein solches Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung zu stellen sind, enthält Art. 4 der FFH- Richtlinie in Verbindung mit deren Anhängen.

24

Gleiches gilt, sofern die Antragstellerin geltend macht, eine ihrer Auffassung nach durch Art. 2 Abs. 3FFH-Richtlinie gebotene Abwägung von Naturschutz und wirtschaftlichen Interessen sei hier nicht ordnungsgemäß erfolgt. Auch diese Abwägung wäre keine nationalrechtlich, sondern eine europarechtlich vorgeschriebene.

25

Sofern die Antragstellerin aus Art. 14 Abs. 1 GG, dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb sowie aus dem grundrechtlichen Abwägungsgebot rechtliche Bindungen ableiten will, kommen diese allesamt nicht bei der Erklärung des Einvernehmens nach Art. 4 Abs. 2 u.a. 1 FFH-Richtlinie zum tragen.

26

Die Erklärung des Einvernehmens ist Teil des Vollzugs der FFH-Richtlinie durch die deutschen Behörden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts können deutsche Gerichte aber derzeit den Vollzug von Gemeinschaftsrecht durch deutsche Behörden insoweit, als er durch sekundäres Gemeinschaftsrecht determiniert ist, nicht auf die Vereinbarkeit mit den Grundrechten des GG überprüfen. Dies ergibt sich aus dem Vorrang des Europarechts, den der deutsche Gesetzgeber mit den Zustimmungsgesetzen zu den europäischen Verträgen anerkannt hat, und ist solange mit dem GG vereinbar, wie der EuGH einen dem deutschen Grundrechtsstandard im Wesentlichen vergleichbaren Grund gewährleistet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 1986, 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339 ff. (Solange II); BVerfG, Urteil vom 12. Oktober 1993, 2 BvR 2134/92 und 2159/92, BVerfGE 89, 155 ff. (Maastricht); BVerfG, Beschluss vom 7. Juni 2000, 2 BvL 1/97, NJW 2000, 3124 (Bananenmarkt)).

27

Die FFH-Richtline untersagt es den Mitgliedstaaten, bei der Auswahl der in Betracht kommenden Gebiete ihren Interessen der wirtschaftlichen oder infrastrukturellen Entwicklung Vorrang vor dem Lebensraum- und Artenschutz einzuräumen (BVerwG, Urteil vom 19. Mai 1998, 4 A 9/97, BVerwGE 107, 1, 24 unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 11. Juli 1996, C 44/95, NuR 1997, 36 (Lappel Bank); seither st. Rspr. vgl. Messerschmidt/Schumacher, a.a.O.., § 33 BNatSchG Rn. 16). Eine gegen diese Vorgabe des sekundären Gemeinschaftsrechts verstoßende Güterabwägung kann die Antragstellerin von der Antragsgegnerin auch unter Berücksichtigung von Art. 14 Abs. 1 GG daher nicht verlangen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

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[s. Streitwertbeschluss]

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert wird auf 60.000 EUR festgesetzt.

Der Streitwert wurde hier ebenso hoch angesetzt wie derjenige des Hauptsachverfahrens (1 A 1816/07), da das Interesse der Antragstellerin an einer vorläufigen Regelung hier ihrem Interesse an einer endgültigen Regelung entspricht (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O.., Anh § 164 Rn. 11). Es ist nämlich damit zu rechnen, dass die Antragsgegnerin nach Ablehnung des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz ihr Einvernehmen nach Art. 4 Abs. 2 UA. 1 FFH- Richtlinie noch vor einer Entscheidung des Gerichts über die Hauptsache erteilen und sich das dort geltend gemachte Unterlassungsbegehren somit erledigen wird. Der Betrag von 60.000 Euro ergibt sich aus § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziff. 29.2 und 9.8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Das Interesse der Antragstellerin an der Verhinderung der Erteilung des Einvernehmens ist dem Interesse an einem Normenkontrollverfahren gegen eine Schutzgebietsausweisung vergleichbar, da es der Antragstellerin letztendlich darum geht, die Unterschutzstellung der hier betroffenen Gebiete durch Satzung oder Rechtsverordnung nach § 34 b Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. §§ 24, 26 -28 NNatG zu verhindern. Angesichts des von der Antragstellerin selbst betonten immensen wirtschaftlichen Interesses am Verfahrensausgang (vgl. S. 12, 15 der Antragsschrift) erscheint der in Ziff. 9.8.1 genannte Maximalbetrag als sachgerecht.