Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 28.07.2000, Az.: 13 M 2442/00
Anonymisierung; Datenschutz; Deanonymisierung; Eltern; Fragebogen; Fragebogenaktion; informationelle Selbstbestimmung; Personenbezogenheit; Schule; Schüler; Schülerumfrage; Umfrage
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 28.07.2000
- Aktenzeichen
- 13 M 2442/00
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2000, 42061
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 07.04.2000 - AZ: 1 B 21/00
Rechtsgrundlagen
- Art 2 Abs 1 GG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Zur Rechtmäßigkeit einer Schülerumfage über Kinder- und Jugendprobleme.
Gründe
Die Beschwerde hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Antragsgegner zu Unrecht im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, den von der Tochter der Antragsteller ausgefüllten Fragebogen herauszusuchen und seine Verwertung zu unterlassen. Ein derartiges Recht steht den Antragstellern bzw. ihrer Tochter nicht zu. Das vom Verwaltungsgericht dazu herangezogene "Recht auf informationelle Selbstbestimmung" (BVerfGE 65, 1 [BVerfG 15.12.1983 - 1 BvR 209/83]) ist nach der im Februar dieses Jahres erfolgten Ausfüllung des Fragebogens nicht (mehr) berührt. Denn, wie im Beschluss des Senats vom 28. Juni 2000 - 13 M 1635/00 - näher ausgeführt, fehlt es nach der Durchführung der Schülerbefragung bei dem jeweiligen Fragebogen an der datenschutzrechtlich erforderlichen "Personenbezogenheit", weil die Befragung anonym durchgeführt worden ist. Die vom "Recht auf informationelle Selbstbestimmung" verlangte Anonymisierung (BVerfGE 65, 1/49 ff.) erfolgte hier von vornherein, eine Deanonymisierung ist kaum mehr möglich, so dass insoweit keinerlei Bedenken stehen, dass der Antragsgegner die Fragebögen auswerten lässt. Bedenken würden sich im Gegenteil dann ergeben, wenn der Antragsteller die Fragebögen daraufhin untersuchen würde, ob sie von der Tochter der Antragsteller stammen, wie dies aber die vom Verwaltungsgericht ausgesprochene einstweilige Anordnung voraussetzt.
Soweit das Verwaltungsgericht auf die Genehmigungsvoraussetzungen nach dem Erlass MK vom 25. März 1993 (SVBl. S. 107) in der Fassung vom 21. November 1994 (SVBl. S. 335) hingewiesen und daraus Rechte der Antragsteller hergeleitet hat, geht das fehl. Entgegen seiner Ansicht war die Befragung der Tochter der Antragsteller schon nicht rechtswidrig. Die für die Durchführung der Befragung erforderliche staatliche Genehmigung hatte die Bezirksregierung Lüneburg unter dem 7. Dezember 1999 erteilt, wobei unerheblich ist, ob die Genehmigungsvoraussetzungen gegeben waren. Durch die Genehmigung erwarb der Antragsgegner das Recht, die von seinem Jugendhilfeausschuss geplante Erhebung durchzuführen. Im Übrigen sind die vom Verwaltungsgericht geltend gemachten Bedenken auch nicht begründet. Mit der "Elterninformation" vom 21. Januar 2000 hatte der Antragsgegner auf die "kreisweite Erhebung zu Kinder- und Jugendproblemen" hingewiesen, wozu es eine freiwillige (anonyme) Fragebogenaktion geben würde. Auch in seinem Schreiben an die Schulen (vom 27.1.2000) hatte er auf die Freiwilligkeit der Befragung hingewiesen. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass es an einer Zustimmung der "Betroffenen" (Eltern und Schüler) gefehlt habe. Die vom Verwaltungsgericht vermisste ("ausdrückliche oder konkludente") Zustimmung ist vielmehr darin zu sehen, dass der jeweilige Schüler, soweit er dies getan hat, einen ausgefüllten Fragebogen abgegeben hat. Letztlich ist es für die von den Antragstellern begehrte einstweilige Anordnung aber auch unerheblich, wenn bei dem Befragungsakt als solchem, d.h. der Ausfüllung des Fragebogens, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, um das es in Nr. 3.2 des Erlasses vom 25. März 1993 insoweit allein gehen kann (vgl. § 3 Abs. 1 NdsG), verletzt worden sein sollte. Denn aufgrund der anonymen Erhebungsweise unterliegen die ausgefüllten Fragebögen als solche nun nicht mehr dem Datenschutz. Der Antrag der Antragsteller betrifft indessen allein diesen Teil der Umfrage. Das von ihm begehrte Vorgehen des Antragsgegners setzt demnach eine entsprechende Deanonymisierung voraus, die, soweit sie überhaupt möglich ist, den durch die Anonymisierung gewährten Schutz wieder aufheben würde und so zu einer vielfachen Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung führen müsste. Das kann indessen nicht angehen.
Auf die Beschwerde des Antragsgegners ist der Beschluss des Verwaltungsgerichts daher zu ändern; der Antrag ist abzulehnen.